Urteil des VG Kassel vom 15.10.2004
VG Kassel: berufsunfähigkeit, satzung, medizinisches gutachten, tierarzt, minderung, vorverfahren, klinik, behandlung, erwerbsfähigkeit, stadt
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Gericht:
VG Kassel 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 E 597/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 2 S 1 HeilBerG HE, §
22 Satzung des
Versorgungswerks der
Tierärztekammer Hessen, § 91
Abs 1 S 1 HeilBerG HE
Leitsatz
Eine Unfähigkeit zur Ausübung des tierärztlichen Berufes liegt nur dann vor, wenn das
Mitglied zur Ausübung jeglicher Tätigkeit unfähig ist, die eine tierärztliche Vorbildung
ganz oder teilweise zur Voraussetzung hat.
Tatbestand
Mit dem vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren erstrebt der Kläger
die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Rente wegen Berufsunfähigkeit aus dem
Versorgungswerk der Beklagten zu gewähren.
Der am … geborene Kläger war bis zum 12.01.1999 als angestellter Tierarzt in
einer Tierarztpraxis tätig. Mit Formularantrag vom 15.03.1999 beantragte der
Kläger bei dem Versorgungswerk der Beklagten die Anerkennung einer
Berufsunfähigkeitsrente. Diesen Antrag begründete der Kläger im Wesentlichen
damit, dass er aufgrund einer Erkrankung der Halswirbelsäule mit der linken Hand
keine feinmotorischen Leistungen mehr erbringen könne. Er leide zudem an einem
Schlaf-Apnoe-Syndrom und sein Sehvermögen auf dem rechten Auge sei
eingeschränkt.
Aus einer von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des St.V.
Hospitals in B. vom 12.03.1999 geht hervor, dass der Kläger sich dort in
orthopädischer Behandlung befinde und zurzeit eine deutliche Einschränkung der
Tätigkeit des Klägers als praktischer Tierarzt vorliege.
In einem für das Versorgungswerk der Beklagten erstellten ärztlichen Gutachten
zur Feststellung der Berufsunfähigkeit des Klägers vom 25.03.1999 wurde
festgestellt, dass der Kläger für tierärztliche Tätigkeiten nicht mehr wieder fähig
wird. Ein ebenfalls von dem Versorgungswerk der Beklagten eingeholtes
augenärztliches Gutachten durch den Direktor der Augenklinik E-Stadt, Prof. Dr.
med. R. E. vom 30.08.1999 stellt fest, dass bei einer überwiegend operativen
Tätigkeit des Klägers von augenärztlicher Seite Berufsunfähigkeit anzunehmen sei.
Ein weiteres fachinternistisch/kardiologisches Gutachten des Dr. med. D., Oberarzt
des Klinikums E-Stadt vom 30.08.1999 kommt zu dem Ergebnis, dass aus Sicht
des Internisten keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Klägers vorliege. Aus
einem von der Beklagten eingeholten orthopädischen Gutachten des Dr. W. vom
14.10.1999 ergibt sich, dass der Kläger aus orthopädischer Sicht in der Lage ist,
leichte körperliche Arbeiten im Sitzen und im Stehen zu verrichten.
Auf seiner Sitzung vom 17.11.1999 beschloss der Verwaltungsausschuss des
Versorgungswerks der Beklagten die Einholung eines neurologisch/orthopädischen
Obergutachtens. In seinem daraufhin eingeholten Gutachten vom 27.03.2000
stellte Dr. M., Städtische Kliniken Frankfurt, Neurologische Klinik, u.a. fest, dass bei
dem Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % vorliege und dass dies
der Einschränkung der Berufsfähigkeit des Klägers entspreche. Ein weiteres
fachorthopädisches Gutachten der Frau Dr. M., Städtische Kliniken Frankfurt,
Orthopädische Klinik, vom 18.05.2000 kommt zu dem Ergebnis, dass, obwohl die
linke Hand betroffen ist, die Einschränkung für den tierärztlichen Beruf erheblich
sei, da viele Arbeiten doppelarmig auszuführen seien. Eine Kraftminderung der
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sei, da viele Arbeiten doppelarmig auszuführen seien. Eine Kraftminderung der
linken Hand führe deshalb zu einer deutlichen Einschränkung in der
Berufsausübung. Die Einsatzfähigkeit im tierärztlichen Beruf sei um mindestens 50
% gemindert.
Mit Bescheid vom 03.07.2000 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf
Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Die eingeholten Obergutachten
gingen aufgrund der festgestellten Einschränkung der Sehfähigkeit sowie
Gebrauchsfähigkeit des linken Armes von einer Einschränkung der Berufsfähigkeit
des Klägers von 30 bzw. 5o % aus. Eine derartige Einschränkung rechtfertige
jedoch nach § 22 Abs.3 der Satzung des Versorgungswerks der Beklagten nicht die
Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente. Denn nach dieser Vorschrift könne ein
Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente nur bestehen, wenn eine vollständige
Berufsunfähigkeit vorliege. Auch sei der Kläger nicht daran gehindert, eine andere
tierärztliche Tätigkeit auszuüben. Der Bescheid wurde dem Kläger am 04.07.2000
zugestellt.
Mit Schreiben vom 06.07.2000, das am 07.07.2000 bei der Beklagten einging,
erhob der Kläger Widerspruch. Die Gebrauchstauglichkeit seiner linken Hand sei so
stark eingeschränkt, dass eine sichere Behandlung von Tieren nicht mehr
gewährleistet werden könne. Aufgrund seiner Sehschwäche könne er aber auch
feinere operative Eingriffe und Behandlungen in einer Kleintierpraxis nicht mehr
durchführen.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 12.02.2001
zurück. Berufsunfähigkeitsschutz bestehe nach der Satzung des
Versorgungswerks der Beklagten nicht für spezielle Einzeltätigkeiten, sondern nur
dann, wenn die Ausübung jeglicher tierärztlicher Tätigkeit unmöglich sei. Die in
dem Gutachten der Frau Dr. med. M. vom 18.05.2000 festgestellte Minderung der
Einsatzfähigkeit des Klägers um mindestens 50 % reiche jedenfalls nicht aus, um
die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 13.03.2001, der am selben Tage bei
dem Verwaltungsgericht Kassel einging, ließ der Kläger Klage erheben. Das
fachorthopädische Gutachten vom 18.05.2000 führe aus, dass die tierärztliche
Tätigkeit vor allem in einer ländlichen Praxis in hohem Maße körperlichen Einsatz
verlange. Der Kläger könne jedoch mit der linken Hand nicht mehr kontrolliert und
präzise arbeiten, so dass er spezifische Behandlungsmaßnahmen nicht mehr
ausführen könne und vollständige Berufsunfähigkeit vorliege. Im Falle des
Auftretens von Fehlfunktionen könne es zu einer Gefährdung der Tiere und des
Klägers kommen. Der Kläger könne auch nicht darauf verwiesen werden, andere
berufsspezifische Tätigkeiten zu übernehmen. Aufgrund seiner Sehschwäche und
der Sensibilitätsstörung der linken Hand könne er operative Eingriffe und die
Behandlung von Kleintieren auch nicht mehr durchführen. Ein Verweis auf noch
mögliche Büroarbeiten oder vergleichbare Tätigkeiten erscheine im Rahmen des
Begriffes des tierärztlichen Berufes nicht zulässig. Der Kläger müsse sich nicht auf
theoretisch zwar denkbare, tatsächlich aber nicht realisierbare Tätigkeiten
verweisen lassen. Aufgrund einer neueren ärztlichen Bescheinigung des Dr. med.
D. sei unzweifelhaft von einer Berufsunfähigkeit des Klägers auszugehen. Die
weiter hinzugetretenen Beschwerden des Klägers in Form beidseitigen
Gonarthrose, einer Sprunggelenksarthrose und einer Spinalkanalstenose führten
dazu, dass der Kläger unter keinen Umständen mehr in der Lage sei,
tierarztspezifische Tätigkeiten auszuüben.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, dem Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente gem. § 22 ihrer Satzung zu
zahlen,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig
zu erklären.
Hilfsweise wird beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Aufgrund der Satzung der Beklagten liege Berufsunfähigkeit eines Tierarztes nur
dann vor, wenn die Ausübung jeglicher tierärztlicher Tätigkeit unmöglich sei. Aus
diesem Grund habe die Beklagte den Kläger auf eine Ausweichtätigkeit unter
Berücksichtigung seines bisherigen beruflichen Werdegangs und der erworbenen
Qualifikationen verweisen können. Der Kläger sei nämlich in der Lage, eine
tierärztliche Tätigkeit außerhalb einer Großtierpraxis durchzuführen.
Das Gericht hat durch Beschluss vom 11.05.2004 Beweis erhoben über die Frage,
ob und gegebenenfalls seit wann der Kläger nicht mehr in der Lage ist, den
Tierarztberuf oder irgendeine Tätigkeit auszuüben, zu deren Ausübung die
tierärztliche Vorbildung ganz oder teilweise Voraussetzung ist und ob der Kläger in
der Lage ist, eine tierärztliche Tätigkeit außerhalb einer Großtierpraxis auszuüben
und hierzu ein medizinisches Gutachten eingeholt. Der danach beauftragte
Gutachter Dr. med. T., Oberarzt der Orthopädischen Klinik E-Stadt stellt in seinem
Gutachten vom 30.06.2004 u.a. fest:
"Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen bei Herrn Dr. S. degenerative
Veränderungen der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule mit neurologischer
Symptomatik und Verschmächtigung der linksseitigen Oberarm- und
Oberschenkelmuskulatur. Hierdurch bedingt ist Herr Dr. S. im Beruf als Tierarzt
deutlich beeinträchtigt, jedoch nicht berufsunfähig. In einer Tierarztpraxis, egal nun
ob Großtier- oder Kleintierpraxis, ist er zu 100 % berufsunfähig, weil hier die
synchrone Benutzung beider Arme und Hände notwendig ist. Tätigkeiten im
tierärztlichen Bereich, die nicht den synchronen Gebrauch beider Arme und Hände
erfordern und vorwiegend im Sitzen bzw. wechselnder Körperhaltung ausgeführt
werden können, wären noch durchführbar und zwar vollschichtig. Vorstellbar wäre
eine Tätigkeit in einem Büro, Amt und mit Einschränkungen auch ggf. in einem
Labor."
Die Beteiligten erklärten mit Schriftsätzen vom 16.08.2004 und 26.08.2004 ihr
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26.08.2004 der
Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Behördenvorgang der
Beklagten, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch die Einzelrichterin, nachdem die Kammer das
Verfahren mit Beschluss vom 26.08.2004 der Berichterstatterin als Einzelrichterin
übertragen hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Entscheidung kann gem. § 101 Abs.
2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten hiermit
einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Für sie ist insbesondere der
Verwaltungsrechtsweg gegeben, weil es sich bei dem Streit um die Gewährung von
Leistungen des Versorgungswerkes der Beklagten um eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art i. S. v. § 40 Abs.1 VwGO handelt (Hess.
VGH, Urteil vom 14.08.1990 - 11 UE 2092/98 - NVwZ-RR 1991, 649). Das
erforderliche Vorverfahren ist durchgeführt und die Klagefrist eingehalten worden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 03.07.2000 und der
Widerspruchsbescheid vom 12.02.2001 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen
Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente aus
dem Versorgungswerk der Beklagten.
Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte kann sich nur als ein Anspruch auf
eine Versorgungsleistung nach Maßgabe der Versorgungsordnung des
Versorgungswerkes der Beklagten ergeben. Die Beklagte ist gem. § 1 Abs. 1 Satz
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Versorgungswerkes der Beklagten ergeben. Die Beklagte ist gem. § 1 Abs. 1 Satz
1 HessHeilberufsG eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Nach § 5 Abs. 2 Satz
1 HessHeilberufsG kann sie durch Satzung Fürsorgeeinrichtungen und
Vorsorgeeinrichtungen für Kammerangehörige und deren Familienmitglieder
schaffen. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte mit der Schaffung des
Versorgungswerkes Gebrauch gemacht. Nach § 1 Abs. 2 der Satzung hat das
Versorgungswerk der Beklagten die Aufgabe, Versorgungsleistungen nach
Maßgabe dieser Satzung zu gewähren. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und
vom Gericht nicht anzuzweifeln, dass der Kläger als Tierarzt Mitglied der Beklagten
ist und als solcher grundsätzlich an den Versorgungsleistungen des genannten
Versorgungswerkes teilnimmt. Offensichtlich hat er auch die vorgesehenen
Beiträge entrichtet.
Die Berufsunfähigkeitsrente ist geregelt in § 22 der Satzung des
Versorgungswerkes der Beklagten. Allein diese Vorschrift kommt als
Rechtsgrundlage für den von dem Kläger gegen die Beklagte geltend gemachten
Anspruch in Betracht. Gem. § 22 Abs. 1 der Vorschrift hat jedes Pflichtmitglied
einen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente, wenn es neben dem
Nachweis der Berufsunfähigkeit seine gesamte tierärztliche Tätigkeit eingestellt
hat. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift ist berufsunfähig, wer infolge eines
körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen und geistigen
Kräfte zur Ausübung des tierärztlichen Berufes unfähig ist. Satz 2 der Vorschrift
regelt, dass unter der Ausübung des tierärztlichen Berufes jede Tätigkeit zu
verstehen ist, bei der die während des veterinärmedizinischen Studiums
erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden.
Die Auslegung des Begriffes der Berufsunfähigkeit i. S. v. § 22 Abs. 3 der Satzung
des Versorgungswerkes der Beklagten kann nicht aus allgemeinen Vorschriften
entnommen werden, insbesondere nicht aus dem Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung (Hess. VGH, a. a. O.). Es gibt keinen das Landesrecht
bindenden bundesrechtlich einheitlichen Begriff der Berufsunfähigkeit. Vielmehr
bestimmt allein das jeweilige Landesrecht, unter welchen Voraussetzungen eine
Berufsunfähigkeit vorliegt, welchen Grad sie erreichen muss und ob und in
welchem Umfang eine Verweisung auf andere Tätigkeiten zulässig ist (so BVerwG,
Beschluss vom 07.06.1996 - BVerwG 1 B 127.95 -, Buchholz 430.4
Versorgungsrecht Nr. 32).
Die Auslegung des Begriffs der Berufsunfähigkeit hat sich vielmehr am Wortlaut
der einschlägigen Vorschrift zu orientieren unter Berücksichtigung der
Besonderheiten des Versorgungswerkes und des damit verfolgten Zweckes. § 22
Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerkes der Beklagten ist zu entnehmen, dass
eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Kräfte des Mitglieds des
Versorgungswerks vorliegen muss. Zwar ist dort nur die Rede davon, dass das
Mitglied infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner
körperlichen und geistigen Kräfte zur Ausübung des tierärztlichen Berufes unfähig
ist, jedoch ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass hiermit eine Einschränkung
der körperlichen oder geistigen Kräfte gemeint ist. Diese müssen das Mitglied zur
Ausübung des tierärztlichen Berufes unfähig machen, was bedeutet, dass die
Einschränkung der körperlichen oder geistigen Kräfte kausal für die Unfähigkeit
sein muss, den tierärztlichen Beruf weiter auszuüben. Dabei ist nach Satz 2 der
Norm tierärztliche Tätigkeit jede Tätigkeit, zu deren Ausübung ein
veterinärmedizinisches Studium Voraussetzung ist. Dies bedeutet, dass eine
Berufsunfähigkeitsrente nur bei voller Berufsunfähigkeit als Tierarzt gewährt
werden soll, also nur dann, wenn das Mitglied zur Ausübung jeglicher Tätigkeit
unfähig ist, die eine tierärztliche Vorbildung ganz oder teilweise zur Voraussetzung
hat. Eine Unfähigkeit zur Ausübung des tierärztlichen Berufes im Sinne der
genannten Vorschrift liegt nur dann vor, wenn dem betreffenden Kammermitglied
unter Berücksichtigung seines Alters und aller sonstiger Umstände eine irgendwie
geartete fortlaufende ärztliche Tätigkeit, auch etwa als angestellter Arzt oder in
einem anderen Sachgebiet oder auch nach einer Ortsveränderung und
gegebenenfalls nach einer Umschulung unmöglich ist (Hess. VGH, a. a. O.; ähnlich
VGH Mannheim, Urteil vom 23.08.1994 - 9 S 2273/92 -, NVwZ-RR 1996, 75 für die
Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte in Baden-Württemberg).
Nicht Aufgabe der Regelungen über die Berufsunfähigkeitsrente in § 22 der
Satzung des Versorgungswerkes der Beklagten ist es, das Mitglied vor
wirtschaftlichen Einschränkungen aus anderem Grunde zu schützen, insbesondere
soll das Mitglied nicht vor Risiken des Arbeitsmarktes geschützt werden oder das
unternehmerische Risiko eines eine Praxis betreibenden Arztes auf die Gesamtheit
der Mitglieder des Versorgungswerkes übertragen werden. So dient die
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der Mitglieder des Versorgungswerkes übertragen werden. So dient die
Berufsunfähigkeitsrente insbesondere weder der Finanzierung eines vorgezogenen
Ruhestandes noch der Abdeckung etwaiger Verluste, die dadurch entstehen, dass
die angebotenen tierärztlichen Leistungen des Mitglieds von Dritten nur in
geringem Umfang oder gar nicht nachgefragt werden. Der Satzungsgeber wollte
vielmehr durch diese Regelung die wirtschaftlichen Risiken für den Fall einer
nachgewiesenen, vollständigen Berufsunfähigkeit eines Mitglieds bei Einstellung
der gesamten tierärztlichen Tätigkeit absichern, nicht jedoch die nur teilweise
Berufsunfähigkeit oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, die nicht zu einer
vollständigen Berufsunfähigkeit, sondern lediglich zu einer Einschränkung der
Erwerbsmöglichkeiten des Mitglieds führen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe vermag das Gericht bei dem Kläger eine
Berufsunfähigkeit im Sinne der genannten Regelungen nicht zu erkennen. Zwar
ergibt sich aus allen dem Gericht vorliegenden ärztlichen Gutachten, dass bei dem
Kläger gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, die auch Auswirkungen auf
seine Fähigkeit haben, den tierärztlichen Beruf weiter auszuüben. So wird
übereinstimmend von einer Erkrankung der Halswirbelsäule, einer Kraftminderung
der linken Hand sowie einer Einschränkung seines Sehvermögens auf dem rechten
Auge und einem Schlaf-Apnoe-Syndrom berichtet. Nach den obigen Ausführungen
reicht diese Feststellung jedoch für die Annahme einer Berufsunfähigkeit i. S. d. §
22 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerks der Beklagten nicht aus. Zu Recht
hat daher die Beklagte die Frage für überprüfungsbedürftig erachtet und weitere
ärztliche Gutachten eingeholt. In dem neurologisch/orthopädischen Gutachten des
Dr. M. der Städtischen Kliniken Frankfurt vom 27.03.2000 wird unter anderem
festgestellt, dass lediglich Einschränkungen der Arbeitstätigkeit bei bimanuellen
Tätigkeiten einsetzen, die einen maximalen Krafteinsatz benötigen sowie bei
bimanuellen Einsetzen mit feinmotorischen Handlungen bestehen, jedoch alle
anderen Belastungen eines normalen Arbeitsrythmuses sowie einer normalen
Arbeitszeit zumutbar seien. Die tierärztliche Tätigkeit könne der Kläger innerhalb
eines Jahres nach erfolgter Operation wieder ausüben. Derzeit liege eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % vor. Das fachorthopädische Gutachten
der Frau Dr. M. der Städtischen Kliniken Frankfurt vom 18.05.2000 kommt zu dem
Ergebnis, dass die bei dem Kläger festgestellten wesentlichen Befunde - die
Einschränkung der Sehschärfe und der Gebrauchsfähigkeit des linken Armes -
dazu führten, dass viele Tätigkeiten in der Ausübung des tierärztlichen Berufes nur
noch bedingt durchführbar seien, der Kläger jedoch Schreibarbeiten und leichte
körperliche Arbeiten ausführen sowie Aufsicht führen könne. Die Kraftminderung in
der linken Hand führe zu einer Minderung seiner Einsatzfähigkeit im tierärztlichen
Beruf um mindestens 50 %. Diese gutachterlichen Feststellungen werden
letztendlich durch das vom Gericht eingeholte Gutachten des Dr. med. T., , vom
30.06.2004 bestätigt. Denn in diesem Gutachten wird festgestellt, dass der Kläger
zwar in einer Tierarztpraxis zu 100 % berufsunfähig ist, weil hier die synchrone
Benutzung beider Arme und Hände notwendig sei. Tätigkeiten im tierärztlichen
Bereich, die nicht den synchronen Gebrauch beider Arme und Hände erfordern
und vorwiegend im Sitzen bzw. wechselnder Körperhaltung ausgeführt werden
können (Büro, Labor oder ähnliches) wären jedoch noch vollschichtig durchführbar,
so dass der Kläger insgesamt zwar in seinem Beruf als Tierarzt deutlich
beeinträchtigt, jedoch nicht zu 100 % berufsunfähig sei. Diesen umfangreichen
gutachterlichen Feststellungen kann der Kläger auch nicht durch die Äußerung des
Dr. D. in seiner ärztlichen Bescheinigung vom 23.03.2001 entgegentreten. Denn
im Gegensatz zu den beschriebenen gutachterlichen Feststellungen ist aus der
ärztlichen Bescheinigung des Dr. D. vom 23.03.2001 nicht erkennbar, aufgrund
welcher Befunde die Feststellung getroffen wurde. Sie ist im Gegensatz dazu wenig
aussagekräftig und kann die ausführlichen Feststellungen nicht wiederlegen.
Aus den Gutachten ergibt sich nach Auffassung des Gerichts vielmehr folgendes
Bild: Der Kläger ist aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen
insbesondere wegen seiner Kraftminderung der linken Hand nicht in der Lage,
seine Praxis weiter zu führen. Er ist ebenfalls nicht in der Lage, andere tierärztliche
Tätigkeiten auszuführen, die die synchrone Benutzung beider Arme und Hände
erfordern. Tierärztliche Tätigkeiten, die nicht den synchronen Gebrauch beider
Arme und Hände erfordern, insbesondere aktenbezogene gutachterliche
Tätigkeiten sind ihm hingegen aufgrund seines Gesundheitszustandes nach wie
vor möglich.
Hieraus folgt, dass der Kläger nicht i. S. v. § 22 Abs. 3 Satz 1, 2 der Satzung des
Versorgungswerks der Beklagten aufgrund seiner körperlichen oder geistigen
Kräfte zur Ausübung des tierärztlichen Berufes hinsichtlich jeglicher tierärztlicher
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Kräfte zur Ausübung des tierärztlichen Berufes hinsichtlich jeglicher tierärztlicher
Tätigkeit unfähig ist. Der Kläger kann aufgrund seiner körperlichen und geistigen
Kräfte noch andere Tätigkeiten ausführen, die vom tierärztlichen Aufgabenfeld
umfasst sind. Dass der Kläger außerstande ist, eine Berufstätigkeit, z. B. in der
Veterinärverwaltung, in der Aus- und Fortbildung von Tierärzten oder im Bereich
Fleischbeschau eines Schlachthofes aufzunehmen, trägt er selbst nicht vor. Solche
Tätigkeiten auszuführen ist der Kläger aufgrund seiner körperlichen und geistigen
Kräfte vielmehr offensichtlich noch in der Lage. Dem Kläger ist in diesem
Zusammenhang ein Ortswechsel oder eine andere räumliche Veränderung oder
eine Veränderung seines sachlichen Betätigungsfeldes auch nicht von vornherein
unzumutbar (Hess. VGH, a. a. O.).
Nicht entscheidungserheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger mit
solchen Tätigkeiten auch beauftragt werden würde oder ob mangels Erfahrung auf
diesem Gebiet oder wegen des fortgeschrittenen Alters des Klägers die
potentiellen Auftraggeber oder Arbeitgeber von dem Kläger Abstand nehmen
würden. Diese Frage ist nämlich dem Bereich des freiberuflichen Risikos
zuzuordnen, ob die angebotenen Dienste in nennenswertem Umfang von
potentiellen Kunden in Anspruch genommen werden. Dieses Risiko abzudecken ist
nach den obigen Ausführungen nicht Aufgabe der Berufsunfähigkeitsrente aus
dem Versorgungswerk der Beklagten. Entscheidungserheblich ist allein, ob der
Kläger, sollte er eine andere Tätigkeit aus dem tierärztlichen Spektrum angeboten
bekommen, gesundheitlich in der Lage wäre, diese auszuführen. Diese Frage ist
nach den obigen Darlegungen zu bejahen.
Nach alledem besteht bei dem Kläger keine Berufsunfähigkeit i. S. v. § 22 Abs. 3
Satz1 der Satzung des Versorgungswerks der Beklagten. Er hat daher keinen
Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente.
Soweit der Kläger hilfsweise eine Neubescheidung begehrt, ist dieser Antrag
unzulässig, da ein Ermessenspielraum der Beklagten nicht besteht, es sich
vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelt. Auch bedarf es keiner
weiteren Sachaufklärung, da die angefochtenen Bescheide - wie oben ausgeführt -
rechtmäßig sind.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig, da sie
vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der
Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Kläger nach seiner
Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht
zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.