Urteil des VG Kassel vom 07.04.2004
VG Kassel: aufschiebende wirkung, öffentliches recht, grundstück, prostitution, baurecht, gebäude, rechtsgrundlage, abgrenzung, nutzungsänderung, sportplatz
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Gericht:
VG Kassel 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 G 1545/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 34 BauGB , § 3 BauNVO , § 4
BauNVO , § 72 BauO HE,
ProstG
Leitsatz
Die Nutzung eines Wohngebäudes zum Zwecke der Ausübung der Prostituition im
reinen Wohngebiet ist unzulässig. Es bleibt offen, ob dies auch für eine entsprechende
Nutzung im allgemeinen Wohngebiet gilt.
Gründe
Der zulässige Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die in dem Bescheid der
Antragsgegnerin vom 25.05.2004 (AZ 2003-1185) enthaltende
Nutzungsuntersagung (Ziff. 1) wiederherzustellen und die aufschiebende Wirkung
gegen die darin enthaltene Zwangsgeldandrohung (Ziff. 2) anzuordnen,
hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid erweist sich nämlich bei der im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgenden summarischen Prüfung
als offensichtlich rechtmäßig.
Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 72 S. 2 HBO,
wonach die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung untersagen kann, wenn bauliche
Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt werden. Das
ist hier der Fall.
Die durch die Antragstellerin erfolgende Nutzung des bislang (nur) zum Wohnen
genutzten Gebäudes auf dem Grundstück W. im Rahmen eines bordellartigen
Betriebs verstößt gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften. Dabei geht das Gericht
aufgrund des Vortrags der Beteiligten und der von der Antragsgegnerin
vorgelegten Verwaltungsvorgänge davon aus, dass die Antragstellerin und ihr
Ehemann das Gebäude W. angemietet haben, dass sie selbst, nicht aber ihr
Ehemann dort wohnt und dass sie dort auch, ebenso wie drei weitere Frauen, die
allerdings dort nicht wohnen, der Prostitution nachgeht. Damit ist von einer
maßgeblichen Nutzung des Gebäudes nicht zum Wohnen - auch nicht im Rahmen
sogenannter Wohnungsprostitution -, sondern als einem bordellartigen Betrieb (s.
zu der Abgrenzung im Einzelnen VGH Mannheim, Urteile vom 13.02.1998 - 5 S
2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550 und vom 24.07.2002 - 5 S 149/01 -, ESVGH 53, 30;
HessVGH, Beschluss vom 23.04.1992 - 11 TH 3607/90 -, NVwZ-RR 1992, 622
(betreffend eine Sperrgebietsverordnung) Fickert/Fieseler,
Baunutzungsverordnung, 2002, § 4 Rdnr. 9.55; Stühler, Prostitution und
öffentliches Recht, unter besonderer Berücksichtigung des Baurechts, NVwZ 1997,
861; ders., Prostitution und Baurecht, NVwZ 2000, 990) und damit von einem
gewerblichem Betrieb im Sinne der Baunutzungsverordnung auszugehen (BVerwG,
Beschluss vom 28.06.1995 - 4 B 137/95 -, NVwZ-RR 1996, 84).
Eine solche Nutzungsänderung bedarf einer Baugenehmigung (§ 64 Abs. 1 HBO),
die nicht vorliegt. Bereits insoweit verstößt die Nutzung des Gebäudes durch die
Antragstellerin gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften.
Die Nutzung des Gebäudes durch einen bordellartigen Betrieb verstößt aber auch
gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu
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gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu
prüfen wären (§ 57 Abs. 1 Nr. 1 HBO). Das Gebäude liegt nämlich in einem Gebiet,
das nicht überplant ist, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit seiner
Nutzung nach § 34 BauGB beurteilt. Dabei geht die Kammer davon aus, dass die
nähere Umgebung des von der Antragstellerin genutzten Grundstücks einem
reinen Wohngebiet entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 3 BauNVO), in dem
Gewerbebetriebe - und damit auch die entsprechende Nutzung durch die
Antragstellerin - nicht zulässig sind. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin
lässt sich in dieser Hinsicht nichts zu ihren Gunsten aus dem Gesetz zur Regelung
der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz -ProstG) vom
20.12.2001 (BGBl I, S 3983) herleiten. Die darin getroffenen vertragsrechtlichen (§
1), sozialrechtlichen (§ 2) und strafrechtlichen (§ 3) Regelungen haben auf die
bauplanungsrechtliche Beurteilung keine Auswirkung.
Bei der Annahme, die maßgebliche Umgebung des Grundstücks W. sei als reines
Wohngebiet zu beurteilen, geht die Kammer davon aus, dass nähere Umgebung
im Sine von § 34 Abs. 2 BauGB das zwischen dem Grünzug am W., dem F., der R.
und der L. gelegene Quartier ist. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass nähere
Umgebung in diesem Sinne zunächst die unmittelbaren Nachbargrundstücke sind,
darüber hinaus aber auch die Grundstücke, auf die die Ausführung des Vorhabens
oder seine Nutzung sich auswirkt und soweit diese ihrerseits den bodenrechtlichen
Charakter des Grundstücks prägen oder beeinflussen (BVerwG, Urteil vom
26.05.1978 - 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 370). Bei einer kleinteiligen Bau- und
Siedlungsstruktur ist von einem engeren Umkreis auszugehen (Ernst u.a., BauGB,
Stand 2004, § 34 BauGB Rdnr. 36). Da sich die Nutzung des nicht sehr großen,
einstöckigen Hauses W. durch die Antragstellerin allenfalls auf den unmittelbar im
Bereich des Grundstücks liegenden Abschnitt des W. und der direkt hieran
liegenden Grundstücke auswirkt und die Umgebungsbebauung kleinteilig ist, stellt
die genannte Fläche das äußerste der zu berücksichtigenden Umgebung dar.
Dabei ergibt sich die Begrenzung durch die genannten Straßen im Besondern
durch den F. im Südosten aufgrund seiner Funktion als innerörtliche
Verbindungsstraße, durch die R. im Nordosten aufgrund der Entfernung von dem
von der Antragstellerin genutzten Grundstück einerseits und des sich von der
gegenüberliegenden Seite der R. bis zur S.- bzw. O. anschließenden gesondert zu
beurteilenden Quartiers andererseits und durch die L. im Nordwesten wegen des
auf dieser Seite der Straße dominierenden Sportplatzes; im Südwesten bildet der
sich am W. hinziehende Grüngürtel eine Zäsur.
Diese maßgebliche Umgebung ist, wie bei der Begehung im Rahmen des
Erörterungstermins vor dem Berichterstatter am 06.07.2004 festgestellt, praktisch
ausschließlich von Wohnbebauung geprägt. Die in diesem Termin erörterten
möglicherweise gewerblichen Nutzungen in den Häusern R. 4, 28 und 32 betreffen
Grundstücke auf der anderen Straßenseite zur O. hin und sind bei der
Baugebietsbestimmung deshalb nicht zu berücksichtigen. Offen bleiben kann
deshalb, ob sie auch deshalb unberücksichtigt bleiben müssten, weil sie nach dem
von der Antragsstellerin nicht bestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin im
Schriftsatz vom 06.07.2004 nicht genehmigt und, da der Antragsgegnerin bislang
nicht bekannt, auch nicht geduldet worden sind.
Ebenso scheidet die Berücksichtigung der gewerblichen Nutzung des Gebäudes L.
aus, da das Grundstück auf der Seite der L. zum Sportplatz hin und damit nicht
mehr in der maßgeblichen Umgebung liegt.
Soweit die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragen haben, in
dem Gebiet befinde sich auch ein Baggerbetrieb, ergibt sich aus dem von der
Antragsgegnerin im Termin am 06.07.2004 vorgelegten Übersichtsplan, der von
den Beteiligten erörtert worden ist, dass sich dieser Betrieb auf einem Grundstück
an einem anderen Abschnitt des W. über den F. hinaus befindet, so dass er bei der
Beurteilung nicht zu berücksichtigen ist.
Das in der R. auf der zum W. hin liegenden Seite befindliche Zeitschriftengeschäft
ist mit der sonst ausschließlichen Wohnbebauung und -nutzung vereinbar ( § 3
Abs. 3 Nr. 1 BauNVO).
Soweit die Antragstellerin im Termin am 06.07.2004 ohne weitere Substantiierung
erklärt hat, vom Nachbargrundstück W.45/147 aus würde die Lieferung von
Biertischen und Bänken erfolgen, hat der bei dem Erörterungstermin von den
Beteiligten gewonnene Eindruck keinerlei Hinweise auf eine gewerbliche Nutzung
dieses Grundstücks ergeben, so dass hiervon bei summarischer Prüfung auch
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dieses Grundstücks ergeben, so dass hiervon bei summarischer Prüfung auch
nicht ausgegangen werden kann.
Soweit sich an dem Haus W. 40 auf der gegenüberliegenden Seite der Straße ein
Hinweisschild auf eine Versicherungsvertretung befindet, hat der äußere Anschein
darüber hinaus keinerlei Hinweise auf eine gewerbliche Nutzung ergeben. Soweit
das betreffende Grundstück gleichwohl gewerblich genutzt werden sollte, stellte
sich diese Nutzung angesichts der im übrigen einheitlichen Wohnnutzung dieses
Abschnitts des W. als Fremdkörper dar, der weder das betreffende Grundstück
noch gar seine Umgebung im übrigen prägt (BVerwG, Urteil vom 15.02.1990 - 4 C
23.86 -, BVerwGE 84, 322; Ernst u.a., a.a.O., § 34 BauGB Rdnr. 37) und deshalb
der Annahme, es handele sich bei der näheren Umgebung des Grundstücks W. um
ein reines Wohngebiet, nicht entgegensteht.
Im übrigen geht die Kammer davon aus, dass die Nutzung des Gebäudes als
bordellartiger Betrieb auch dann bauplanungsrechtlich wohl unzulässig wäre, wenn
man - entgegen den oben getroffenen Feststellungen - die maßgebliche
Umgebung als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauVNO qualifizieren würde.
Zwar sind im allgemeinen Wohngebiet nicht störende Gewerbebetriebe
ausnahmsweise zulässig (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Aber bei der insoweit
gebotenen typisierenden Betrachtung dürfte die Zulässigkeit im Wege der
Befreiung daran scheitern, dass die von einem bordellartigen Betrieb
ausgehenden Störungen mit der Wohnnutzung, der auch das allgemeine
Wohngebiet vorwiegend dient, nicht vereinbar sind (BVerwG, Urteile vom
28.06.1995 und Beschluss vom 29.10.1997, a.a.O.; VGH Mannheim, Urteil vom
13.02.1998, a.a.O.). Da es darauf aber entscheidungserheblich nicht ankommt,
lässt die Kammer diese Frage ebenso offen wie die Frage, ob es sich bei dem
bordellartigen Betrieb nicht ohnehin um eine Vergnügungsstätte handelt, die
allenfalls im Misch-, Gewerbe- oder Kerngebiet (§§ 6 ff. BauNVO) zulässig wäre (zur
Rechtssprechung und zum Diskussionsstand Fickert/Fieseler, a.a.O., § 4 Rdnr. 9.5.
und § 4a Rdnr. 23.7; Stühler, Prostitution und Baurecht, a.a.O.; offengelassen von
BVerwG, Beschluss vom 29.10.1997, a.a.O.).
Dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 70 S. 2 HBO zustehende Ermessen
dahingehend ausgeübt hat, der Antragstellerin die Nutzung des Gebäudes W. als
bordellartigen Betrieb zu untersagen, ist nicht zu beanstanden. Der Begründung
des angefochtenen Bescheids ist auch zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin
Ermessenserwägungen angestellt und zunächst die in Aussicht gestellte
Beendigung des Mietvertrages abgewartet hat und erst dann die
Nutzungsuntersagung in der zutreffenden Annahme ausgesprochen hat, dass der
Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften anders nicht beseitigt werden
kann.
Nicht zu beanstanden ist auch die Anordnung des Sofortvollzugs. Dem
angefochtenen Bescheid ist eine Begründung dieser Anordnung zu entnehmen (§
80 Abs. 3 VwGO) und der darin enthaltene Hinweis, dass das Interesse der
Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs zurückzutreten
habe, da andernfalls bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung weitere
Nutzungsvorteile aus der rechtswidrigen Nutzung gezogen werden könnten, was
einen starken Anreiz zur Aufnahme illegaler Nutzungen zur Folge haben könnte,
genügt den insoweit an die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs zu
stellenden Anforderungen (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 2003, §
80 Rdnr. 98)
Gegen die in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheids erfolgte Androhung eines
Zwangsgeldes hat die Antragstellerin keine besonderen Einwände erhoben;
Anhaltspunkte dafür, dass diese rechtswidrig ist, gibt es auch nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 1 Abs. 1b, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG.
Den danach maßgeblichen Auffangstreitwert halbiert das Gericht, wie üblich, im
Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.