Urteil des VG Kassel vom 30.06.2010

VG Kassel: rasse, kreuzung, hundesteuer, steuersatz, satzung, stadt, anteil, zugehörigkeit, verwaltungsgerichtsbarkeit, vollstreckung

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Gericht:
VG Kassel 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 385/08.KS
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 3 2025-I-217-SF, § 7
Abs 2 KAG HE
Zur Möglichkeit und Bedeutung der molekulargenetischen
Bestimmung der Zugehörigkeit eines Hundes zu einer
(gefährlichen) Hunderasse.
Leitsatz
Weist ein Hund zu etwa 50% Genanteile einer in einer Hundesteuersatzung als
gefährlichen geltenden Hunderasse auf, so gilt dieser Mischlingshund (Kreuzung)
ebenfalls als gefährlich mit der Folge einer Veranlagung nach dem erhöhten
Steuersatz.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten
abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem er zur
Hundesteuer für einen gefährlichen Hund herangezogen wird.
Der Kläger meldete am 22.11.2006 einen am 07.03.2002 geborenen Hund – Sam
- an und gab als Tag der Anschaffung den 22.11.2006 an. Vorbesitzerin sei Frau A.
gewesen. Bei dem Hund handele es sich ausweislich des Gutachtens von Frau B.
vom 19.03.2005 um eine Mischung aus Presa Canario, Cane Corso und Labrador.
Es handele sich nicht um einen gefährlichen Hund.
Mit Schreiben vom 08.03.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es sich bei
dem angemeldeten Hund um einen gefährlichen Hund im Sinne von § 5 ihrer
Satzung über die Erhebung einer Hundesteuer (HundeStS) handele. Dies ergebe
sich aus dem Gutachten des Sachverständigen C. vom 21.03.2005. Dieser gehe
bei dem Hund von einem Pitbull-Terrier-Mischling aus.
Mit Bescheid vom 12.03.2007 setzte die Beklagte sodann die Hundesteuer für den
Zeitraum 01.11. bis 31.12.2006 auf 102,26 € und für die Zeit vom 01.01. bis
31.03.2007 auf 150,00 € fest und den Jahresbetrag insgesamt auf 613,56 € mit
den zukünftigen Fälligkeiten zum 15.05.2007, 15.08.2007, 15.11.2007 und
15.02.2008 mit jeweils 150,00 €.
Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 23.04.2007 legte der Kläger
hiergegen Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Nach dem Gutachten des Sachverständigen C. vom
21.03.2005 sei der Hund ein Mischling aus dem Typ der Rassen Pitbull
Terrier/American Bullterrier/American Staffordshire Terrier sowie Staffordshire
Bullterrier anzusehen.
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Bullterrier anzusehen.
Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 18.03.2008 (einem
Montag), bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, bei dem Hund Sam handele es sich nicht um einen
gefährlichen Hund im Sinne der Hundeverordnung. Ausweislich des Gutachtens
der Sachverständigen B vom 19.03.2005 handele es sich um einen Mischling aus
den Rassen Presa Canario, Cane Corso und Labrador. Die Äußerungen des
Sachverständigen C vom 21.03.2005 und 06.11.2007 ließen eine
Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Frau B. vermissen. Ob der
Fachbereich Recht und Ordnung beim Oberbürgermeister der Stadt L. am
20.10.2003 aufgrund einer Phänotypisierung festgestellt habe, dass es sich bei
dem Hund Sam um einen Pitbull-Mix handele, müsse mit Nichtwissen bestritten
werden. Bei der Wohnungsdurchsuchung am 03.03.2005 habe der
Polizeioberkommissar D. alle drei angetroffenen Hunde als Pitbull-Terrier-Mischung
bezeichnet, obwohl dies nachweislich unrichtig sei. Dies habe der Sachverständige
B. festgestellt. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. E. vom 21.01.2010
setze sich nicht mit dem Gutachten der Sachverständigen B. auseinander.
Außerdem überzeuge die Bewertung des Gutachters nicht, dass es sich bei Sam
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um einen Hund handele, der Genanteile bis zu
ca. 50 % der Rasse American Staffordshire Terrier oder American Pitbull Terrier
trage. Zudem beruhe diese Einschätzung auf molekulargenetischen
Untersuchungen, die nach Aussage des Sachverständigen im Verfahren vor dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof 11 N 2497/00 eine rasse- bzw.
gruppenspezifische Erbanlage nicht klären könne.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12.03.2007 und den Widerspruchsbescheid
vom 15.02.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Die Einschätzung, dass es sich bei Sam um einen gefährlichen Hund handele,
beruhe auf der Begutachtung durch den Sachverständigen C. Bereits unter dem
20.10.2003 habe der Fachbereich Recht und Ordnung beim Oberbürgermeister der
Stadt L. festgestellt, dass auf Grundlage einer Phänotypisierung der Hund Sam ein
Pitbull-Mix sei. Dies entspreche auch der Einschätzung von Polizeioberkommissar
D., der bei der Wohnungsdurchsuchung den Hund als Pitbull-Terrier-Mix
beschrieben habe. Die Rassezugehörigkeit habe auch der Sachverständige Prof.
Dr. E. bestätigt. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die Gemeinden
Hunderassen, die als besonders gefährlich eingestuft würden, mit einer höheren
Steuer belegen könnten. Gesonderte kommunale Statistiken seien nicht
erforderlich. Einer erhöhten Hundesteuer könnten auch Kreuzungen mit einer der
in der einschlägigen Liste genannten Rassen unterworfen werden. Kreuzung in
diesem Sinne sei dabei jeder Mischlingshund, in dem sich Anteile der besonders
angeführten Hunderassen befinden. Allerdings bedürfe es dazu weiter der
Feststellung, dass das Tier in seinem äußeren Erscheinungsbild noch signifikant
durch die Merkmale eines oder mehrerer sogenannter Listenhunde geprägt sei.
Das sei nach den Feststellungen von Prof. Dr. E.bei dem Hund Sam der Fall. Nach
den Ergebnissen der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. E. weise
Sam sowohl phänotypische als auch molekulargenetische Marker auf, die auf eine
Mischung mit einem American Staffordshire Terrier hinweisen. Damit seien die
Anforderungen an die Einordnung des Hundes als Kreuzung mit einem gelisteten
Hund erfüllt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 27.03.2009 den Rechtsstreit auf den
Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 27.03.2009 Beweis über die Frage erhoben, ob
der Hund Sam zu einer der in § 5 Abs. 4 Satz 2 HundeStS der Beklagten
aufgeführten Rassen, insbesondere der Pitbull-Terrier zuzurechnen ist oder ob es
sich um eine Kreuzung einer dieser Rassen handelt, durch Einholung eines
veterinärmedizinischen Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das Gutachten von Prof. Dr. E. vom 21.01.2010 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des beigezogenen Verfahrens 4
K 386/08.KS und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Ordner) verwiesen, die
in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist
rechtmäßig, so dass die beantragte Aufhebung nicht in Betracht kommt.
Der angefochtene Bescheid beruht auf den Regelungen der Hundesteuersatzung
(HundeStS) der Beklagten vom 10.12.1998 bzw. für die Zeit ab dem 01.01.2007
auf der 1. Nachtragssatzung vom 30.11.2006. Anhaltspunkte dafür, dass diese mit
höherrangigem Recht nicht vereinbar ist, gibt es nicht; der Kläger hat
entsprechendes auch nicht vorgetragen. Mit höherrangigem Recht ist
insbesondere auch vereinbar, dass nach § 5 Abs. 3 HundeStS für gefährliche
Hunde ein erhöhter Steuersatz bestimmt ist und dass Hunde bestimmter
Hunderassen und deren Kreuzungen als solche gefährliche Hunde gelten (§ 5 Abs.
4 S. 2 HundeStS). Dies entspricht der Rechtsprechung des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 29.05.2001 – 5 N 92/00 -, HGZ 2001,
346).
Bei dem Hund des Klägers handelt es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne
dieser Bestimmungen. Zwar handelt es sich dabei nicht um einen reinrassigen
American Staffordshire Terrier, aber um eine Kreuzung mit einem Hund dieser
Rasse. Im Einzelnen:
Aus den Feststellungen des vom Gericht eingeholten Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. E. vom 21.01.2010 ergibt sich, dass der Hund des
Klägers zu etwa 50 % genetisches Material der Hunderasse American Staffordshire
Terrier aufweist, die sowohl in der Hundesteuersatzung der Beklagten vom
10.12.1998 wie auch in der Fassung der 1. Nachtragssatzung vom 30.11.2006
gelistet ist. Ob der Hund darüber hinaus auch noch genetisches Material des
American Pitbull Terriers aufweist, lässt sich nach den sachverständigen
Äußerungen von Prof. E. in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2010 mangels
entsprechenden Vergleichsmaterials dieser Rasse nicht feststellen. Insoweit ist
auch ohne Bedeutung, dass zwar die 1. Nachtragssatzung vom 30.11.2006 diese
Rasse als eine gefährliche Hunderasse aufführt, nicht aber die Satzung in der
Fassung vom 10.12.1998.
Diese Feststellungen legt das Gericht zugrunde. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte,
die entsprechenden sachverständigen Äußerungen in Zweifel zu ziehen. Auch der
Umstand, dass der Sachverständige erklärt hat, dass diese Feststellung zu 95 %
zutrifft, reicht aus, um dem Gericht insoweit eine hinreichende
Überzeugungsgewissheit dahingehend zu vermitteln, dass es sich bei dem Hund
des Klägers um eine Kreuzung mit einem Hund mit genetischem Material der
Rasse American Staffordshire Terrier handelt.
Soweit der Verfahrensbevollmächtigte eingewandt hat, dass der Sachverständige
in früheren Verwaltungsstreitverfahren erklärt habe, eine molekulargenetische
Bestimmung der Erbanlagen der Hunderassen sei nicht möglich (vgl. HessVGH,
Urteile vom 29.08.2001 – 11 N 2497/00 -, NVwZ-RR 2002, 650), trifft dies nach den
in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2010 im vorliegenden Verfahren durch
den Sachverständigen gemachten Äußerungen so nicht mehr uneingeschränkt zu;
vielmehr gibt es für einzelne Rassen – darunter den American Staffordshire Terrier,
nicht aber für den American Pitbull Terrier – hinreichend aussagekräftiges
genetisches Material, dass einen Abgleich und eine entsprechende Zuordnung
eines bestimmten Hundes erlaubt.
Danach ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Hund des Klägers nicht um
einen reinrassigen American Staffordshire Terrier handelt, wohl aber um eine
Kreuzung mit einem Exemplar dieser Rasse und dass er deshalb auch als
gefährlicher Hund i.S.v. § 5 Abs. 3 und 4 S. 2 HundeStS gilt. Dabei ist davon
auszugehen, dass Kreuzungen in diesem Sinne nicht nur solche Hunde darstellen,
deren einer Elternteil ein reinrassiges Tier der gelisteten Rasse ist, sondern jedes
Tier, das Erbanlagen dieser Rasse in sich trägt. In welcher Generation die
Erbanlagen übertragen worden sind, darauf kommt es nicht an. Da aber bei
entfernterer Abstammung nicht mehr ohne weiteres von einer abstrakten
Gefährlichkeit ausgegangen werden kann, die Anlass für die Listung in der
Hundesteuersatzung gewesen ist, kommt es in diesen Fällen darauf an, ob
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Hundesteuersatzung gewesen ist, kommt es in diesen Fällen darauf an, ob
insoweit noch die signifikanten phänotypischen Merkmale der gelisteten Rasse an
den betreffenden Hund festgestellt werden können, der es rechtfertigt, ihn – im
Sinne des Hundesteuerrechts - als gefährlichen Hund einzustufen (HessVGH,
Urteile vom 27.01.2004 – 11 N 520/03 – Juris und vom 14.03.2006 – 11 UE 1426/04
-, Juris; VGH Mannheim, Urteil vom 16.10.2001 – 1 S 2346/00 -, ESVGH 52, 80;
OVG Magdeburg, Urteil vom 12.02.2008 – 4 L 384/05 -, Juris). Auf die im sog.
Wesenstest (§ 7 HundeVO) abgeprüften Verhaltenseigenschaften des Hundes
kommt es insoweit allerdings nicht an (OVG Magdeburg, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem Hund um eine Kreuzung mit
einem American Staffordshire Terrier i.S.v. § 5 Abs. 4 S. 2 HundeStS. Dies ergibt
sich bereits daraus, dass nach den oben getroffenen Feststellungen jedenfalls 50
% seines Erbgutes das eines American Staffordshire Terriers ist und deshalb
davon auszugehen ist, dass er von dieser Erbanlage maßgeblich geprägt ist.
Angesichts dieses hohen Erbanteils kommt es nicht mehr maßgeblich darauf an,
ob an ihm darüber hinaus auch phänotypisch maßgebliche Merkmale eines
American Staffordshire Terriers festgestellt werden können. Denn darauf kommt
es wesentlich erst dann an, wenn der Anteil der Erbanlagen einer der gelisteten
Rassen molekulargenetisch nicht bestimmt werden kann oder, so er bestimmt
werden kann, er nur einen geringen Anteil ausmacht. Nur dann bedarf es weiterer
Anhaltspunkte dafür, dass die Gründe, die den gesonderten Steuersatz für
gefährliche Hunde rechtfertigen, auch noch für den betroffenen Hund gelten.
Unabhängig hiervon geht das Gericht aufgrund der detaillierten und
nachvollziehbaren sachverständigen Äußerungen von Prof. Dr. E. bei der
Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2010
davon aus, dass der Hund des Klägers auch noch einzelne phänotypische
Merkmale eines American Staffordshire Terriers ausweist, die – zusammen mit
den molekulargenetischen Feststellungen – die Einordnung des Hundes als
Kreuzung mit einem American Staffordshire Terriers rechtfertigen. Dies betrifft
zum einen die Gesichtsform, die einem American Staffordshire Terrier ähnlich,
wenn auch nicht absolut typisch ist, und die Kurzhaarigkeit, während andere
Merkmale (Gewicht, Größe, Gesichtsmaske) dieser Rasse nicht entsprechen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der
Kosten folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.100,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 GKG. Dabei legt das Gericht das
Dreieinhalbfache des Jahresbetrags der Steuer (3,5 x 600,00 EUR) zugrunde (vgl.
Ziff. 3.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.