Urteil des VG Kassel vom 16.02.2010

VG Kassel: treu und glauben, ablauf der frist, genehmigungsverfahren, verwirkung, nachbar, anzeige, standort des gebäudes, betreiber, wirtschaftliches interesse, schutzwürdiges interesse

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Gericht:
VG Kassel 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 K 135/08.KS
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15 BImSchG, § 16 BImSchG,
§ 17 BImSchG, § 19 BImSchG
(Immissionsschutz - Verwirkung des Nachbar-
Widerspruchs)
Leitsatz
1. Die Grundsätze des Baurechts für die Verwirkung des Abwehrrechts des Nachbarn
und die Verwirkung des Widerspruchsrechts des Nachbarn gegen eine Genehmigung
gelten auch gegenüber genehmigungsbedürftigen Anlagen nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz, soweit § 10 Abs. 3 BImSchG keine Anwendung findet, weil
lediglich eine Anzeige nach § 15 BImSchG erfolgte oder die Genehmigung im
vereinfachten Verfahren erteilt wurde. Der Betreiber einer Anlage ist hier nicht
verpflichtet, ein förmliches Genehmigungsverfahren zu beantragen (§§ 16 Abs. 3, 19
Abs. 3 BImSchG), nur um Verfahrenssicherheit gegenüber dem Nachbarn zu erlangen.
2. Bevollmächtigt ein Nachbar einen Verein damit, ihn als Einwender in einem
förmlichen Genehmigungsverfahren gemäß § 10 BImSchG zu vertreten und wird der
von dem Nachbarn bevollmächtigte Verein im Zuge dieses Verfahrens darüber
informiert, dass für einen anderen, vom jetzigen Genehmigungsverfahren nicht
betroffenen, Teil der Anlage desselben Betreibers seinerzeit eine Änderung nach § 15
BImSchG angezeigt wurde, dann muss sich der Nachbar, wenn er nunmehr gegen diese
angezeigte Änderung vorgehen will, die Kenntnis seines Bevollmächtigten - auch wenn
sie im Zuge eines anderen Verfahrens erlangt wurde - so zurechnen lassen wie eigene
Kenntnis, so dass sein Widerspruchsrecht verwirkt ist, wenn er es nicht innerhalb eines
Jahres nach der dem Bevollmächtigten übermittelten Information ausübt.
3. Die Erlaubnisfiktion, die gemäß § 15 Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz BImSchG bei
Stillschweigen der Genehmigungsbehörde auf eine Anzeige hin eintritt, ist ein fiktiver
Verwaltungsakt, der - ebenso wie ein tatsächlich erteilter - mit Widerspruch und
Anfechtungsklage angegriffen werden kann.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls der Beklagte nicht Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beigeladene, welche mit Beschluss vom 30.07.2009 am Verfahren beteiligt
wurde, ist seit 1994 Betreiberin einer Papierfabrik auf dem Grundstück in der A-
Straße in A-Stadt, die dort bereits vor Inkrafttreten des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) am 02.04.1974 durch die
Bauaufsichtsbehörde genehmigt wurde und inzwischen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3
BImSchG i. V. m Nr. 6.2, Spalte 1 des Anhangs zur 4. BImSchV der
Genehmigungspflicht nach §§ 4 ff. BImSchG unterliegt. Zu der Papierfabrik
gehören ein Heizkraftwerk, welches nach Nr. 1.1, Spalte 1 des Anhangs zur 4.
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gehören ein Heizkraftwerk, welches nach Nr. 1.1, Spalte 1 des Anhangs zur 4.
BImSchV bereits für sich betrachtet genehmigungsbedürftig ist, und eine
Kläranlage, für welche wasserrechtliche Erlaubnisse bzw. Bewilligungen vorliegen.
Die Klägerin ist Eigentümerin von zwei vermieteten Wohnhäusern, die ca. 500 m
von der Betriebsstätte der Papierfabrik liegen; sodann befindet sich das von ihr
bewohnte Haus in ca. 700 m Entfernung von der Betriebsstätte.
1998 nahm die Beigeladene Änderungen an ihrer Papiermaschine vor, durch
welche die jährliche Produktionskapazität von 250.000 t auf 300.000 t erhöht
wurde. 1999 erweiterte die Beigeladene ihr Papierrollenlager durch die Errichtung
einer Lagerhalle von 87 m Länge, 47 m Breite und ca. 24 m Höhe. Für dieses
Bauvorhaben wurde ihr - lt. Angaben des Beklagten - durch die zuständige
Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung erteilt. Mit Schreiben vom 10.01.2001
zeigte die Beigeladene gegenüber dem für Genehmigungsverfahren nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz zuständigen Beklagten die Vergrößerung des
Papierrollenlagers durch den Erweiterungsneubau sowie die Erhöhung der
jährlichen Produktionsmenge durch Umbau der Papiermaschine gemäß § 15 Abs.
1 BImSchG an. Der Beklagte äußerte sich nicht innerhalb der in § 15 Abs. 2, Satz 1
BImSchG bestimmten Monatsfrist nach Eingang der Anzeige.
In 2004 bearbeitete der Beklagte einen Antrag der Beigeladenen auf
Genehmigung zur Änderung des Heizkraftwerks. Anlässlich dieses
Genehmigungsverfahrens bevollmächtigte die Klägerin am 21.05.2004 schriftlich
„den Verein … A-Stadt e. V., vertreten durch den Vorstand, c/o Frau D. E. …, in
Sachen ‚Änderungsgenehmigungsverfahren nach §§ 16, 10, 8a BImSchG der
, Erweiterung des bestehenden Heizkraftwerkes’ … in meinem
Namen Einwendungen gegen das o. g. Genehmigungsverfahren zu erheben… Ich
bin mit einer Unterbevollmächtigung von Sach- und Rechtsbeiständen …
einverstanden“. Mit Schreiben vom 26.04.2005 bat Frau D. E. den Beklagten
„gemäß Umweltinformationsgesetz … um Übersendung des letzten
Genehmigungsbescheides zur Erhöhung der Papierproduktion“ Mit Datum vom
09.05.2005 antwortete der Beklagte:
„Die Papierherstellung wurde 1986 nach § 67 Bundes-Immissionsschutzgesetz
(BImSchG) mit einer Produktionskapazität von 250.000 Mg/a angezeigt. Weiterhin
erfolgte 2001 eine Anzeige nach § 15 BImSchG über eine geplante
Kapazitätserhöhung auf 300.000 Mg/a. Ein Genehmigungsverfahren nach § 16
BImSchG war bisher nicht erforderlich. Auf Grund des Sachverhaltes gibt es für die
Papierherstellung keinen Genehmigungsbescheid, den ich Ihnen zuschicken
könnte.“
Sodann fragte der von Frau E. bevollmächtigte Rechtsanwalt F., Berlin, mit
Schreiben vom 03.11.2005 beim Beklagten an, welche Produktionskapazitäten der
Beigeladenen genehmigt worden seien. Der Beklagte wies in seinem
Antwortschreiben vom 07.11.2005 u. a. darauf hin:
„Die letzten Umbaumaßnahmen an der Anlage wurden im Jahr 2001 mit einer
damals geplanten (erreichbaren) Kapazität von 300.000 Mg/a nach § 15 BImSchG
angezeigt.“
Dasselbe teilte der Beklagte - unter Bezugnahme auf den mit Rechtsanwalt F.
geführten Schriftverkehr - Frau E. nochmals in einem Schreiben vom 29.05.2006
mit und machte hier noch weitere Ausführungen zu der „seit diesen
Umbaumaßnahmen“ (d.h. den in 2001 angezeigten) bestehenden
Produktionskapazität.
Mit Schreiben vom 25.05.2007, welches einen handschriftlichen Eingangsvermerk
vom 29.05.2007 trägt, erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten: „Hiermit
lege ich fristwahrend Widerspruch gegen die durch die Fa. G. am 10.01.2001
gemäß § 16 BImSchG angezeigte Änderung ein.“ Mit Schriftsatz ihres damaligen
Verfahrensbevollmächtigten vom 03.07.2007 forderte die Klägerin u. a., bis zur
Erteilung einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG der Beigeladenen die
Papierproduktion zu untersagen, soweit sie den vor der Produktionserweiterung
gemäß Änderungsanzeige vom 10.01.2001 bestandenen Umfang überschreite.
Das Genehmigungsverfahren gemäß § 16 Abs. 1 BImSchG sei nachzuholen. Denn
es sei anzunehmen, dass durch die 2001 angezeigten Änderungen wesentliche
Auswirkungen auf die Schutzgüter der Klägerin aus § 1 BImSchG eingetreten
seien. Lt. Änderungsanzeige gehe mit der Kapazitätserhöhung auch eine
Erhöhung des Brennstoff- und des Wasserverbrauchs einher. Es würden jedoch
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Erhöhung des Brennstoff- und des Wasserverbrauchs einher. Es würden jedoch
keine Angaben über die deswegen zu erwartenden Emissionswerte - insbesondere
erhöhte Luftschadstoffe, Gewässerbelastung oder Lärmbelästigung - gemacht. So
sei z. B. der emittierte Wasserdampf mit Retentionsmitteln aus der
Papierherstellung angereichert; eine Untersuchung des Wasserdampfes auf
beeinträchtigende Stoffe habe bisher nicht stattgefunden. Somit seien Art,
Ausmaß und Auswirkungen der von der geänderten Anlage ausgehenden
Emissionen in einem förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 16 BImSchG zu
prüfen.
Der Beklagte vertrat mit Schreiben vom 06.11.2007 die Auffassung, dass der
Widerspruch unzulässig sei, da er erst ca. 8 Jahre nach Realisierung und nahezu 6
½ Jahre nach Anzeige der Änderungen eingelegt worden sei; zu diesem Zeitpunkt
sei das Widerspruchsrecht verwirkt gewesen. Mit Schriftsatz vom 07.12.2007
führten die jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin aus, dass eine
Verwirkung des Widerspruchsrechts nur dann eingetreten sein könne, wenn die
Klägerin von den vorgenommenen Änderungen bzw. der Existenz der
Änderungsanzeige gewusst hätte. Hier seien für eine außenstehende Person
kapazitätserhöhende Änderungen, die innerhalb der geschlossenen Hallen der
Betreiberin stattfänden, nicht erkennbar. Sodann habe die Klägerin erstmals im
Sommer 2006 im Rahmen ihrer Vorstandstätigkeit in dem Verein … von der
angezeigten Produktionserweiterung erfahren. Schließlich habe die Beigeladene
gegenüber der Klägerin kein schutzwürdiges Interesse, nachdem sie die
Anlagenänderungen bereits vor deren Anzeige - und damit rechtswidrig -
vorgenommen habe. Wer sich so verhalte, verliere ein für allemal den
Vertrauensschutz gegenüber späteren Einwendungen des Nachbarn. Sodann habe
es der Betreiber einer nach § 4 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage selbst
in der Hand, sich durch die Wahl eines Genehmigungsverfahrens mit
Öffentlichkeitsbeteiligung Rechtssicherheit gegenüber Einwendungen Dritter zu
verschaffen, und benötige deshalb keinen Vertrauensschutz.
Mit einem als „Widerspruchs- und Ablehnungsbescheid“ bezeichneten Bescheid
vom 21.12.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 25.05.2007
als unzulässig zurück und lehnte den Antrag vom 03.07.2007 auf Mitteilung an die
Beigeladene, dass eine Nachholung des Genehmigungsverfahrens nach § 16
BImSchG für die am 10.01.2001 angezeigten Änderungen erforderlich sei, ab. In
den Gründen des Bescheids wird ausgeführt, der Widerspruch sei bereits deshalb
unzulässig, weil die Freigabewirkung durch die Nichtäußerung des Beklagten
gemäß § 15 Abs. 2, Satz 2 BImSchG keine Verwaltungsaktqualität habe. Daher
stehe der Klägerin der Rechtsbehelf des Widerspruchs nicht zur Verfügung. Im
Übrigen sei das Widerspruchsrecht der Klägerin auch verwirkt. Sodann handele es
sich bei den im Jahre 2001 angezeigten Änderungen nicht um solche, die nach §
16 BImSchG genehmigungsbedürftig seien. Zudem sei zum jetzigen Zeitpunkt die
Mitteilung der Genehmigungsbedürftigkeit an die Beigeladene nicht mehr möglich,
da sich die 2001 eingetretene Zulässigkeitsfiktion nicht mehr nach § 48
Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) zurücknehmen lasse. Der
Bescheid wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin am 07.01.2008
zugestellt.
Am 07.02.2008 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Kassel erhoben.
Zur Begründung wiederholt die Klägerin ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren
und trägt ergänzend vor, dass die Nichtäußerung mit Genehmigungsfiktion als
Verwaltungsakt anzusehen sei, so dass hiergegen ein Widerspruch möglich sei.
Das Widerspruchsrecht sei auch nicht verwirkt, da die Klägerin erst im Juni 2006
von der Produktionserweiterung und deren im Jahre 2001 erfolgter Anzeige
erfahren habe. Die dem Verein … am 21.05.2004 erteilte Vollmacht könne ihr hier
nicht entgegengehalten werden, da sie sich lediglich auf das Änderungsverfahren
des Heizkraftwerks bezogen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Widerspruchs- und Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21.12.2007
aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Beigeladenen mitzuteilen, dass
ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 16 BImSchG für
die am 10.01.2001 angezeigte Änderung im Bereich der Papierfabrik erforderlich
ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Zur Begründung bezieht der Beklagte sich auf seine Ausführungen in dem
Widerspruchs- und Ablehnungsbescheid vom 21.12.2007 und trägt weiter vor, dass
es sich bei den am 10.01.2001 angezeigten Maßnahmen um keine wesentlichen
Änderungen einer genehmigungsbedürftigen Anlage i. S. v. § 16 Abs. 1 BImSchG
gehandelt habe, so dass die Entscheidung, die Anzeige nach § 15 Abs. 2 BImSchG
hinzunehmen, rechtens gewesen sei. Insbesondere wirke sich die Erhöhung der
Produktionskapazität für die Klägerin nicht in relevanter Weise
immissionsbelastend aus. Die von der Anlage zur Herstellung von Papier über den
Luftpfad ausgehenden Emissionen setzten sich im Wesentlichen aus Wasserdampf
mit geringen Anteilen an organischen Stoffen - Reste aus der Aufbereitung des
Altpapiers - und Gerüchen zusammen. In der TA Luft seien keine besonderen
Werte für diesen Anlagentyp festgelegt. Die Emissionen an organischen Stoffen
seien untersucht worden; mit einem Maximalwert von 17 mg/m
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würden die
Grenzwerte für Stoffe der Klasse I (20 mg/m
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) und der Klasse II (50 mg/m
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)
eingehalten bzw. deutlich unterschritten. Die mit der Kapazitätserhöhung
einhergehende Zunahme des LKW-Verkehrs könne auf ca. 1/5 veranschlagt
werden; es seien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zum Heizkraftwerk
durch eine nach § 26 BImSchG zugelassene Stelle Messungen vor Wohnhäusern
im Umfeld der Häuser der Klägerin durchgeführt worden, denen zufolge der für
dieses Gebiet maßgebliche Nachtzeit-Immissionsrichtwert von 45 dB(A) mit 43,5
dB(A) eingehalten werde.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten sowie zur Ergänzung des
Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, einschließlich der
Verhandlungsniederschrift vom 11.02.2010, Bezug genommen sowie auf den
Inhalt der Behördenakten über das Anzeigeverfahren (1 Halbhefter, unpaginiert)
und über das Widerspruchsverfahren der Klägerin (1 Halbhefter 73 Bl. und 17 Bl.),
die zum Verfahren beigezogen wurden und zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß erhobene Klage ist nicht
begründet. Denn der Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin im Ergebnis zu
Recht als unzulässig zurückgewiesen.
Entgegen der im Bescheid vom 21.12.2007 vertretenen Auffassung ist der
Widerspruch allerdings nicht etwa in Ermangelung eines anfechtbaren
Verwaltungsakts unzulässig. Auf die nach § 15 Abs. 1 BImSchG erfolgte Anzeige
der Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage hin hat die Behörde gemäß
§ 15 Abs. 2, Satz 1 BImSchG unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats, zu
prüfen, ob ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Kommt sie zu dem
Ergebnis, dass die Änderung keiner Genehmigung bedarf, dann teilt sie dies dem
Träger des Vorhabens mit, und dieser darf nun gemäß § 15 Abs. 2, Satz 2
BImSchG die Änderung vornehmen. Diese Wirkung tritt für den Träger des
Vorhabens nach § 15 Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz BImSchG aber auch ein, wenn
sich die Behörde innerhalb der Monatsfrist nicht äußert. Die ausdrückliche
Mitteilung stellt einen Verwaltungsakt dar (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v.
17.09.2008 - 2 M 146/08 - nur Leitsatz in juris; Jarass, BImSchG, 7. Aufl. § 15 Rdn.
29, 33, 34; Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. I, Stand 1997, § 15
BImSchG, Rdn. 39). Da gemäß § 15 Abs. 2, Satz 2 BImSchG das Stillschweigen der
Behörde dieselbe Wirkung hat wie die Mitteilung, können sowohl die Rechtsposition
des Betreibers der Anlage, als auch die Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter hier
keine anderen sein als im Falle der Mitteilung. Deshalb wird das Stillschweigen in §
15 Abs. 2, Satz 2, 2. Halbsatz BImSchG nach herrschender Meinung, der sich der
erkennende Einzelrichter anschließt, als fiktiver Verwaltungsakt gewertet (Jarass,
a.a.O., § 15 Rdn. 37; Hansmann, a.a.O., § 15 Rdn. 48; Guckelberger in Kotulla,
BImSchG, Stand 2004, § 15 Rdn. 85-87), gegen den dieselben Rechtsbehelfe
eröffnet sind wie gegen einen tatsächlich ergangenen Verwaltungsakt (vgl. auch
Caspar, Der fiktive Verwaltungsakt, in: AöR 125, 2000, S. 131 <137>;
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. § 35 Rdn. 24; BVerwG, U.v. 10.09.1992 - 5 C
39.88 - BVerwGE 91, S. 7 ff. = DVBl. 1992, S. 1604 ff.).
Der Widerspruch der Klägerin ist jedoch deshalb unzulässig, weil die Klägerin im
Zeitpunkt seiner Einlegung am 25.05.2007 ihr Widerspruchsrecht gegen die am
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Zeitpunkt seiner Einlegung am 25.05.2007 ihr Widerspruchsrecht gegen die am
10.01.2001 angezeigten Änderungen verwirkt hatte.
Die Ausübung eines Rechtes verstößt gegen den die gesamte Rechtsordnung -
einschließlich des öffentlichen Rechts - beherrschenden Grundsatz von Treu und
Glauben (§ 242 BGB), ist mithin „verwirkt“, wenn es zum einen über einen
längeren Zeitraum hinweg nicht geltend gemacht wurde und zum anderen
bestimmte Umstände hinzu kommen, die bei dem Verpflichteten das berechtigte
Vertrauen darin erwecken, dass der Berechtigte das Recht nicht mehr ausüben
werde. Davon ausgehend hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger
Rechtsprechung (siehe insbesondere U.v. 25.01.1974 - IV C 2.72 - BVerwGE 44,. S.
294 ff. = NJW 1974, S. 1260 ff. = DÖV 1974, S. 385; B.v. 28.08.1987 - 4 N 3.86 -
BVerwGE 78, S. 85 ff. = DVBl. 1987, S. 1276 ff. = DÖV 1988, S. 32 ff.) Grundsätze
und Regeln für die Verwirkung des Abwehrrechts des Nachbarn im Baurecht
entwickelt. Hiernach sind die Rechtsverhältnisse zwischen den Inhabern
benachbarter Grundstücke in aller Regel durch ein besonderes „nachbarliches
Gemeinschaftsverhältnis“ gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben von den
grenznachbarlich Verbundenen besondere Rücksichten fordert. Dieses Gebot der
nachbarschaftlichen Rücksichtnahme verpflichtet den Nachbarn dazu, durch
zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen Schaden des Bauherrn zu
vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten; der Nachbar
muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der
Beeinträchtigung ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht.
Hat der Nachbar von einer Genehmigung, die für ein bestimmtes Vorhaben erteilt
wurde, obschon sie ihm nicht amtlich bekanntgegeben worden ist, auf andere
Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, so muss er sich in aller Regel nach Treu und
Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die
Genehmigung im Zeitpunkt der Kenntniserlangung amtlich bekanntgegeben
worden. Die Kenntniserlangung muss ihn nach Treu und Glauben in aller Regel in
gleicher Weise wie eine amtliche Bekanntmachung zur Geltendmachung seiner
Einwendungen in angemessener Frist veranlassen. Obgleich die Fristvorschriften
der §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO hier weder unmittelbar noch analog Anwendung
finden, gilt deshalb als Maßstab für das nach Treu und Glauben Angemessene die
Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO. Ein später eingelegter Widerspruch ist
unzulässig. Nach diesen Grundsätzen tritt die Verwirkung nach einjähriger
Untätigkeit nicht nur dann ein, wenn der Nachbar tatsächlich von einer
Genehmigung Kenntnis erlangt hat, sondern auch ohne positive Kenntnis nach
Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt an, zu welchem der Nachbar zuverlässige
Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen einer Genehmigung
aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa
durch Anfrage bei der Genehmigungsbehörde oder dem Bauherrn - Gewissheit zu
verschaffen. Sobald und soweit der Nachbar Veränderungen in seinem Umfeld
erkennt oder erkennen konnte, die er als nachteilig empfindet, muss er sich darum
kümmern, so dass die Verwirkung eines Abwehrrechts grundsätzlich auch
gegenüber ungenehmigten Bauvorhaben eintreten kann (BVerwG, B.v. 13.08.1996
- 4 B 135.96 - BRS 58, Nr. 185 sowie juris; B.v. 18.03.1988 - 4 B 50.88 - NVwZ
1988, S. 730 f. = BRS 48, Nr. 179).
Diese Grundsätze für die Verwirkung des Abwehrrechts des Nachbarn gelten für
die Klägerin auch, obwohl sie nicht unmittelbare Grenznachbarin der Beigeladenen
ist. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zitierten Beschluss vom
28.02.1987 (a.a.O.) klargestellt, dass die besonderen Treuepflichten im
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis nicht nur zwischen den Eigentümern
unmittelbar aneinander grenzender Grundstücke gelten, sondern gleichermaßen
für den Drittschutz anderer Nachbarn. Der Drittschutz im Baurecht leite sich
daraus her, dass bestimmte Vorschriften des Baurechts auch der Rücksichtnahme
auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienten. Auf das
Kriterium räumlicher Nähe komme es dabei nicht entscheidend an.
Hiernach ist zunächst das Abwehrrecht der Klägerin gegen das Bauvorhaben der
Lagerhalle verwirkt, welches in 1999 ausgeführt wurde. Die Klägerin hat hierzu zwar
vorgetragen, dass der Standort des Gebäudes wegen seiner Lage auf dem
Betriebsgelände und vorhandenen Baumbewuchses schwer einsehbar sei.
Gleichwohl kann nach Überzeugung des erkennenden Einzelrichters die Errichtung
eines Gebäudes von diesen Abmessungen Außenstehenden nicht verborgen
geblieben sein. Die Klägerin hätte sich daher zeitnah in 1999 über das
Bauvorhaben informieren können und sodann innerhalb eines Jahres dagegen
vorgehen müssen, sofern sie sich dadurch beeinträchtigt sah.
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Nicht ohne weiteres für die Klägerin erkennbar waren dagegen die Umbauarbeiten
an der Papiermaschine und die damit einhergehende Erhöhung der
Produktionskapazität. Der Geschäftsführer der Beigeladenen hat zwar in der
mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass während des Zeitraums der
Umbauarbeiten an der Papiermaschine die Firma des Ehemannes der Klägerin mit
Dachdeckerarbeiten an der Werkhalle beschäftigt war, in welcher sich die
Papiermaschine befindet. Es fragt sich jedoch, inwieweit die mit den
Dachdeckerarbeiten Beschäftigten die Umbaumaßnahmen wahrnehmen,
insbesondere deren Bedeutung erkennen konnten und inwieweit die Klägerin sich
deren Wahrnehmungen zurechnen lassen muss. Anders als bei der von außen
sichtbaren Errichtung einer baulichen Anlage ist es bei Änderungen in der
Verfahrenstechnik bzw. dem Verfahrensablauf einer nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Anlage für den
Außenstehenden häufig nicht erkennbar, welche Auswirkungen diese Änderungen
auf das Emissionsverhalten dieser Anlage haben - und damit auch auf die
Immissionen, denen er in der Umgebung der Anlage ausgesetzt ist. Deshalb und
auch weil sich der Kreis der von diesen Immissionen Betroffenen häufig schwer
eingrenzen lässt, sind in § 10 Abs. 3 BImSchG für das förmliche
Genehmigungsverfahren Regeln festgelegt, nach denen Drittbetroffene ihre
Rechte geltend machen müssen. Hiernach müssen Einwendungen spätestens zwei
Wochen nach Ablauf der Frist für die öffentliche Auslegung der
Genehmigungsunterlagen erhoben werden, und es sind mit Ablauf der Frist alle
Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln
beruhen (§ 10 Abs. 3, Satz 5 BImSchG). Insofern kommt den Grundsätzen über die
Verwirkung des Abwehrrechts des Nachbarn in förmlichen Genehmigungsverfahren
nach § 10 BImSchG keine Bedeutung zu, weil hier mit Ablauf der Einwendungsfrist
der Kreis derjenigen, die gegen das Vorhaben vorgehen können, verbindlich
feststeht.
Dies bedeutet jedoch nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters nicht, dass
in denjenigen Fällen, in denen kein Genehmigungsverfahren stattfindet, bzw. die
Genehmigung im vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG erteilt wird, wo § 10
Abs. 3 BImSchG keine Anwendung findet, eine Verwirkung des Abwehrrechts eines
Drittbetroffenen gegenüber Anlagen, die nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftig sind, grundsätzlich
ausgeschlossen wäre. Allerdings kann der Betreiber einer Anlage bei Änderungen,
die lediglich nach § 15 Abs. 1 BImSchG anzeigepflichtig sind, gemäß § 16 Abs. 4
BImSchG eine Genehmigung beantragen. Diese ist zwar grundsätzlich im
vereinfachten Verfahren zu erteilen (§ 16 Abs. 4, Satz 2 BImSchG); gemäß § 19
Abs. 3 BImSchG kann der Träger des Vorhabens jedoch beantragen, dass anstelle
des vereinfachten Verfahrens ein förmliches Genehmigungsverfahren durchgeführt
wird. Der Betreiber hat es somit in der Hand, selbst bei lediglich
anzeigebedürftigen Änderungen, die Verfahrenssicherheit des § 10 Abs. 3
BImSchG herbeizuführen, indem er ein förmliches Genehmigungsverfahren
beantragt. Davon unabhängig besteht jedoch auch das nachbarliche
Gemeinschaftsverhältnis mit seinen besonderen Treuepflichten zwischen dem
Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage und der diese Anlage
umgebenden Nachbarschaft. Auch gegenüber demjenigen, der eine solche Anlage
plant bzw. betreibt, haben die Nachbarn die Pflicht, durch zumutbares aktives
Handeln Schaden des Betreibers zu vermeiden oder seinen Vermögensverlust
möglichst niedrig zu halten. Deswegen kann von dem Betreiber nicht verlangt
werden, dass er dort, wo öffentliche Belange dies nicht erfordern, gleichwohl ein
förmliches Genehmigungsverfahren beantragt, was von Fall zu Fall auch mit
erheblichem Kosten- und Zeit- und Arbeitsaufwand für ihn verbunden sein kann.
Der Betreiber kann deshalb auch dort, wo nicht nach § 10 Abs. 3 BImSchG
verfahren wird, darauf vertrauen, dass Nachbarn ihre Einwendungen in
angemessener Frist geltend machen, sobald sie von seinem Vorhaben bzw. den
Änderungen einer bestehenden Anlage Kenntnis erlangt haben bzw. erlangen
konnten. Dabei muss der Betreiber allerdings mit dem Risiko leben, dass
insbesondere Änderungen der Verfahrenstechnik bzw. des Verfahrensablaufs und
deren Auswirkungen auf das Emissionsverhalten der Anlage für den
Außenstehenden häufig nicht erkennbar sind. Auch hier kann jedenfalls eine
Verwirkung des Abwehrrechts des Nachbarn dann eintreten, wenn dieser positive
Kenntnis von der Änderung bzw. von deren Genehmigung erlangt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin entfällt die Schutzwürdigkeit der
Beigeladenen auch nicht deswegen, weil diese den Umbau der Papiermaschine
offenbar in 1998 durchgeführt hat, bevor dieser dann Anfang 2001 angezeigt
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offenbar in 1998 durchgeführt hat, bevor dieser dann Anfang 2001 angezeigt
wurde. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Verwirkung des Abwehrrechts
grundsätzlich auch gegenüber ungenehmigten Vorhaben eintreten kann. Das
Bundesverwaltungsgericht hat sodann darauf hingewiesen (siehe hierzu U.v.
16.05.1991 - 4 C 4.89 - NVwZ 1991, S. 1182 ff. = BRS 52, Nr. 218), dass es eine
Verwirkung des materiellen Abwehrrechts geben kann und daneben und
unabhängig davon eine Verwirkung des verfahrensrechtlichen Rechts des
Nachbarn, gegen die Baugenehmigung als Drittbetroffener Widerspruch einlegen
zu können. Eine solche Verwirkung des Verfahrensrechts setzt die formelle
Legalisierung des Vorhabens durch eine Genehmigung - bzw. entsprechend im
vorliegenden Fall durch die Erlaubnisfiktion nach § 15 Abs. 2 BImSchG - voraus. Sie
kann also frühestens ab dem Zeitpunkt der Legalisierung eintreten, ist von da ab
aber stets unabhängig von der Verwirkung des materiellen Abwehrrechts möglich.
Dabei setzt sie weiter die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen nicht nur von dem
Vorhaben als solchem, sondern von dem Verwaltungshandeln der Genehmigung
voraus. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil vom
16.05.1991 (a.a.O.) ausgeführt, dass ein Bauherr, der seine Baumaßnahmen nicht
auf eine - längere Zeit andauernde - Untätigkeit des Nachbarn und im Hinblick auf
ein dadurch geschaffenes Vertrauen auf dessen Einverständnis begonnen habe,
sondern unabhängig davon eine ihm erteilte Genehmigung von sich aus sofort in
vollem Umfang ausgenutzt habe, dadurch endgültig seine Schutzwürdigkeit
gegenüber dem Nachbarn verliere, weil hier nicht die Untätigkeit des Nachbarn,
sondern sozusagen die Voreiligkeit des Bauherrn dafür verantwortlich sei, dass
letzterem - bei erfolgreichem Einspruch des Nachbarn - wirtschaftlicher Schaden
entstehe, der normalerweise durch früheres Einschreiten des Nachbarn vermieden
worden wäre. Diese Ausführungen sind jedoch im Zusammenhang mit den
Besonderheiten des dort entschiedenen Falles zu sehen, wo der Nachbar fünf
Monate nach Erteilung der Baugenehmigung gegen diese Widerspruch eingelegt
hatte, so dass das Verfahrensrecht an sich nicht verwirkt war, das
Berufungsgericht aber die Verwirkung des materiellen Abwehrrechts bereits einen
Monat nach Baubeginn angenommen hatte. Die Ausführungen des
Bundesverwaltungsgerichts befassen sich folglich - was auch aus den
Entscheidungsgründen hervorgeht - allein mit der Verwirkung des materiellen
Abwehrrechts. Erfolgreich kann ein Nachbar aber nur gegen ein Vorhaben
vorgehen, wenn ihm sowohl das materielle Abwehrrecht wie das Verfahrensrecht
zusteht. Hat er sein materielles Abwehrrecht verwirkt, dann mögen sein
Widerspruch und seine Klage zwar zulässig sein, sie sind jedoch nicht begründet,
weil er seine materielle Rechtsposition verloren hat. Ist dagegen das
Verfahrensrecht verwirkt, dann mag dem Nachbarn die materielle Rechtsposition
zwar zustehen, er hat aber nicht mehr die Möglichkeit, diese in einem
Rechtsbehelfsverfahren (zumindest in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren
gegen die Genehmigungsbehörde) auch durchzusetzen. Vorliegend geht es jedoch
allein um die Verwirkung des Verfahrensrechts auf Widerspruch. Jedenfalls insoweit
erscheinen die Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts auch fragwürdig, weil
sie in letzter Konsequenz bedeuten würden, dass der Bauherr bzw. Betreiber einer
Anlage - der in der Regel ein erhebliches auch wirtschaftliches Interesse hat, sein
Vorhaben sofort ab Genehmigung durchzuführen - mit dem Beginn des Vorhabens
etwa ein Jahr warten müsste, um sicherzugehen, ob der Nachbar Widerspruch
einlegt. Dabei kann er gerade dann, wenn er nicht zu bauen anfängt, noch nicht
einmal sicher sein, dass der Nachbar während dieses Zeitraums von seinem
Vorhaben erfährt - es sei denn, dass dem Nachbarn die Genehmigung
bekanntgegeben wird. Selbstverständlich geht derjenige, der sein Vorhaben
unmittelbar nach Genehmigungserteilung verwirklicht, das Risiko ein, dies alles
wieder rückgängig machen zu müssen, wenn der Nachbar mit einem Rechtsbehelf
Erfolg hat. Davon unabhängig muss er aber darauf vertrauen können, dass ihm
jedenfalls nach einem längeren Zeitraum der Untätigkeit seitens des Nachbarn
von dort kein Angriff gegen sein Vorhaben mehr droht.
Vorliegend war das Widerspruchsrecht der Klägerin gegen die am 10.01.2001
angezeigte Erhöhung der Produktionskapazität durch Umbau der Papiermaschine
bei Einlegung des Widerspruchs am 27.05.2007 verwirkt, weil sie länger als 1 Jahr
vor diesem Datum die Möglichkeit hatte, von dieser Änderung und deren Anzeige
Kenntnis zu nehmen. Denn der Beklagte hatte der Vorsitzenden des Vereins …,
Frau E., bereits am 09.05.2005 mitgeteilt, dass 2001 eine geplante
Kapazitätserhöhung von 250.000 Mg/a auf 300.000 Mg/a. nach § 15 BImSchG
angezeigt worden sei und diesbezüglich ein Genehmigungsverfahren nach § 16
BImSchG nicht stattgefunden habe. Des weiteren hatte der Beklagte am
07.11.2005 dem durch Frau E. bevollmächtigten Rechtsanwalt mitgeteilt, dass die
letzten Umbaumaßnahmen an der Anlage im Jahr 2001 mit einer damals
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letzten Umbaumaßnahmen an der Anlage im Jahr 2001 mit einer damals
geplanten (erreichbaren) Kapazität von 300.000 Mg/a nach § 15 BImSchG
angezeigt worden seien. Die Klägerin hatte zuvor am 21.05.2004 den Verein …,
vertreten durch dessen Vorsitzende, Frau E., bevollmächtigt, ihre Interessen zu
vertreten und dafür auch Rechtsbeiständen Untervollmacht zu erteilen. Deshalb
muss sich die Klägerin die Kenntnis, welche Frau E. bzw. der von ihr
bevollmächtigte Rechtsanwalt am 09.05. bzw. 07.11.2005 erlangt haben,
zurechnen lassen. Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass sich ihre
Vollmacht vom 21.05.2004 nur darauf bezog, sie in dem seinerzeit anhängigen
Genehmigungsverfahren zur Änderung und Erweiterung des Heizkraftwerks der
Beigeladenen zu vertreten. Denn für Frau E. und den bevollmächtigten
Rechtsanwalt war es im Zuge dieses Verfahrens offenbar von Bedeutung zu
erfahren, welche Kapazitäten der Papierproduktion der Beigeladenen aktuell
genehmigt waren. Nachdem ihnen vom Beklagten die entsprechenden Auskünfte
erteilt worden waren, konnten sie prüfen, ob sie gegen diese
Produktionskapazitäten und deren formelle Legalisierung vorgehen wollten. Selbst
wenn es dabei zunächst nur darum gegangen sein mag, welchen Einfluss ein
solches Vorgehen auf die Erfolgsaussichten ihrer Einwendungen gegen das
Heizkraftwerk haben könnte, so vertraten der Verein und der von ihm
bevollmächtigte Rechtsanwalt in diesem Genehmigungsverfahren jedenfalls die
Interessen der Klägerin als einer von dem Unternehmen der Beigeladenen
betroffenen Eigentümerin und Bewohnerin benachbarter Grundstücke. Wenn sie im
Zuge des anhängigen Genehmigungsverfahrens auf Vorgänge aufmerksam
wurden, die außerhalb der angegriffenen Änderung und Erweiterung des
Heizkraftwerks die Belange der Klägerin als Grundstückseigentümerin und
Anwohnerin berührten, dann mussten sie die Klägerin davon in Kenntnis setzen.
Zudem müsste die Klägerin dann, wenn sie ohne Einschaltung eines
Bevollmächtigten selbst in dem Genehmigungsverfahren des Heizkraftwerks
aufgetreten wäre, sich die im Zuge des Verfahrens vom Beklagten erteilte
Information über die 2001 angezeigten Änderungen der Papier-
Produktionskapazität zurechnen lassen, und sie kann sich - vor allem im Rahmen
des nachbarschaftlichen Treueverhältnisses - dadurch nicht besser stehen, dass
sie Dritte mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragt hat. Vielmehr muss sie
sich die Kenntnis ihrer Bevollmächtigten wie eine eigene Kenntnis zurechnen
lassen.
Da das Widerspruchsrecht der Klägerin somit verwirkt ist, kann dahinstehen, ob sie
ihr Rechtsschutzziel, Beeinträchtigungen abzuwehren, die für ihr Eigentum bzw.
ihre Person von der Anlage ausgehen, mit der gegen die Anzeige vom 10.01.2001
erhobenen Klage überhaupt erreichen kann. Denn die Wirkung der Mitteilung nach
§ 15 Abs. 2 BImSchG bzw. der bei Stillschweigen eintretenden Erlaubnisfiktion
erschöpft sich darin, dass es dem Träger des Vorhabens erlaubt ist, die
Änderungen vorzunehmen, ohne hierfür ein Genehmigungsverfahren durchführen
zu müssen. Darin liegt keine Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit - d.h.
die Vereinbarkeit der Änderungen mit materiellem Recht. Deshalb tritt auch die
Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG nicht ein (Jarass, a.a.O., § 15 Rdn. 31 m.
weit. Nachw.), so dass vorliegend für den Bau der Halle zusätzlich eine
Baugenehmigung eingeholt werden musste. Eine erfolgreiche Anfechtung des
Verhaltens der Genehmigungsbehörde auf die Anzeige vom 10.01.2001 hin würde
daher nur dazu führen, dass nunmehr ein Genehmigungsverfahren durchzuführen
wäre - was die Klägerin auch folgerichtig beantragt hat. Es fragt sich jedoch, ob ein
Drittbetroffener einen Anspruch lediglich auf Durchführung eines
Genehmigungsverfahrens - in welchem dann freilich seine Belange mit zu prüfen
wären - erheben kann, oder ob er nur die konkrete Verletzung materiellen Rechts
geltend machen und die Beseitigung der hierdurch für ihn eintretenden
Beeinträchtigung verlangen kann. Gerade gegenüber Änderungen, die lediglich
nach § 15 BImSchG angezeigt wurden, kommt zur Beseitigung materieller
Rechtsverletzungen die nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG in Betracht,
welcher der Betreiber nicht die Bestandskraft einer Genehmigung - und erst recht
nicht die Erlaubniswirkung nach § 15 Abs. 2 BImSchG - entgegenhalten kann.
Jedenfalls dann, wenn ein Drittbetroffener erfolgreich geltend machen kann, dass
die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1, Satz 1, Nr. 1. BImSchG ihm gegenüber verletzt
ist, wird er auch Anspruch auf Erlass einer Anordnung nach § 17 BImSchG erheben
können. Da gemäß § 17 Abs. 1, Satz 1 BImSchG die nachträgliche Anordnung
auch nach Bestandskraft der Genehmigung ergehen kann und nach § 17 Abs. 1
Satz 2 BImSchG u. a. dann ergehen soll, wenn sich herausstellt, dass die
Nachbarschaft nicht ausreichend geschützt ist, wird ein Nachbar sie bei Vorliegen
dieser Voraussetzungen auch dann beanspruchen können, wenn er sein
verfahrensrechtliches Abwehrrecht gegen die Genehmigung verwirkt hat. Mit
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verfahrensrechtliches Abwehrrecht gegen die Genehmigung verwirkt hat. Mit
Schriftsatz des damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin vom
03.07.2007 war u. a. auch der Erlass einer Anordnung nach § 17 BImSchG
beantragt worden. Der Beklagte hat hierüber aber in dem angegriffenen Bescheid
vom 21.12.2007 nicht entschieden, und es hat die Klägerin diesbezüglich auch
keine Untätigkeitsklage erhoben, so dass ein eventueller Anspruch auf Erlass einer
Anordnung nach § 17 BImSchG nicht Gegenstand des hier anhängigen
Verwaltungsstreitverfahrens ist.
Nach allem ist die Klage abzuweisen, und die Klägerin trägt gemäß § 154 Abs. 1
VwGO die Kosten des Verfahrens, weil sie unterlegen ist. Dabei entspricht es nicht
der Billigkeit, außergerichtliche Aufwendung der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3
VwGO der Klägerin oder der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Beigeladene keinen
Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3
VwGO) und auch im Übrigen - abgesehen von ihrer Teilnahme an der mündlichen
Verhandlung - nicht zu ihrer Rechtsverteidigung tätig geworden ist. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der
Kosten ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
Für die Klage als Drittbetroffene wird - nachdem es vorliegend lediglich um die
Wirkung einer Anzeige nach § 15 BImSchG geht, abweichend vom
Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - gemäß § 52 Abs. 2 GKG der
Auffangstreitwert festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.