Urteil des VG Kassel vom 23.02.2006

VG Kassel: grundsatz der billigkeit, ferienwohnung, befreiung, wirtschaftliche einheit, stadt, gemeinde, benutzungsgebühr, inhaber, abfallbeseitigung, eigentümer

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Gericht:
VG Kassel 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 E 887/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 15 Abs 1 KrW-/AbfG
(Ferienwohnung und Anschlusspflicht an eine
Abfallentsorgungseinrichtung)
Leitsatz
Es besteht für Ferienwohnungsinhaber grundsätzlich kein Anspruch auf Befreiung vom
Anschluss- und Benutzungszwang einer Abfallentsorgungseinrichtung
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang der
Abfallentsorgungseinrichtung des Beklagten.
Er ist Eigentümer der Wohnung „A.“ auf dem Grundstück A-Straße in C. Mit
Schreiben vom 17.10.2003 beantragte er, ihn vom Anschluss- und
Benutzungszwang der Abfallentsorgungseinrichtung des Beklagten zu befreien,
weil er seine Ferienwohnung lediglich maximal an 30 Tagen im Jahr nutze und die
Nutzung überwiegend an den Wochenenden erfolge. An den Leerungstagen der
Restmülltonne halte er sich in der Regel nicht in C auf. Die anfallenden Müllmengen
entsorge er über seinen Hauptwohnsitz in A-Stadt (Landkreis B-Stadt, Baden-
Württemberg).
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und
Benutzungszwang mit Bescheid vom 30.12.2003 ab. Dagegen legte der Kläger mit
Schreiben vom 28.01.2004 Widerspruch ein mit der Begründung, dass er die
Wohnung nur nutze, wenn er in Nordhessen zum Besuch seiner Kinder und Enkel
sei. Weil die Anwesenheitszeiten zu gering seien, habe ihm das
Einwohnermeldeamt der Gemeinde C im Februar 1999 mitgeteilt, dass eine
Anmeldung als Zweitwohnung nicht erforderlich sei. Seit dem 23.11.2003 sei die
Wohnung unbewohnt, da eine Gasthermenheizung nicht sachgerecht eingebaut
worden sei. Erst im Februar/März 2004 könne mit einer Wiederbenutzung der
Wohnung gerechnet werden. In den Jahren 1999 – 2002 habe er sich maximal an
30 Tagen pro Jahr in der Wohnung in C aufgehalten. Im Jahre 2003 seien es
lediglich 19 Tage gewesen. Den anfallenden Müll in einer Maximalmenge von 1 bis
2 kg habe er über seinen Hauptwohnsitz in A-Stadt entsorgt. Auch habe er
niemals ein Müllgefäß bei der Gemeinde C empfangen. Erstmals mit
Abfallgebührenbescheid vom 05.05.2003 habe die Gemeinde C rückwirkend ab
dem 01.01.2003 einmal eine Grundgebühr von 3,75 € sowie nochmals eine
Grundgebühr von 6,40 € in Form einer 80-Liter-Mülltonne für Restmüll-Leerung 14-
tägig gefordert. Dies sei eine nicht akzeptable Überentsorgung von 2080
Litern/Person/Jahr. Bei einem bei ihm maximal anfallenden Abfall von 15 Liter/Jahr
Restmüll sei die Forderung von 2080 Litern deutlich grob unbillig.
Den Widerspruch des Klägers lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
04.03.2004 – dem Kläger zugestellt am 06.03.2004 – ab.
Der Kläger hat am 05.04.2004 Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt:
Eine Benutzungsgebühr werde als Gegenleistung für die tatsächliche
Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung erhoben. Das sei hier nicht der
Fall. Er, der Kläger, sei maximal 30 Tage in C. An diesen Tagen falle eine zu
vernachlässigende Menge an Abfall an. Diese Menge entsorge er an seinem
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vernachlässigende Menge an Abfall an. Diese Menge entsorge er an seinem
Hauptwohnsitz. Bei dieser Sachlage sei es unbillig, ihn nicht vom Anschluss- und
Benutzungszwang zu befreien. Gegen eine Unbilligkeit spreche zunächst nicht,
dass er, der Kläger, in der Lage sei, sich eine Ferienwohnung zu leisten. Soweit der
Beklagte darauf abstelle, sei dies offensichtlich unzulässig. Unzutreffend sei der
Ansatz des Beklagten auch, soweit er darauf abstelle, dass eine
Benutzungsgebühr unabhängig von der tatsächlichen Nutzung zu erheben sei.
Eine solche Argumentation könne sich ausschließlich auf die Erhebung einer
Grundgebühr beziehen. Ihm, dem Kläger, sei eine Befreiung vom Anschluss- und
Benutzungszwang zu erteilen, weil dies dem Grundsatz der Billigkeit entspreche.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30.12.2003 in der Form des
Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, ihn, den Kläger, hinsichtlich seines Antrags auf Befreiung vom
Anschluss- und Benutzungszwang neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in seinem
Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 16.11.2004 (Bl. 30 der Akte)
und vom 23.11.2004 (Bl. 31 der Akte) ihre Zustimmung zur Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung erteilt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 12.12.2005 den Rechtsstreit dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte, die gerichtliche
Verfahrensakte mit dem Aktenzeichen 6 E 2523/03 sowie die Behördenakte des
Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers
auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang ihrer
Abfallentsorgungseinrichtung zu Recht abgelehnt, denn ihm steht ein solcher
Anspruch nicht zu.
Der Kläger ist als Eigentümer einer Ferienwohnung in A und damit gemäß § 7 Abs.
2 der Abfallsatzung – AbfS - des Beklagten vom 10.04.2002 als Inhaber eines
Teilgrundstücks, das eine selbständige wirtschaftliche Einheit bildet, grundsätzlich
verpflichtet, sich an die Abfallentsorgungseinrichtung des Beklagten anzuschließen
und diese zu benutzen
Nach § 6 Abs. 2 Abfallsatzung – AbfS – des Beklagten ist von dieser grundsätzlich
bestehenden Verpflichtung eine Befreiung zu erteilen, wenn die Anordnung des
Anschluss- und Benutzungszwanges unbillig ist. Diese Voraussetzungen liegen
nicht vor.
Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Vorschriften über die Möglichkeit einer
Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang im Kreislaufwirtschafts- und
Abfallgesetz – Krw-/AbfG - oder im Hessischen Ausführungsgesetz zum
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - HAKA - und im Hinblick auf die Funktion
dieses Rechtsinstituts, nämlich in solidarischer Gemeinschaft aller örtlichen
Grundstückseigentümer ohne eine Vielzahl von Befreiungen, die gemeinsame
Aufgabe der Abfallentsorgung im Bereich der jeweiligen öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträger i.S.v. § 4 Abs. 1 HAKA wirksam zu bewältigen, sind
satzungsrechtliche Befreiungsregelungen wie 6 Abs. 2 AbfS eng auszulegen.
Danach ist eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang im Bereich der
Abfallentsorgung ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn außergewöhnliche und
schwerwiegende Umstände die Situation des Pflichtigen kennzeichnen und sich
folglich die Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs als offensichtlich
unzumutbar erweisen würde (vgl. Hess. VGH, U.v.20.06.1990 – 5 UE 2741/86 –
ESVGH 41, 22 ff.).
Für die Annahme dieser Voraussetzungen reicht es nicht aus, dass sich der
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Für die Annahme dieser Voraussetzungen reicht es nicht aus, dass sich der
Befreiungsantrag des Klägers auf eine Ferienwohnung bezieht, die nach seinen
Angaben nur maximal 30 Tage im Jahr genutzt wird mit der Folge, dass die
anfallenden geringen Abfallmengen von ihm an seinem Hauptwohnsitz in A-Stadt
entsorgt werden können. Der Kläger verkennt insoweit bereits, dass ein Verbringen
von Restmüll aus privaten Haushalten in den Bereich eines anderen
Entsorgungspflichtigen mit den Grundsätzen einer geordneten Abfallwirtschaft
nicht zu vereinbaren ist. Nach § 13 Abs. 1 Krw-/AbfG sind Besitzer von Abfällen aus
privaten Haushalten verpflichtet, diese dem nach dem jeweiligen Landesrecht
entsorgungspflichtigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu überlassen,
soweit sie diese nicht selbst verwerten können. Unter „Verwertung“ in diesem
Sinne ist dabei die stoffliche oder energetische Verwertung gemäß 6 Abs. 1 Krw-
/AbfG zu verstehen, wozu der Transport in eine anderes Abfallbehältnis offenkundig
nicht gehört. In Erfüllung dieser ihn treffenden gesetzlichen Überlassungspflicht hat
der Kläger ein Restmüllgefäß zu benutzen, wobei der Beklagte auf der Grundlage
von § 4 Abs. 6 HAKA befugt gewesen ist, das Mindestvolumen dieses
Restmüllgefäßes mit 80 Litern zu bestimmen. Die Ungleichbehandlung, die darin
liegt, dass von jedem Gebührenschuldner eine allein nach dem Behältervolumen
gestaffelte Grund- und Benutzungsgebühr erhoben wird, obwohl die Füllung der
Abfallgefäße von Mal zu Mal durchaus unterschiedlich ausfallen wird, ist mit Blick
auf den Gleichheitsgrundsatz schon dadurch gerechtfertigt, dass die Bereitstellung
einer betriebsbereiten Abfallentsorgungseinrichtung Vorhaltekosten verursacht,
die bei einer geringeren Inanspruchnahme durch einzelne Gebührenpflichtige nicht
in gleichem Maße abnehmen.
Auch wenn feststeht, dass der Kläger seine Ferienwohnung überwiegend nur für
Kurzaufenthalte nutzt, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung, denn daraus
folgt, dass die Vorhalteleistung Abfallbeseitigung des Beklagten ganzjährig
uneingeschränkt in Anspruch genommen wird. Der Kläger verkennt insoweit, dass
die gebührenpflichtige Leistung Abfallbeseitigung nicht nur in der Abnahme einer
konkreten Menge Restmülls, sondern überwiegend in der Vorhaltung eines
Entsorgungssystems besteht, das er jederzeit in Anspruch nehmen kann. Dazu
gehört auch, dass die Abholpunkte für die zugeteilten Abfallbehältnisse von den
Müllfahrzeugen auf den Einsammeltouren in den vorgesehenen Zeitabständen
ganzjährig angefahren werden, und zwar unabhängig davon, ob das Anwesen
gerade bewohnt wird oder nicht.
Hinzu kommt, dass eine individuelle Berücksichtigung des jeweiligen
Nutzerverhaltens dem Entsorgungspflichtigen nicht zumutbar ist. Bei der
Verpflichtung zum Anschluss an eine und zur Benutzung einer
Abfallentsorgungseinrichtung handelt es sich um die Regelung einer
Massenerscheinung, die eine weitgehende Typisierung erfordert. Der damit
korrespondierende Grundsatz der Praktikabilität lässt es als gerechtfertigt
erscheinen, für Inhaber von Ferienwohnungen keine Sonderregelung einzuführen,
die etwa berücksichtigt, wann und wie oft die einzelne Ferienwohnung tatsächlich
genutzt wird (BVerwG, B.v. 5. 11. 2001 - 9 B 50/01-, NVwZ-RR 2002, 217-220).
Da der Kläger das Abfallentsorgungssystem des Beklagten ganzjährig nutzen kann
und durch die Nutzung seiner Ferienwohnung tatsächlich Abfall anfällt, den er nach
§ 13 Abs. 1 Krw-/AbfG dem Beklagten zu überlassen hat, ist es nicht unbillig, ihn an
den Kosten der Abfallentsorgungseinrichtung zu beteiligen.
Der Kläger hat deshalb seine Ferienwohnung an die Abfallentsorgungseinrichtung
des Beklagten anzuschließen mit der Folge, dass seine Klage kostenpflichtig
abzuweisen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten beruht
auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 426,30€ festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 1 Absatz 1 b, 13 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes und entspricht dem 3 ½ -fachen Jahresbetrag der mit
dem Anschluss an die Abfallentsorgungseinrichtung verbundenen
Gebührenforderung für eine 80 Liter Restmülltonne (10,15€ monatlich).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.