Urteil des VG Kassel vom 15.09.2008

VG Kassel: aufschiebende wirkung, aufenthaltserlaubnis, abschiebung, ausländerrecht, aussetzung, duldung, gesetzeslücke, entstehungsgeschichte, staat, dokumentation

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Gericht:
VG Kassel 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 L 1259/08.KS
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 34 Abs 2 AufenthG 2004, §
60a Abs 2 AufenthG 2004, §
81 Abs 3 AufenthG 2004, § 81
Abs 4 AufenthG 2004, § 123
Abs 1 VwGO
Verspätet gestellter Antrag auf Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis
Leitsatz
Wird ein Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ablauf des
vorhergehenden Aufenthaltstitels gestellt, kann einstweiliger Rechtsschutz nur nach §
123 Abs. 1 VwGO, nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage (4 K 987/08.KS) gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 20.06.2008 anzuordnen,
ist unzulässig, soweit die Klage sich gegen die Versagung der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis richtet. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen
Rechtsschutzantrags wäre nämlich ein rechtzeitiger Antrag zur Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis vom 01.04.2005 gewesen. In diesem Fall hätte der Antrag auf
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4
AufenthG ausgelöst mit der Folge, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der
richtige Rechtsbehelf ist. Von rechtzeitiger Antragstellung kann aber nicht
ausgegangen werden. Denn die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltserlaubnis
vom 01.04.2005 hatte nur bis zum 01.10.2005 Geltung. Der angefochtene
Bescheid lehnt aber einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom
06.10.2005 ab; erst ab diesem Zeitpunkt sind auch Fiktionsbescheinigungen
ausgestellt worden. Dabei geht das Gericht zugunsten des Antragstellers im
vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass dieser
überhaupt einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gestellt hat,
was durchaus fraglich sein kann, da sich in den Verwaltungsvorgängen der
Antragsgegnerin ein solcher Antrag nicht findet und dieser auch auf Verfügung des
Gerichts vom 04.09.2008 nicht vorgelegt worden ist.
Der danach jedenfalls verspätet gestellte Antrag auf Verlängerung seiner
Aufenthaltserlaubnis löst die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht aus.
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach Voraussetzung
der Fiktionswirkung ein Verlängerungsantrag ist. Ist der vorhergehende
Aufenthaltstitel aber vor Antragstellung abgelaufen, kommt eine Verlängerung des
Titels nicht mehr in Betracht ( Renner, Ausländerrecht, 2005, § 8 AufenthG Rdnr.
11; GK-AufenthG, Stand 2008, § 81 AufenthG Rdnr. 43). Auch die
Entstehungsgeschichte der Vorschrift, wonach die zunächst für die verspätete
Antragstellung wie bei § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG vorgesehene Duldung gestrichen
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Antragstellung wie bei § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG vorgesehene Duldung gestrichen
worden ist (vgl. im Einzelnen Renner, a.a.O., § 81 Rdnr. 19 ff.), lässt keine andere
Auslegung zu. Und in der Sache führte die Annahme, auch die verspätete
Antragstellung löse die Fiktionswirkung aus, zu dem nicht nachvollziehen Ergebnis,
dass es dann in der Hand des Ausländers läge, zu einem ihm günstig
erscheinenden Zeitpunkt durch die Antragstellung die Fiktionswirkung auszulösen
(im Ergebnis wie hier Renner, a.a.O., § 81 AufenthG Rdnr. 18 ff.; GK-AufenthG,
a.a.O., § 81 Rdnr. 43 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2008, § 81 AufenthG
Rdnr,.25 ff.; a.A.Dienelt, Die Titelfunkton des § 81 Abs. 4 AufenthG bei verspäteter
Antragstellung, InfAuslR 2005, 136; OVG Münster, Beschluss vom 23.03.2006 - 18
B 120/06 -, InfAuslR 2006, 448; VG Darmstadt, Beschluss vom 12.04.2006 - 8 G
303/06 -, Juris). Auch die gleichwohl durch die Antragsgegnerin ausgestellten
Fiktionsbescheinigungen ändern daran nichts, weil diese nur deklaratorischen
Charakter haben (BVerwG, Beschluss vom 03.06.1997 - 1 C 7.96 - , InfAuslR 1997,
391). Soweit erwogen wird, bei nur geringfügig verspäteter Antragstellung zur
Vermeidung unzuträglicher Ergebnisse mit einer analogen Anwendung von § 81
Abs. 3 S. 2 AufenhtG zu helfen (Hailbronner, a.a.O., § 81 Rdnr.. 81; Renner, a.a.O.,
§ 81 Rdnr. 24), steht dem der Umstand entgegen, dass angesichts der
ausdrücklichen Regelung für verspätete Anträge in § 81 Abs. 3 S. 2 AufenthG und
der Gesetzgebungsgeschichte eine Gesetzeslücke nicht begründet werden kann
(Hailbronner, a.a.O., § 81 AufenthG Rdnr. 28, Renner. a.a.O., § 81 AufenthG Rdnr.
23).
Der hilfsweise gestellte sinngemäße Antrag,
der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1
VwGO aufzugeben, bis zur Entscheidung im Klageverfahren keine
Abschiebemaßnahmen zu ergreifen,
ist dagegen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Denn auch wenn man
davon ausgeht, dass angesichts der abgelaufenen Ausreisefrist ein
Anordnungsgrund gegeben ist, hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch
nämlich nicht glaubhaft gemacht.
Von Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung des
Antragstellers – dieser besitzt zur Zeit weder einen Aufenthaltstitel noch sonst ein
Aufenthaltsrecht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) – ist nur dann abzusehen, wenn die
Abschiebung des Antragstellers aus tatsächlichen oder rechtliche Gründen
unmöglich wäre (§ 60 a Abs. 2 S. 1 AufenthG) oder dringende humanitäre oder
persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die Anwesenheit des
Antragstellers im Bundesgebiet gebieten würden (§ 60 a Abs. 2 S. 3 AufenthG)
oder wenn der Antragsteller Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstiel hätte
und eine Sicherung dieses Anspruchs durch vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet
geboten wäre (Hailbronner, a.a.O., § 81 AufenthG Rdnr. 47 ff.; GK-AufenthG, a.a.O.,
§ 81 AufenthG Rdnr. 51). Das alles ist aber nicht der Fall.
Einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat der Antragsteller
nicht. Soweit davon auszugehen ist, dass sein Antrag vom 06.10.2005 darauf
zielte, eine Verlängerung seines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 34 Abs.
2 AufenthG zu erreichen, handelte es sich in der Sache aber um keinen
Verlängerungsantrag nach § 34 Abs. 3 AufenthG. Bei seinem nicht im
Geltungszeitraum des Aufenthaltstitels vom 01.04.2005, sondern nach dessen
Ablauf und damit verspätet gestellten Antrag kann es sich nämlich nicht um einen
Verlängerungsantrag mehr handeln – dies hätte fristgerechte Antragstellung
vorausgesetzt (Renner, Ausländerrecht, 2005, § 8 AufenthG Rdnr. 11) –, sondern
allenfalls um einen erneuten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Einen
Anspruch auf einen solchen Titel nach dem Abschnitt 6 des 2. Kapitels des
AufenthG, als der der Antrag offenbar gestellt werden sollte und auf den er
deshalb auch beschränkt ist (BVerwG, Urteil vom 04.09.2007 - 1 C 43.06 -
BVerwGE 129, 226), hat der Antragsteller nicht. Denn die Voraussetzungen für
einen Familiennachzug liegen nicht (mehr) vor und einen Anspruch auf ein
unbefristetes Aufenthaltsrecht nach § 35 AufenthG hat der Antragsteller nicht, weil
er nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist (§ 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AufenthG) und sein Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG). Der Antragsteller ist nämlich Bezieher von Leistungen nach dem SGB
II.
Die Abschiebung des Antragstellers ist auch weder aus tatsächlichen noch
rechtlichen Gründen unmöglich.
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Soweit der Antragsteller hat vortragen lassen, bei ihm sei eine
Nierentransplantation durchgeführt worden, ergibt sich daraus allein kein
rechtlicher Grund zur Aussetzung der Abschiebung. Soweit er damit auf
Gefährdungen seiner Gesundheit i.S.v. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG bei Rückkehr
nach Bosnien-Herzegowina und damit auch ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis hinweisen will, fehlt es an jeder Substantiierung einer
solchen Gefährdung, zumal die Transplantation, wie sich aus dem
Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin ergibt, schon 1996 stattgefunden hat.
Entsprechendes gilt auch im Hinblick darauf, dass er offenbar auf Medikamente
angewiesen ist. Der Antragsteller hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht,
auf welche Medikamente er angewiesen ist, und ebenso wenig, dass diese
Medikamente in Bosnien-Herzegowina nicht zu beziehen sind oder von ihm nicht
erworben werden könnten. Und es fehlt auch an jeder Darlegung, welche Folgen
die Nichteinnahme der Medikamente hätte.
Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung ergibt sich auch im Hinblick auf Art.
2 und 6 GG, Art. 8 EMRK nicht aus dem Umstand, dass sich der Kläger seit seinem
8. Lebensjahr im Bundesgebiet aufhält. Insoweit wird auf die ausführliche
Begründung in dem angefochtenen Bescheid (S. 4) verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO
entsprechend).
Der Antragsteller kann auch keinen sicherungsfähigen Anspruch auf Aussetzung
der Abschiebung nach § 60 a Abs. 2 S. 3 AufenthG geltend machen. Weder können
dringende humanitäre oder persönliche Gründe noch erhebliche öffentliche
Interessen angenommen werden und im übrigen fehlte es auch an den
Voraussetzungen für eine Reduzierung des der Antragsgegnerin bei dieser
Entscheidung zustehenden Ermessens auf Null.
Soweit sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im
Hinblick auf die in den angefochtenen Bescheid aufgenommene
Abschiebungsandrohung richtet, ist er als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar
zulässig, da die Aussetzung der aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs insoweit
durch Gesetz angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 16 HAGVwGO). Der Antrag
hat insoweit aber ebenfalls keinen Erfolg. Denn die Androhung der Abschiebung
des ausreisepflichtigen Antragstellers entspricht § 59 Abs. 1 AufenthG.
Abschiebungshindernisse liegen, wie dargelegt, nicht vor und ließen die
Abschiebungsandrohung im übrigen auch unberührt (§ 59 Abs. 3 S. 1 AufenthG).
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die es erfordern würden, den Staat,
in den der Antragsteller nicht abgeschoben werden darf, in der
Abschiebungsandrohung zu bezeichnen (§ 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG), gibt es, wie
dargelegt, nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 GKG. Dabei geht das Gericht für das
Hauptsacheverfahren vom Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG aus, der, wie
üblich, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert wird.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.