Urteil des VG Kassel vom 02.11.2009

VG Kassel: bundesamt für migration, vergütung, klagebegehren, gebühr, hauptsache, behörde, asylverfahren, obsiegen, abschiebung, flüchtlingseigenschaft

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Gericht:
VG Kassel 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 1059/09.KS.A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 30 S 1 RVG, § 45 Abs 1 RVG,
§ 48 Abs 1 RVG, § 30 S 3 RVG,
§ 60 Abs 7 AufenthG 2004
(Asylverfahren; Rechtsanwaltsvergütung; teilweise PKH-
Bewilligung - Abschiebungsschutz)
Leitsatz
1. Der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten
Rechtsanwalts bestimmt sich gemäß § 48 Abs. 1 RVG nach den Beschlüssen, durch die
Prozesskostehilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist.
Wenn Prozesskostenhilfe nur teilweise gewährt und demgemäß ein
Prozessbevollmächtigter nur teilweise beigeordnet wurde, das Klagebegehren aber im
vollen Umfang gerichtlich geltend gemacht wurde, sind daher die von der Staatskasse
zu vergütenden Gebühren des Prozessbevollmächtigten aus einem "besonderen
Prozesskostenhilfestreitwert" zu errechnen.
2. Dies gilt auch in Asylrechtsstreitigkeiten, wenn die Feststellung von
"Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" eingeklagt wurde und die
Klage nur hinsichtlich § 60 Abs. 7 AufenthG Aussicht auf Erfolg hatte. Ungeachtet
dessen, dass § 30 RVG für den Gegenstandswert nicht differenziert, ob eines oder
mehrere Abschiebungshindernisse geltend gemacht werden, muss es bei der
Vergütung nach §§ 45 ff. RVG im Wege der Wertreduzierung berücksichtigt werden, dass
die Beiordnung nur für einen Teil des Streitgegenstands erfolgte.
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts
Kassel vom 28.08.2008 wird zurückgewiesen.
Der Erinnerungsführer hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die am 01.09.2008 bei Gericht eingegangene Erinnerung gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.08.2008 ist gemäß § 56 Abs. 1 RVG
zulässig. Über diese Erinnerung entscheidet nach § 55 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i. V.
m. § 33 Abs. 8 RVG das Gericht durch Beschluss des Einzelrichters.
Sie ist jedoch nicht begründet, da die dem Erinnerungsführer als beigeordnetem
Rechtsanwalt im Prozesskostenhilfeverfahren aus der Landeskasse zustehende
Vergütung (vgl. § 45 Abs. 1 RVG) im Beschluss vom 28.08.2008 richtig berechnet
wurde.
Im Asylrechtsstreit 7 E ..../...A wurde Klage erhoben mit dem Antrag, für die beiden
Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
festzustellen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat dann mit Bescheid
vom 30.04.2008 festgestellt, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach §
60 Abs. 7 AufenthG vorliegt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60
Absätzen 2, 3 und 5 AufenthG aber ausdrücklich verneint. Daraufhin haben die
Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt
erklärt. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20.05.2008 wurden die Kosten
des in der Hauptsache erledigten Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte
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des in der Hauptsache erledigten Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte
auferlegt, und es wurde den Klägern unter Beiordnung des Erinnerungsführers
Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bezüglich der Klage auf Feststellung
eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG bewilligt. Im Übrigen
wurde der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt. Die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle hat daraufhin die dem Erinnerungsführer zustehende Vergütung
ausgehend von einem Gegenstandswert von 1.200,- € berechnet. Nach § 30 Satz
1 RVG beträgt der Gegenstandswert in Streitigkeiten nach dem
Asylverfahrensgesetz 3.000,- €, sofern das Asylrecht oder die
Flüchtlingseigenschaft eingeklagt werden, und 1.500,- € in „sonstigen
Klageverfahren“. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren
beteiligt, dann erhöht sich nach § 30 Satz 3 RVG der Wert für jede weitere Person
in Klageverfahren um 900,- €. Der Erinnerungsführer weist darauf hin, dass
hiernach der Gegenstandswert für eine ausschließlich auf Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. Abs. 7 AufenthG gerichtete Klage bereits (bei
2 Klägern) 2.400,- € betrage. Da bezüglich § 60 Abs. 7 AufenthG
Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, müsse auch dieser Wert zugrunde gelegt
werden und dürfe nicht halbiert werden.
Diese Auffassung ist unzutreffend, da vorliegend eben nicht nur die Feststellung
eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG eingeklagt war, sondern
die Feststellung, dass „Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG
vorliegen“. Die Absätze 2, 3, 4, 5 und 7 des § 60 AufenthG enthalten jedoch
unterschiedliche Tatbestände, bei deren Vorliegen jeweils eine Abschiebung nicht
erfolgen darf. Es ist somit denkbar, dass mehrere dieser Tatbestände verwirklicht
sind. Fällt später eines dieser Abschiebungshindernisse weg, dann bleibt die
Abschiebung weiterhin wegen des fortbestehenden Abschiebungshindernisses
unzulässig. Insofern macht es für das Prozessrisiko einen Unterschied, ob lediglich
die Feststellung eines bestimmten Abschiebungsverbots (z. B. § 60 Abs. 7
AufenthG) oder - wie vorliegend geschehen - die Feststellung von
Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG eingeklagt wird. In diesem
Falle muss - sofern nicht sämtliche Verbotstatbestände der Absätze 2, 3, 4, 5 und
7 (Abs. 6 enthält keinen Verbotstatbestand) vorliegen - mit einer teilweisen
Klageabweisung gerechnet werden. So hatte im vorliegenden Fall die Klage auch
nur hinsichtlich der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7
AufenthG Aussicht auf Erfolg, so dass Prozesskostenhilfe nur teilweise, und nicht
für den gesamten Streitgegenstand, bewilligt werden konnte.
Der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten
Rechtsanwalts bestimmt sich gemäß § 48 Abs. 1 RVG nach den Beschlüssen,
durch die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder
bestellt worden ist. Wenn Prozesskostenhilfe nur teilweise gewährt und demgemäß
ein Prozessbevollmächtigter nur teilweise beigeordnet wurde, das Klagebegehren
aber im vollen Umfang gerichtlich geltend gemacht wurde, sind daher die von der
Staatskasse zu vergütenden Gebühren des Prozessbevollmächtigten aus einem
"besonderen Prozesskostenhilfestreitwert" zu errechnen. Die "gesetzlichen
Gebühren" werden in diesem Fall nur aus dem Wert berechnet, der dem Wert des
Teilstreitgegenstandes bzw. Teilklagebegehrens entspricht, für den bzw. für das
Prozesskostenhilfe gewährt und für den der Prozessbevollmächtigte beigeordnet
wurde (ThüringerFG, Beschluss vom 29.11.2007 - 4 Ko 542/07 - juris). Dies gilt
auch im Rahmen des § 30 RVG, der für Asylrechtsstreitigkeiten ideelle
Gegenstandswerte festsetzt, ohne zwischen einem und mehreren eingeklagten
Abschiebungsverboten zu differenzieren. Der Gegenstandswert bleibt hier gleich,
egal ob nur eines oder mehrere Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG eingeklagt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass bei streitiger
Entscheidung die Klage teilweise abzuweisen ist, wenn einige der eingeklagten
Abschiebungsverbote nicht vorliegen, und sich dies dann auch in der
Kostenentscheidung niederschlägt - d.h. der Rechtsanwalt berechnet seine Gebühr
zwar vom vollen Gegenstandswert, erhält sie aber von der Gegenseite nur zu
einem dem Obsiegen entsprechenden Bruchteil erstattet. Bei der Vergütung im
Prozesskostenhilfeverfahren ist eine solche erfolgsabhängige Quotelung nicht
möglich. Vielmehr werden die Erfolgsaussichten der Klage bereits im
Bewilligungsverfahren geprüft und berücksichtigt - mit dem Ergebnis, dass die
Bewilligung und Beiordnung nur teilweise erfolgt. Dies muss sich dann auch bei der
Vergütung auswirken, da die Beiordnung eben nicht für den gesamten
Streitgegenstand, sondern nur für einen Teil davon erfolgte. Wäre z. B. nur ein
Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG eingeklagt worden, dann hätte
dies bei streitiger Entscheidung zum vollen Obsiegen mit vollständiger
Kostenerstattungspflicht der Gegenseite, und im Prozesskostenhilfeverfahren zur
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Kostenerstattungspflicht der Gegenseite, und im Prozesskostenhilfeverfahren zur
uneingeschränkten Bewilligung von Prozesskostenhilfe geführt.
Ebenfalls zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei der
Festsetzung der Vergütung des Erinnerungsführers die geltend gemachte
Erledigungsgebühr nicht berücksichtigt, weil der Tatbestand der Entstehung einer
Erledigungsgebühr nicht gegeben ist.
Gemäß Nr. 1002 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum RVG, die nach der
einschlägigen Rechtsprechung dem früheren § 24 BRAGO entspricht, entsteht die
Gebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder
Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die
anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz
oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.
Voraussetzung ist also eine irgendwie geartete Mitwirkung des Anwalts, „… wenn
seine Tätigkeit nicht hinweggedacht werden kann“ (Bay. VGH, Beschluss vom
19.01.2007 - 24 C 06.2426 - NVwZ-RR 2007, 497; OVG Koblenz, Beschluss vom
18.12.2007 - 2 E 11030/07- ). Da andererseits die Gebühr auch als Erfolgsgebühr
bezeichnet wird, reicht auch ein geringfügiger Beitrag, wenn er in irgendeiner Weise
ursächlich war. Dies vor allem dann, wenn der Anwalt auf seinen Mandanten
einwirkt (Klagerücknahme oder vollständige Erledigungserklärung eines nur
teilweise erledigten Rechtsstreits gegen entsprechendes Entgegenkommen der
Behörde). Im vorliegenden Verfahren hat der Erinnerungsführer in dem
Schriftsätzen vom 18.12.2007 sowie vom 20.03. und 21.04.2008 die Beklagte
lediglich um Prüfung gebeten, ob der Klage auf Feststellung eines
Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wie bereits in anderen
Verfahren durch Klaglosstellung abgeholfen werden könne, nachdem diesen Bitten
Ausführungen vorangegangen waren, die allein dem Zweck dienten, die Klage zu
begründen und ihr damit - notfalls durch eine Gerichtsentscheidung - zum Erfolg
zu verhelfen. Die Klaglosstellung ist darauf zurückzuführen, dass die Beklagte des
Verfahrens 7 E ..../...A sich - angesichts dessen, dass die Kammer bei Somaliern in
aller Regel ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG zuerkennt - in
zutreffender Einschätzung des Ausgangs des Verfahrens bei streitiger
Entscheidung zu einer Klaglosstellung entschlossen hat. Daran mitgewirkt im
Sinne einer die Erledigungsgebühr allein rechtfertigenden Mehrarbeit, die über das
normale Betreiben des Gerichtsverfahrens mit der Vorlage einer Klagebegründung
hinaus gehen würde, hat der Erinnerungsführer allerdings nicht.
Zu Unrecht meint der Erinnerungsführer, dass ein den Erfolg der unstreitigen
Erledigung herbeiführendes Handeln darin bestanden habe, den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt zu erklären, obwohl in dem Abhilfebescheid vom
30.04.2008 dem Klagebegehren nur teilsweise - nämlich nur hinsichtlich § 60 Abs.
7 AufenthG - entsprochen wurde. Eine derartige, den Erfolg herbeiführende
Mitwirkung liegt nur dann vor, wenn die vollständige Erledigungserklärung trotz nur
teilweiser Abhilfe ein zwischen dem Kläger und der Behörde ausgehandeltes
wechselseitiges Entgegenkommen darstellt (vgl. hierzu die entsprechenden
Ausführungen in dem zit. Beschluss des BayVGH), indem der Kläger durch den
Verzicht auf die Weiterverfolgung des in der Sache an sich nicht erledigten
Verfahrensteils die Behörde von einem hier bestehenden Prozessrisiko befreit.
Vorliegend hat die Beklagte des Verfahrens 7 E ..../...A jedoch einseitig ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt und das Vorliegen
weiterer Abschiebungsverbote verneint. Die daraufhin vom Erinnerungsführer
abgegebene Erledigungserklärung geschah in der zutreffenden Einschätzung, dass
eine Fortsetzung des Rechtsstreits bezüglich weiterer Abschiebungsverbote
keinerlei Aussicht auf Erfolg bot.
Nach allem konnte die Erinnerung keinen Erfolg haben, so dass sie mit der
Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zurückgewiesen wird. Die
Gerichtsgebührenfreiheit folgt aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG, der auch für
Nebenverfahren zum eigentlichen Asylstreitverfahren gilt. Dieser Beschluss ist
gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.