Urteil des VG Köln vom 29.07.2003

VG Köln: grobe fahrlässigkeit, leichtfertiges verhalten, lehrer, probe, entwendung, erfüllung, schulgebäude, aufmerksamkeit, zutritt, zusammenwirken

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 4528/00
Datum:
29.07.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 4528/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages ab- wenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin macht mit der Klage einen Ausgleichsanspruch gegenüber dem be-
klagten Land in Höhe von 9.295,24 DM geltend.
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Die Klägerin ist Träger der E. -L. -Schule in I. . Diese Schule wird von lern- schwachen
und sozialauffällligen Schülern besucht. Das beklagte Land war im Jahr 1997
Dienstherr der Referendarin K. I. , die ihre Referendarzeit an der E. -L. - Schule in I.
absolvierte.
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Am 16.06.1997 ereignete sich ein Vorfall, bei dem der Referendarin zur Verfü- gung
gestellte Teil-Generalschlüssel der Schule abhanden kam. Dem Verlust lag der
folgende Vorgang zugrunde, der sich in der Zeit zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr
abspielte. Zunächst hielt sich die Referendarin im Musikraum der Schule auf. Wäh- rend
der dort von ihr verrichteten Tätigkeit legte sie den Generalschlüssel der Schule sowie
den daran befestigten Schließfachschlüssel neben sich auf den Boden. Da- nach
verließ sie den Musikraum, ohne den Schlüssel wieder an sich zu nehmen und ging in
ihr Klassenzimmer, das in der Nähe des Musikraumes auf dem gleichen Flur lag.
Nachdem sie einen Streit zwischen ihren Schülern geschlichtet hatte, ging sie in den
Musikraum zurück. Jedoch lagen die Schlüssel jetzt nicht mehr an der Stelle, an der sie
sie zurückgelassen hatte. In der Zwischenzeit hatten sich eine größere An- zahl von
Schülern und ein Musiklehrer im Musikraum befunden. Die Schlüssel konn- ten auch in
der Folgezeit nicht wieder aufgefunden werden. Eine Strafanzeige der Referendarin
wegen der Entwendung der Schlüssel verlief ergebnislos.
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Aufgrund des Verlustes des Generalschlüssels war es erforderlich, die Schließ- anlage
der Schule auszuwechseln. Hierdurch entstanden Kosten in Höhe von 9.295,24 DM, die
von der Klägerin getragen wurden. Die Haftpflichtversicherung der Referendarin lehnte
mit Schreiben vom 17.09.1997 eine Regulierung des Schadens mit der Begründung ab,
eine Haftung der Referendarin aus ihrem Dienstverhältnis als Beamtin bestehe nur bei
Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, was hier nicht gegeben sei.
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Mit Schreiben der Bezirksregierung Köln vom 25.08.1999 und vom 22.05.2000 wurde
eine Erstattung der durch die Auswechslung der Schließanlage entstandenen Kosten
durch das beklagte Land ebenfalls abgelehnt. Zur Begründung wurde ausge- führt, ein
Ersatz des Schadens sei nur nach den Vorschriften der §§ 46 Abs. 1 BRRG, 84 Abs. 1
LBG NW i.V.m. den Grundsätzen der Drittschadensliquidation möglich. Der Lehramts-
anwärterin könne jedoch nicht vorgeworfen werden, dass sie den Schlüsselverlust
grobfahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt habe.
6
Am 30.05.2000 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihren Erstattungsan- spruch
weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, ihr stehe aus dem in der Rechtspre- chung
anerkannten Gemeinschaftsverhältnis von Schulträger und Dienstherrn der Lehrer zur
Erfüllung gemeinsamer hoheitlicher Aufgaben ein Ausgleichsanspruch zu. Dieser sei
gerichtet auf die unmittelbare Schadenswiedergutmachung durch den Dienstherrn des
Lehrers, der den Schaden verursacht habe. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs
lägen vor. Die Referendarin habe als Beamtin des beklagten Lan- des während der
Erfüllung der gemeinsamen hoheitlichen Aufgaben durch den Ver- lust des Schlüssels
einen Schaden in Höhe von 9.295,24 DM verursacht.
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Soweit als zusätzliche Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs grobe Fahrläs- sigkeit
erforderlich sein sollte, sei diese zu bejahen. Da die E. -L. -Schule eine Schule für
lernschwache und sozialauffällige Schüler sei, könne im Vergleich zu Leh- rern anderer
Schulen erwartet werden, dass diese ein besonderes Augenmerk auf die Überwachung
von Schuleigentum richteten. Dies gelte naturgemäß insbesondere für
Generalschlüssel. Es sei anerkannt, dass der zu stellende Sorgfaltsmaßstab mit der
Wertigkeit des zu verwahrenden Gegenstandes bzw. mit dem Maß der erkennba- ren
Gefahren steige. Der besondere Wert eines Generalschlüssels werde nicht nur durch
die hohen Kosten für die Auswechslung der Schließanlage verdeutlicht. Dem Dieb sei
es auch möglich, beliebige Sachwerte sowie Schülerakten aus der Schule zu
entwenden. Hierdurch könne es auch zu immateriellen Schäden kommen.
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Obwohl der Referendarin die vorgenannten Umstände mehr als bewusst gewe- sen
seien, habe sie es unterlassen, Vorkehrungen gegen einen Verlust oder eine
Entwendung des Schlüssels zu treffen. So nutzten viele Lehrer auch an Regelschu- len
leichte Eisenkettchen, mit denen sie den Schlüssel an ihrer Kleidung sicherten. Auch
andere Schutzvorkehrungen zur Sicherung des Schlüssels am Körper seien denkbar
gewesen.
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Da sie keine Schutzmechanismen ergriffen habe, könne sie sich auch nicht damit
entschuldigen, dass sie in der Zwischenzeit einen Streit ihrer Schüler habe schlichten
müssen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Referendarin den Schlüssel nicht
nur kurzzeitig vergessen habe, sondern dass annähernd eine Stunde vergangen sei, bis
sie den Verlust bemerkt habe. Auch für diesen sehr langen Zeitraum, in dem der
Schlüssel entwendet werden konnte, trage die Referendarin die Verantwortung.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.295,24 DM (= 4751,73 Euro) zu zahlen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es vertritt die Auffassung, der von der Rechtsprechung entwickelte unmittelbare
Ersatzanspruch des Schulträgers gegen die Anstellungskörperschaft der Lehrkräfte
setze voraus, dass die Lehrkraft entsprechend den beamtenrechtlichen Vorschriften
wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit hafte. Andernfalls sei der kommunale
Schulträger im Fall der Pflichtverletzung einer beamteten Lehrkraft besser gestellt als
die Anstellungskörperschaft.
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Der damaligen Lehramtsanwärterin könne jedoch nur einfache Fahrlässigkeit angelastet
werden. Weder das kurzzeitige Ablegen des Schlüssels auf dem Boden des
Musikraumes sei eine besonders schwere Verletzung der Verwahrungspflicht, noch
könne ihr in subjektiver Hinsicht ein schweres Fehlverhalten vorgeworfen werden. Als
Referendarin sei ihr die fehlende Erfahrung im Umgang mit Schuleigentum zugute zu
halten. Außerdem habe sie in der konkreten Situation einen Streit zwischen Schülern
ihrer Klasse schlichten müssen. Nachdem sie das Fehlen bemerkt habe, habe sie sich
sofort auf die Suche begeben.
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Die von der Klägerin vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen müssten - insbesondere
bei einer vorübergehenden Ingewahrsamnahme des Generalschlüssels - als überzogen
angesehen werden. Auch hätte der Schulträger selbst bezüglich des Generalschlüssels
eigene Sicherungsregeln treffen können, z.B. keine Weitergabe an Dritte.
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Die ehemalige Referendarin, Frau K. T. , geb. I. , sowie die Rektorin der E. -L. -Schule
Frau D. I. wurden in der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2003 als Zeuginnen
vernommen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte,
insbesondere das Protokoll der Zeugenvernehmung, sowie den vom beklagten Land
vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist als Leistungsklage im Verwaltungsrechtsweg zulässig, da die Klägerin
einen Anspruch aus dem öffentlich-rechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, in dem
Schulträger und das beklagte Land als Anstellungskörperschaft der Lehrer und
Referendare im Hinblick auf die Einrichtung und den Betrieb der öffentlichen Schulen
stehen, in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtengesetz - LBG - und den
Grundsätzen der Drittschadenliquidation geltend macht,
21
vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08.05.1984 - 4 S 2792/83 - ZBR 1985, 115,
117; OLG Köln, Urteil vom 14.12.1989 - 7 U 116/89 - , DVBl. 1990, 311, 312; BVerwG,
Beschluss vom 08.12.1994 - 2 B 101/94 - , ZBR 1995, 107; Simianer,
Vermögensrechtliche Haftung des Beamten dem Dienstherrn ge genüber, ZBR 1993,
33, 37; Kaster, Rechtsfragen der Haftung für Verlust von Schlüsseln, NWVBl. 1994, 121,
22
124.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleich des
ihr durch den Verlust des Teil-Generalschlüssels entstandenen Schadens gegen das
beklagte Land.
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Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist das Gemeinschaftsverhältnis, in dem die
Klägerin als kommunaler Schulträger und das Land NRW als Anstellungskörperschaft
der Lehrer bei der öffentlichen Aufgabe der Einrichtung und dem Betrieb von Schulen
zusammenwirken. Dieses Zusammenwirken ist in Nordrhein-Westfalen so ausgestaltet,
dass das Land hinsichtlich der Schulkosten gemäß § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die
Finanzierung der öffentlichen Schulen - SchFG NW - die Personalausgaben für Lehrer
auch an öffentlichen Schulen trägt, die in der Trägerschaft der Kommunen stehen,
während vom Schulträger die Sachausgaben für die öffentlichen Schulen sowie für die
übrigen Bediensteten geleistet werden, § 2 SchFG. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe
sind das Land und die kommunale Körperschaft derart eng miteinander verbunden, dass
sie insoweit als Teile einer einheitlichen Organisation erscheinen,
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vgl.Kaster, NWVBl. 1994, 121, 123 f.; BGH, Urteil vom 07.05.1973 - III ZR 47/71 - , NJW
1973, 1461,1462.
25
Aus diesem Gemeinschaftsverhältnis ergibt sich die Pflicht zur Drittschadensliquidation
im Interesse des geschädigten Schulträgers, wenn ein im Dienst des Landes stehender
Beamter dem Schulträger einen Schaden zufügt, für den er dem Land als Dienstherrn
gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 LBG haftet. Denn der Schulträger hat keinen eigenen
Schadensersatzanspruch gegen den Lehrer.Ein beamtenrechtlicher Anspruch scheidet
aus, weil der Schulträger nicht dessen Dienstherr im Sinne der Anstellungstheorie ist,
ein Amtshaftungsanspruch ist nicht gegeben, weil der Schulträger wegen des
Gemeinschaftsverhältnisses im Schulbereich nicht „Dritter" im Sinne des § 839 BGB ist,
26
vgl. VGH Baden-Württemberg, ZBR 1985, 115, 117, OLG Köln, DVBl. 1990, 311, 312.
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Dieser Ausgleichsanspruch setzt jedoch voraus, dass der schadensverursachende
Beamte gegenüber dem beklagten Land als Dienstherrn gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 LBG
haftet. Im vorliegenden Fall besteht jedoch kein beamtenrechtlicher
Schadensersatzanspruch des Landes NRW gegenüber der ehemaligen Referendarin K.
T. , geb. I. , weil der Referendarin weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.
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Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 LBG hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die
ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgabe er
wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Referendarin
hatte die Pflicht, die im Eigentum des Schulträgers (als eines Dritten, dem der Dienstherr
zum Schadensersatz verpflichtet ist) stehenden Schulgebäude und
Einrichtungsgegenstände sorgfältig zu behandeln und vor vermeidbaren Schäden zu
bewahren. Diese Pflicht hat sie objektiv verletzt, indem sie einen Teil- Generalschlüssel
der Schule unbeaufsichtigt in einem Klassenraum liegen ließ und damit einem Dritten
die Gelegenheit verschaffte, den Schlüssel zu entwenden. Hierdurch wurde in adäquat
kausaler Weise ein Schaden am Eigentum des Schulträgers verursacht, der im Verlust
des Schlüssels und dem daraus folgenden Sicherheitsrisiko für das Schulgebäude und
das Inventar durch unbefugten Zutritt und kriminelle Handlungen des
Schlüsselsbesitzers besteht. Der aufgrund dieses Sicherheitsrisikos erforderliche
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Austausch der Schließanlage hat Kosten verursacht, die dem Dienstherrn als
Wiederherstellungskosten nach § 249 Satz 2 BGB zu ersetzen wären.
Es fehlt jedoch an der erforderlichen groben Fahrlässigkeit bei der Begehung der
Pflichtverletzung. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die erforderliche Sorgfalt in
besonders hohem Maße missachtet worden ist, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SBG X. Das ist
der Fall, wenn es an der geringsten Vorsicht oder Aufmerksamkeit fehlt oder nahe
liegende Überlegungen und unschwer zu ergreifende Sicherheitsvorkehrungen, die
jedem einleuchten, unterlassen werden. Hinzukommen muss, dass es sich auch in
subjektiver Hinsicht, d. h. von der individuellen Person des Schädigers aus gesehen,
um ein schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten handelt, welches das gewöhnliche
Maß erheblich übersteigt,
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vgl. Münchener Kommentar, 4. Auflage 2001, § 276 BGB Rn. 94, 95.; Schütz,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblattslg., Stand: Juni 1999, § 84 Rn. 45;
Simianer, ZBR 1993, 33, 41.
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Es ist zugunsten der Klägerin einzuräumen, dass im Hinblick auf den der Referendarin
überlassenen Teil-Generalschlüssel eine gesteigerte Sorgfaltspflicht bestand, weil
dieser den Zutritt zu den Schulräumen insbesondere auch in den Nachmittagsstunden
ermöglichte, in denen nach der Aussage der Zeugin I. nur die Musikschule die Räume
benutzte und daher keine flächendeckende Aufsicht ausgeübt wurde. Hinzutritt eine
nicht unerhebliche Gefährdungslage, da die Schule auch von Schülern besucht wurde,
die zu sozialauffälligem Verhalten, beispielsweise Diebstähle oder Aggressionen
gegenüber Mitschülern neigten. Dieser Verantwortung musste sich die Referendarin
auch bewusst sein, da alle Bediensteten der Schule bei der Aushändigung des
Schlüssels durch die Rektorin persönlich auf die bestehenden Risiken aufmerksam
gemacht wurden, wie die Zeugin I. bei ihrer Vernehmung glaubhaft versicherte. Es ist
davon auszugehen, dass der Referendarin die Bedeutung des Schlüssels und der
Gefahren bei seinem Verlust auch bewusst waren. Denn sie hat bei ihrer Vernehmung
bekundet, dass sie den Schlüssel üblicherweise und auch an diesem Tag mit einem
Karabinerhaken an einer Gürtelschlaufe ihrer Hose befestigt hatte und daher den
Schlüssel ständig in ihrer Sicht- und Reichweite hatte. Sie hatte also prinzipiell
ausreichende Sicherheits- vorkehrungen gegen eine Entwendung des Schlüssels
getroffen.
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Unter Berücksichtigung dieser Gefahrenlage mag es bereits als besonders schwere
Pflichtverletzung anzusehen sein, dass die Referendarin den Schlüssel nach ihrer
glaubhaften Aussage während einer Probe für den bevorstehenden Auftritt der
Schülerband auf einem Schulfest aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums der Schule
neben oder unter sich auf den Boden legte, weil er - wie üblich - an ihrer Hose befestigt
war und sie deshalb beim Spielen ihrer Gitarre behinderte. Denn sie rechnete in diesem
Augenblick selbst damit, dass es möglicherweise in ihrer Klasse, die nur von einer
Praktikantin beaufsichtigt wurde, Unruhe geben und sie deshalb den Probenraum
plötzlich verlassen musste, um dort einzugreifen. Es war daher vorhersehbar, dass sie in
dieser Anspannungssituation den Schlüssel möglicherweise liegenlassen würde, zumal
die Türen beider Räume offenstanden und der Schlüssel daher aktuell nicht benötigt
wurde. Sie hätte den Schlüssel ohne große Mühe auch besser sichern können, indem
sie ihn beispielsweise in ihren Gitarrenkasten legte.
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Eine Missachtung der gebotenen Sorgfalt in besonders hohem Maße kann in diesem
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Verhalten jedoch nicht gesehen werden. Es ist zu berücksichtigen, dass an diesem Tag
wegen der Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten aus Anlass des 40- jährigen
Jubiläums der Schule eine Ausnahmesituation bestand, die mit dem normalen
Schulbetrieb nicht vergleichbar war. Wie beide Zeuginnen übereinstimmend berichtet
haben, herrschte im ganzen Schulgebäude eine große Betriebsamkeit mit einem
ständigen Kommen und Gehen, die nur schwer zu überblicken war.
Die Referendarin selbst befand sich in einer außergewöhnlichen Anspannung, weil sie
gleichzeitig zwei Aufgaben meistern musste, die ihre volle Aufmerksamkeit verlangten.
Zum einen hatte der Musiklehrer sie gebeten, die Schülerband bei einem Musikstück auf
ihrer Gitarre zu begleiten und deshalb an der angesetzten Probe teilzunehmen. Zum
anderen hatte sie die Aufsicht über ihre Klasse, die sie in der Obhut einer Praktikantin
zurückgelassen hatte, da sie davon ausgegangen war, dass die Probe für das eine
Stück nur kurze Zeit in Anspruch nehmen würde. Wegen ihrer Befürchtung, dass es in
ihrer Klasse Streitigkeiten bis hin zu körperlichen Attacken geben könnte, fühlte sie sich
verpflichtet, aus der offenstehenden Tür des Musikraums heraus den einsehbaren Flur
vor ihrem Klassenzimmer im Blick zu behalten. Sie befand sich daher bereits bei Beginn
der Probe unter einem erheblichen psychischen Druck, möglichst schnell in ihre Klasse
zurückzukehren.
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Die Referendarin hat auch insoweit nicht grob fahrlässig gehandelt, als sie die Aufsicht
über Ihre Klasse zeitweise einer Praktikantin übertrug. Dies ist gemäß § 12 Abs. 3 Satz
2 der Allgemeinen Schulordnung - ASchO - zulässig, wenn dadurch im Einzelfall eine
angemessene Aufsicht gewährleistet bleibt. Die Zeugin I. hat bestätigt, dass unter den
gegebenen Umständen eine kurzfristige Überlassung der Aufsicht an eine Praktikantin
angemessen war und von ihr gebilligt worden wäre. Sie hat ebenfalls ausgeführt, dass
die von der Referendarin getroffene Regelung, die dieser eine nur kurzzeitige
Abwesenheit mit der Möglichkeit einer akustischen und optischen Überwachung vom
Musikraum aus ermöglichen sollte, nicht mit ihr abgesprochen werden musste.
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Der Referendarin kann in dem Augenblick, als sie den Schlüssel neben oder unter sich
auf den Boden legte, ein schwerer Schuldvorwurf nicht gemacht werden. Denn sie
befand sich, wie bereits ausgeführt, in einer nicht alltäglichen Konfliktsituation, die durch
Zeitdruck und Überforderung durch zwei kaum miteinander vereinbare Aufgaben
gekennzeichnet war. Dass ihr der Schlüssel im Weg war, konnte sie erst bemerken, als
sie ihr Instrument zur Hand nahm, um mit der Probe zu beginnen. In diesem Augenblick
hatte sie weder die Zeit, um über einen sicheren Aufbewahrungsort für den Schlüssel
nachzudenken noch drängte sich ein solcher unmittelbar auf. Insbesondere hat die
Zeugin bekundet, dass sie weder eine Tasche in ihrer Kleidung hatte noch eine
Handtasche mitführte. Außerdem bestand in unmittelbarer Nähe keine
Ablagemöglichkeit, weil die Musiker im Halbkreis saßen bzw. standen und die Tische
an einer Seite des Raumes zusammengestellt worden waren. Die Möglichkeit, den
Schlüssel in den Gitarrenkasten zu legen, liegt zwar bei einer Betrachtung der
Ereignisse im Nachhinein nahe. Es kann ihr jedoch nicht vorgeworfen werden, dass ihr
dieser Gedanke in dem entscheidenden Moment nicht gekommen ist. Es liegt auch nicht
auf der Hand, dass der Schlüssel dort tatsächlich sicherer gewesen wäre, als in ihrer
unmittelbaren Nähe. Eine besonders schwere Missachtung der erforderlichen Vorsicht,
kann daher nicht darin gesehen werden, dass sie den Schlüssel unmittelbar neben sich
auf den Boden legte, so dass dieser sich in ihrer Reichweite befand und beim
Einpacken ihres Instrumentes nach der Probe auch gesehen worden wäre.
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Ferner ist zu bedenken, dass der Musikraum keineswegs unbeaufsichtigt war. Immerhin
befand sich dort der Musiklehrer und noch eine weitere Referendarin, die in einer
gewöhnlichen Situation darauf geachtet hätten, dass Gegenstände einer Kollegin,
insbesondere der Generalschlüssel, nicht weggenommen worden wären. Die Zeugin I.
hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch die Lehrer untereinander in besonderer
Weise auf den Schlüssel geachtet haben.
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Dass die Referendarin in dem Augenblick, als Lärm aus ihrem Klassenzimmer zu hören
war, aufsprang und in ihre Klasse eilte, ohne den Schlüssel mitzunehmen, begründet
ebenfalls keinen schweren Schuldvorwurf. Es handelt sich lediglich um eine
momentane Unaufmerksamkeit in einem Augenblick, in dem schnelles und beherztes
Eingreifen notwendig war, das man als Augenblicksversagen bezeichnen kann.
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Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der Referendarin eine erhebliche
Sorgfaltspflichtverletzung angelastet werden kann, weil sie das Fehlen des Schlüssels
nicht sofort bemerkte. Es ist zum einen nicht mehr aufklärbar, wieviel Zeit überhaupt
zwischen dem Verlassen des Musikraums und dem Beginn der Suche nach dem
Schlüssel verstrichen ist. Zwar ist in der Diebstahlsanzeige der Referendarin von einem
Tatzeitraum zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr die Rede. Aus der Beschreibung des
Hergangs ergibt sich jedoch nicht klar, auf welche Zeitpunkte sich diese Angaben
beziehen und ob zwischen dem Verlassen des Musikraums und der Feststellung des
Verlustes tatsächlich eine Stunde vergangen ist. In ihrer Vernehmung hat die Zeugin T.
dagegen angegeben, sie habe sich nur eine kurze Zeit in ihrem Klassenzimmer
aufgehalten, um den Streit zwischen ihren Schülern zu schlichten und sei dann sofort
wieder in den Probenraum zurückgekehrt, um die Probe fortzusetzen. An den Zeitpunkt,
in dem sie das Fehlen des Schlüssels bemerkt hat, konnte sich jedoch nicht mehr genau
erinnern. Im übrigen scheint es auch unwahrscheinlich, dass die Zeugin angesichts der
dichten Folge der Ereignisse und der mit dem Schlüsselverlust verbundenen Aufregung
den Zeitraum, in dem sich die Entwendung abgespielt hat, seinerzeit bei der Polizei
exakt angeben konnte.
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Dass der Referendarin das Fehlen des Schlüssels nicht sofort auffiel, lässt sich leicht
nachvollziehen. Der Schlüssel wurde in der Situation nicht benötigt, weil die Türen
beider Schulräume offen standen. Darüber hinaus war die Referendarin durch den Streit
zwischen ihren Schülern, der ihre volle Aufmerksamkeit fordert, abgelenkt. Unter diesen
Umständen lässt sich eine erhebliche Missachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht
feststellen.
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Jedenfalls kann der Referendarin subjektiv eine besonders schwere Schuld nicht
angelastet werden. Da sie erst ca. 1 Jahr an der Schule beschäftigt war und daher zwar
mit dem normalen Schulbetrieb, aber nicht mit einer Ausnahmesituation wie der
Vorbereitung eines bedeutenden Schulfestes vertraut war, kann ihr kein leichtfertiges
Verhalten vorgeworfen werden, weil sie die Anforderungen an eine sichere
Schlüsselverwahrung in der bestehenden Konfliktsituation nicht umfassend erfüllt hat.
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Da somit eine beamtenrechtliche Haftung der Referendarin nach § 84 Abs. 2 Satz 1
LBG nicht gegeben ist, ist der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nicht begründet.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
44
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708
45
Nr. 11, § 711 ZPO.