Urteil des VG Kassel vom 02.09.2003

VG Kassel: freiwillige leistung, sozialhilfe, rechtshängigkeit, unterbrechung, betreiber, tagessatz, unterbringung, umzug, unterkunftskosten, leistungsklage

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
VG Kassel 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 E 2391/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 107 BSHG , § 93 Abs 2
BSHG , § 111 Abs 1 BSHG
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Kostenerstattung gemäß § 107 BSHG für
gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt für Frau Cornelia Hannelore A. und deren drei
Kinder.
Frau A. zog am 20.07.1998 mit ihren drei Kindern von Kassel, F. Straße 25 in das
Frauenhaus Burghausen im Bereich des Klägers. Am 01.11.1998 zog Frau A. mit
ihren Kindern in eine eigene Wohnung in der R. Straße 60 in Burghausen. Ende
Februar 2000 zog Frau A. wieder zurück nach Kassel.
Ab dem Zeitpunkt der Aufnahme in das Frauenhaus Burghausen (20.07.1998) bis
zum Rückzug der Klägerin nach Kassel (29.02.2000) erbrachte der Kläger ohne
Unterbrechung laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für Frau A. und ihre Kinder in
Höhe von insgesamt 60.667,77 DM. Die darin enthaltenen Aufwendungen für die
Unterbringung der Frau A. mit ihren Kindern im Frauenhaus in Burghausen
belaufen sich auf insgesamt 34.560,00 DM.
Mit Schreiben vom 05.11.1998 meldete der Kläger bei der Beklagten gemäß § 107
Abs.1 BSHG einen Anspruch auf Kostenerstattung an, da der gewöhnliche
Aufenthalt vor dem Umzug der Frau A. und ihren Kindern nach Burghausen bei der
Beklagten gelegen habe.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.01.2000 mit, dass sie zwar
ihre Erstattungspflicht gemäß § 111 BSHG bis längstens 20.07.2000 dem Grunde
nach anerkenne. Der Zuschussbetrag des Klägers, der an den Träger des
Frauenhauses als Betreiber des Hauses ausgezahlt werde, werde nicht direkt mit
der einzelnen Frau abgerechnet und sei daher nicht erstattungsfähig. In einem
weiteren Schreiben vom 15.03.2000 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie
auch die Frauenhausarbeit fördere, jedoch die Kosten im Rahmen der
Kostenerstattung mit anderen Sozialhilfeträgern nicht abrechne, da sie allgemeine
Haushaltsmittel seien und kostenerstattungspflichtig nur die Kosten seien, die
dem Gesetz, also dem BSHG, entsprächen.
Auf eine weitere Aufforderung des Klägers vom 06.04.2000 erklärte sich die
Beklagte mit Schreiben vom 29.06.2000 bereit, den Unterkunftsanteil für Miet- und
Mietnebenkosten in Höhe von insgesamt 2.400,00 DM zu übernehmen, so dass
insgesamt ein Betrag in Höhe von 28.507,77 DM erstattet wurde.
Mit Schriftsatz vom 31.08.2000, der am 06.06.2000 bei dem Verwaltungsgericht
Kassel einging, hat der Kläger Klage erhoben. Unstreitig liege ein
Kostenerstattungsfall gemäß § 107 BSHG vor, wonach der Sozialhilfeträger des
bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts dem Sozialhilfeträger des neuen
gewöhnlichen Aufenthalts die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von
Einrichtungen im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG erstattet, soweit die Hilfe
dem BSHG entspreche und die Bagatellgrenze in Höhe von 5.000,00 DM, bezogen
auf 12 Monate, überschritten werde. Der Aufenthalt von Frau A. im Frauenhaus in
Burghausen sei notwendig gewesen, weil sie und ihre Kinder von ihrem Ehemann
bedroht und misshandelt worden seien. Bei den in Rechnung gestellten Beträgen
handele es sich um einzelfallbezogene Sozialhilfeaufwendungen, die sich aus den
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
handele es sich um einzelfallbezogene Sozialhilfeaufwendungen, die sich aus den
Unterkunfts- und Betreuungskosten zusammensetzten. Zum betreffenden
Zeitpunkt habe der Tagessatz 72,00 DM betragen, wonach 67,00 DM auf den
Betreuungssatz und 5,00 DM auf die Unterkunftskosten entfielen. Der Kläger habe
mit dem Betreiber des Frauenhauses eine Vereinbarung über die Finanzierung der
Frauenhauskosten getroffen, wonach er und ein benachbarter Sozialhilfeträger
sich verpflichtet haben, die nicht durch staatliche Zuwendungen und sonstige
Einnahmen gedeckten Kosten zum einen aus Kostenpauschalen, zum anderen
durch Tagessätze im Wege der Sozialhilfe zu finanzieren.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger für Frau Cornelia Hannelore A. und
deren Kinder Sarah A., Ramzi A. und Sabrina A. in der Zeit vom 20.07.1998 bis
17.11.1998 geleisteten Sozialhilfeaufwendungen in Höhe der nicht erstatteten
Frauenhauskosten von 32.160,00 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu
erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Förderung des Frauenhauses Burghausen durch Übernahme der dort
entstehenden institutionellen Kosten (Sach- und Personalkosten) stelle eine
freiwillige Leistung des Klägers dar, die über die gesetzliche Verpflichtung zur
Leistungserbringung nach dem BSHG hinausgehe. Wenn nach den Bestimmungen
des BSHG kein Anspruch auf Übernahme institutioneller Kosten eines
Frauenhauses bestehe, könne auch keine Erstattung dieser Kosten im Rahmen
des § 107 BSHG verlangt werden.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.08.2003 der
Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der
Beklagten (3 Hefte), die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als Leistungsklage statthaft. Der Streit zwischen den Beteiligten des
vorliegenden Verfahrens kann nicht im Wege des Erlasses eines
Leistungsbescheides bzw. der Ablehnung eines solchen erfolgen, weil sich die
Beteiligten nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen (so
auch OVG Weimar, Urt. v. 27.08.1996 - 2 KO 310/95 -, FEVS 47, 398), so dass der
Kläger sein Begehren nicht im Wege der (vorrangigen) Verpflichtungsklage nach §
42 Abs. 1 VwGO verfolgen kann.
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, da sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen
vorliegen. Der Einhaltung einer Klagefrist bedurfte es nicht.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch
auf Zahlung von 16.443,15 € (32.160,00 DM) nebst 4 % Zinsen ab
Rechtshängigkeit der Klage.
Allein in Betracht kommt als Anspruchsgrundlage § 107 Abs. 1 BSHG. Nach dieser
Vorschrift ist für den Fall, dass eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen
Aufenthalts verzieht, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes
verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort
erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 1
Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem
Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und auch vom Gericht nicht anzuzweifeln,
dass die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, da Frau A.
und ihre drei Kinder von dem Bereich der Beklagten in den Bereich des Klägers
verzogen sind und bereits ab diesem Zeitpunkt vom Sozialamt des Klägers
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen haben.
Zu erstatten ist, wie sich aus dem Wortlaut des § 107 und des § 111 BSHG ergibt,
21
22
23
24
25
26
27
28
Zu erstatten ist, wie sich aus dem Wortlaut des § 107 und des § 111 BSHG ergibt,
nur die erforderlich werdende Hilfe, damit also nur solche Leistungen, die nach
allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts notwendigerweise dem
Hilfeempfänger zu gewähren waren bzw. ihm hätten gewährt werden können.
Anders als die Beklagte meint, liegen diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall
vor.
Insbesondere entscheidet der örtlich zuständige Sozialhilfeträger, mithin der
Kläger, nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, welche Hilfe am Zuzugsort
erforderlich wird. Im vorliegenden Fall erbrachte der Kläger für den Aufenthalt der
Frau A. und ihren drei Kindern in dem Frauenhaus Burghausen vom 20.07.1998 bis
zu deren Rückzug in den Bereich der Beklagten am 29.02.2000 ohne
Unterbrechung laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von insgesamt
31.018,94 € (60.667,77 DM). Von diesen Kosten der Hilfe hat die Beklagte einen
Anteil in Höhe von 14.575,79 € (28.507,77 DM) übernommen und insoweit ihre
Erstattungspflicht gemäß § 111 BSHG anerkannt.
Der Kläger hat darüber hinaus jedoch auch einen Anspruch auf Erstattung der
weiteren, klageweise geltend gemachten Kosten in Höhe von 16.443,15 €
(32.160,00 DM). Nach § 111 Abs. 1 BSHG sind die aufgewendeten Kosten zu
erstatten, soweit die Hilfe diesem Gesetz entspricht. Dabei gelten die Grundsätze
für die Gewährung von Sozialhilfe, die am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers zur
Zeit der Hilfegewährung bestehen. Hierzu gehören die im Bereich des
hilfegewährenden Sozialhilfeträgers, mithin des Klägers, bestehenden
Grundsätzen dem Gesetz entsprechende Dienstanweisungen, Richtlinien und
Vereinbarungen mit Dritten (Lehr- und Praxiskommentar - BSHG, 6. Aufl., § 111,
Rdnr. 15). Im vorliegenden Fall war der Kläger aufgrund des Vertrages mit dem
Frauenhaus Burghausen (Bl. 20 ff. der Verwaltungsvorgänge) zur
Kostenübernahme der während des Aufenthalts von Frau A. und ihren Kindern
entstandenen Tagessätze verpflichtet. Hierbei handelt es sich um eine
Vereinbarung über die Höhe der zu übernehmenden Kosten zwischen dem
Sozialhilfeträger und dem Träger der Einrichtung im Sinne des § 93 Abs. 2 BSHG,
wobei von dem allgemeinen Einrichtungsbegriff in dieser Vorschrift auch
Frauenhäuser erfasst werden (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.07.1992 - 12 A
107693/92 -, NVwZ-RR 1993, 305 ff.). Da der Kläger unstreitig aufgrund dieser
Vereinbarung dem Frauenhaus in Burghausen die dort entstandenen Kosten für
die Unterkunft und die Betreuung der Frau A. und deren Kindern erbracht hat, hat
er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die volle Kostenerstattung. Sie
kann insbesondere auch nicht versagt werden mit dem Hinweis, dass die Beklagte
als kostenerstattungspflichtige Sozialhilfeträgerin eine andere Handhabung der
Förderung von Frauenhäusern für zweckmäßig hält. Die Kostenübernahme durch
den Kläger aufgrund der Regelung in § 6 des zwischen ihm und dem Frauenhaus
Burghausen geschlossenen Vertrages über den Tagessatz stellt daher keine
freiwillige Leistung des Klägers dar, sondern eine aufgrund einer Vereinbarung
nach § 93 Abs. 2 BSHG bestehende Verpflichtung zur Übernahme der Vergütung
für die erbrachten Leistungen.
Leistungen aufgrund einer solchen Vereinbarung zwischen dem örtlichen Träger
und dem Träger eines Frauenhauses sind vielmehr zu erstatten, wenn die Hilfe
dem Gesetz entspricht (vgl. ZSpr B 56/92, Ev. 20.10.1994, EuG 49, 223;
Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 15. Aufl., § 111, Rdnr. 5).
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Interessen der Beklagten als der
kostenerstattungspflichtigen Trägerin nicht nach besten Kräften wahrgenommen
hat oder die Maßnahme nicht im Rahmen des geltenden Rechts gewährt wurde,
liegen nicht vor.
Der klägerische Anspruch scheitert auch nicht an der Regelung des § 111 Abs. 2
BSHG (sogenannte Bagatellgrenze), da die der Frau A. und ihren Kindern gewährte
Hilfe die 2.560,00 €-Grenze zweifelsfrei überschritten hat.
Der Kläger hat darüber hinaus auch einen Anspruch auf die geltend gemachten
Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der Klage. Denn § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X
schließt Prozesszinsen im Erstattungsstreit zwischen Leistungsträgern nicht aus,
denn seine Aussagekraft beschränkt sich auf das Verhältnis Leistungsberechtigter-
Leistungsträger (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2001 - 5 C 34/00 -, BVerwGE 114, 61
bis 68).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
29 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO,
der vorliegend gemäß § 167 VwGO Anwendung findet.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.