Urteil des VG Kassel vom 31.12.2003

VG Kassel: mehrarbeit, geldwerte leistung, finanzielles interesse, vergütung, freizeit, verordnung, erlass, schichtdienst, krankheit, abgeltung

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Gericht:
VG Kassel 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 1967/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 85 Abs 2 BG HE
Leitsatz
Kein Anspruch eines Beamten auf Mehrarbeitsvergütung, wenn Feizeitausgleich infolge
Krankheit unmöglich war.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Mehrarbeit.
Der Kläger war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum 01.07.1999 als
Polizeioberkommissar im Dienste des Beklagten beschäftigt.
Vom 12.08.1998 bis zu seinem Ausscheiden war er ununterbrochen dienstunfähig
erkrankt. Unter dem 29.04.1999 beantragte der Kläger bei der Polizeidirektion H.
unter Hinweis auf sein bevorstehendes vorzeitiges Ausscheiden aus dem
Polizeidienst die finanzielle Vergütung von 236,5 Mehrarbeitsstunden. Die
Polizeidirektion H. teilte dem Kläger mit, dass von den geleisteten 277
Mehrarbeitsstunden 50 Stunden, die durch die Wahrnehmung von
Gerichtsterminen entstanden seien, zur Auszahlung angewiesen würden. Die
übrigen 277 Mehrarbeitsstunden seien durch den Regelschichtdienst entstanden
und nach einem Erlass des Hessischen Ministeriums des Inneren vom 13.06.1995
- III B 11 - 8 h 14 - nicht auszahlungsfähig.
Mit Bescheid vom 16.11.1999 bestätigte das Regierungspräsidium Kassel diese
Entscheidung. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom
10.12.1999 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums
Nordhessen vom 02.08.2001 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde
angeführt, nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums sei der
Beamte verpflichtet, dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft nach Maßgabe des
Arbeitszeitrechts zur Verfügung zu stellen. Mehrarbeit werde, soweit überhaupt,
vorrangig durch Freizeit ausgeglichen. Der Gesetzgeber habe in § 85 Abs. 2 Satz 3
HBG die Möglichkeit des Ausgleichs von Mehrarbeit durch finanzielle Vergütung
lediglich aus Ausnahmefall zugelassen. Die vom Kläger geleisteten 227
Mehrarbeitsstunden seien zwangsläufig durch den von ihm zu versehenen
Schichtdienst entstanden. Nach dem Erlass des Innenministeriums sei die
Abgeltung von Schichtdienst bedingten Mehrarbeitsstunden durch finanzielle
Vergütung unzulässig. Derartige Stunden dürften nach Maßgabe des § 85 Abs. 2
Satz 2 HBG lediglich durch Freizeitausgleich abgegolten werden. Dieser Anspruch
habe sich aber aufgrund des Ausscheidens des Klägers aus dem aktiven Dienst
nicht etwa in einen finanziellen Anspruch gewandelt. Nach § 85 Abs. 2 Satz 3 HBG
i. V. m. der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte
könne die Gewährung einer finanziellen Mehrarbeitsvergütung allenfalls dann in
Betracht kommen, wenn die Erteilung von Dienstbefreiung aus zwingenden
dienstlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. Krankheit sei ein in der Person
des Beamten liegender Abwesenheitsgrund und damit kein Grund, der die
entsprechende Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich
mache.
Am 21.08.2001 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Der Kläger ist der
Ansicht, der fragliche Erlass gehe auf die Verordnung der
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Ansicht, der fragliche Erlass gehe auf die Verordnung der
Mehrarbeitsentschädigung vom 26.04.1972 zurück, die in § 2 Abs. 2 klar besage,
dass auch Mehrarbeit im Schichtdienst entschädigungsfähig sei. Dies müsse
insbesondere dann gelten, wenn die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung
abgegolten werden könne, weil der Bedienstete nach Erwerb des Anspruchs auf
Entschädigung bzw. Dienstbefreiung erkranke. Denn anderenfalls verlöre er
praktisch eine geldwerte Leistung. Das sei verfassungsrechtlich bedenklich und
werde seit Jahren auch in Polizeikreisen heftig diskutiert.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 10.12.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
02.08.2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger wiederholt zunächst die Begründung des Widerspruchsbescheides und
führt weiter aus, dass entgegen der Ansicht des Klägers die
Mehrarbeitsvergütungsverordnung vom 03.12.1998 Anwendung finde. § 2 Abs. 2
dieser Fassung der Mehrarbeitsvergütungsverordnung finde jedoch ausschließlich
für Beamte Anwendung, die nicht in § 2 Abs. 1 MVergV genannt seien. In § 2 Abs. 1
Nr. 4 MVergV seien jedoch Beamte des polizeilichen Vollzugsdienstes aufgeführt.
Der Kläger habe aber vor seiner Ruhestandsversetzung zweifelfrei den polizeilichen
Vollzugsdienst angehört, so dass § 2 Abs. 2 MVergV nicht anwendbar sei. Bei § 2
Abs. 1 Nr. MVergV handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Wann im
Einzelnen sogenannte "messbare", das heißt finanzielle vergütungsfähige
Mehrarbeit vorliege, sei auf länderebene durch diverse Einzelerlasse, so auch
durch den Erlass des Hessischen Innenministeriums vom 13.06.1995 konkretisiert
worden. Danach seien die vom Kläger geleisteten schichtbedingten
Mehrarbeitsstunden nicht finanziell vergütungsfähig. Der Anspruch des Klägers auf
Ausgleich der mehr geleisteten Mehrarbeitsstunden durch Freizeitausgleich sei mit
seinem Ausscheiden aus dem Dienst untergegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der Behördenakte (1 Hefter) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 04.02. sowie 13.02.2003 mit
einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Mit Beschluss vom 10.12.2003 hat die Kammer den Rechtsstreit der
Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die
Voraussetzungen des § 101 Abs. 2 VwGO vorliegen.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, 2. Alternative VwGO) zulässig.
Der Antrag des Klägers ist zwar nur auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide
gerichtet, bedarf jedoch der Auslegung. Gemäß § 88 ist das Gericht an die
Fassung der Anträge nicht gebunden. Der Kläger begehrt nach den Ausführungen
in der Klagebegründung eindeutig einen finanziellen Ausgleich für die geleisteten
Mehrarbeitsstunden. Den finanziellen Ausgleich kann er durch bloße Aufhebung
der Bescheide - wie beantragt - nicht erreichen, vielmehr muss er neben der
Aufhebung der ablehnenden Bescheide noch die Gewährung einer
Mehrarbeitsvergütung einfordern. Aufgrund des eindeutig geäußerten
Klagebegehrens legt das Gericht den Antrag des Klägers in dieser Hinsicht aus.
Die Klage ist aber nicht begründet, der Kläger hat keinen Anspruch auf die
begehrte Mehrarbeitsvergütung.
Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 85 Abs. 2 Satz 3 HBG. Nach dieser Norm
können Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen
Zeitraum von bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung erhalten, wenn eine
vorrangig gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 HBG zu gewährende Dienstbefreiung aus
dienstlichen Gründen nicht möglich ist. Die Abgeltung der geleisteten Mehrarbeit
war im vorliegenden Fall durch Dienstbefreiung nicht möglich, weil der Kläger
dienstunfähig erkrankt war. Eine Erkrankung ist allerdings ein in der Person des
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dienstunfähig erkrankt war. Eine Erkrankung ist allerdings ein in der Person des
Beamten liegender Grund, nicht aber ein dienstlicher Grund, vgl. BVerwG, Beschl.
v. 24.05.1985, 2 B 45/85, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 26. Ein Anspruch des Klägers
auf Vergütung der geleisteten Mehrarbeit ergibt sich auch nicht nach den
Grundsätzen des beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs. Es kann an
dieser Stelle dahinstehen bleiben, ob die Mehrarbeit des Klägers überhaupt
rechtswidrig (wie es ein Schadensersatzanspruch voraussetzen würde) angeordnet
wurde oder der Beklagte hierfür ein Verschulden trägt. Der Kläger hat jedenfalls
einen im Rahmen des Schadensersatzrechts zu ersetzenden Schaden nicht
erlitten. Bei beamtenrechtlichen Schadensersatzansprüchen ist von dem
Schadensbegriff auszugehen, der auch den § 249 f. BGB zugrunde liegt (BVerwG,
Urt. v. 21.02.1991, - 2 C 48.88 -, BVerwGE 88, 60 m. w. N.). Der Umstand, dass
der Kläger die Mehrarbeitsstunden entschädigungslos zu leisten hat, bedeutet
zwar ein immateriellen Schaden - den Verlust an Freizeit -, nicht aber einen
materiellen das heißt geldberechenbaren Schaden, vgl. BVerwGE 37, 21, 28 und
31, 33; BGHZ 69, 34, 36). Der Gesetzgeber hat die Vergütung von Mehrarbeit im
Beamtenrecht ausdrücklich nur als sachlich und zeitlich begrenzte Ausnahme
vorgesehen. Im Übrigen verbleibt es bei den Grundsätzen des Beamtenrechts,
wonach der Beamte dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft, wenn auch nach
Maßgabe des Arbeitszeitrechts, zur Verfügung stellt, als Gegenleistung dafür
Anspruch auf amtsangemessene Alimentation in Gestalt der Dienstbezüge hat
und Mehrarbeit, soweit überhaupt, allein durch Freizeit ausgeglichen wird (BVerwG,
Urt. v. 21.02.1991 a. a. O.). Durch die enge sachliche Begrenzung der
vergütungsfähigen Mehrarbeit hat der Gesetzgeber einerseits den Willen zum
Ausdruck gebracht, dass sonstige Mehrarbeit allein durch Freizeit ausgeglichen
werden soll, und andererseits auch ein etwaiges finanzielles Interesse der
betroffenen Beamten sind selbst an der Leistung weitergehender Mehrarbeit und
an einer dazu führenden Diensteinteilung von vornherein und generell
ausgeschlossen. Dabei muss es auch unter dem Gesichtspunkt eines
Schadensersatzanspruchs verbleiben (entspr. BVerwG, Urt. v. 21.02.1991 a. a. O.
zur zeitlichen Begrenzung der vergütungsfähigen Mehrarbeit).
Der Hinweis des Klägers auf die Verordnung über die Gewährung von
Mehrarbeitsvergütung für Beamte in der Fassung der Bekanntmachung vom
03.12.1998 (BGBl. I S. 3494) geht fehl, weil die Verweisung des § 85 Abs. 2 Satz 4
HBG auf § 48 BBesG, der wiederum in seinem Abs. 1 Satz 1 auf die vorgenannte
Verordnung weiterverweist, einen bereits bestehenden Vergütungsanspruch
voraussetzt, das heißt nur bei vorliegender Voraussetzungen des § 85 Abs. 2 Satz
3 HBG eingreift. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen aber nach den
vorstehenden Ausführungen vorliegend gerade nicht vor.
Der Antrag auf Zulassung der Sprungrevision war abzulehnen. Die
Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (Grundsatzrevision) und des § 132
Abs. 2 Nr. 2 (Divergenzrevision) liegen nicht vor. Eine Rechtssache hat
grundsätzliche Bedeutung, wenn die Klärung der für die Beurteilung des Streitfalls
maßgeblichen Rechtsfrage über ihre Bedeutung für den zu entscheidenden
konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und
Anwendung oder die Fortbildung des Rechtes hat. Die zu entscheidende
Rechtsfrage muss im Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.
Prüfungsgegenstand muss revisibles Recht sein. Die Rechtsfrage darf sich
außerdem nicht ohne Weiteres schon aus dem Gesetz beantworten lassen oder
bereits durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt sein. Wie vorliegend
geschehen, lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage der Mehrarbeitsvergütung für
Beamte bei Unmöglichkeit eines Freizeitausgleichs aus dem Gesetz ohne Weiteres
beantworten. Überdies weist der vorliegende Einzelfall zahlreiche Besonderheiten
auf (an die geleistete Mehrarbeit anschließende Krankheit und danach sofortige
Versetzung in den Ruhestand), die eine Bedeutung der Entscheidung über den
vorliegenden Fall hinaus fernliegend erscheinen lassen. Für eine Divergenz ist
nichts ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus den § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.