Urteil des VG Karlsruhe vom 12.04.2007

VG Karlsruhe (überwiegende wahrscheinlichkeit, gemeinde, bebauungsplan, aufschiebende wirkung, gebiet, gutachten, antrag, lasten, prüfung, funktion)

VG Karlsruhe Beschluß vom 12.4.2007, 6 K 2949/06
Verstoß gegen interkommunales Abstimmungsgebot unter Nachbargemeinden.
Leitsätze
In einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, in dem eine Nachbargemeinde gegen eine einzelne Baugenehmigung
vorgeht, entfaltet § 2 Abs. 2 BauGB Rechtswirkungen für die Nachbargemeinde nur/erst dann, wenn die
Gemeinde, in der das Vorhaben verwirklicht werden soll, dem Bauinteressenten unter Missachtung dieser
Vorschrift einen Zulassungsanspruch verschafft hat (im Anschluss an: BVerwG, Urt. v. 11.02.1993, NVwZ 1994,
285).
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen.
3. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.
4. Der Antrag auf Beiladung des Regionalverbands, Karlsruhe wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte
Baugenehmigung vom 30.08.2006 anzuordnen,
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ist statthaft (§§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 212a Abs. 1 BauGB)
und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO analog
antragsbefugt, denn sie macht u. a. geltend, die angefochtene Baugenehmigung sei zu ihren Lasten unter
Missachtung des in § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB normierten interkommunalen Abstimmungsgebots erteilt worden.
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Der Antrag ist allerdings nicht begründet. Die nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende
Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Beigeladenen zu 1 an der Ausnutzung der ihr erteilten
Baugenehmigung bereits vor bestands- bzw. rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache das
gegenläufige Interesse der Antragstellerin, dass von der angegriffenen Baugenehmigung vorerst kein Gebrauch
gemacht werden darf, überwiegt. Denn bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen
und gebotenen summarischen Prüfung lässt sich eine offensichtliche Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit der
von der Antragstellerin angegriffenen Baugenehmigung nicht feststellen. Nach Auffassung der Kammer spricht
aber jedenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin durch die angefochtene
Baugenehmigung in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Bei dieser
Einschätzung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache und unter Berücksichtigung der
Folgen, die sich voraussichtlich an die Gewährung bzw. Versagung des beantragten vorläufigen
Rechtsschutzes für die Beteiligten knüpfen werden, fällt die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu Lasten
der Antragstellerin aus.
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Das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 beurteilt sich bauplanungsrechtlich nach dem Bebauungsplan „...“ der
Beigeladenen zu 2 vom 24.07.2006, der mit ortsüblicher Bekanntmachung am 19.10.2006 in Kraft getreten ist.
Der Bebauungsplan setzt im maßgeblichen Bereich des Bauvorhabens ein eingeschränktes Gewerbegebiet
gem. § 8 BauNVO fest und enthält lediglich die Einschränkung, dass nur Gewerbebetriebe zulässig sind, die
das Wohnen nicht wesentlich stören. Danach dürfte der streitgegenständliche Einzelhandelsbetrieb, ein
Lebensmittelmarkt mit einer genehmigten Verkaufsfläche von insgesamt 758,04 m², im Plangebiet zulässig
sein. Bei diesem Betrieb handelt es sich auch nicht um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des
§ 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BauNVO, der lediglich in einem Kerngebiet oder in einem Sondergebiet zulässig wäre,
da es an dem Kriterium der 800 m² überschreitenden Verkaufsfläche fehlt (so nun: BVerwG, Urteile vom
24.11.2005 - 4 C 10/04 - und - 4 C 8/05 - ).
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Nach dem im vorliegenden Verfahren bei nur summarischer Prüfung gegebenen Erkenntnisstand zeichnet sich
nichts dafür ab, dass die von der Antragstellerin angegriffene Baugenehmigung Rechtsvorschriften verletzt, die
zumindest auch ihrem Schutz als Nachbargemeinde zu dienen bestimmt sind. Insbesondere ist nicht davon
auszugehen, dass die angefochtene Baugenehmigung in unzumutbarer Weise ihre Planungshoheit verletzt.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 16.12.1989, BVerwGE 84, 209) enthält
§ 2 Abs. 2 BauGB a.F. (= § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB n.F.), wonach die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden
aufeinander abzustimmen sind, eine gesetzliche Ausformung der gemeindlichen Planungshoheit, die das Recht
einschließt, sich gegen solche Planungen anderer Stellen zur Wehr zu setzen, die die eigene Planungshoheit
rechtswidrig verletzen. Unschädlich ist allerdings insoweit eine Verletzung des formellen
Abstimmungsverfahrens, die für sich genommen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit eines entsprechend fehlerhaft
zustande gekommenen Bebauungsplans führt. Zu prüfen ist vielmehr die materielle Abstimmung, das
Abgestimmtsein als Zustand. Ein Abstimmungsbedarf ergibt sich immer dann, wenn „unmittelbare
Auswirkungen gewichtiger Art“ bei der Nachbargemeinde eintreten können, wobei diese Auswirkungen
gleichzeitig einen städtebaulichen Bezug aufweisen müssen (VG Sigmaringen, Beschl. v. 28.03.2002 - 7 K
141/02 - m. w. N. ). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das interkommunale Abstimmungsgebot
grundsätzlich für die Aufstellung von Bauleitplänen gilt und eine unmittelbare Anwendung auf baurechtliche
Einzelgenehmigungen nicht in Betracht kommen dürfte. In Verfahren, in denen die Nachbargemeinde gegen
eine einzelne Baugenehmigung vorgeht, entfaltet § 2 Abs. 2 BauGB a.F. (= § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB n.F.)
Rechtswirkungen für die Nachbargemeinde nur/erst dann, wenn die Gemeinde, in der das Vorhaben verwirklicht
werden soll, dem Bauinteressenten unter Missachtung dieser Vorschrift einen Zulassungsanspruch verschafft
hat. Erforderlich ist mit anderen Worten, dass die Gemeinde in einer städtebaurechtlich zurechenbaren Weise
die Weichen in Richtung Zulassung eines bestimmten Vorhabens gestellt hat. Angesichts dessen erachtet die
Kammer es für unerheblich, ob der der Genehmigungserteilung zu Grunde liegende Bebauungsplan als solcher
wirksam ist. Ausschlaggebend ist, ob das aufgrund der erteilten Baugenehmigung errichtete Vorhaben sich auf
die Bauleitplanung in der Nachbargemeinde auf eine Weise auswirkt, dass von einer Verletzung ihrer
Planungshoheit bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.02.1993, NVwZ 1994,
285; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v.
09.02.1988, NVwZ-RR 1988,11; VG Sigmaringen, Beschl. v. 28.03.2002 - 7 K 141/02 -).
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Die Beigeladene zu 2 hat zwar durch den Bebauungsplan „...“ die Weichen für die Zulassung des
streitgegenständlichen Lebensmittelmarktes gestellt. Denn sie hat in die Planung eingestellt, dass auf einer
Teilfläche des für das Gewerbegebiet vorgesehenen Planbereichs ein Lebensmittelmarkt der Kette der
Beigeladenen zu 1 errichtet werden soll. Jedoch ist für die Kammer im vorliegenden Eilverfahren nicht
erkennbar, dass durch die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens gegen das interkommunale
Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB zu Lasten der Antragstellerin verstoßen worden sein könnte.
Die Antragstellerin selbst hat keine konkreten planerischen Vorstellungen genannt, deren Verwirklichung durch
die angegriffene Baugenehmigung in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Sie hat sich pauschal unter
Bezugnahme auf die Antragsbegründung des beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg anhängigen
Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan „...“ darauf berufen, dass weiterer Einzelhandel zentren-
oder nichtzentrenrelevanter Art sich negativ auf sie auswirke. Die Antragstellerin kann sich zwar als
Nachbargemeinde auch unabhängig davon, welche konkreten planerischen Absichten sie verfolgt, gegen
unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zur Wehr setzen. Dabei muss es sich um Auswirkungen handeln,
die einen städtebaulichen Bezug besitzen. Auswirkungen, welche keine städtebauliche Relevanz haben,
bleiben unberücksichtigt. Dies gilt insbesondere für ausschließlich wettbewerbliche Nachteile für bestimmte
Einzelhändler und Branchen, deren Verhinderung ebenso wenig ein Anliegen des - wettbewerbsneutralen -
Bauplanungsrechts ist wie die Verhinderung rein wirtschaftlicher negativer Auswirkungen (z. B. Abzug von
Kaufkraft) auf die Nachbargemeinde. Solche Auswirkungen sind erst dann zu berücksichtigen, wenn sie in eine
städtebauliche Dimension umschlagen. Städtebauliche Auswirkungen liegen z. B. vor, wenn durch übermäßige
Kaufkraftbindung an einem Standort ein Verdrängungswettbewerb ausgelöst wird und in Folge dessen durch
Geschäftsaufgabe im betroffenen Gebiet die ausreichende Nahversorgung der (nichtmotorisierten)
Bevölkerung, insbesondere mit Waren des kurzfristigen bzw. täglichen Bedarfs, nicht mehr gewährleistet ist
oder die Innenstadt aufgrund drohender Verödung ihre urbane Funktion nicht mehr erfüllen kann (VG Stuttgart,
Beschl. v. 26.07.2002 - 13 K 1257/02 - m. w. N. ). Eine Verletzung des drittschützenden
interkommunalen Rücksichtnahmegebots ist aber erst dann anzunehmen, wenn die vorgenannten
Auswirkungen derart schwerwiegend sind, dass sie für die Nachbargemeinde unverträglich bzw. unzumutbar
werden. Zur Beantwortung der Frage, ob die Auswirkungen eines Bauvorhabens mit der städtebaulichen
Gestaltung einer Nachbargemeinde unverträglich sind, kann die künftige Umsatzumverteilung als wesentliches
Indiz herangezogen werden. In der Rechtsprechung wird insoweit die Grenze bei Umsatzeinbußen bzw.
Kaufkraftabflüssen ab 10 % gezogen. Bei Kaufkraftabflüssen bis zu 10% wird die Annahme „unmittelbarer
Auswirkungen gewichtiger Art“ in der Regel verneint (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.02.2001 - 3 S 133/01
-).
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Die im vorliegenden Verfahren nur mögliche summarische Prüfung der Sachlage ergibt, dass der durch den
genehmigten Lebensmittelmarkt der Beigeladenen zu 1 entstehende zusätzliche Kaufkraftabfluss aus dem
Bereich der Antragstellerin wohl deutlich unter 10% liegen dürfte. Dies ergibt sich für die Kammer bei allen
Unsicherheiten, die derartigen Prognosen innewohnen, aus den Ausführungen des im Bebauungsplanverfahren
eingeholten Gutachtens ... vom Januar 2005. Dieses Gutachten wurde gerade zur Ermittlung der
städtebaulichen und raumordnerischen Auswirkungen des Lebensmittelmarktes der Beigeladenen zu 1 in
Auftrag gegeben. Nach den Ausführungen in dem Gutachten liegt das Gebiet der Antragstellerin außerhalb des
Einzugsbereichs des genehmigten Vorhabens. Zum Einzugsbereich zählen danach nur die Beigeladene zu 2
selbst sowie die Gemeinden ..., was auf Standortlage, Verkehrsverbindungen und Wettbewerbssituationen
zurückgehe. Für die Beigeladene zu 2 werde ein Marktanteil von 15 %, für die Gemeinde ... von 7 - 8 % und für
die Gemeinde ... von 5 % jeweils bezogen auf das Sortiment Nahrungs- und Genussmittel prognostiziert.
Weiter geht die ... davon aus, dass aufgrund der günstigen Standortlage ein Teil des Umsatzes mit Kunden
von außerhalb des Einzugsgebiets generiert werde. Der sogenannte Streuumsatzanteil werde auf eine
Größenordnung von ca. 5 % (= Umsatz von ca. 0,2 Mill. EUR) geschätzt. Auch für die Kammer ist im
vorliegenden Eilverfahren nicht ersichtlich, dass bei einem solchen Streuumsatzanteil, selbst wenn man diesen
allein auf das Gebiet der Antragstellerin beziehen würde, der genehmigte Lebensmittelmarkt eine
Kaufkraftverlagerung von mehr als 10 % zu Lasten der Antragstellerin mit sich bringen könnte. Insoweit ist
auch zu berücksichtigen, dass in der Innenstadt der Antragstellerin wohl die Lebensmittelabteilung eines
Kaufhauses der einzige größere Lebensmittelmarkt ist. Dass dieser in seiner Funktion als innerstädtisches
Versorgungszentrum durch das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen zu 1 mit einer Verkaufsfläche von
„lediglich“ 758,04 m² beeinträchtigt werden könnte, ist für die Kammer im vorliegenden Eilverfahren nicht
erkennbar. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass auf dem Gebiet der Antragstellerin wohl
bereits ein Lebensmittelmarkt der Kette der Beigeladenen zu 1 existiert, so dass die Einwohner der
Antragstellerin auch auf deren Gemeindegebiet mit einem identischen Angebot versorgt sind. Insoweit kommt
auch das Gutachten der ... zu dem Ergebnis, dass der Umsatzanteil, welcher mit Verbrauchern aus dem
Gebiet der Antragstellerin am Standort der Beigeladenen zu 2 generiert wird, vergleichsweise gering ausfalle,
zumal im Gebiet der Antragstellerin bereits ein „...“ vertreten sei. Hinsichtlich der in der Innenstadt der
Antragstellerin ansässigen Geschäfte seien Überschneidungen des „...“ mit Anbietern aus dem niedrigpreisigen
Genre, so mit überregionalen Filialisten bei Drogeriewaren und Bekleidung, nur in einem marginalen Umfang zu
erwarten.
10 Die Kammer hält es im vorliegenden Eilverfahren bei nur möglicher summarischer Prüfung der Sachlage für
gerechtfertigt, von dem Gutachten der ... auszugehen und der Beurteilung daher eine durch den genehmigten
Lebensmittelmarkt verursachte zusätzliche Kaufkraftabschöpfung im Hinblick auf das Gemeindegebiet der
Antragstellerin von deutlich unter 10% zu Grunde zu legen. Diese Vorgehensweise ist auch deshalb
angebracht, weil die Antragstellerin selbst nicht substantiiert dargelegt hat, welche städtebaulichen
Auswirkungen auf ihr Gemeindegebiet mit dem genehmigten Vorhaben verbunden sein könnten. Solche lassen
sich für die Kammer auch nicht der Stellungnahme von ... zum ...-Gutachten (vgl. Nr. 11 der Stellungnahme)
entnehmen. Dieses beschränkt sich im wesentlichen auf eine Kritik an der Erstellung des ...-Gutachten,
untermauert jedoch nicht mit substantiiertem Material die von der Antragstellerin vertretene Position.
11 Soweit die Antragstellerin rügt, dass im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens nicht eingestellt worden sei,
welche sonstigen nicht großflächigen Einzelhandelsbetriebe im Bebauungsplangebiet zulässig seien und
welche Auswirkungen die zusätzlichen Einzelhandelsflächen im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels
zusammen mit den schon in Kuppenheim vorhandenen Einzelhandelsbetrieben für Lebensmittel für ihr
Gemeindegebiet hätten, dürfte sich daraus keine andere Beurteilung ergeben. Insoweit ist zu berücksichtigen,
dass es vorliegend, wie bereits ausgeführt, nicht wie in einem Normenkontrollverfahren um die Wirksamkeit
des der Genehmigung zu Grunde liegenden Bebauungsplans geht, sondern um die Auswirkungen eines
aufgrund der erteilten Baugenehmigung errichteten Vorhabens auf die Planungshoheit der Nachbargemeinde.
Denn die Planungshoheit in Verbindung mit dem interkommunalen Abstimmungsgebot, welches grundsätzlich
nur für die Aufstellung von Bauleitplänen gilt, begründet in einem Baugenehmigungsverfahren nur insoweit für
eine Nachbargemeinde ein Abwehrrecht, als die Gemeinde einem Bauinteressenten unter Missachtung des § 2
Abs. 2 S.1 BauGB einen Zulassungsanspruch verschafft hat, d. h. durch einen nichtabgestimmten Bauleitplan
die Weichen in Richtung Zulassungsentscheidung gestellt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.02.1993 aaO.). Daher
ist vorliegend darauf abzustellen, ob die Genehmigung des Lebensmittelmarktes der Beigeladenen zu 1, der
insoweit auf einem - untechnisch gesprochenen - „vorhabensbezogenen“ Bebauungsplan beruht, gegen § 2
Abs. 2 S. 1 BauGB verstößt, was, nach dem zuvor Ausgeführten, nicht der Fall sein dürfte.
12 Auch im Hinblick auf § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB, der durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an
EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz) vom 24.06.2004 (BGBl. I S. 1359) eingefügt worden ist, dürfte
die Antragstellerin das Vorhaben aller Voraussicht nach ebenfalls nicht abwenden können. Hiernach können
sich benachbarte Gemeinden „dabei“, d. h. im Rahmen der Pflicht zur Abstimmung ihrer Baupläne, auch auf die
ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen
Versorgungsbereiche berufen.
13 Mit der ersten Alternative dieser Vorschrift soll in Abkehr von der bisherigen herrschenden Meinung erreicht
werden, dass eine Gemeinde die Funktion, die ihr durch das Landesraumordnungsrecht im Hinblick auf die
zentralörtliche Gliederung zugewiesen worden ist und ihr nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten einträgt, als
Teil ihrer interkommunal zu wahrenden Planungshoheit soll reklamieren und verteidigen dürfen. Ihr soll es mit
anderen Worten nunmehr möglich sein, ihre u. a. an den raumordnerischen Zielen ausgerichtete Bauleitplanung
gegen eine ihre zentralörtliche Funktion störende raumordnungswidrige Planung einer anderen Gemeinde zu
verteidigen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 - m. w. N. ).
14 In Anknüpfung an die vorstehenden Ausführungen dürfte sich diese Vorschrift nur auf Bauleitplanungen
beziehen. Eine unmittelbare Anwendung auf baurechtliche Einzelgenehmigungen, wie vorliegend, dürfte nicht in
Betracht kommen (vgl. Berkemann/Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, § 2 Rdnr. 22;
Niedersächsisches OVG, Beschl. V. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -). Nach Auffassung der Kammer dürfte § 2
Abs. S. 2 BauGB entsprechend der Rechtsprechung zu § 2 Abs 2 BauGB a. F. allerdings dann auch ein
Abwehrrecht einer Gemeinde gegen ein konkretes Vorhaben direkt begründen, wenn durch einen nicht mit § 2
Abs. 2 Satz 2 BauGB abgestimmten Bauleitplan konkret die Weichen in Richtung Zulassung eines bestimmten
Vorhabens gestellt werden (vgl. Berkemann/Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, § 2 Rdnr. 54).
Wie bereits ausgeführt, war der genehmigte Lebensmittelmarkt konkret in die Bauleitplanung der Beigeladenen
zu 2 eingestellt worden. Jedoch ist für die Kammer im vorliegenden Eilverfahren nicht erkennbar, dass das
geplante Vorhaben mit den Zielen der Raumordnung nicht vereinbar sein könnte und daher die Antragstellerin in
einer ihr durch solche Ziele zugewiesenen Funktion verletzen könnte. Denn der Regionalverband „...“ hat im
Rahmen seiner Stellungnahme zum Bebauungsplan „...“ ausgeführt, dass die Ansiedlung eines
Lebensmitteldiscounters mit einer Verkaufsfläche unterhalb der Regelvermutungsgrenze der Großflächigkeit
nach § 11 Abs. 3 BauNVO zwar wettbewerbliche, aber noch keine raumordnerischen Folgeeffekte auslösen
werde. Ein Markt mit einer Verkaufsfläche unterhalb der Regelvermutungsgrenze der Großflächigkeit sei nicht
als regional bedeutsam entsprechend dem fortgeschriebenen Kapitel 2.5.3 des Regionalplans ... einzustufen.
Mit drei Lebensmittelmärkten sei die Grundversorgung im Kleinzentrum Kuppenheim mit 7.599 Einwohnern im
regionalen Vergleich ausreichend gesichert. “Lediglich“ eine Rechtfertigung für weitere über die konkrete
Ansiedlungsabsicht des „...“ hinausgehende planerische Angebote zur Generierung weiteren Wettbewerbs ist
nach Ansicht des Regionalverbands aus Sicht der Raumordnung nicht gegeben. Angesichts dieser
Ausführungen ist zumindest im vorläufigen Rechtschutzverfahren nicht davon auszugehen, dass das
genehmigte Bauvorhaben, auf das vorliegend ausschlaggebend abzustellen ist, Ziele der Raumordnung zu
Lasten der Antragstellerin verletzen könnte. Die Kammer erachtet es auch insoweit, wie bereits zu § 2 Abs. 2
S. 1 BauGB ausgeführt, für unerheblich, ob der der Baugenehmigung zugrunde liegende Bebauungsplan als
solcher wirksam ist. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die vom Regionalverband angesprochene
Problematik der Angebotsplanung für weitere Einzelhandelseinrichtungen der Klärung im
Normenkontrollverfahren vorbehalten.
15 § 2 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BauGB dürfte die Antragstellerin gleichfalls nicht zur Abwehr des Vorhabens der
Beigeladenen zu 1 berechtigen. Danach kann sich die Antragstellerin als Teil ihrer interkommunalen
Abstimmungsbefugnisse auch auf die Auswirkungen berufen, die das Vorhaben auf ihre zentralen
Versorgungsbereiche hat/hätte. Einer Berufung hierauf könnte bereits entgegenstehen, dass auch diese
Bestimmung grundsätzlich nicht gegen Einzelvorhaben in Stellung gebracht werden kann (vgl.
Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.11.2005 - 1 ME 172/05 -). Auch insoweit könnte unter Bezugnahme auf
die bereits angeführte Rechtsprechung die Vorschrift auf die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung dann
durchschlagen, wenn das vorliegend in Rede stehende Bauvorhaben geeignet wäre, zentrale
Versorgungsbereiche der Antragstellerin durch Abzug von Kaufkraft zu gefährden. Dafür bestehen nach den
obigen Ausführungen im vorliegenden Eilverfahren keine ausreichenden Tatsachengrundlagen. Auch das
Antragsvorbringen hat keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine wesentliche Beeinträchtigung der zentralen
Versorgung auf dem Gebiet der Antragstellerin durch das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1 aufgezeigt.
16 Nach alledem dürfte nach der hier gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung jedenfalls keine
überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die von der Antragstellerin angefochtene
Baugenehmigung deren Rechte verletzt. Bei dieser Einschätzung der Sach- und Rechtslage räumt die Kammer
auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Folgen einer stattgebenden bzw. ablehnenden Entscheidung im
vorliegenden Verfahren dem Interesse der Beigeladenen zu 1 an der sofortigen Vollziehung der
Baugenehmigung den Vorrang ein. Bei den Folgen für die Antragstellerin ist zu berücksichtigen, dass die von
ihr befürchteten Nachteile nicht schon mit der Vollendung des Bauvorhabens eintreten würden, sondern erst mit
der tatsächlichen Aufnahme der genehmigten Nutzung, die im Falle einer Aufhebung der Baugenehmigung im
Hauptsacheverfahren untersagt werden könnte. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf das durch die
dargelegte Einschätzung der Sach- und Rechtslage begründete Gewicht des Interesses am Sofortvollzug
wiegen die im Hinblick auf die Investitionsmaßnahmen und wirtschaftlichen Dispositionen der Beigeladenen zu
1 zu erwartenden Nachteile bei einem bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren hinausgeschobenen
Baubeginn deutlich schwerer als die Belange der Antragstellerin.
17 Der Antrag war somit mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO abzulehnen; die
Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG (vgl. den Streitwertkatalog für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 07./08.07.2004, Nr. 9.7.2).
18 Der Antrag auf Beiladung des Regionalverbands ... war abzulehnen. Dass dessen rechtliche Interessen durch
die vorliegende gerichtliche Entscheidung berührt sein könnten, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Zum einen
räumt § 22 LPlG den Regionalverbänden eine eingeschränkte Klagebefugnis nur gegen Verwaltungsakte ein,
die die Errichtung, Erweiterung oder wesentliche Nutzungsänderung eines Einkaufszentrums, eines
großflächigen Einzelhandelsbetriebes oder eines sonstigen großflächigen Handelsbetriebes betreffen.
Gegenstand der vorliegend im Streit befindlichen Baugenehmigung ist jedoch kein großflächiger
Einzelhandelsbetrieb. Zudem hat der Regionalverband ... in seiner Stellungnahme im Bebauungsplanverfahren
vom 30.05.2006 ausgeführt, dass der genehmigte Lebensmittelmarkt der Beigeladenen zu 1 keine
raumordnerischen Folgeeffekte auslösen werde und nicht als regional bedeutsam einzustufen sei.