Urteil des VG Kassel vom 10.09.2004

VG Kassel: erlass, verwaltungsakt, anfechtungsklage, fristbeginn, quelle, immaterialgüterrecht, zivilprozessrecht, behörde, strafbefehl, unterzeichnung

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Gericht:
VG Kassel 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 E 1645/04-PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 52 Abs 2 BZRG, § 29 Abs 5
StVG, § 65 Abs 9 StVG
Leitsatz
In den durch § 65 Abs. 9 StVG geregelten Altfällen bestimmt sich der Fristbeginn nach §
29 Abs. 5 StVG n.F..
Gründe
Die Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; sie ist nämlich bereits
unzulässig.
Der eindeutige und nicht anders auslegbare Klageantrag richtet sich nämlich nur
gegen die Ablehnung der Fahrerlaubniserteilung als einem begünstigenden
Verwaltungsakt. Eine solche isolierte Anfechtungsklage ist dann, wenn es in der
Sache um den Erlass eines beantragten und von der Behörde abgelehnten
Verwaltungsaktes geht, angesichts der Spezialität der Verpflichtungsklage
regelmäßig ausgeschlossen; einer der in der Rechtsprechung anerkannten
Ausnahmefälle liegt nicht vor (s. dazu im Einzelnen: Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, 2003, § 42 Rdnr. 30).
Allerdings ist davon auszugehen - ohne dass es hierauf noch ankommt -, dass
auch eine auf Verpflichtung der Beklagten gerichtete Klage keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg hätte. Denn die Aufforderung der Führerscheinstelle des W.-
Kreises an die Klägerin im Schreiben vom 15.09.2003, sich einer medizinisch-
psychologischen Begutachtung zu unterziehen, ist rechtmäßig. Die
Voraussetzungen von § 13 Nr. 2 c FeV liegen in der Person der Klägerin nämlich
vor, wonach eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen ist, wenn
ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 o/oo
oder mehr geführt worden ist. Das ist bei der Klägerin im Hinblick auf den dem
Strafbefehl des AG W. vom 29.10.1993 zugrunde liegenden Sachverhalt der Fall.
Entgegen der Auffassung der Klägerin musste die Führerscheinstelle diesen
Umstand bei ihrer Entscheidung auch berücksichtigen. Das gilt auch, wenn man
davon ausgeht, dass die entsprechende Eintragung im Verkehrszentralregister
aufgrund von § 29 StVG und 13 a Abs. 2 Nr. 2 c StVZO in der seinerzeit geltenden
Fassung des Gesetzes nach Ablauf von 5 Jahren und damit nach dem 29.10.1998
gelöscht worden ist.
Allerdings dürften nach § 52 Abs.2 BZRG in der jetzt maßgeblichen Fassung, die
grundsätzlich im Rahmen einer Verpflichtungsklage auch zugrunde zu legen ist
(BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 3 C 14.01 -, NVwZ-RR 2002,93), frühere Taten in
einem Führerscheinerteilungsverfahren nach Maßgabe von § 28 bis 30a StVG
berücksichtigt werden. Danach ergäbe sich die Zulässigkeit einer Berücksichtigung
der Umstände im Rahmen einer 10jährigen Tilgungsfrist (§ 29 Abs. 1 Ziff.3 StVG).
Diese war aber zum Zeitpunkt der Aufforderung der Klägerin zur medizinisch-
psychologischen Begutachtung wie auch zum Ablauf der hierfür gesetzten Frist
und auch zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids noch nicht
abgelaufen, da diese Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 5 StVG in der zum Zeitpunkt
dieser Entscheidung maßgeblichen Fassung erst mit der Neuerteilung einer
Fahrerlaubnis, spätestens allerdings fünf Jahre nach der beschwerenden
Entscheidung beginnt.
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Aufgrund der Übergangsregelung in § 65 Abs. 9 S. 1 StVG in der seit dem
01.01.1999 geltenden Fassung (n.F.) ist allerdings für Eintragungen in das
Verkehrszentralregister vor dem 01.01.1999 nicht § 52 Abs. 2 BRZG in der seit
dem diesem Zeitpunkt geltenden Fassung (n.F.), sondern § 52 Abs. 2 BRZG in der
bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung anzuwenden. Nach dieser Vorschrift
können im Rahmen der Verfahren auf Neuerteilung von Fahrerlaubnissen auch im
Bundeszentralregister gelöschte Eintragungen unbegrenzt berücksichtigt werden,
wenn diese in das Verkehrszentralregister einzutragen waren. § 65 Abs. 9 S. 1, 2.
HS schränkt die unbeschränkte Berücksichtigungsfähigkeit für die genannten
Altfälle allerdings auf einen Zeitraum ein, " der einer zehnjährigen Tilgungsfrist
entspricht". Dieser Zeitraum war aber bei der Aufforderung an die Klägerin zur
medizinisch-psychologischen Begutachtung, dem Ablauf der hierfür gesetzten Frist
und auch dem Erlass des angefochtenen Bescheides jedenfalls dann noch nicht
verstrichen, wenn für die Berechnung des Beginns der Tilgungsfrist auch bei den
Altfällen die Regelung des Fristbeginns in § 29 Abs. 5 StVG n.F. - und nicht § 13a
Abs. 1 S. 2 StVZO a.F. mit der Festlegung des Beginns der Frist mit dem Tag der
Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter - zugrunde zu legen ist. Da
nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 14/4304) mit der Übergangsregelung
in § 65 Abs. 9 S. 1 StVG n.F. ein Gleichstand der Altfälle mit den Fällen, die nach
dem 01.01.1999 eingetragen werden, erreicht werden sollte (vgl. auch BVerwG,
Urteil vom 12.07.2001, a.a.O.; VGH Mannheim, Urteil vom 29.07.2003 - 10 S
2316/02 -, DAR 2003, 571) ist davon auszugehen, dass auch die - neuen -
Bestimmungen über den Beginn der Tilgungsfrist auf die Altfälle anzuwenden ist.
Dies ist mit dem Wortlaut von § 65 Abs. 9 S. 1 2. HS StVG n.F. auch ohne weiteres
zu vereinbaren (so auch OVG Saarlouis, Urteil vom 24.05.2004 - 1 R 25/03 -, juris).
Danach hätte die zehnjährige Frist von § 65 Abs. 9 S. 1 StVG n.F. erst am
30.10.1998 zu laufen begonnen mit der Folge, dass die Führerscheinstelle die
Verurteilung der Antragstellerin vom 29.10.1993 noch berücksichtigen musste.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.