Urteil des VG Kassel vom 25.03.2004

VG Kassel: armenien, bundesamt, rotes kreuz, aserbaidschan, abschiebung, staatsangehörigkeit, androhung, berg, ausländerrecht, anerkennung

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Gericht:
VG Kassel 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 E 1397/00.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 34 AsylVfG , § 50 Abs 2
AuslG
Leitsatz
1. Beim Zielstaat in der Abschiebungsandrohung muss es sich nicht um den Staat,
dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer inne hat, handeln.
2. Das Gericht ist nach Eintritt der Bestandskraft eines die Asylanerkennung, die
Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG und zu
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG beinhaltenden Bescheiden des
Bundesamtes an diese Feststellungen gebunden, wenn das Bundesamt später eine
Abschiebungsandrohung erlässt und kein Asylfolgeantrag oder Antrag auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG beim Bundesamt gestellt worden ist.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die isolierte Abschiebungsandrohung im Bescheid
des Bundesamtes vom 20.04.2000.
Die Kläger, armenische Volkszugehörige aus Aserbaidschan oder Armenien,
reisten nach ihren Angaben am 17.03.1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein
und beantragten am 25.03.1996 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Diesen
Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im
Folgenden: Bundesamt) mit Bescheid vom 09.08.1996 ab, wobei es den Klägern
die Abschiebung nach Aserbaidschan androhte. Die gegen diesen Bescheid
erhobene Klage hatte Erfolg, soweit sie sich gegen die Androhung der Abschiebung
nach Aserbaidschan richtete, da die Kläger in Aserbaidschan politischer Verfolgung
unterlägen und aus Armenien stammten; im übrigen war die Klage erfolglos (Urteil
vom 14.12.1999 -2 E 2948/96.A-). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den
dagegen gerichteten Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung mit Beschluss
vom 31.01.2000 abgelehnt (3 UZ 275/00.A).
Mit Bescheid vom 20.04.2000 erließ das Bundesamt eine erneute
Ausreiseaufforderung und drohte den Klägern für den Fall, dass sie nicht freiwillig
ausreisten, die Abschiebung nach Armenien oder in einen anderen Staat an, in
den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Zur
Begründung wird auf das Urteil des Gerichts vom 14.12.1999 verwiesen. Aufgrund
der danach anzunehmenden Herkunft der Kläger sei ihnen die Abschiebung nach
Armenien anzudrohen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den
angefochtenen Bescheid (Seite 2) verwiesen.
Gegen diesen ihnen als Übergabeeinschreiben vom 03.05.2000 zur Post
gegebenen Bescheid haben die Kläger mit Schriftsatz ihres ehemaligen
Verfahrensbevollmächtigten vom 19.05.2000, bei Gericht eingegangen am
22.05.2000, einem Montag, Klage erhoben. Sie stammten entgegen der Annahme
des Gerichts im Urteil vom 14.12.1999 aus Masis (Klägerin zu 2) bzw.
Neymatabad/Namatabad (Kläger zu 1.); beide Orte lägen in Aserbaidschan und
nicht im Gebiet Berg-Karabach. In Neymatabad/Namatabad hätten sie zusammen
mit den Eltern des Klägers zu 1., seiner Großmutter, seiner Schwester und einer
Tante gelebt. In deren ablehnenden Asylbescheiden des Bundesamtes sei jedoch
als Herkunftsland Aserbaidschan festgestellt und im Verfahren vor dem Gericht
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als Herkunftsland Aserbaidschan festgestellt und im Verfahren vor dem Gericht
auch bestätigt worden. Der im vorliegenden Verfahren angefochtene Bescheid
nehme zur Begründung des Zielstaates Armenien nur Bezug auf das Urteil des
Gerichts im vorhergehenden Verwaltungsstreitverfahren der Kläger. Eine Prüfung,
ob die Kläger wirklich aus Armenien stammten, habe das Bundesamt nicht
vorgenommen. Das Gericht habe in seinem Urteil aber die Frage, ob eine
Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Armenien rechtmäßig sei, nicht prüfen
müssen. Sie könnten als aserbaidschanische Staatsangehörige nicht nach
Armenien abgeschoben werden. Aber auch mit dem Zielstaat Armenien hätte die
Abschiebungsandrohung nicht erlassen werden dürften. Die Voraussetzungen von
§§ 51 und 53 AuslG seien von der Beklagten überhaupt nicht und vom Gericht nur
nach dem Stand von 1999 überprüft worden. Die Kläger seien aber in Deutschland
Mitglieder der Zeugen Jehovas geworden. Außerdem bestehe bei der Klägerin zu 2.
ein erhöhtes Thromboserisiko und eine Aortenklappeninsuffizienz. Für den Kläger
zu 1. stehe der Militärdienst aus, den er aus religiösen Gründen ablehne. Aus
diesen Gründen sei auch in Armenien eine Verfolgung zu erwarten, aufgrund deren
Abschiebungshindernisse bestünden.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamt vom 20.04.2000 aufzuheben,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse in der Person der Kläger
bezüglich Armenien vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich in dem Verfahren nicht
geäußert.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 28.01.2004 den Rechtsstreit auf den
Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
Mit Schriftsätzen vom 01.03.2004 bzw. 02.03.2004 haben sich die Beteiligten mit
einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahren und der Verfahren 2 E 2948/96.A und
2 E 2828/96.A und der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (1 Heft) verwiesen,
die in der mündlichen Verhandlung und bei der Entscheidungsfindung vorgelegen
haben. Vorgelegen haben auch die Auskünfte, Gutachten und Presseartikel, die
durch Übersenden entsprechender Listen an die Beteiligten in das Verfahren
eingeführt worden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist offensichtlich unbegründet. Das Gericht hat keinerlei Zweifel
daran, dass die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene
Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist.
Die nach Aufhebung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom
09.08.1996 durch Urteil des Gerichts vom 14.12.1999 erneut erlassene
Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Armenien entspricht §§ 34 Abs. 1
AsylVfG, § 50 Abs. 2 AuslG. Danach erlässt das Bundesamt die
Abschiebungsandrohung, wobei in der Androhung der Staat bezeichnet werden
soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Bei dem danach in der
Abschiebungsandrohung zu bezeichnenden Zielstaat muss es sich nicht um den
Staat handeln, dessen Staatsangehörigkeit der Betroffene innehat; es kann sich
auch um einen sonstigen Staat handeln, z.B. den Staat des letzten Aufenthalts
(BVerwG, Beschlüsse vom 29.06.1998 - 9 B 604/98 -, juris, und vom 01.09.1998 - 1
B 41.98 -, InfAuslR 1999, 73; GK-Ausländerrecht, Stand 2001, § 50 Rdnr. 23 und
23.1). Der Zielstaat ist in der Abschiebungsandrohung nur dann rechtsfehlerhaft
benannt, wenn feststeht, dass eine Abschiebung dorthin aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen unmöglich ist (BVerwG, Beschluss vom 01.09.1998, aaO;
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tatsächlichen Gründen unmöglich ist (BVerwG, Beschluss vom 01.09.1998, aaO;
Kloesel u.a., Deutsches Ausländerrecht, Stand 2002, § 50 Rdnr.34 f.). Das ist
vorliegend aber nicht der Fall.
Aufgrund der dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten, in der
Sache eindeutigen und einhelligen Unterlagen ist mit Sicherheit davon
auszugehen, dass die Kläger als armenische Volkszugehörige - wovon nach dem
eigenen Vorbringen der Kläger auszugehen ist und die sich im übrigen auch aus
den Entscheidungsgründen im Urteil des Gerichts vom 14.12.1999 ergibt- nach
Armenien einreisen oder dort ihren Aufenthalt nehmen und die armenische
Staatsangehörigkeit erwerben oder weiter nach Berg-Karabach reisen können (Dr.
Koutscharian vom 12.12.2000 an VG Schleswig; Auswärtiges Amt vom 26.06.2001
an VG Schleswig; Österreichisches Rotes Kreuz, Reisebericht Armenien vom
September 2002; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in Armenien vom 01.04.2003).
Angesichts der bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrags und der ebenfalls
inzwischen rechtskräftigen und im Urteil des Gerichts vom 14.12.1999 ausdrücklich
auf eine Rückkehr nach Armenien bezogenen Feststellungen, dass die
Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG in der Person der Kläger nicht vorliegen, entspricht die
Abschiebungsandrohung mit der Angabe von Armenien als Zielstaat unzweifelhaft
der Rechtslage. Dass der Abschiebungsandrohung die Verhältnisse zum Zeitpunkt
des Urteils vom 14.12.1999 zugrunde liegen und späterer Vortrag nicht
berücksichtigt ist, ändert daran entgegen der Auffassung der Kläger nichts. Denn
die Durchführung eines Asylfolgeverfahren oder eines Verfahrens auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 53 AuslG haben die Kläger nicht beantragt,
ganz abgesehen davon, dass der Vortrag der Kläger zur Erkrankung der Klägerin
zu 2. allenfalls ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG bedeuten würde,
dass auf die Abschiebungsandrohung keine Auswirkungen hat (§ 50 Abs. 3 AuslG)
und das es sich bei den im Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger
vom 01.03.2004 vorgetragenen Umständen, die bei Erlass der
Abschiebungsandrohung hätten berücksichtigt werden müssen, wie die
Zugehörigkeit der Kläger zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas und die
Erkrankung der Klägerin zu 2., nicht um neue Umstände handelt, da diese bereits
Gegenstand des Vortrags der Kläger im Verfahren 2 E 2948/96.A gewesen sind.
Angesichts der rechtskräftigen Feststellungen im Urteil vom 14.12.1999 zu
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG bezüglich Armenien bedürfte es
zunächst eines Antrags der Kläger auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51
VwVfG und einer entsprechenden Entscheidung des Bundesamtes hierzu, bevor
das Gericht erneut hierüber entscheiden könnte. Ohne einen solchen
vorhergehenden Antrag beim Bundesamt ist deshalb der an das Gericht
gerichtete Hilfsantrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen bezüglich
Armenien unzulässig (s. z. B. Kopp/Schenke, VwGO, 2003, Vorb § 68 Rdnr. 5 a).
Da es bezüglich der rechtlichen Beurteilung angesichts der eindeutigen
gesetzlichen Regelung und der genannten obergerichtlichen Rechtsprechung
keinerlei Zweifel geben kann und auch die tatsächlichen Feststellungen, wie
dargelegt, ihre insoweit eindeutige Grundlage in den dem Gericht vorliegenden
Unterlagen haben, ist die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Abs. 1 VwGO, § 100
Abs. 1 ZPO und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.