Urteil des VG Karlsruhe vom 18.11.2016

genfer konvention, asylg, drittstaat, bundesamt

VG Karlsruhe Entscheidung vom 18.11.2016, A 3 K 2297/14
Zuerkennung von internationalem Schutz durch einen sicheren Drittstaat - zur Frage der
Rechtmäßigkeit der Rückführung in den Drittstaat
Leitsätze
Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt, dass einem Asylsuchenden, der in Griechenland
als Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt ist, kein Asylrecht zusteht und von einer
Abschiebungsanordnung nach Griechenland abgesehen, fehlt das Sachbescheidungsinteresse für eine isolierte
Aufhebung dieser Feststellung.
Auf die Frage, ob Griechenland für anerkannte Flüchtlinge ein sicherer Drittstaat ist, kommt es zumindest dann
nicht an, wenn der Asylsuchende in Griechenland anderweitige Sicherheit vor politischer Verfolgung gefunden
hat (hier: 10jähriger Aufenthalt in Griechenland).
Ein Asylsuchender, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz gewährt worden
ist, hat keinen Anspruch auf Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens in Deutschland. Ob die
Zuerkennung von internationalem Schutz durch einen sicheren Drittstaat iSd § 26a AsylG gewährt wird, ist
unerheblich, weil die Feststellung eines Abschiebungsverbots bezogen auf den Herkunftsstaat in der
Bundesrepublik Deutschland unabhängig von der Frage der Drittstaatsqualität Bindungswirkung entfaltet.
Ob die Rückführung in den Drittstaat rechtmäßig ist, ist im Rahmen der Abschiebungsanordnung bzw. -
androhung zu prüfen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der am … 1911 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger armenischer Volkszugehörigkeit. Er reiste
zusammen mit seinen Eltern, den Klägern im Verfahren 2299/14 im November 2012 von Griechenland
kommend in das Bundesgebiet ein und stellte am 05.12.2012 einen Asylantrag.
2 Der Kläger ist im Besitz eines Reiseausweises nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der in Griechenland
ausgestellt worden und für alle Länder außer dem Irak gültig ist. Der Reiseausweis ist von 09.05.2012 bis
08.05.2017 gültig.
3 Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am
06.12.2012 gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe zehn Jahre in Griechenland gelebt. Er habe keine
Schule besucht. Er habe bei einer großen Firma für BMW gearbeitet und sei im Jahr 2010 entlassen worden.
Er habe keine Sozial- und Krankenversicherung gehabt. Konkrete Probleme mit Behörden habe er in
Griechenland nicht gehabt. Seine beiden Brüder seien aus finanziellen Gründen in Griechenland geblieben.
Die Situation im Irak kenne er nur aus Erzählungen des Vaters; er sei damals noch klein gewesen.
4 Unter dem 25.06.2014 teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Bundesamt mit, dass eine
Rücküberstellung des Klägers mit den vorliegenden Reisepässen möglich sei.
5 Mit Bescheid vom 29.07.2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger in der Bundesrepublik
Deutschland kein Asylrecht zusteht (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an. Zur
Begründung wird ausgeführt, der Kläger könne sich aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat
gemäß Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, § 26a Abs. 1 S. 1 AsylVfG (jetzt: AsylG) nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG
berufen. Nach § 31 Abs. 4 AsylVfG seien außer dieser Feststellung keine weiteren Entscheidungen zu
treffen. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
6 Die Kläger hat am 11.08.2014 Klage erhoben. Er trägt vor, ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt
worden. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage könne er in Griechenland kein menschenwürdiges Leben
führen. Der Kläger beantragt wörtlich,
7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
29.07.2014 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen,
dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen,
höchsthilfsweise, festzustellen, dass die Abschiebungsanordnung unzulässig ist, soweit Griechenland als
Zielstaat ausgewiesen ist.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Mit Beschluss vom 27.10.2014 (A 3 K 2298/14) hat das Gericht die ausschiebende Wirkung der Klage gegen
die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts vom 29.07.2014 angeordnet.
11 Mit Prozesserklärung vom 08.08.206 hat die Beklagte Ziffer 2 der Bescheids vom 29.07.2014 aufgehoben.
Im Übrigen macht sie geltend, die Asylanträge seien nach wie vor unzulässig.
12 Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamts und die Gerichtsakten im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes (A 3 K 2298/14) sowie die Gerichtsakten in den Verfahren der Eltern des Klägers
(A 3 K A 3 K 2300/14 und A 3 K 2299/14) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
13 Das Gericht konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil
die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegen. Die Beteiligten wurden auf die Möglichkeit
einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen und hatten Gelegenheit zur Äußerung (§ 84 Abs. 1
Satz 2 VwGO).
14 1. Soweit sich die Klage gegen Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts vom 29.07.2016 richtet, ist sie
unzulässig.
15 Wird der Antrag sachdienlich (§§ 86 Abs. 6, 88 VwGO) als Anfechtungsklage gegen die
Abschiebungsanordnung ausgelegt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 C 4.15 - juris), fehlt der Klage
zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) das Rechtsschutzbedürfnis.
Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids hat sich erledigt, weil das Bundesamt die Abschiebungsanordnung mit
Prozesserklärung vom 08.08.2016 aufgehoben hat. Da der Kläger trotz einer entsprechenden Anfrage des
Gerichts keine Erledigungserklärung abgegeben haben, ist die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen.
16 Der anwaltlich vertretene Kläger hat seinen Antrag auch nicht dahingehend umgestellt, dass er nunmehr
die Feststellung begehrt, dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig war. Eine dementsprechende
Auslegung seines Klagantrags kommt nicht in Betracht, weil sie nicht sachdienlich wäre (§§ 86 Abs. 3, 88
VwGO). Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an dieser
Feststellung hat.
17 2. Die Klage ist auch unzulässig, soweit der Kläger die Verpflichtung des Bundesamts begehrt, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz zuzuerkennen und
das Vorliegen von Abschiebungsverboten festzustellen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist in
Fallkonstellationen, in denen das Bundesamt - wie hier - in der Sache noch nicht über den Asylantrag oder
über Abschiebungsverbote entschieden hat, nur die Anfechtungsklage statthaft, weil die Sachentscheidung
zunächst dem Bundesamt vorbehalten ist. Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts kommt nicht in Betracht,
insbesondere weil dem Asylbewerber eine Tatsacheninstanz genommen würde (vgl. BVerwG, Urt. v.
05.09.2013 - 10 C 1.13 - juris; BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 - 1 C 32/14 - juris; VGH BW, Urt. v. 16.04.2014 -
A 11 S 1721/13 - juris; OVG des Saarlandes, Urt. v. 25.10.2016 - 2 A 86/16 - juris; VG Minden Urt. v.
10.05.2016 - 10 K 2248/14.A - juris).
18 Die Verpflichtungsklage ist auch nicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Wird die
Feststellung in Ziffer 1 des Bundesamtsbescheids im Wege der Anfechtungsklage aufgehoben, ist das
Bundesamt nach §§ 24, 31 AsylG gesetzlich verpflichtet, den Asylantrag des Klägers erneut zu bescheiden,
allein die Aufhebung der Feststellung in Ziffer 1 löst mithin das weitere Prüfprogramm des Bundesamts aus.
Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt dieser gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen würde,
liegen nicht vor.
19 3. Auch soweit der Kläger beantragt, Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 29.07.2016 aufzuheben,
ist die Klage unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
20 Die Anfechtungsklage ist zwar statthaft. Die Feststellung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids ist ein
belastender Verwaltungsakt, der auch die Regelung enthält, dass vom Bundesamt keine weiteren
Sachentscheidungen getroffen werden (vgl. § 31 Abs. 4 AsylG alter Fassung: … „stellt nur fest“..). Für das
Anfechtungsbegehren fehlt allerdings das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (im Ergebnis ebenso VG
Freiburg, Urt. v. 04.01.2016 - A 5 K 1838/13 - juris). Die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen
Bescheids bringt dem Kläger daher keinen rechtlichen Vorteil (dazu Ziff. 3.1). Zumindest kann die Klage aus
diesem Grund in der Sache keinen Erfolg haben. Zwar könnte die Anwendung des § 26a Abs. 1 AsylG
Bedenken begegnen im Hinblick auf die Frage, ob Griechenland für anerkannte Flüchtlinge ein sicherer
Drittstaat ist; die Entscheidung des Bundesamts kann aber auf andere Rechtsgrundlagen gestützt werden
(dazu Ziff. 3.2.).
21 3.1 Dem Kläger fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des
angefochtenen Bescheids, weil er seine Rechtslage durch Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheids nicht
verbessern kann. Der Kläger ist in Griechenland als Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt
worden. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG neuer Fassung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer
Mitgliedstaat der Europäischen Union - wie hier - dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Nach § 13 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG umfasst ein Asylantrag neben dem
Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter auch den Antrag auf Zuerkennung von internationalem und
von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz. Nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
maßgeblichen Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) müsste der Asylantrag des Klägers daher insgesamt als
unzulässig abgelehnt werden. Die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids bringt dem Kläger
mithin keine Vorteile, weil sie nicht zu der von dem Kläger angestrebten Durchführung eines Asylverfahrens
in Deutschland führt.
22 3.2 Die Klage ist jedenfalls unbegründet. Das Bundesamt hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass dem
Kläger kein Asylrecht zusteht.
23 Das Bundesamt hat Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auf § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG i.V.m. § 31
Abs. 4 AsylVfG in der damals geltenden Fassung gestützt. Nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG kann sich ein
Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist, nicht auf
Art. 16 a Abs. 1 GG berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt (Satz 2). Sichere Drittstaaten sind
gemäß Art. 16a Abs. 2 S.1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG u.a. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
24 § 26a AsylG findet auf den Kläger Anwendung, obgleich er bereits als Flüchtlinge nach der Genfer
Konvention anerkannt worden ist. Die Vorschrift des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist auch auf Antragsteller
anwendbar, denen in einem sicheren Drittstaat bereits internationaler Schutz zuerkannt worden ist (vgl.
OVG des Saarlandes, Urt. v. 25.10.2016 - 2 A 86/16 - a.a.O.; OVG NRW, Beschl. v. 11.05.2015 - 14 A
926/15.A - juris; OVG NRW, Urt. v. 19.05.2016 - 13 A 1490/13.A - juris m.w.N.; VG Berlin, Urt. v.
04.06.2015 - 23 K 906.14 A -, juris m.w.N.). Der Eintritt der Ausschlusswirkung des § 26 a Abs. 1 Satz 1 und
2 AsylG ist seinem Wortlaut nach auch nicht davon abhängig, ob der Ausländer in den Drittstaat
zurückgeführt werden kann oder soll (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 - a.a.O. Rn. 157; OVG des
Saarlandes, Urt. v. 25.10.2016 - 2 A 86/16 - m.w.N.).
25 Die Anwendung von § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist auch nicht durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG
ausgeschlossen, wonach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf
Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit
dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Bundesrepublik
Deutschland ist insbesondere nicht aufgrund der sog. Dublin-Verordnungen (VO (EG) 343/2003 - Dublin II-
VO - sowie VO (EG) 604/2013 - Dublin III-VO -) zur Aufnahme der Kläger verpflichtet. Denn die Dublin-
Verordnungen sind auf Asylantragsteller, die in einem anderen Mitgliedstaat bereits als Flüchtling anerkannt
worden sind, nicht anwendbar (vgl. VGH BW, Urt. v. 29.04.2015 - A 11 S 57/15 - juris; OVG NRW, Urt. v.
19.05.2016 - 13 A 1490/13.A - juris m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7/13 - juris Rn.
26).
26 Griechenland gilt als Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG
als sicherer Drittstaat. Dieser Verfassungsnorm liegt das „Konzept der normativen Vergewisserung“ über die
Sicherheit im Drittstaat zugrunde; in engen Grenzen besteht allerdings ausnahmsweise auch die Möglichkeit
der Entkräftung der Vermutung der Sicherheit im Drittstaat, wenn Umstände gegeben sind, die ihrer
Eigenart nach nicht im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von der Verfassung oder durch
Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der
Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v.
14.05.1996 - 2 BvR 1938.93 u.a. -, juris Rn. 159, Rn 181, 189 f.). Eine solche Ausnahmesituation kann
insbesondere vorliegen, wenn Flüchtlinge einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch den
Drittstatt im Sinne von Art. 4 EU- Grundrechtscharta oder Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Im Hinblick auf
die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland ist festgestellt worden, dass aufgrund gravierender
Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber (sog. systemische Mängel) die
begründete Gefahr besteht, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von
Art. 4 EU-Grundrechtscharta/ Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. im Einzelnen EGMR, Urt. v.
21.01.2011 - 30696.09 - M.S.S./ Belgien und Griechenland -, NVwZ 2011, 413; OVG NRW, Urt. v.
27.04.2015 - 9 A 1380/12.A - juris). Es spricht vieles dafür, dass nach den gleichen Grundsätzen zu prüfen
ist, ob ein Staat trotz seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht als sicherer Drittstaat im Sinne
des § 26a AsylG angesehen werden kann. Es bedarf aber keiner weiteren Aufklärung, ob in Griechenland
systemische Mängel nicht nur im Hinblick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen von
Asylbewerbern, sondern auch im Hinblick auf die Lage anerkannter Flüchtlinge bestehen. Denn Ziffer 1 des
angefochtenen Bescheids findet seine Rechtsgrundlage in § 27 AsylG sowie in § 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60
Abs. 1 und 2 AufenthG.
27 Die hier in Rede stehenden asylrechtlichen Entscheidungen stehen nicht im Ermessen des Bundesamts. Bei
gebundenen Entscheidungen hat das Verwaltungsgericht auch zu prüfen, ob die angefochtene Regelung sich
aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage als rechtmäßig erweist, solange die Heranziehung anderer als der
im angefochtenen Bescheid genannten Normen und Tatsachen nicht zu einer Wesensveränderung des
angefochtenen Bescheids führen würde oder den Betroffenen in seiner Rechtsverteidigung unzumutbar
beeinträchtigen würde (BVerwG, Urt. v. 24. 11.1998 - 9 C 53.97 -, juris Rn. 16; VGH BW, Urt. v. 29.04.2015
- A 11 S 57/15 -, juris Rn. 48). Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids lässt sich ohne weiteres, d.h. ohne
Eintritt in eine dem Verwaltungsgericht im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht obliegende Sachprüfung
des Asylantrags, auf andere Rechtsgrundlagen stützen.
28 Wird angenommen, dass Griechenland auch für anerkannte Flüchtlinge kein sicherer Drittstaat im Sinne des
§ 26a Abs. 1 AsylG ist, so liegt zumindest ein Aufenthalt in einem sonstigen Drittstaat im Sinne des § 27
AsylG vor. Nach dieser Regelung wird ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer
Verfolgung sicher war, nicht als Asylberechtigter anerkannt (Absatz 1). Ist der Ausländer im Besitz eines von
einem sicheren Drittstaat oder sonstigen Drittstaat ausgestellten Reiseausweises nach dem Abkommen über
die Rechtsstellung der Flüchtlinge, so wird vermutet, dass er bereits in diesem Staat vor politischer
Verfolgung sicher war (Absatz 2). Hat sich der Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine
politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird
vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war (Absatz 3 Satz 1). Danach kommt eine
Asylanerkennung des Klägers nicht in Betracht. Der Kläger hat in einem Drittstaat anderweitige
Verfolgungssicherheit erlangt, da er sich ca. zehn Jahre in Griechenland aufgehalten hat und im Besitz eines
Reiseausweises nach der Genfer Konvention ist. Die gesetzliche Vermutung des anderweitigen
Verfolgungsschutzes ist auch nicht widerlegt. Nach seinem Vorbringen hat der Kläger in Griechenland einen
gewissen, regelmäßig verlängerten Aufenthaltsstatus gehabt und waren seit 2009 im Besitz eines in
Griechenland ausgestellten und erneuerten Passes. Er war zudem zeitweise erwerbstätig; zwei erwachsene
Brüder leben nach wie vor in Griechenland. Dem Vorbringen des Klägers lassen sich keinerlei Anhaltspunkte
dafür entnehmen, dass ihm in Griechenland politische Verfolgung drohte. Er hat auch nicht dargetan, dass
ihm die Rückführung in den Irak drohte (§ 27 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Der Ausreiseentschluss der Familie stand
vielmehr nach eigenen Angaben im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Krise in
Griechenland im Jahr 2012. Die Situation des Klägers entsprach insoweit der allgemein schwierigen Lage, in
der sich auch die einheimische griechische Bevölkerung befand.
29 Damit findet die Feststellung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids, dass dem Kläger kein Asylrecht
zusteht, ihre Rechtsgrundlage in § 27 AsylG.
30 Darf der Kläger aufgrund systemischer Mängel derzeit nicht nach Griechenland abgeschoben werden - was
das Bundesamt durch Aufhebung der Abschiebungsanordnung in der Sache anerkannt hat -, ist allerdings
fraglich, ob die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von
Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG aufgrund von §§ 26a Abs. 1 Sätze 1 und 2,
31 Abs. 3 und 4 AsylG ohne sachliche Prüfung bleiben dürfen. Liegt ein vom Konzept der normativen
Vergewisserung nicht erfasster Ausnahmefall vor, spricht vieles dafür, dass § 26a i.V.m. § 31 Abs. 3 und 4
AsylG bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung eine Entscheidung über die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft, die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter sowie die Feststellung von
Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG im Grundsatz nicht ausschließt (BVerfG, Urt.
v. 14. 05.1996 - 2 BvR 1938/93 - a.a.O. Rn. 232; Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand: September 2016, § 26a
Rn. 93, § 31 Rn. 31). Einer solchen Sachprüfung steht im vorliegenden Fall aber entgegen, dass der Kläger in
Griechenland als Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt worden ist.
31 Die vom Bundesamt in Ziffer 1 des Bescheids getroffene Feststellung ist in der Sache nichts anderes als eine
Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie sie nach der derzeit maßgeblichen Rechtslage erfolgen
müsste (vgl. § 31 Abs. 3 und 4 AsylG n.F.; vgl. OVG NRW, Urt. v. 19.05.2016 - 13 A 1490/13.A - juris Rn.
62). Diese Entscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 und 2
AufenthG.
32 Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein
Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt u.a. auch für
Ausländer, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind (Satz 2). Wenn der Ausländer sich auf das
Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
außer in
den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und
dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (Satz 3). Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG
darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 AsylG
bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Die Bundesrepublik
Deutschland hat damit von der nach Völker- und Unionsrecht bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht,
durch eine nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten in begrenztem Umfang
Rechtswirkungen auch im eigenen Land beizumessen. In Deutschland genießen im Ausland anerkannte
Flüchtlinge den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland anerkannten, ohne dass ein erneutes
Anerkennungsverfahren durchgeführt wird. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordnet das nationale Recht
eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an.
Es besteht danach aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG) oder eine
hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei
Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zu der erneuten Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt. Ein
gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig. Dem entspricht die nunmehr geltende Regelung des § 29 Abs. 1
Nr. 2 AsylG. Sie ist jedenfalls bei Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat
mit Unionsrecht vereinbar. Denn Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU -
Asylverfahrensrichtlinie 2013 - eröffnet dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf
internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat
internationalen Schutz gewährt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7/13 - juris). Ob die
Zuerkennung von internationalem Schutz durch einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG gewährt
wird, ist unerheblich, weil die Feststellung eines Abschiebungsverbots bezogen auf den Herkunftsstaat Irak
in der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von der Frage der Drittstaatsqualität Griechenlands
Bindungswirkung entfaltet.
33 Die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens erstreckt sich gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2
AufenthG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG,
weil der Asylantrag nach § 13 Abs. 1 AsylVfG nunmehr neben dem Antrag auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft auch den Antrag auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz
umfasst. Dies hat die verfahrensrechtliche Konsequenz, dass auch das Begehren auf Zuerkennung von
unionsrechtlichem subsidiärem Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die
Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylVfG (n.F.)
zuerkannt worden ist (vgl. vgl. BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7/13 - a.a.O. Rn. 29).
34 Da dem Kläger im vorliegenden Fall bereits in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist,
kann er in Deutschland nicht mehr die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz in Wege
eines weiteren Asylverfahrens beanspruchen. Soweit mit der Feststellung in Ziffer 1 des angefochtenen
Bescheids zugleich eine Sachentscheidung über die Zuerkennung internationalen oder subsidiären Schutzes
abgelehnt wird, findet sie mithin ihre Rechtsgrundlage zumindest in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 60 Abs.
1 und 2 AufenthG.
35 3.3 Auch soweit Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids einer Sachprüfung im Hinblick auf die Feststellung von
nationalem Abschiebungsschutz hinsichtlich des Iraks entgegensteht, besteht kein Rechtschutzbedürfnis für
eine Anfechtungsklage. Das Bundesamt ist zwar nach derzeit geltender Rechtlage gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1
AsylG neuer Fassung grundsätzlich verpflichtet, auch bei Feststellung der Unzulässigkeit eines Asylantrags
festzustellen, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen (vgl. OVG des
Saarlandes, Urt. v. 25.10.2016 - 2 A 96/16 - a.a.O.). Dem Kläger steht aber bereits kraft Gesetzes gemäß §
60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf den Irak infolge ihrer ausländischen
Flüchtlingsanerkennung zu. Der Kläger kann daher auch bei Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheids nicht die
Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach weiteren Rechtsgrundlagen verlangen (vgl. BVerwG,
Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7/13 - a.a.O. Rn. 32 f.; in diese Richtung auch § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG neuer
Fassung). Eine isolierte Aufhebung der Entscheidung bringt ihm mithin keine rechtlichen Vorteile.
36 Ob Abschiebungsverbote im Hinblick auf Griechenland bestehen, ist im Zusammenhang mit der Abschiebung
dorthin zu prüfen, die aber nicht (mehr) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Die
Abschiebungsanordnung ist aufgehoben worden. Eine Abschiebungsandrohung (vgl. § 35 AsylG neuer
Fassung), die ohne Prüfung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen wohl rechtswidrig wäre (OVG des
Saarlandes, Urt. v. 25.10.2016 - 2 A 96/16 - a.a.O.), wurde nicht erlassen.
37 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b
AsylG.