Urteil des VG Koblenz vom 22.08.2008

VG Koblenz: besondere härte, aufschiebende wirkung, russische föderation, öffentliches interesse, integration, emrk, einreise, lebensgemeinschaft, aufenthaltserlaubnis, russland

VG
Koblenz
22.08.2008
3 L 849/08.KO
Aufenthaltsrecht, Ausländerrecht
Verwaltungsgericht Koblenz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau ...,
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. jur. H. Birk - H. Wasmuth - J. Weissgerber, Saynstraße 5,
57610 Altenkirchen,
gegen
den
Landkreis Altenkirchen
, vertreten durch den Landra
, Parkstraße
,
5761
Altenkirche
,
- Antragsgegner -
wegen Aufenthaltstitel und Abschiebungsandrohung (Russische Föderation)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der Beratung vom 22. August 2008, an der
teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Lutz
Richter am Verwaltungsgericht Pluhm
Richter am Verwaltungsgericht Holly
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches vom 28. Juli 2008 gegen
den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Juli 2008 gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung –
VwGO – anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.
Die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung
fällt hier zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses aus, hinter dem das private Interesse der
Antragstellerin, vorläufig von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, zurücktreten muss. Denn nach
der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung ergeben sich weder
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, noch hätte die Vollziehung für
den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge.
Der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – steht der Antragstellerin derzeit nicht zu.
Dabei kommt es auf die von den Beteiligten ausführlich diskutierten näheren Umstände der Einreise der
Antragstellerin sowie der in Dänemark erfolgten Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen
vorliegend nicht an. Denn die Antragstellerin erfüllt schon nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der
§§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 5 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG.
Hiernach setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der
ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet voraus, dass der ausländische Ehegatte sich zumindest
auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Davon ist im Falle der Antragstellerin selbst
nach ihrem eigenen Vorbringen derzeit nicht auszugehen, so dass dies im Ergebnis der Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis entgegensteht.
Das Aufenthaltsgesetz sieht für die Antragstellerin auch keine Ausnahme vom Spracherfordernis nach
§§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor. Insbesondere ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass
die Antragstellerin wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung
außer Stande sein könnte, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen (vgl. § 30 Abs. 1
Satz 3 Nr. 2 AufenthG). Auch ein Ausnahmefall nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AufenthG kommt vorliegend
nicht in Betracht. Die ausdrücklich auf § 43 Abs. 4 AufenthG gestützte Integrationskursverordnung – IntV –
nennt für einen geringen Integrationsbedarf in ihrem § 4 Abs. 2 Satz 2 IntV vorliegend nicht gegebene
Regelbeispiele. Zwar verfügt die Antragstellerin ausweislich der von ihr zur Verwaltungsakte (Bl. 19)
gereichten Kopie eines russischen Diploms (akademische Bildung) über eine Ausbildung zur
Werbekauffrau, womit der Anwendungsbereich des Regelbeispiels nach § 4 Abs. 2 Nr. 1a) IntV eröffnet ist.
Allerdings strebt sie nach derzeitiger Aktenlage keine entsprechende Beschäftigung in Deutschland an, so
dass die Voraussetzungen der genannten Regelung nicht erfüllt sind. Anhaltspunkte für das Vorliegen
ungeschriebener Regelbeispiele bei der Antragstellerin sind ebenfalls nicht erkennbar.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht das neu eingeführte Spracherfordernis für
nachzugswillige Ehegatten gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch im Einklang
mit höherrangigem Recht. Dies gilt zunächst für Art. 6 Grundgesetz – GG – und Art. 8 Abs. 1 der
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte – EMRK –, die Ehe und Familie unter den
besonderen Schutz des Staates stellen und an denen die hier in Rede stehende Regelung zu messen ist.
Zwar greift die Regelung in den Schutzbereich dieser Bestimmungen ein, denn sie kann die Aufnahme
der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem deutschen Staatsangehörigen im Bundesgebiet jedenfalls
vorübergehend für die ungewisse Dauer des ausreichenden Spracherwerbs verhindern. Das
Grundgesetz gewährt den Ehegatten die Freiheit, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu
führen, indes nicht uneingeschränkt. Die Grundrechtsträger können Eingriffe in ihre Freiheitssphäre nicht
abwehren, die zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich sind und die das Maß der
Freiheitsbeschränkung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit durch die
Regelung erwachsenden Vorteilen halten. Der Gesetzgeber hat gerade bei aufenthaltsrechtlichen
Regelungen für ausländische Staatsangehörige einen politischen Gestaltungsspielraum, der
insbesondere die Festlegung und die Gewichtung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange
umfasst.
Nach diesem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 76, 1 ff.) entwickelten Maßstab verstößt das
sprachliche Nachzugserfordernis nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK. Es liegt auf der Hand,
dass rechtzeitig erworbene Kenntnisse der Sprache des neuen Gastlandes die wünschenswerte schnelle
Integration des zuziehenden Ausländers erleichtern können. An der schnellen Integration des
zuziehenden Ausländers besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse. Dies erklärt sich aus den in den
letzten Jahren vermehrt zu verzeichnenden gesellschaftlichen Problemen, die sich insbesondere im
Zusammenhang mit mangelnder oder gar fehlgeschlagener Integration manifestieren. Als eine der
Hauptursachen für diese Entwicklung werden unter anderem einhellig mangelnde Sprachkenntnisse
angesehen. Es versteht sich von selbst, dass Defizite in diesem Bereich sich nahezu zwangsläufig
nachteilig sowohl im Bereich der Kindererziehung und damit im Bildungssektor wie auch im Bereich des
Arbeitsmarktes auswirken und damit einer zügigen Integration entgegenstehen. Dies hat der Gesetzgeber
aufgegriffen und gerade bei der Neuregelung des Aufenthaltsgesetzes einen Schwerpunkt auf die
Integration ausländischer Mitbürger gelegt. Dabei ist das Erlernen der deutschen Sprache ein zentraler
Punkt. Vor diesem Hintergrund stellt im Regelfall der ohnehin auf einfache Kenntnisse beschränkte
Spracherwerb keine unzumutbaren Anforderungen an den nachzugswilligen ausländischen Ehegatten.
Wer für sich die Entscheidung trifft, künftig in einem anderen Land zu leben, muss sich darüber im Klaren
sein, dass auf ihn gewisse Anpassungs- und Integrationsleistungen zukommen. Dazu gehört nicht zuletzt
das Erlernen einer fremden Sprache. Die besondere Anforderung, dass in einem begrenzten Umfang
Sprachkenntnisse bereits vor der Einreise erworben werden müssen, ist vertretbar und vom
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Die erleichterte Integration eines zuziehenden
Ausländers im Bundesgebiet, die ein Hauptzweck der gesetzlichen Neuregelung ist, erfordert wenigstens
das Beherrschen einfacher Sätze, da eine schnelle Eingewöhnung in die neuen Lebensumstände und
eine baldige Teilnahme am Sozialleben ansonsten kaum möglich sein dürfte. Gerade der ausdrückliche
Zweck der Regelung, auch den neu zuziehenden Opfern von Zwangsverheiratungen mehr Schutz vor
ihrer Schwiegerfamilie zu bieten, erfordert den Spracherwerb bereits vor und nicht erst nach der Einreise
(siehe Drucksache 16/5065 des Deutschen Bundestages vom 23. April 2007, Seite 173 f.).
Diesem Normverständnis liegt freilich die - auch vom Gesetzgeber unterstellte - Prämisse zugrunde, dass
die geforderten einfachen Sprachkenntnisse in der Regel seitens des zuzugswilligen Ausländers in relativ
kurzer Zeit erlernt werden können. Damit ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch im
Lichte des Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK sichergestellt, dass die aus der Regelung der §§ 28 Abs. 1
Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG resultierende Hinderung der Aufnahme der ehelichen
Lebensgemeinschaft nur von relativ kurzer Dauer sein wird. Nur wenn dies im Einzelfall nicht
gewährleistet sein sollte, etwa weil im Herkunftsland des einreisewilligen Ausländers keine zumutbaren
Möglichkeiten bestehen, sich die nötigen Deutschkenntnisse in angemessener Zeit anzueignen, wäre im
konkreten Einzelfall im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit Rücksicht auf Art. 6 GG und Art. 8
Abs. 1 EMRK vom Spracherfordernis nach §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG
ausnahmsweise abzusehen.
Ausgehend von dieser Auslegung der vorgenannten Bestimmungen stehen diese aus denselben
Erwägungen auch im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf
Familienzusammenführung vom 22. September 2003 (Amtsbl. L 251 vom 3. Oktober 2003, Seite 12)
(ebenso VG Berlin, Urteil vom 19. Dezember 2007 – VG 5 V 22.07 – juris; zur Frage der Vereinbarkeit des
Spracherfordernisses mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und der vorgenannten Richtlinie vergleiche auch
Gemeinschaftskommentar Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung, § 30 Rdnr. 51 bis 98 m.w.N.).
Unter Anwendung dieses Maßstabes besteht im Falle der Antragstellerin keine Notwendigkeit, aus
Gründen der Verhältnismäßigkeit von dem Spracherfordernis abzusehen. Besondere Gründe, die ihr eine
Rückkehr in ihr Heimatland Russland zum Zwecke der Erlangung der geforderten Grundkenntnisse der
deutschen Sprache unzumutbar machen, hat die Antragstellerin nicht dargetan. Solche sind auch sonst für
die Kammer nicht ersichtlich.
So kann zunächst davon ausgegangen werden, dass es insbesondere in den größeren russischen
Städten eine Vielzahl von Möglichkeiten geben wird, einen Sprachkurs in Deutsch zu belegen. Dabei
kann mit Blick darauf, dass die Antragstellerin ein russisches Diplom (akademische Bildung) über den
erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung zur Werbekauffrau hat, davon ausgegangen werden, dass sie
sich die notwendigen Sprachkenntnisse aufgrund ihrer Vorbildung in relativ kurzer Zeit wird aneignen
können. Auch finanzielle Gesichtspunkte stehen dem offensichtlich nicht entgegen, da der Ehemann der
Antragstellerin über eine feste Arbeitsstelle verfügt und ihr gegenüber unterhaltspflichtig ist. Schließlich
zwingt auch die bei der Antragstellerin festgestellte Schwangerschaft nicht zu einer anderen Bewertung.
Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dahin gehend, dass sie aus diesen Gründen an der Rückkehr nach
Russland gehindert wäre. Insoweit ist zu sehen, dass nach dem vorgelegten Attest die Schwangerschaft
offensichtlich bereits im Zeitpunkt der Einreise vorlag, ohne dass dies die Antragstellerin am Antritt der
Reise gehindert hätte.
Auch die Abschiebungsandrohung erweist sich als offensichtlich rechtmäßig. Sie findet ihre
Rechtsgrundlage in §§ 58, 59 AufenthG. Da die Antragstellerin hiergegen im Einzelnen nichts eingewandt
hat, sieht die Kammer insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Erweist sich der Bescheid demnach insgesamt als rechtmäßig, so ergeben sich auch keine Anhaltspunkte
dafür, dass die sofortige Vollziehung für die Antragstellerin eine besondere Härte bedeuten würde. Die
Antragstellerin wird vielmehr nicht härter betroffen als andere Ausländer in vergleichbarer Situation.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 3 und 63 Abs. 2
GKG.
Rechtsmittelbelehrung
...
gez. Lutz gez. Pluhm gez. Holly
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