Urteil des VG Kassel vom 21.08.2003

VG Kassel: aufschiebende wirkung, garage, bebauungsplan, grundstück, ausnahme, öffentlich, eigentümer, rechtsschutz, befreiung, wand

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Gericht:
VG Kassel
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 G 1228/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 10 BauO HE 2002, § 6
Abs 11 BauO HE 2002, § 23
Abs 5 BauNVO
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die der Beigeladenen
erteilte Baugenehmigung vom 04.02.2003 für das Grundstück Gemarkung ..., Flur
9, Flurstück 76/4 anzuordnen,
ist zulässig. Der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn, der gegen eine dem
Bauherrn erteilte Baugenehmigung einen Rechtsbehelf eingelegt hat, richtet sich,
da der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung entfaltet, nach §§ 80 a Abs. 3,
80 Abs. 5 VwGO. Die Antragsteller sind als Eigentümer eines Nachbargrundstücks
antragsbefugt.
Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der im vorliegenden Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes erfolgenden summarischen Prüfung ergibt sich keine
Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch die erteilte Baugenehmigung
bezüglich der geplanten Grenzgarage, gegen die die Antragsteller sich allein
wenden, weshalb ein Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nicht
wahrscheinlich ist. Eine Nachbarklage hat nämlich nur dann Erfolg, wenn ein
genehmigtes Bauvorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt
und die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen, die
verletzte Vorschrift auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist und
dieser durch das Bauvorhaben auch tatsächlich beeinträchtigt wird.
Nach § 64 Abs. 1 HBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben
keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im
Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Baugenehmigung vom 04.02.2003
steht im Einklang mit diesen öffentlich-rechtlichen Vorschriften.
In bauordnungsrechtlicher Hinsicht ist die von der Baugenehmigung umfasste
Garage an der Grenze zum Grundstück der Antragsteller nach § 6 Abs. 10 HBO zu
beurteilen. Danach sind Garagen einschließlich Abstellraum an einer
Nachbargrenze des Grundstücks bis zu insgesamt 9 m Länge einschließlich
Dachüberständen zulässig, wobei die grenzseitige mittlere Wandhöhe über der
Geländeoberfläche nicht höher als 3 m und die Fläche dieser Wand nicht größer als
20 qm sein darf. Diese Vorgaben hält die 5, 50 m lange und 2,50 m hohe Garage
ein.
Allerdings wäre § 6 Abs. 10 HBO dann nicht anwendbar, wenn im Bebauungsplan
die Bebauung der hierfür vorgesehenen Fläche mit einer Garage ausgeschlossen
wäre. Nach § 6 Abs. 11 HBO haben nämlich Festsetzungen eines Bebauungsplans,
die die Tiefe der Abstandsfläche bindend bestimmen, Vorrang. Eine solche
bindende, § 6 Abs. 10 HBO entgegenstehende Bestimmung der Tiefe der
Abstandsfläche ist dem Bebauungsplan Nr. 6 "Hinter den Steinhöfen" der Stadt ...
vom 21.02.1964 i. d. F. der 5. Änderung vom 24.06.2002 nicht zu entnehmen.
Zwar liegt die für die geplante Garage vorgesehene Fläche jenseits der im
Bebauungsplan Nr. 6 festgesetzten Baugrenze, so dass auf dieser Fläche
Gebäude und Gebäudeteile grundsätzlich nicht errichtet werden dürfen (§ 23 Abs.
3 BauNVO). Eine bindende, § 6 Abs. 10 HBO entgegenstehende Festsetzung ist
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3 BauNVO). Eine bindende, § 6 Abs. 10 HBO entgegenstehende Festsetzung ist
dies im Hinblick auf die Errichtung von Garagen aber nicht. Nach § 23 Abs. 5
BauNVO können nämlich, soweit der Bebauungsplan nichts anderes festsetzt, auf
der nicht überbaubaren Grundstücksfläche Nebenanlagen im Sinne von § 14
BauNVO (Satz 1) und bauliche Anlagen zugelassen werden, soweit sie nach
Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können
(Satz 2). Bei den zuletzt genannten Anlagen kann es sich unter anderem um
Garagen oder Stellplätze handeln (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 2003,
§ 23 Rdnr. 21).
Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 6, die der Errichtung einer Garage auf der
unüberbaubaren Grundstücksfläche an der Grenze zum Grundstück der
Antragsteller entgegenstehen, gibt es nicht. Dabei kann offen bleiben, ob solche
entgegenstehenden Festsetzungen sich unmittelbar aus den Feststetzungen des
Bebauungsplans ergeben müssen (so Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung,
2003, § 23 Rdnr. 22) oder ob es ausreicht, dass sie diesen mittelbar entnommen
werden können (Ernst u.a., Baugesetzbuch, Stand 2003, § 23 BauNVO Rdnr. 58;
offengelassen BVerwG, Beschluss vom 16.02.1998 - 4 B 2.98 -, BRS 60 Nr. 122).
Direkte planerische oder textliche Festsetzungen, die die Errichtung einer Garage
auf der unüberbaubaren Fläche in jedem Fall, also auch im Hinblick auf § 23 Abs. 5
BauNVO unterbinden sollen, enthält der Bebauungsplan 6 nicht. Auch indirekte
Festsetzungen mit dieser Zielrichtung sind dem Bebauungsplan nicht zu
entnehmen. Soweit der Bebauungsplan im Wendehammer vor dem Grundstück
der Antragsteller 4 öffentliche Parkplätze festsetzt, kann dem schon deshalb nicht
entnommen werden, dass dadurch die Anlegung von Stellplätzen und Garagen auf
den Grundstücken in diesem Bereich unterbleiben sollen, weil die Anzahl der
Stellplätze für die umliegenden Grundstück viel zu gering ist. Und auch im Übrigen
ergeben sich keine zeichnerischen oder textlichen Festsetzungen, die den Schluss
zuließen, der Satzungsgeber habe eine andere Festsetzung i. S. v. § 23 Abs. 5 S. 1
BauNVO vornehmen wollen. Im Übrigen lassen sich auch den Begründungen zum
Bebauungsplan Nr. 6 vom 21.02.19964 und den verschiedenen Änderungen
ebenfalls keine Hinweise darauf entnehmen, dass mit der Festsetzung der
Baugrenze eine solche Festsetzung beabsichtigt gewesen ist.
Demnach konnte die geplante Garage auf dem Grundstück der Beigeladenen
jenseits der Baugrenze nach § 23 Abs. 5 S. 2 BauNVO grundsätzlich zugelassen
werden.
Bei der Entscheidung nach § 23 Abs. 5 S. 2 BauNVO, ob eine Garage auf der als
unüberbaubar festgesetzten Fläche zugelassen wird, handelt es sich um eine
eigenständige Ermessensentscheidung des Antragsgegners. Da die Vorschrift
keine Ausnahmeregelung darstellt, ist § 31 Abs. 1 BauGB auch nicht anwendbar
(Fickert/Fieseler, a. a. O., § 23 Rdnr. 19). Dass der Antragsgegner bei seiner
Entscheidung, die Garage an der Grenze auf der als unüberbaubar festgesetzten
Fläche zuzulassen, die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten
oder dieses in sonstiger Weise fehlerhaft ausgeübt hat, dafür gibt es keine
Anhaltspunkte. Die Antragsteller haben solche auch nicht vorgetragen.
Insbesondere stellt die Entscheidung die Interessen der Antragsteller als Nachbarn
nicht in unangemessener Weise zurück. Dass die Errichtung einer Garage an der
Grundstücksgrenze als mit den Interessen des Nachbarn grundsätzlich vereinbar
anzusehen ist, ergibt sich aus § 6 Abs. 10 HBO. Anhaltspunkte dafür, dass dies
vorliegend anders sein sollte, gibt es nicht.
Dass der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung keine Begründung der
Ermessensentscheidung entnommen werden kann, schadet wegen § 64 Abs. 4 S.
3 HBO nicht, wonach die Baugenehmigung keiner Begründung bedarf. Soweit eine
solche wegen § 63 Abs. 4 HBO bei Abweichung, Ausnahmen und Befreiungen von
nachbarschützenden Vorschriften und Einwendungen der Nachbarn hiergegen
bzw. bei einem nachbarschützenden Charakter der Ausnahme- oder
Befreiungsvorschrift erforderlich ist, bedurfte es vorliegend einer Begründung
nicht, weil die Festsetzungen des Bebauungsplans zu den unüberbaubaren
Grundstücksflächen, wie weiter unten dargestellt, nicht nachbarschützend sind und
darüber hinaus, wie bereits ausgeführt, die Entscheidung nach § 23 Abs. 5 S. 2
BauNVO keine Ausnahmeregelung darstellt.
Aber selbst wenn davon ausgegangen werden müsste, dass der Antragsgegner
das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, könnten die
Antragsteller sich hierauf nur berufen, wenn die Festsetzung der unüberbaubaren
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Antragsteller sich hierauf nur berufen, wenn die Festsetzung der unüberbaubaren
Grundstücksfläche den Nachbarschutz bezweckte oder das Rücksichtnahmeverbot
verletzt wäre (Ernst u.a., a. a. O., § 23 BauNVO Rdnr. 61). Beides ist aber nicht der
Fall.
Die Frage, ob die Festsetzung von Baugrenzen auch den Zweck haben, Rechte des
Nachbarn zu schützen, oder nur städtebauliche Zwecke verfolgen, ist - anders als
bei den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, die wegen des dabei
tangierten nachbarlichen Austauschverhältnisses grundsätzlich nachbarschützend
sind - jeweils im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Der nachbarschützende
Zweck der Festsetzung muss sich dabei aus den Planungsabsichten im
Zusammenhang mit den örtlichen Gegebenheiten ergeben (Hess. VGH, Beschluss
vom 04.11.1991 - 4 TG 1610/91 -, BRS 52 Nr. 178; Fickert/Fieseler, a. a. O., § 23
Rdnr. 6). Auch für eine seitliche Baugrenze gilt nichts anderes (Fickert/Fieseler, a.
a. O, Rdnr. 7 mit Nachweisen der Rechtsprechung; a. A. VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 20.01.1992 - 3 S 2677/91 -, BRS 52 Nr. 177).
Danach ist, wie regelmäßig, die Baugrenze zur Straßenfläche hin nicht
nachbarschützend. Ebenso wenig wie für die seitliche Baugrenze gibt es
Anhaltspunkte dafür, dass der Satzungsgeber des Bebauungsplans Nr. 6 mit
diesen Festsetzungen der Baugrenze auch den Schutz des Nachbarn bezweckte.
Weder der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 6 vom 21.02.1964 noch den
Begründungen zu den verschiedenen Änderungssatzungen ist dergleichen zu
entnehmen, vielmehr fehlt jede Begründung der Festsetzung der unüberbaubaren
Flächen. Auch diesen selbst kann dergleichen weder allein noch im
Zusammenhang mit weiteren zeichnerischen oder textlichen Festsetzungen
entnommen werden.
Anhaltspunkte dafür, dass die geplante Garage gegen das in § 15 BauNVO zum
Ausdruck kommende Rücksichtnahmegebot verstößt, gibt es ebenfalls nicht.
Weder ist ersichtlich, dass die Grenzgarage nach ihrer Lage, dem Umfang oder
Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht (§ 15 Abs.1 S. 1
BauGB) - Entsprechendes haben die Antragsteller auch weder behauptet noch
substantiiert vorgetragen - noch ist aufgrund der vorliegenden Unterlagen
anzunehmen, dass die geplante Garage und ihre Nutzung der Eigenart des
Baugebiets widerspricht (§ 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO) oder dass von ihr über die in §
12 BauNVO und § 6 Abs. 10 BauNVO berücksichtigten und für zumutbar
gehaltenen Störungen und Belästigungen ausgehen oder sie solchen ausgesetzt
wäre (§ 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag
der Antragsteller.
Soweit die Antragsteller vorgetragen haben, dass ihnen beim Kauf ihres
Hausgrundstücks nicht bekannt gewesen sei, dass eine Bebauung direkt an der
Grundstücksgrenze möglich sei, können sie damit ebenfalls keinen Erfolg haben.
Denn selbst wenn ihnen ein Freihalten der für die geplante Garage vorgesehenen
Fläche in rechtswirksamer Weise von der Beigeladenen als Verkäuferin ihres
Hausgrundstücks zugesichert worden wäre - was dem Vortrag der Antragsteller
noch nicht einmal zu entnehmen ist -, könnten sie mit diesem Vortrag keinen
Erfolg haben, da die Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter ergeht (§
64 Abs. 5 HBO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 2 VwGO. Die
Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen war nicht anzuordnen, da diese
das Verfahren nicht gefördert, keinen Antrag gestellt und somit auch kein
Kostenrisiko eingegangen ist (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Der Streitwert ergibt sich aus §§ 1 Abs. 1 b, 20 Abs. 3, 13 Abs.1 GKG. Mangels
anderer Anhaltspunkte legt das Gericht für den im Hauptsacheverfahren
festzusetzenden Streitwert den Auffangstreit zugrunde, der im Rahmen des
vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert wird.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.