Urteil des VG Karlsruhe vom 22.12.2009

VG Karlsruhe (antragsteller, durchführung, aufschiebende wirkung, antrag, gemeinderat, realisierung, anordnung, hauptsache, aug, bezug)

VG Karlsruhe Beschluß vom 22.12.2009, 3 K 3443/09
Zulässigkeit eines Bürgerentscheids im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller ist Unterzeichner und Vertrauensmann des Bürgerbegehrens „Stoppt das Millionengrab“ für
die Durchführung eines Bürgerentscheids zu der Frage:
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„Sind Sie für die Durchführung des Baus eines Stadtbahntunnels unter der Kaiserstraße mit
Südabzweig gemäß dem Plan der Karlsruher Schieneninfrastrukturgesellschaft mbH (KASIG),
festgestellt durch das Regierungspräsidium Karlsruhe am 15. Dezember 2008?“
3
Die Organisatoren des Bürgerbegehrens übergaben bis Ende Oktober 2009 Unterschriftslisten mit nach den
von der Antragsgegnerin getroffenen Feststellungen insgesamt 22.725 gültigen Unterschriften.
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Der Gemeinderat der Antragsgegnerin entschied hierauf in öffentlicher Sitzung am 17. November 2009, die
Durchführung eines Bürgerentscheids zu der o.g. Frage mangels Vorliegens der Zulässigkeitsvoraussetzungen
abzulehnen. Diese Entscheidung wurde dem Antragsteller mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.
November 2009 am 23. November 2009 zugestellt. Der hiergegen vom Antragsteller am 1. Dezember 2009
erhobene Widerspruch wurde noch nicht beschieden.
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Am 2. Dezember 2009 hat der Antragsteller beim beschließenden Gericht um vorläufigen Rechtsschutz
nachgesucht und sinngemäß beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf
Durchführung eines Bürgerentscheids für zulässig zu erklären und einen Bürgerentscheid zu der o.g.
Fragestellung durchzuführen.
7
Dieser Antrag, dem die Antragsgegnerin entgegentritt, ist unzulässig.
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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige
Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung
des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind des weiteren zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese
Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende
Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
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Der vom Antragsteller begehrten Regelung i.S. von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO fehlt es jedoch an der
Vorläufigkeit. Denn das, was er begehrt - die Durchführung eines Bürgerentscheids für zulässig zu erklären und
einen Bürgerentscheid zu der o.g. Fragestellung durchzuführen -, nähme die Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren vorweg oder liefe zumindest faktisch auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache
hinaus, widerspräche somit Wesen und Zweck der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und ist damit im
Grundsatz unzulässig (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 RdNr. 13 f.; VGH München, Beschl. v. 6.
November 2000 - 4 ZE 00.3018 -, BayVBl 2001, 500). Der Antragsteller hält dem zwar in der Begründung
seines Antrages entgegen, dass die Antragsgegnerin die Möglichkeit habe, die Durchführung des
Bürgerentscheids bis zur Bestandskraft der Entscheidung des Gemeinderates der Antragsgegnerin vom 17.
November 2009 zurückzustellen. Mit diesem Vortrag setzt er sich allerdings in Widerspruch zu seinem
ausdrücklich gestellten Antrag, die Antragsgegnerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes (auch) zur
Durchführung des Bürgerentscheids zu verpflichten und sie auf diese Weise daran zu hindern, durch eine
Vergabe von Bauaufträgen vollendete Tatsachen zu schaffen.
10 In Bezug auf die antragsgemäß begehrte Verpflichtung zur Zulässigerklärung sowie Durchführung eines
Bürgerentscheids ist eine Vorwegnahme der Hauptsache auch nicht ausnahmsweise hinnehmbar.
Insbesondere ist keine Fallkonstellation gegeben, die mit Blick auf die grundgesetzlich durch Art. 19 Abs. 4
GG verbürgte Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine Hauptsachevorwegnahme im Verfahren nach § 123
VwGO zwingend geböte. Dies wird von der Rechtsprechung (BVerwG, Beschlüsse v. 13. August 1999 - 2 VR
1.99 -, BVerwGE 109, 258 <262> u. v. 21. Januar 1999 - 11 VR 8.98 -, NVwZ 1999, 650; VGH Bad.-Württ.,
Beschl. v. 12. Oktober 2007 - 1 S 2132/07 -, VBlBW 2008, 182; Bay. VGH, Beschl. v. 22. Oktober 1996 - 4 CE
96.3109 -, BayVBl 1997, 312; Kopp/Schenke a.a.O.) nur dann angenommen, wenn ein Anordnungsanspruch
mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt und für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht
ergeht, dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, und somit ein Abwarten in der
Hauptsache für ihn unzumutbar wäre. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
11 Insbesondere legt der Antragsteller nicht dar und macht nicht glaubhaft, worin für ihn solche unzumutbaren
Nachteile bestehen. Auch dürfte den Initiatoren des Bürgerbegehrens und damit auch dem Antragsteller
insoweit entgegengehalten werden können, dass sie das von ihnen betriebene Bürgerbegehren bereits zu
einem früheren Zeitpunkt hätten ins Werk setzen und sich um eine frühzeitige Klärung des von ihnen geltend
gemachten Anspruchs in einem Hauptsacheverfahren bemühen können (vgl. hierzu Kopp/Schenke a.a.O., §
123 RdNr. 14; OVG Hamburg, Beschl. v. 6. Januar 1997 - Bs III 157/96 -, DÖV 1997, 692 = NVwZ-RR 1998,
314). Des weiteren dürfte zu berücksichtigen sein, dass mit der beantragten einstweiligen Anordnung kein
rechtlich bindendes Moratorium bezüglich des von den Initiatoren des Bürgerbegehrens bekämpften Baus eines
Stadtbahntunnels unter der Kaiserstraße bewirkt werden kann. Denn der Zulässigerklärung eines
Bürgerbegehrens kommt nach dem Willen des Landesgesetzgebers keine aufschiebende Wirkung zu (anders
z.B. § 26 Abs. 6 Satz 6 GemO NRW i. d. seit dem 17. Oktober 2007 geltenden Fassung - GV.NRW S. 380 -
für Bürgerbegehren, deren Zulässigkeit der Gemeinderat festgestellt hat). Auch der Regelungszusammenhang
und der Zweck der Vorschriften über das Bürgerbegehren geben nichts für die Annahme her, das Interesse der
Unterzeichner eines Bürgerbegehrens an einer Unterbindung gemeindlicher Tätigkeit, die ihrem Begehren
"faktisch" entgegen wirkt, sei rechtlich geschützt. § 21 Abs. 1 und Abs. 8 GemO BW i.V.m. § 41 KomWG BW
schützen allein ihr Interesse an der Zulassung eines zulässigen Bürgerbegehrens durch den Gemeinderat. An
der weiteren Förderung des mit dem Bürgerbegehren bekämpften Vorhabens ist die Gemeinde erst mit dem
erfolgreichen Bürgerentscheid gehindert (§ 21 Abs. 7 GemO BW). Die Minderheit von Bürgern, die das nach §
21 Abs. 3 Satz 5 GemO erforderliche Quorum bilden, kann eine derartige Sperrwirkung, wie sie nach § 21 Abs.
7 Satz 2 GemO nur einem erfolgreichen Bürgerentscheid zukommt, nicht herbeiführen (VGH Bad.-Württ., Urt.
v. 22. Juni 2009 - 1 S 2865/08 -, sowie Beschl. v. 6. September 1993 - 1 S 1749/93 -, NVwZ 1994, 397
ff.; VG Stuttgart, Urt. v. 17. Juli 2009 - 7 K 3229/08 -, VBlBW 2009, 432).
12 Schließlich fehlt es an der weiteren Voraussetzung für die Rechtfertigung einer Vorwegnahme der Hauptsache,
dass die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs mit ganz
überwiegender Wahrscheinlichkeit zu bejahen sei. Vielmehr wird vom Gericht, wie sich aus den nachfolgenden
Ausführungen ergibt, ein Anordnungsanspruch verneint.
13 Der Antrag ist auch unbegründet. Denn der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht
glaubhaft gemacht (§ 920 Abs. 2 ZPO i. V. mit § 123 Abs. 3 VwGO). Mit der Antragsgegnerin ist das Gericht
nach - im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur summarisch möglicher - Prüfung der Auffassung, dass der
Bürgerantrag i.S. von § 21 Abs. 3 Satz 3 2. HS GemO BW verfristet ist. Denn er dürfte sich i.S. der
vorgenannten Bestimmung gegen einen Gemeinderatsbeschluss richten, und er ist nicht innerhalb von sechs
Wochen nach dessen Bekanntgabe eingereicht worden.
14 Die vorgenannte Sechswochenfrist dürfte spätestens durch die Bekanntgabe des Beschlusses des
Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2008 ausgelöst worden sein. Dieser Beschluss lautet:
15
„Der Gemeinderat beschließt - nach Vorberatung im Hauptausschuss - für die Realisierung der Kombi-
Lösung zuerst den Bau des Teilprojekts Stadtbahntunnel Kaiserstraße mit Südabzweig zu bauen. Die
Planung für die Straßenbahn in der Kriegsstraße wird parallel dazu erfolgen und unmittelbar nach
Fertigstellung des Stadtbahntunnels mit Südabzweig realisiert werden.“
16 Mit diesem Beschluss wurde nach Auffassung des Gerichts nicht lediglich eine von baulogistischen
Erwägungen getragene Entscheidung über die etwaige Reihenfolge getroffen, in der für den noch offen
gelassenen Fall einer Realisierung die Teilprojekte der „Kombi-Lösung“ verwirklicht werden sollten. Vielmehr
wurde mit dem genannten Beschluss die bereits zuvor getroffene grundsätzliche Entscheidung der
Antragsgegnerin für die Realisierung der „Kombi-Lösung“ fortgeschrieben und bekräftigt. Bereits mit dem
Bürgerentscheid vom 22. September 2002 war eine Grundsatzentscheidung für dieses kombinierte
Verkehrsinfrastrukturprojekt getroffen worden. In der Folgezeit war aufgrund Gemeinderatsbeschluss vom 20.
Mai 2003 die „Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft mbH“ (KASIG) gegründet und mit der Planung des
Gesamtvorhabens betraut worden. Die daraufhin erstellten Pläne waren Gegenstand des
Gemeinderatsbeschlusses vom 19. Juli 2005, mit dem für das Teilvorhaben Kriegsstraße die Aufstellung eines
Bebauungsplanes und für den Bereich Kaiserstraße mit Südabzweig die Zustimmung zur Durchführung eines
Planfeststellungsverfahrens beschlossen wurde. Nach dem oben wiedergegebenen Wortlaut des am 21.
Oktober 2008 gefassten Beschlusses und mit Blick auf die Verfahrensvorgeschichte geht daher das Gericht
davon aus, dass der Gemeinderat mit diesem Beschluss auch entschieden hat, an seinem Vorhaben der
Realisierung der Kombilösung festzuhalten. Dies wird vom streitgegenständlichen Bürgerbegehren in Frage
gestellt, weshalb es (spätestens) innerhalb der sechswöchigen Frist nach Bekanntgabe des
Gemeinderatsbeschlusses vom 21. Oktober 2008 hätte eingereicht sein müssen. Dass die
Grundsatzentscheidung des Gemeinderates für die Kombilösung vorbehaltlich der planungsrechtlichen
Voraussetzungen - Erlass eines Bebauungsplans sowie eines Planfeststellungsbeschlusses - sowie
vorbehaltlich der Finanzierung - durch Gewährung von Zuschüssen nach dem GVFG sowie durch die
haushaltsrechtliche Bewilligung des Eigenanteils - erfolgte, dürfte hieran nichts ändern.
17 Die Antragsgegnerin hält einer Zulässigkeit des Bürgerentscheids u.a. weiter entgegen, dass mit diesem „kein
nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbarer Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten
Maßnahme“ i.S. von § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO BW vorgelegt worden sei. Sie stellt dabei darauf ab, dass bei
einer alleinigen Realisierung des Teilprojekts „Kriegsstraße“ keine Förderungsfähigkeit nach dem GVFG mehr
gegeben sei, sie damit dieses Teilprojekt finanziell allein zu schultern habe, und dies zu höheren Kosten für
den Gemeindehaushalt führe. Damit dürfte die Antragsgegnerin die Erforderlichkeit eines
Kostendeckungsvorschlages für die Zulässigkeit eines Bürgerentscheids schlüssig dargelegt haben. Dem hat
der Antragsteller in seiner Antragsbegründung nichts substantiiert entgegengesetzt und somit weder das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO BW noch die etwaige Entbehrlichkeit eines
Kostendeckungsvorschlages dargelegt. Auch insoweit dürfte somit ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht worden sein.
18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1
i.V. mit 52 Abs. 1 GKG.