Urteil des VG Karlsruhe vom 09.07.2010

VG Karlsruhe (wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, gvo, aufschiebende wirkung, verfügung, antragsteller, saatgut, nachweis, gentechnik, sachliche zuständigkeit, analytische methode)

VG Karlsruhe Beschluß vom 9.7.2010, 6 K 1566/10
Landwirtschaftsrecht, Gentechnikrecht - Beseitigung gentechnisch veränderter Maispflanzen; GVO-
Verunreinigung
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 13.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der am 06.07.2010 gestellte Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 29.06.2010 gegen die Verfügung des
Landratsamts ... vom 24.06.2010 wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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1. Der Antrag ist hinsichtlich der Anordnung, sämtliche Maispflanzen der Partie mit der Anerkennungsnummer
... der Sorte „...“ auf den in der Anlage zur Verfügung vom 24.06.2010 aufgelisteten Grundstücken innerhalb
von zwei Wochen nach Zustellung der Anordnung entsprechend den beigefügten „Vorgaben zur sachgerechten
Beseitigung von Mais“ zu beseitigen und der unteren Landwirtschaftsbehörde ... (Landratsamt ... -
Landwirtschaftsamt) den Vollzug mitzuteilen (Ziff. 1 der Verfügung), gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 VwGO und hinsichtlich der Androhung der Ersatzvornahme (Ziff. 3 der Verfügung) gemäß § 80
Abs. 5 Satz 1, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 12 Satz 1 LVwVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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a) Die Sofortvollzugsanordnung (Ziff. 2 der Verfügung) wurde formal ordnungsgemäß begründet (§ 80 Abs. 3
VwGO); auf die Ausführungen zum besonderen Sofortvollzugsinteresse kann auch in der Sache verwiesen
werden.
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b) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines
Widerspruchs auf Antrag in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen, im Falle des
Absatzes 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind die Interessen des
Antragstellers und die des Antragsgegners sowie auch betroffene Interessen der Allgemeinheit gegeneinander
abzuwägen. Neben der jeweiligen Bedeutung, die den einzelnen Interessen zukommt, sind insbesondere auch
die Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache zu berücksichtigen. Erscheinen die Erfolgsaussichten
im Hauptsacheverfahren offen, kann die Entscheidung nur auf der Grundlage einer reinen Interessenabwägung
erfolgen, bei der die Folgen der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes beziehungsweise der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung für die in Rede stehenden privaten und öffentlichen Interessen
gegeneinander abzuwägen sind. In Anwendung dieser Grundsätze muss dem Antrag der Erfolg versagt bleiben.
Bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen und gebotenen summarischen
Prüfung muss die Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 24.06.2010 als offen angesehen werden (aa). Unter
diesen Umständen überwiegt aber das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen
Verfügung im Hinblick auf die zu besorgenden Gefahren bei einer unkontrollierten Auskreuzung gentechnisch
veränderter Organismen (GVO) (bb).
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aa) Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG - vom
16.12.1993 , zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 29.07.2009
2542>) kann die zuständige Behörde im Einzelfall die Anordnungen treffen, die zur Beseitigung festgestellter
oder zur Verhütung künftiger Verstöße gegen das Gentechnikgesetz, gegen die auf Grund des
Gentechnikgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen oder gegen unmittelbar geltende Rechtsakte der
Europäischen Gemeinschaften (Union) im Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes notwendig sind.
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Die Kammer hat Zweifel daran, ob für den Erlass der angegriffenen Verfügung das Landratsamt ... sachlich
zuständig war; jedoch muss diese Frage der Klärung in einem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.
10 Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung, des Umweltministeriums und des Ministeriums für
Ernährung und Ländlichen Raum über Zuständigkeiten zum Vollzug gentechnikrechtlicher Vorschriften
(Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung - GenTZuVO) vom 27. Januar 2010 (GBl. S. 12) ist zuständige Behörde
für die Durchführung des Gentechnikgesetzes, der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen
Rechtsverordnungen, der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft (Union) im
Anwendungsbereich dieses Gesetzes und der darauf beruhenden behördlichen Anordnungen und Verfügungen
für alle Regierungsbezirke das Regierungspräsidium Tübingen, soweit in § 1 Abs. 2 GenTZuVO nichts anderes
bestimmt ist. Gemäß § 1 Abs. 2 GenTZuVO haben Behörden, die für die Überwachung des Inverkehrbringens
von Lebensmitteln, Futtermitteln, Düngemitteln, Saatgut und der erwerbsmäßigen Erzeugung von Pflanzen
zuständig sind, auch für die Einhaltung der Vorschriften des Gentechnikgesetzes, der auf Grund dieses
Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen
Gemeinschaft (Union) im Anwendungsbereich dieses Gesetzes zu sorgen und die darauf beruhenden
behördlichen Anordnungen und Verfügungen zu erlassen, soweit diese Produkte nicht in gentechnischen
Anlagen oder im Rahmen einer Freisetzung nach dem Gentechnikgesetz gehandhabt werden.
11 Ob danach aus § 1 Abs. 2 GenTZuVO die Zuständigkeit des Landratsamts ... folgt, muss offen bleiben. Der
Vollzug der Aufgaben nach den Gesetzen des Bundes und der Rechtsvorschriften der Europäischen
Gemeinschaft (Union) auf den Gebieten des Acker- und Pflanzenbaus einschließlich des Wein-, Obst- und
Gartenbaus, Düngemittel- und Saatgutrechts, und die Wahrnehmung der Aufgaben als Träger der öffentlichen
Belange der Landwirtschaft obliegt - soweit (wie hier) nichts anderes bestimmt ist - den
Landwirtschaftsbehörden (§ 29 Abs. 1 Nr. 4 Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz - LLG). Die unteren
Landwirtschaftsbehörden sind zuständig, soweit (wie hier) nichts anderes bestimmt ist (§ 29 Abs. 7 Satz 1
LLG). Untere Landwirtschaftsbehörden sind die Landratsämter als untere Verwaltungsbehörden (§ 29 Abs. 4
LLG). Hiernach wäre das Landratsamt ... aber nur sachlich zuständig, wenn man davon ausgeht, dass im
vorliegenden Fall nicht Produkte im Sinne des § 1 Abs. 2 GenTZuVO „im Rahmen einer Freisetzung nach dem
Gentechnikgesetz gehandhabt“ werden, was zweifelhaft ist. Die Freisetzung ist in § 3 Nr. 5 GenTG definiert als
das gezielte Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt, soweit noch keine
Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Zweck des späteren Ausbringens in die Umwelt erteilt wurde.
Bezieht man den Begriff „gezielt“ auch auf das Vorhandensein von GVO, so handelte es sich hier um keinen
Fall der Freisetzung im Sinne des Gentechnikgesetzes und wäre die Zuständigkeit des Landratsamts
unproblematisch eröffnet, weil der Antragsteller bei der Aussaat nicht wusste, dass er (möglicherweise) GVO
ausbrachte. Nach der - soweit ersichtlich - einhelligen Rechtsprechung zu § 3 Nr. 5 GenTG richtet sich die
Finalität des Begriffs „gezielt“ aber nicht auf das Ausbringen von GVO, sondern allein auf den Vorgang des
Ausbringens als solchen, so dass es für die Freisetzung nicht darauf ankommt, ob der Landwirt Kenntnis von
dem Vorhandensein von GVO-Verunreinigungen hat (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18.02.2008
- 3 MB 51/07 -, LRE 56, 352 = juris Rn. 3; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2008 - 13 ME 11/08 -,
juris Rn. 21; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.03.2008 - 3 M 177/07 -; VG Schleswig,
Beschluss vom 07.11.2007 - 1 B 33/07 -, juris Rn. 65 ff.; VG Hannover, Urteil vom 01.10.2008 - 11 A 4732/07 -
, NuR 2009, 67 = juris Rn. 67; VG Braunschweig, Urteil vom 03.12.2008 - 2 A 273/07 -, ZUR 2009, 213 = juris
Rn. 27). Legte man diesen Begriff der Freisetzung auch der Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung zugrunde,
so dürfte allein die sachliche Zuständigkeit des Regierungspräsidiums Tübingen begründet sein, weil wohl von
einer „Handhabung“ der in § 1 Abs. 2 GenTZuVO genannten Produkte „im Rahmen einer Freisetzung nach dem
Gentechnikgesetz“ auszugehen wäre. Nach Auffassung der Kammer lässt sich im vorliegenden Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes der Begriff der „Freisetzung“ im Sinne der Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung
jedoch nicht abschließend bestimmen. Zwar spricht viel dafür, dass der Verordnungsgeber den Begriff des
Gentechnikgesetzes unmodifiziert in Bezug nehmen wollte und sich dann auch an der dort seit Jahren
praktizierten Auslegung festhalten lassen muss. Dies steht jedoch keinesfalls fest. Denn Anlass zum Erlass
der Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung vom 27. Januar 2010, welche die Gentechnik-
Zuständigkeitsverordnung vom 2. Juli 1990 (GenTZuVO a.F.; GBl. S. 211 f.) ablöste, könnte der
Verordnungsgeber auch gerade deshalb gesehen haben, weil er in Fällen wie dem vorliegenden das
Regierungspräsidium Tübingen entlasten wollte. Dafür könnte sprechen, dass vom „Freisetzungsparagraphen“
des § 2 GenTZuVO a.F. allein die Abgabe einer Stellungnahme vor Freisetzungen nach § 16 Abs. 4 Satz 2
GenTG erfasst war. In der früheren Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung hatte der Verordnungsgeber
demnach lediglich die beabsichtigte, weil im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens beantragte Ausbringung
von GVO unter der Überschrift „Freisetzung“ hervorgehoben.
12 In der Sache ist die Anordnung des Landratsamts ... voraussichtlich zur Beseitigung eines festgestellten
Verstoßes gegen das Gentechnikgesetz notwendig.
13 Das Landratsamt ... hat die angefochtene Verfügung darauf gestützt, dass im Rahmen des Saatgut-
Monitorings von Mais (bei staatlich durchgeführten Saatgutkontrollen des Niedersächsischen Landesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ) Spuren der nicht zum Anbau zugelassenen Linie
NK603 in einer Partie der Sorte „...“ festgestellt worden sei. Dabei handele es sich um einen GVO, der die
Maispflanze gegen ein Herbizid resistent mache. Der Antragsteller habe eine Partie der Sorte „...“ auf den in
der Anlage zur Verfügung aufgelisteten Grundstücken ausgesät. Aus diesen Erwägungen heraus ist die
Verfügung aller Voraussicht nach gerechtfertigt. Die Behörde ist wohl zutreffend davon ausgegangen, dass
sowohl eine Verunreinigung des vom Antragsteller ausgebrachten Saatguts mit GVO als auch eine Freisetzung
im Rechtssinne gegeben sind. Die Freisetzung solcher Organismen bedarf nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
GenTG einer Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde, die hier unstreitig nicht vorlag.
14 Bei der allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist von
einem hinreichend sicheren Nachweis einer GVO-Verunreinigung in dem vom Antragsteller ausgebrachten
Saatgut, das aus der in Niedersachsen vom LAVES beprobten Saatgutpartie hervorging und unter der
Anerkennungsnummer ... in den Verkehr gebracht wurde, auszugehen.
15 Eine vom LAVES untersuchte Probe zeigte genveränderten Mais im Saatgut an. Es wurde das Konstrukt
NK603 positiv festgestellt. Der Antragsteller hält dem entgegen, nur eine von mehreren untersuchten Proben
zeige Spuren von genverändertem Mais an. Dies werde von dem Hersteller des Saatguts, der Firma ..., unter
Verweis auf eigene Proben erklärt. Es sei damit nicht erwiesen, dass das Maissaatgut allgemein und das des
Antragstellers im Besonderen überhaupt keimfähige Körner einer genveränderten Maislinie (hier NK603)
enthalte. Für den Befund, auf den sich die Information des niedersächsischen Ministeriums und somit letztlich
auch die Anordnung des Antragsgegners stütze, gebe es auch noch andere Erklärungsmöglichkeiten. So
könne das Ergebnis etwa auch durch die Beimengung von Maisstaub hervorgerufen worden sein. Möglich sei
ferner, dass es sich angesichts des extrem niedrigen Anteils der Beimengungen (weniger als 0,1 Prozent)
lediglich um einen „falsch-positiven“ Befund handele. Diese Ausführungen des Antragstellers ziehen die
Richtigkeit des Untersuchungsergebnisses des LAVES nicht in Zweifel. Bei einer GVO-kontaminierten Partie
konventionellen Saatguts ist zu erwarten, dass gegebenenfalls vorhandene Verunreinigungen nicht gleichmäßig
darin verteilt sind. Wird in einem solchen Fall - wie hier - der Partie eine Probe entnommen, die einen GVO-
Anteil zwischen 0,03 Prozent und 0,1 Prozent enthält, lässt dies erwarten, dass der GVO-Anteil in der Partie
insgesamt nicht sehr groß ist. Deshalb besteht für Proben, die der Partie an anderer Stelle entnommen werden,
eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass deren Untersuchung zu negativen Ergebnissen führt. Mehrere solcher
negativer Ergebnisse von verschiedenen Proben erhöhen zwar die Wahrscheinlichkeit, dass die
Kontaminationen bezogen auf die gesamte Partie geringfügig sind und nicht an anderer Stelle in höherer
Konzentration auftreten; sie widerlegen damit aber nicht die Richtigkeit eines positiven Laborergebnisses (vgl.
VG Braunschweig, Urteil vom 03.12.2008, a.a.O., juris Rn. 28).
16 Das Laborergebnis kann allerdings falsch sein, wie die Vertrauenswahrscheinlichkeit von 95 Prozent, die
solchen Untersuchungen regelmäßig zugrunde liegt, zeigt. Derart falsch-positive Ergebnisse können entweder
auf Fehlern beruhen, die auf das Laborpersonal oder die verwendeten Gerätschaften zurückzuführen sind, oder
darauf, dass die Probe zwar zutreffend positiv getestet wurde, die Kontamination dem Material aber erst im
Labor hinzugefügt wurde. Soweit es Fehler des Laborpersonals oder fehlerhafte Gerätschaften betrifft, kann
eine Zweitbegutachtung desselben Probenmaterials durch ein anderes Labor dazu beitragen, solche Fehler zu
erkennen (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 03.12.2008, a.a.O., juris Rn. 28). Konkrete Hinweise auf derartige
Fehlerquellen werden aber vom Antragsteller nicht benannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Nach
Angaben des Landratsamtes wurde das vom Antragsteller angezweifelte Untersuchungsergebnis jedenfalls
laborintern überprüft und bestätigt.
17 Steht damit für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fest, dass in der vom LAVES untersuchten
Laborprobe in geringen Mengen gentechnisch veränderte Organismen enthalten waren, reicht dies zugleich als
Nachweis für eine Kontamination der gesamten Saatgutpartie aus, selbst wenn es im Falle der späteren
Aufteilung der Partie in kleine Chargen aufgrund des geringen Ausmaßes der Verunreinigung und deren
ungleichmäßiger Verteilung nicht gänzlich ausgeschlossen ist, dass Teilchargen faktisch unbelastet waren.
Denn Saatgutuntersuchungen zeichnen sich durch die Besonderheit aus, dass aufgrund der großen Zahl von
Samenkörnern, die eine Partie enthält, nur ein kleiner Teil des Materials mit einem vertretbaren Aufwand an
Zeit und Kosten untersucht werden kann. Da eine vollständige Begutachtung des gesamten Materials mit den
heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten ausgeschlossen ist, bleibt es unvermeidbar im
Ungewissen, ob und in welchem Maß eine Partie Saatgut im Übrigen belastet ist. Aufgrund dieser besonderen
Umstände ist es gerechtfertigt, im Falle einer positiven Laborprobe nicht nur den Nachweis der Kontamination
der gesamten Partie als erbracht anzusehen, sondern auch den aus Rechtsgründen erforderlichen Nachweis
eines ungenehmigten Freisetzens, ohne den ein Verstoß gegen § 14 GenTG, der ein Einschreiten nach § 26
GenTG erst zulässt, nicht vorläge. Zwar wäre neben der Untersuchung von Saatgut im Labor auch eine
Feldbeprobung möglich (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 29.01.2008 - 1 A 165/07 -, juris); da sich aber zur
Schonung des Anbaus auch hierbei nur ein geringer Teil der Pflanzen untersuchen lässt, ist bei einem solchen
Vorgehen die Wahrscheinlichkeit groß, bei einer nur geringen Kontamination nicht zu positiven Ergebnissen zu
gelangen. Das ist jedenfalls dann nicht hinzunehmen, wenn aufgrund der Laboruntersuchung des Saatguts
feststeht, dass dieses unzulässig GVO enthält. In einem solchen Fall darf vielmehr von dem Nachweis in der
Laborprobe auch auf einen Nachweis von GVO in dem freigesetzten Saatgut geschlossen werden (vgl. VG
Braunschweig, Urteil vom 03.12.2008, a.a.O., juris Rn. 31). Der Einwand des Antragstellers, es sei in keiner
Weise festgestellt, ob auch seine Charge von der Verunreinigung betroffen sei, greift daher nicht durch.
Zusätzliche Analysen anderer Laborproben wie etwa die vom Antragsteller erwähnten, vom Saatguthersteller in
Auftrag gegebenen Prüfberichte der ... sowie der ... GmbH (abrufbar auch im Internet über die Seite des
Saatgutherstellers unter ...) sind nicht geeignet, das positive Untersuchungsergebnis des LAVES zu
widerlegen.
18 Soweit der Antragsteller beanstandet, der Antragsgegner habe keine eigenen Untersuchungen angestellt und
das Untersuchungsergebnis aus Niedersachsen nicht auf seine Richtigkeit überprüft, stellt er damit den
Nachweis der GVO-Verunreinigung nicht in Frage. Der Einwand, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass
der festgestellte Wert von weniger als 0,1 % lediglich aus einer Messungenauigkeit herrühre, beruht seinerseits
auf einer reinen Mutmaßung.
19 Der Antragsteller bringt weiter vor, dass sowohl das Probenahme- als auch das Untersuchungsverfahren nicht
der gängigen Praxis und den Vorgaben der LAVES für die Probenahme entsprächen. So sei die Partie ...
geprüft worden, nicht hingegen die hieraus durch die weitere Behandlung und Absackung als gebeizte Partie
entstehende Partie ... In Verkehr gebracht und vom Antragsteller erworben worden sei indes nur die
letztgenannte Partie. Nach der Bewertung des Umweltministeriums Niedersachsen ist es jedoch
unwahrscheinlich, dass die in der „Rohware“ nachgewiesenen GVO in weiteren Aufarbeitungsschritten entfernt
worden wären (Anlage zum Schriftsatz des Landratsamt Rastatt vom 06.07.2010). Auch der Kammer liegen
keine Erkenntnisse vor, denen zufolge eine Kontamination mit GVO der Linie NK603 durch weitere
Aufarbeitungsschritte hinreichend sicher ausgeschlossen wäre. Auch wenn man dem „Konzept zur
Untersuchung von Saatgut auf Anteile gentechnisch veränderter Pflanzen“ der Bund-/Länder-
Arbeitsgemeinschaft Gentechnik (LAG-Konzept) entnehmen können mag, dass neben der kontrollierten
Erzeugung auch die Saatgutaufbereitung vor dem Vertrieb (Beizen, Pillieren) zu einer weiteren
Homogenisierung führt, kann dies nach Auffassung der Kammer nicht dazu führen, dass die in dem Prüfbericht
für die noch unbehandelte Partie ... dargestellten Ergebnisse nicht auf die Partie ... übertragen werden dürfen.
20 Die erfolgte Aussaat mit GVO kontaminierten Saatgutes ist ferner als Freisetzung im Sinne des Gesetzes zu
werten. § 3 Nr. 5 GenTG definiert die Freisetzung als das gezielte Ausbringen von gentechnisch veränderten
Organismen in die Umwelt, soweit - wie hier - noch keine Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Zweck
des späteren Ausbringens in die Umwelt erteilt wurde. Die Finalität des Begriffs „gezielt“ richtet sich - wie
bereits oben bei den Erwägungen zur Zuständigkeitsfrage ausgeführt - nicht auf das Ausbringen von GVO,
sondern auf den Vorgang des Ausbringens als solchen, so dass es für die Freisetzung im Sinne des § 14
GenTG nicht darauf ankommt, ob der Landwirt Kenntnis von dem Vorhandensein von GVO-Verunreinigungen
hat (vgl. die oben angeführten Nachweise aus der Rechtsprechung).
21 Die in der angefochtenen Verfügung dargelegten Ermessenserwägungen sind ausreichend und rechtlich nicht
zu beanstanden. Soweit es die Freisetzung GVO-verunreinigten Saatgutes betrifft, kann wegen der fehlenden
Schwellenwerte für zulässige Kontaminierungen und dem hier maßgeblichen Null-Toleranz-Prinzip jedenfalls bei
Saatgut, dessen aus ihm erwachsene Pflanzen ein hohes Potenzial besitzen, Transgene auch in andere Arten
der Gattung und verwandte Gattungen hineinzutragen, eine gesetzgeberische Intention dahin angenommen
werden, solche Pflanzen die ohne Freisetzungsgenehmigung wachsen, in der Regel zu vernichten. Eine
Beschränkung darauf, lediglich das Inverkehrbringen der Ernte zu untersagen und eine Verwertung etwa als
Futtermittel oder zur Herstellung von Biobrennstoffen zuzulassen, kommt dagegen nicht in Betracht, weil eine
Verwertung der Ernte erst nach der Blüte möglich wäre, die gerade die Gefahr von Auskreuzungen mit sich
brächte. Das Landratsamt hat zutreffend zum einen die finanziellen Interessen des Antragstellers in den Blick
genommen und zum anderen das öffentliche Interesse an einer Abwehr von Gefahren, die mit einer
unkontrollierten Verbreitung nicht zugelassener GVO verbunden sind, bewertet. Letzterem hat sie bei ihrer
Entscheidung rechtsfehlerfrei den Vorrang eingeräumt. Die angeordnete Maßnahme war erforderlich und
geeignet, den drohenden Gefahren zu begegnen und angesichts des Gefahrenpotentials, das mit einer
unkontrollierten Verbreitung nicht zugelassener GVO einhergeht, auch verhältnismäßig (vgl. VG Braunschweig,
Urteil vom 03.12.2008, a.a.O., juris Rn. 32).
22 Hieran ändert sich insbesondere dadurch nichts, dass die GVO-Verunreinigungen nach den vorliegenden
Untersuchungen nur gering sein dürften. Die technische Nachweisgrenze für die qualitative Analyse liegt bei
lediglich etwa 0,01 Prozent GVO-Anteil (sog. Nachweis- oder Erfassungsgrenze). Theoretisch können wohl
auch deutlich geringere Spuren (im Bereich von bis 0,001 Prozent) nachgewiesen werden; diese hohe
Sensibilität scheitert jedoch in der Praxis wohl an verschiedenen Faktoren, unter anderem an der dazu
benötigten Probenmenge. Die durch die analytische Methode in der Praxis vorgegebene Erfassungsgrenze von
0,01 Prozent verschiebt sich im jeweiligen Einzelfall abhängig von der Menge der verprobten Körner. Der
quantitative Nachweis (sog. Bestimmungsgrenze) ist höher; erst ab einem GVO-Anteil von ca. 0,1 Prozent
kann auch eine quantitative Analyse vorgenommen und der Prozentsatz ungewollter GVO-Beimengungen im
Produkt festgestellt werden. Daraus folgt, dass zwischen einem GVO-Anteil von 0,01 Prozent und 0,1 Prozent
nur gesagt werden kann, dass gentechnisch verändertes Material nachweisbar ist, jedoch nicht wie viel (vgl.
VG Hannover, Urteil vom 01.10.2008, a.a.O., juris Rn. 29). Dies zugrunde gelegt kann von dem Antragsgegner
nicht mehr verlangt werden, als dass er das Vorhandensein des Genkonstrukts NK603 in dem beprobten
Saatgut mit der mit anerkannten Methoden zu erreichenden Wahrscheinlichkeit nachweist. Nach der
Konzeption des Gentechnikgesetzes liegt bereits jeder gentechnischen Veränderung als solcher ein
gentechnisches Basisrisiko zugrunde, das ein Mindestmaß an rechtlicher Kontrolle erfordert und rechtfertigt.
Insoweit ist das umfassende, jede genetische Veränderung erfassende Regelungskonzept des
Gentechnikgesetzes das Ergebnis einer gesetzgeberischen Risikobewertung, die auch nur theoretisch
denkbare Risikopfade und Schadensfolgen einbezieht und den bestehenden Unsicherheiten und
Wissenslücken bei der gentechnischen Veränderung von Organismen durch ein umfassendes vorsorgend-
vorsichtiges Kontrollregime begegnen will (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 07.11.2007, a.a.O., juris Rn 71
m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist bei jedem Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen außerhalb
des gesetzlich vorgesehenen Rahmens das Basisrisiko von besonderer Bedeutung. Mit der Neufassung des §
1 Nr. 2 GenTG durch das Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts (BGBl. l 2005, S. 186) hat sich der
Gesetzgeber grundsätzlich für die Koexistenz von konventioneller Erzeugung, ökologischem Landbau und dem
Einsatz gentechnisch veränderter Organismen entschieden. Um dieses Nebeneinander unterschiedlicher
Produktionsweisen sicherzustellen, welches sich in der Wahlfreiheit der Endverbraucher fortsetzt, bedarf es
eines präventiven „vorsorglichen“ Schutzes vor einer möglichen - auch unbeabsichtigten - Ausbreitung
gentechnisch veränderter Organismen (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 07.11.2007, a.a.O., juris Rn. 75;
VG Stade, Beschluss vom 03.06.2010 - 6 B 650/10 -, S. 7).
23 bb) Ist somit die Anordnung des Landratsamts ... in der Sache voraussichtlich zur Beseitigung eines
festgestellten Verstoßes gegen das Gentechnikgesetz notwendig, so ist - ungeachtet der aufgezeigten
Zuständigkeitsbedenken - die Folgenabwägungsentscheidung im Rahmen des Aussetzungsverfahrens wegen
der gegebenenfalls unabsehbaren Folgen für die Umwelt zu Lasten des Antragstellers zu treffen, bei dem zwar
nicht unerhebliche Eingriffe in Grundrechte in Rede stehen, letztlich aber (noch) überschaubare wirtschaftliche
Interessen betroffen sind (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.03.2008 - 13 ME 11/08 -,
juris Rn. 30 m.w.N.). Zwar liegt auf der Hand, dass die Gefahr der unkontrollierten Auskreuzung bei der hier
infrage stehenden Verunreinigung konventionellen Saatguts mit GVO-Maissamen geringer ist als bei einer
Aussaat von 100%igem GVO-Mais. Auch mag das Risiko bei Mais unter Umständen geringer sein als etwa bei
Raps (zur Möglichkeit eines unbeabsichtigten Gentransfers bei Mais siehe aber VG Stade, Urteil vom
02.09.2004 - 6 A 691/02 -, LRE 50, 173 = juris). Eine fachliche Beurteilung des Risikos einer Auskreuzung
etwa bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs unter Auflagen - wie dem
Verbot des Inverkehrbringens und der ausschließlichen Verwendung der Ernte als Futtermittel oder zur
Gewinnung von Bioethanol oder Biogas - ist im Eilverfahren jedoch nicht möglich. Fehlt es an einer
verlässlichen Risikoabschätzung, so ist nach Auffassung der Kammer die Ablehnung des Antrags geboten.
24 c) Die auf § 2 Nr. 2, §§ 18, 19, 20 und 25 LVwVG gestützte Androhung der Ersatzvornahme (Ziff. 3 der
Verfügung) begegnet unter diesen Umständen keinen Bedenken, so dass die im Rahmen des § 80 Abs. 5
VwGO vorzunehmende Interessenabwägung auch insoweit zu Lasten des Antragstellers ausfällt.
25 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53
Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Von einer Kürzung des Streitwerts im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes wird aus Gründen der Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004).