Urteil des VG Kassel vom 20.08.2003

VG Kassel: aufschiebende wirkung, genehmigungsverfahren, verordnung, öffentlich, infrastruktur, erhaltung, rechtsschutz, bauaufsicht, baurecht, aufgabenbereich

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Gericht:
VG Kassel
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 G 2478/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 28 Abs 2 GG, BImSchV 4
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom
21.08.2002 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 07.08.2002, Az.: ...
gegen die der Firma ... GmbH, ...-Straße 5, ..., erteilte Genehmigung zur Errichtung
von drei Windkraftanlagen in der Stadt ..., Gemarkung ..., Flur 2, Flurstücke 61/13
und 61/14, anzuordnen,
hat keinen Erfolg, da der Antragsteller durch die von ihm mittels Widerspruch und
Klage angegriffene Genehmigung nicht in seinen Rechten betroffen ist.
Dadurch, dass dem Antragsteller in seiner Eigenschaft als Bauaufsichtsbehörde
das Genehmigungsverfahren für das nunmehr von ihm angegriffene Vorhaben,
welches anfänglich vom Antragsteller als Bauvoranfrage bearbeitet wurde, "aus
der Hand genommen" wurde, werden Rechte des Antragstellers nicht verletzt. Die
Bauaufsicht ist Aufgabe des Staates (§ 60 Abs. 1 der im Zeitpunkt der Erteilung
der angegriffenen Genehmigung noch geltenden Hessischen Bauordnung in der
Fassung vom 16.12.1993 - GVBl. I, S. 655 - HBO 1993), die dem Landkreis als
unterer Bauaufsichtsbehörde zur Erfüllung nach Weisung übertragen worden ist (§
60 Abs. 2 Satz 2 HBO 1993). Die Weisungsbefugnis der Landesbehörden
gegenüber der unteren Bauaufsichtsbehörde besteht allerdings nach § 61 Abs. 6
HBO 1993 im Einzelfall nur dann, wenn die untere Bauaufsichtsbehörde ihre
Aufgaben nicht im Einklang mit dem öffentlichen Recht wahrnimmt. Somit fragt
sich, ob die Durchführung der Weisungsaufgaben der Bauaufsicht, jedenfalls soweit
sie im Einklang mit dem öffentlichen Recht erfolgt, durch die
Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 Abs. 2 Satz 2 GG geschützt wird und
demzufolge die Erteilung einer Genehmigung in einem Verfahren, welches in die
Zuständigkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde fällt, durch eine hierfür nicht
zuständige Landesbehörde in die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte
Rechtsposition des Landkreises eingreift.
Dieser Frage braucht jedoch vorliegend nicht weiter nachgegangen werden. Denn
mit der Neufassung der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen -
4. BImSchV) vom 27.07.2001 (BGBl. I, S. 1550) wurden u.a. Windfarmen mit 3 bis
weniger als 6 Windkraftanklagen der Genehmigungspflicht nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz (BImSchG) unterworfen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 4.
BImSchVi.V.m. Nr. 1.6., Spalte 2 des Anhangs). Dies trifft auf das angegriffene
Vorhaben zu, da es sich um 3 Windkraftanlagen handelt, die gemeinsam errichtet
und betrieben werden sollen. Da gemäß § 13 BImSchG die dortige Genehmigung
andere, die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen, insbesondere
öffentlich-rechtliche Genehmigungen, einschließt, endete mit der Einstufung des
Vorhabens als genehmigungspflichtige Anlage nach dem BImSchG die
Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der hessischen
Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz obliegt die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem
BImSchG und den hierzu erlassenen Rechtsverordnungen dem
Regierungspräsidium, soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt. Soweit in
§ 2 der Zuständigkeitsverordnung Aufgaben den Landkreisen zugewiesen werden,
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§ 2 der Zuständigkeitsverordnung Aufgaben den Landkreisen zugewiesen werden,
handelt es sich nicht um Genehmigung von Anlagen. Dies hat übrigens auch die
untere Bauaufsichtsbehörde des Antragstellers mit Schreiben vom 25./28.09.2001
eingeräumt und das Genehmigungsverfahren zuständigkeitshalber an den
Antragsgegner abgegeben.
Sodann verleiht die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG dem
Antragsteller nicht die Befugnis, Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes bzw.
der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes bzw. sonstiger
öffentlicher Belange, die von dem genehmigten Vorhaben ausgehen könnten, im
Wege des Drittwiderspruchs gegen die Genehmigung geltend zu machen. Denn
die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände besteht gemäß Art. 28 Abs.
2 Satz 2 GG nur "im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe
der Gesetze".
Der Antragsteller wendet sich - seinem Vortrag zufolge - vor allem deshalb gegen
das strittige Vorhaben, weil er in dem von den Windkraftanlagen hervorgerufenen
Eingriff in das Landschaftsbild eine Beeinträchtigung des naturnahen Tourismus
sieht, der einen wichtigen Wirtschaftfaktor für das Kreisgebiet darstelle, sowie
allgemein der Lebensqualität der Einwohner, die durch ein für diese Region
typisches besonders natürliches und unberührtes Landschaftsbild mit geprägt
werde. Da es nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Hessischen Gemeindeordnung zu den
Aufgaben der Gemeinden gehört, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern, und die
Landkreise gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 der Hessischen Landkreisordnung diese
Aufgaben wahrnehmen, soweit sie über die Leistungsfähigkeit der
kreisangehörigen Gemeinden hinausgehen, gehören gemeindeübergreifende
Aufgaben der Wirtschaftsförderung sowie der Erhaltung und Verbesserung der
Infrastruktur im Zweifel zum "gesetzlichen Aufgabenbereich" der Landkreise i.S.v.
Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG. Hierzu zählen zunächst Maßnahmen, durch welche die
Wirtschaftstätigkeit und die Infrastruktur aktiv unterstützt werden. Soweit der
Landkreis allerdings in Verfolgung seiner Verantwortung für diese
Aufgabenbereiche restriktiv tätig werden will, indem er gegen ein bestimmtes
Vorhaben vorgeht, garantiert ihm dies Art. 28 Abs. 2 Satz 2 nur "nach Maßgabe
der Gesetze"; er ist also an das durch die geltenden Gesetze zur Verfügung
gestellte Instrumentarium und vor allem die einschlägig geregelten
Verfahrensformen gebunden. Schließlich hat jeder Bürger im Kreisgebiet das
Recht, im Rahmen der geltenden Gesetze Wirtschaftstätigkeit zu entfalten sowie
sein Grundeigentum zu nutzen, z.B. darauf Bauvorhaben zu verwirklichen oder
sonstige Anlagen zu errichten. Sofern der Landkreis nicht als Träger individueller
"privater" Rechte (etwa als Eigentümer eines in der Nachbarschaft eines
bestimmten Vorhabens gelegenen Schulgebäudes) betroffen ist, kann er daher
restriktiv gegen ein bestimmtes Vorhaben nur vorgehen, soweit ihm einschlägige
Gesetze hierfür ausdrücklich Befugnisse und Zuständigkeiten verleihen.
Soweit ein bestimmtes Vorhaben einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung bedarf,
könnte der Landkreis selbst dann, wenn er selbst für die Erteilung der
Genehmigung zuständig ist, das Vorhaben nicht allein deshalb verhindern, weil es
den von ihm bei der Förderung der Wirtschaft und der Infrastruktur verfolgten
Zielen zuwiderläuft, sondern dürfte die Genehmigung nur versagen, wenn nach
den einschlägigen Normen die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht gegeben
sind. Ist dagegen - wie im vorliegenden Falle - eine andere Behörde für die
Genehmigung des Vorhabens zuständig, dann gehört es nicht mehr zu den dem
Landkreis nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG garantierten Befugnissen, die
Vereinbarkeit dieses Vorhabens mit den einschlägigen Normen des öffentlichen
Rechts - darunter auch den öffentlichen Belangen des Landschaftsschutzes und
der Erhaltung des Landschaftsbildes - zu prüfen. Lediglich soweit die jeweiligen
Vorschriften über das Genehmigungsverfahren die Beteiligung des Landkreises als
Träger bestimmter öffentlicher Belange vorsehen, kann er seinen Standpunkt zu
dem Vorhaben gegenüber der Genehmigungsbehörde darlegen. Dies geschieht
dann jedoch verwaltungsintern - d.h. der Landkreis wirkt hier auf Seiten der
Verwaltung unterstützend für die vom Gesetz bestimmte Genehmigungsbehörde
im Genehmigungsverfahren mit. Darin erschöpfen sich seine ihm "nach Maßgabe
der Gesetze" verliehenen und nur in diesem Umfang durch Art. 28 Abs. 2 Satz 2
GG geschützten Befugnisse, so dass er nicht außerdem noch "extern" im Wege
eines Rechtsbehelfs gegen die erteilte Genehmigung vorgehen und diese auf ihre
Vereinbarkeit mit materiellem Recht überprüfen lassen kann. Auch würde es dem
Gedanken der Konzentrationswirkung einer Genehmigung, die - wie im Falle des §
13 BImSchG - andere öffentlich-rechtliche Genehmigungen einschließt,
widersprechen, wenn diejenigen Behörden, deren Aufgabenbereiche von der
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widersprechen, wenn diejenigen Behörden, deren Aufgabenbereiche von der
Genehmigung mit erfasst werden, dann nochmals die Vereinbarkeit der
Genehmigung mit den von ihnen vertretenen Belangen in einem
Rechtsbehelfsverfahren überprüfen könnten.
Gemeinden gesteht die Rechtsprechung deshalb ein Drittwiderspruchsrecht gegen
Genehmigungen von Vorhaben bzw. Planfeststellungen oder sonstige
rechtsverbindliche Planungen (z.B. Ausweisung eines Naturschutzgebietes) nur bei
Eingriffen in ihre Planungshoheit zu (vgl. Hess.VGH, U.v. 11.02.2003 - 2 A 1062/01
- NVwZ 2003, S. 875 ff., 876 f. mit weiteren Nachweisen sowie BVerwG B.v.
05.11.2002 - 9 VR 14/02 - nV, erfasst bei juris; U.v. 07.06.2001 - 4 CN 1.01 -
BVerwGE 114, S. 301ff., 304). Insoweit weist § 1 Abs. 1 - 3 Baugesetzbuch (BauGB)
den Gemeinden ausdrücklich die Befugnis zu, die bauliche und sonstige Nutzung
der Grundstücke in der Gemeinde durch Bauleitpläne (Flächennutzungsplan und
Bebauungsplan) zu ordnen. Die den Gemeinden nach § 1 BauGB übertragene
Bauleitplanung geschieht in Ausübung ihres Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28
Abs. 2 GG, auf welches sich eine Gemeinde somit grundsätzlich berufen kann,
wenn ein bestimmtes Vorhaben in ihre Planungshoheit eingreift.
Dem Antragsteller als Landkreis verleihen die einschlägigen Gesetze dagegen
keine Planungshoheit, da das BauGB die Bauleitplanung den Gemeinden und das
Hessischen Landesplanungsgesetz (HLPG) die Landesplanung und Raumordnung
den Landesplanungsbehörden (§ 16 HLPG) bzw. den Regionalversammlungen (§
17 HLPG) zuweist. Letztere beschließen gemäß § 18 Abs. 2 HLPG u.a. die
Raumordnungspläne. Hieran ist der Antragsteller insofern beteiligt, als er gemäß §
18 Abs. 1 HLPG der Regionalversammlung für die Planungsregion Nordhessen
angehört. Die Planungshoheit liegt hier jedoch bei der Regionalversammlung als
solcher, die ihre Rechte gemäß § 18 Abs. 3 Satz 3 HLPG auch durch einen Antrag
auf Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten wahren kann. Soweit der
Antragsteller die Auffassung vertritt, dass der Regionalplan Nordhessen dem
Vorhaben entgegensteht, müsste und könnte dies somit nur die
Regionalversammlung geltend machen.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist daher abzulehnen. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des
Streitwertes auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1, Satz 2 GKG, wobei als
Hauptsachestreitwert der Auffangstreitwert in Höhe von € 4000,- zugrundezulegen
ist, der im Eilverfahren halbiert wird.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.