Urteil des VG Karlsruhe vom 20.01.2009

VG Karlsruhe (aufhebung der sperre, öffentliches recht, überwiegende wahrscheinlichkeit, antragsteller, verwaltungsbehörde, geeignetheit, sperre, anordnung, prüfung, aug)

VG Karlsruhe Beschluß vom 20.1.2009, 9 K 3952/08
Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung eine Unbedenklichkeitsbescheinigung hinsichtlich der
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu erteilen
Leitsätze
Die Fahrerlaubnisbehörde darf im Falle eines erstmals alkoholauffälligen Kraftfahrers, der nach strafgerichtlicher
Entziehung der Fahrerlaubnis die vorzeitige Aufhebung der Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis
erstrebt, die Ausstellung einer sogenannten Unbedenklichkeitsbescheinigung nach Maßgabe der VwV
Nachschulung (vom 12.11.2008, Die Justiz, S. 359) verweigern, wenn andere Aspekte als die erstmalige
Alkoholisierung im Straßenverkehr die Eignung des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen.
Tenor
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag, mit dem der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die
Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, ihm eine Unbedenklichkeitsbescheinigung hinsichtlich der
Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis zu erteilen, ist zwar zulässig, aber unbegründet. Auch der Hilfsantrag,
dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller unverzüglich eine medizinisch-psychologische
Untersuchung zu gestatten, einer Untersuchungsstelle einen Gutachtenauftrag zu erteilen sowie nach Vorliegen
eines positiven Gutachtens die Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen, bleibt ohne Erfolg.
2
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß
§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsgrund, namentlich die Eilbedürftigkeit, und
Anordnungsanspruch, d.h. ein subjektiv-öffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln, glaubhaft zu
machen.
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Der Antragsteller hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die gebotene summarische
Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass ihm ein Anspruch auf
Erteilung der beantragten Unbedenklichkeitsbescheinigung oder auf das mit dem Hilfsantrag begehrte
Verwaltungshandeln zusteht.
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Nach § 69a Abs. 7 StGB kann das Strafgericht, das im Rahmen eines Strafverfahrens die Fahrerlaubnis eines
Angeklagten entzogen und eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde
angeordnet hat, die Sperre vorzeitig aufheben, wenn sich Grund zu der Annahme ergibt, dass der Täter zum
Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist. Hierauf aufbauend gestaltet die Verwaltungsvorschrift
des Justizministeriums über die Sperrfristverkürzung nach Teilnahme an einer Nachschulung für erstmals
alkoholauffällige Kraftfahrer vom 12.11.2008 (7400/0727 - Die Justiz S. 359; inhaltlich unveränderter Neuerlass
der Verwaltungsvorschrift vom 31.05.2001 - Die Justiz S. 243) die Umstände aus, unter denen ein Antrag bei
Gericht auf vorzeitige Aufhebung der Sperre durch die Staatsanwaltschaft gestellt wird. Danach beantragt die
Staatsanwaltschaft die Sperrfristverkürzung zugunsten eines erstmals alkoholauffälligen Kraftfahrers, sobald
dieser die erfolgreiche Teilnahme an einer Nachschulung für erstmals alkoholauffällige Kraftfahrer
nachgewiesen hat und zudem eine so genannte Unbedenklichkeitsbescheinigung der Verwaltungsbehörde
vorlegt, aus welcher sich ergibt, dass nach Ablauf der verkürzten Sperrfrist keine Bedenken gegen die
Erteilung einer Fahrerlaubnis bestehen.
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Die Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums richtet sich an die Staatsanwaltschaften und bindet nicht
unmittelbar die Fahrerlaubnisbehörden an eine bestimmte Praxis bei der Erteilung einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung. Insbesondere ergeben sich aus der Verwaltungsvorschrift keine expliziten
und zwingenden Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Behörde eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu
erteilen hat. Die Voraussetzungen der Unbedenklichkeitsbescheinigung sind nicht Gegenstand der
Verwaltungsvorschrift. Gleichwohl hat der Antragsteller einen Anspruch auf sachgerechte Prüfung und
Entscheidung über seinen Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung. Die Verwaltungsbehörde darf die
Ausstellung nicht willkürlich oder aufgrund nicht nachvollziehbarer Bedenken gegen die Geeignetheit des
Antragstellers im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 StVG verweigern.
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Die summarische Prüfung ergibt, dass nach derzeitiger Sach- und Rechtslage die Verwaltungsbehörde die
Bescheinigung der Unbedenklichkeit verweigern durfte. Der Begriff „Unbedenklichkeit“ legt nahe, dass bereits
reine Bedenken an der Geeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Verweigerung der
Bescheinigung führen können. Die Bedenken müssen sich noch nicht zur Gewissheit verfestigt haben oder
einen überwiegenden Zweifel begründen, sondern lediglich einen Klärungsbedarf in Bezug auf die Geeignetheit
nach sich ziehen. Sinn und Zweck der durch die Verwaltungsvorschrift geforderten
Unbedenklichkeitsbescheinigung ist es gerade, der Verwaltungsbehörde in den Fällen einen Vorbehalt
einzuräumen, in denen die Geeignetheit aufgrund von Umständen in Frage steht, die über die erstmalige
Alkoholisierung im Straßenverkehr hinausgehen; denn Gegenstand der im Rahmen der Verwaltungsvorschrift
vorgesehenen Nachschulung ist vorrangig die Reflexion über das Trinkverhalten sowie die Trennung von
Alkoholkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr. Andere Aspekte, die beispielsweise die charakterliche
Eignung in Frage stellen, können durch diese Art der Nachschulung nicht ausgeräumt werden.
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Die Bedenken, die die Fahrerlaubnisbehörde im Falle des Antragstellers angemeldet hat, sind nicht willkürlich
aus der Luft gegriffen. Über die Alkoholproblematik hinaus wurden Zweifel an der charakterlichen Geeignetheit
des Antragstellers geltend gemacht. Diese wurden auf zahlreiche straßenverkehrsrechtliche
Ordnungswidrigkeiten gestützt, die seit dem Jahr 2001 zu einer nicht unerheblichen Punktebelastung des
Antragstellers beim Kraftfahrt-Bundesamt geführt haben. Unabhängig davon, ob angesichts der möglichen
Tilgungen durch Zeitablauf nach § 29 StVG derzeit (noch) ein Stand von 18 Punkten nach dem auf § 4 StVG
beruhenden Punktsystem vorliegt, ergeben sich berechtigte Bedenken aus der Gesamtschau des Verhaltens
des Antragstellers im Straßenverkehr während der letzten Jahre. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass
der Antragsteller bereits ein Aufbauseminar absolviert, sich einer verkehrspsychologischen Beratung
unterzogen sowie zwei zuvor verhängte einmonatige Fahrverbote verbüßt hat, lässt sich der Vorbehalt der
Behörde nachvollziehen. Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ist daher zumindest
ernstlich in Betracht zu ziehen. Als Rechtsgrundlage dafür ist nicht nur an § 13 S. 1 Nr. 2 a) FeV zu denken,
sondern vor allem im Hinblick auf die charakterliche Gesamtschau auch an § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 9 b), Nr. 4
bzw. Nr. 5 FeV. Die Verwaltungsbehörde muss sich bei der Prüfung des Antrags auf Erteilung der
Unbedenklichkeitsbescheinigung jedoch noch nicht festlegen, welche Maßnahmen sie zur Klärung der
Geeignetheit des Antragstellers im Neuerteilungsverfahren ergreifen wird, solange die Bedenken wie hier zur
Verweigerung der Unbedenklichkeitsbescheinigung genügen.
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Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Eine Rechtsgrundlage, nach der der Antragsgegner dem Antragsteller
eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu gestatten hat, ist nicht ersichtlich. Medizinisch-
psychologische Untersuchungen sind jederzeit unabhängig von einer Gestattung durch eine Behörde möglich
und in einigen Fällen auch sinnvoll, um Eignungsbedenken bereits frühzeitig und fundiert entgegenzutreten.
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Ebenso wenig ist gesetzlich vorgesehen, dass die Fahrerlaubnisbehörde einer Untersuchungsstelle einen
entsprechenden Gutachtenauftrag erteilt. Gemäß § 11 Abs. 6 S. 5 FeV erfolgen medizinisch-psychologische
Untersuchungen vielmehr auf Grund eines Auftrages durch den Betroffenen in dessen eigenem Namen.
10 Auch dem Begehren aus dem Hilfsantrag, dem Antragsgegner aufzugeben, nach Vorliegen eines positiven
Gutachtens die Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, ist nicht stattzugeben. Hierfür fehlt es bereits
am Rechtsschutzbedürfnis. Bei Vorliegen eines positiven Gutachtens hat die Fahrerlaubnisbehörde dieses zu
prüfen und darauf beruhend eine neue Entscheidung zu fällen. Diese kann durchaus zugunsten des
Antragstellers ausfallen. Daher ist zum jetzigen Zeitpunkt für einen vorläufigen Rechtschutz kein Raum.
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs.
3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.