Urteil des VG Kassel vom 15.09.2004

VG Kassel: ordentliche kündigung, wohnung, sozialhilfe, mietvertrag, auszug, vermieter, innenverhältnis, unterkunftskosten, werktag, verfügung

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Gericht:
VG Kassel 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 1541/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 426 Abs 1 BGB, § 535 BGB, §
2 Abs 1 BSHG, § 154 Abs 1
VwGO
Sozialhilfe für Mietkosten bei Erstattungsanspruch nach
Auszug des Ehegatten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt. Gerichtskosten werden
nicht erhoben.
Dieses Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, falls nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in entsprechender Höhe
leistet.
Tatbestand
Am 03.12.2001 beantragte die Klägerin für sich und ihre Kinder Hilfe zum
Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).
Zu diesem Zeitpunkt lebte sie in der ehemals gemeinschaftlichen Ehewohnung
von ihrem Ehemann getrennt. Der Mietvertrag (Blatt 2 ff. der Behördenakte) wurde
von den beiden Eheleuten gemeinsam unterzeichnet. Sie sind dort gemeinsam als
Mieter aufgeführt.
Mit Bescheid vom 03.12.2001 (Blatt 23 ff. der Behördenakte) wurde der Klägerin
erstmals Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt. Dabei wurden nur die Hälfte der
Miete und die Hälfte der Heizkosten anerkannt. Ebenso berechnet wurde die Hilfe
zum Lebensunterhalt in dem Bescheid vom 12.12.2001 (Blatt 58 ff. der
Behördenakte). Auch der Bescheid vom 18.12.2001, der die Gewährung von Hilfe
zum Lebensunterhalt ab dem 01.01.2002 regelte, (Blatt 70 ff. der Behördenakte)
enthielt eine vergleichbare Berechnung.
Am 11.01.2002 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide vom 12.12.
und 18.12.2001 ein. In der Begründung heißt es (Blatt 80 f. der Behördenakte), es
sei zwar richtig, dass neben der Klägerin auch ihr Ehemann Mieter sei. Der
Ehemann sei jedoch zum 30.11.2001 aus der Wohnung ausgezogen. Er zahle
faktisch den auf ihn entfallenden Mietanteil nicht, weil er dazu auch nicht
leistungsfähig sei. Aus dem hier zur Verfügung stehenden Einkommen könne die
Klägerin die Miete allein nicht aufbringen. Sie habe bereits versucht, mit dem
Vermieter eine Vereinbarung zu treffen, damit dieser den Mietvertrag auf sie
alleine umschreibe. Hiermit sei der Vermieter aber nicht einverstanden.
Mit Bescheid vom 12.04.2002 (Bl. 117 ff der Behördenakte) wurde die Hilfe zum
Lebensunterhalt für den Zeitraum ab dem 01.03.2002 neu festgesetzt. Wiederum
wurde lediglich die Hälfte der Miete und die Hälfte der Heizkosten anerkannt.
Gegen diesen Bescheid wurde kein Widerspruch eingelegt.
Zum 01.05.2002 kündigte die Klägerin die bislang bewohnte Wohnung und zog
nach B-Stadt um.
Nach Beteiligung sozial erfahrener Personen wies der Beklagte mit
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Nach Beteiligung sozial erfahrener Personen wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 15.05.2002 den Widerspruch zurück. In der
Begründung heißt es, gemäß § 535 BGB hafteten mehrere Mieter
gesamtschuldnerisch und seien einander im Innenverhältnis zum Ausgleich
verpflichtet. Damit bestehe für die Klägerin lediglich die Verpflichtung zur Zahlung
der halben Miete. Für die anderen Hälfte habe der Ehemann aufzukommen. Die
Klägerin sei verpflichtet, im Rahmen der Selbsthilfe diese Forderung notfalls im
Klageweg durchzusetzen. Der Widerspruchsbescheid wurde am 28.05.2002
zugestellt.
Am 28.06.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, ein Ehegatte, der
wegen Scheiterns der Ehe aus der Wohnung ausziehe, könne im Innenverhältnis
über § 426 Abs. 1 BGB nicht an den Kosten der Wohnung beteiligt werden. Dies
ergebe sich aus der Rechtsprechung. Demzufolge stehe der Klägerin kein
Ausgleichsanspruch zu.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheides des Beklagten vom 12. und 18.12.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15.05.2002 aufzuheben und den Beklagten zu
verpflichten, bei der Ermittlung des Sozialhilfeanspruchs der Klägerin die
Unterkunftskosten in voller Höhe zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, nach der Rechtsprechung sei es gerade anders, als vom
Prozessbevollmächtigten der Klägerin behauptet. Tatsächlich sei von einer
gesamtschuldnerischen Haftung auszugehen.
Mit Schriftsätzen vom 21.10.2002 und 30.04.2003 haben die Beteiligten ihr
Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.
Mit Beschluss vom 18.08.2004 hat die Kammer den Rechtsstreit dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf Gerichts- und Behördenakte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Sie ist jedoch unbegründet, denn die
Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz über das bereits Bewilligte hinaus. Aus diesem Grund
verletzen die Bescheide vom 12.12. und 18.12.2001 und der
Widerspruchsbescheid vom 15.05.2002 die Klägerin auch nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist vorliegend lediglich die Frage, ob die Klägerin ab dem
03.12.2001 bis einschließlich Februar 2002 einen Anspruch auf weitere
Unterkunftskosten hat. Mit Bescheid vom 12.04.2002 wurden die Leistungen ab
dem 01.03.2002 neu festgesetzt. Da gegen diesen Bescheid kein Widerspruch
eingelegt wurde und er somit mittlerweile bestandskräftig ist, kann für den
Zeitraum ab März 2002 schon aus diesem Grund kein Anspruch auf
weitergehende Leistungen geltend gemacht werden.
In der Zeit ab Antragstellung bis 28. Februar 2002 stand der Klägerin deshalb kein
Anspruch auf Leistungen nach dem BSHG zu, weil der Versagungsgrund des § 2
Abs. 1 BSHG vorliegt. Gemäß § 2 Abs. 1 BSHG erhält derjenige keine Sozialhilfe,
der sich selbst helfen kann. Der Hilfesuchende muss sich in diesem
Zusammenhang auch auf künftige Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung verweisen
lassen, soweit diese in angemessener Frist verwirklicht werden können. Er ist
grundsätzlich darauf zu verweisen, realisierbare Ansprüche selbst durchzusetzen.
Tut er dies nicht, so hat er keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach
dem BSHG. Mögliche Ansprüche gegen Dritte, die freiwillig nicht erfüllt werden,
aber geeignet sind, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen, schließen den Anspruch
auf Sozialhilfe aber nur dann aus, wenn der geltend gemachte Bedarf keine
sofortige Befriedigung verlangt, der Anspruch nicht von vornherein ausgeschlossen
und der Hilfesuchende nach seinen persönlichen Verhältnissen in der Lage ist, den
Anspruch - auch gerichtlich - durchzusetzen (ebenso VG Berlin, Urteil vom 6.
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Anspruch - auch gerichtlich - durchzusetzen (ebenso VG Berlin, Urteil vom 6.
Januar 1992, Az: 8 A 201.89).
Zu derartigen Ansprüchen, die einer Leistungsgewährung nach dem BSHG
entgegen stehen können, zählt grundsätzlich auch ein Anspruch gegen den aus
der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogenen Ehepartner auf Übernahme der
hälftigen Mietkosten.
Nach überwiegender Rechtsprechung besteht im Falle eines Auszugs eines
Ehegatten aus der gemeinsam angemieteten Wohnung ein Ausgleichsanspruch
des verbleibenden Ehegatten gem. § 426 Abs. 1 BGB, jedenfalls solange, bis das
Mietverhältnis frühestmöglich gekündigt werden kann (vgl. z.B. LG Mannheim, Urt.
v. 25.10.1972, - 6 S 34/72 -, MDR 1973, 228 ff; LG Mönchengladbach, Urt. v.
13.12.2002, - 2 S 401/01 -; LG Hannover, Urt. v. 08.03.201, - 3 S 1562/00 - 101,3 S
1562/00 -, FamRZ 2002, 29 f). Hierzu steht auch das (von dem
Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierte) Urteil des OLG München vom
14.07.1995 (- 21 U 5880/94, FamRZ 1996, 291) nicht im Widerspruch. Zwar hatte
das OLG München seinerzeit festgestellt, dass ein Anspruch auf Innenausgleich
gemäß § 426 Abs. 1 BGB wegen vergangener und zukünftiger Mietzahlungen
grundsätzlich nicht bestehe; aus den Entscheidungsgründen lässt sich jedoch
entnehmen, dass das OLG München hiervon eine Übergangszeit von mehreren
Monaten ausnehmen will. In der Sache unterscheidet sich diese Rechtsprechung
damit nicht von der der übrigen Gerichte, die eine Ausgleichspflicht ebenfalls nicht
für unbegrenzte Zeit vorsehen, sondern lediglich bis zu dem Zeitpunkt, an dem
eine ordentliche Kündigung möglich gewesen wäre.
Für den hier zur Entscheidung anstehenden Fall bedeutet dies, dass jedenfalls für
die erste Zeit nach dem Auszug des Ehemannes, im Zweifel bis zu dem Tag, an
dem eine ordentliche Kündigung möglich gewesen wäre, ein Ausgleichsanspruch
bestanden hätte bzw. noch besteht. Eine Kündigung war nach dem Mietvertrag
möglich spätestens am 3. Werktag eines Monats für den letzten Werktag des
übernächsten Monats. Der Ehemann der Klägerin verließ die gemeinsame
Wohnung am 30.11.2001, die Klägerin hatte also den Mietvertrag spätestens am
05.12.2001 zum 28.02.2002 kündigen können. Für diesen Zeitraum, also für die
Monate Dezember 2001 bis Februar 2002, hätte sie nach oben zitierter
Rechtsprechung auch einen Ausgleichsanspruch gegen ihren Ehemann gehabt.
Dieser Anspruch wäre auch in angemessener Zeit durchzusetzen gewesen, die
Prozesskosten hätten ggf. von der Prozesskostenhilfe übernommen werden
können. Es handelt sich auch nicht um einen so eiligen Bedarf, dass die Klägerin
nicht auf den Klageweg hätte verwiesen werden dürfen, denn es war der Klägerin
durchaus zuzumuten, zunächst - für einige Monate - auf das Geld zu verzichten,
bis der Zivilprozess entschieden worden wäre. Dass es der Klägerin selbst nicht
besonders eilig war und sie demzufolge das Geld nicht sofort und unabdingbar
benötigte, zeigt sich schon daran, dass sie es unterlassen hat, bei dem
Verwaltungsgericht ein Eilverfahren nach § 123 VwGO anhängig zu machen.
Zusammenfassend liegt damit ein realisierbarer Anspruch gegen einen Dritten
vor, so dass der Beklagte zutreffend gemäß § 2 Abs. 1 BSHG den
Sozialhilfeanspruch der Klägerin um die hälftige Miete inklusive Nebenkosten
reduziert hat.
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Klage
keine Aussicht auf Erfolg hat. Insoweit wird auf das Urteil vom heutigen Tage
verwiesen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.
ausgewählt und dokumentiert.