Urteil des VG Hannover vom 19.05.2014

VG Hannover: beschränkung, unbeteiligter dritter, öffentliche sicherheit, lautsprecheranlage, stand der technik, versammlungsfreiheit, unmittelbare gefahr, gefährdung, zahl, plombierung

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Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher
Beschränkung (hier verneint): - Einsatz von
elektroakustischen Hilfsmitteln erst ab 50 Teilnehmer;
Plombierungsgebot für Lautsprecheranlage
VG Hannover 10. Kammer, Urteil vom 19.05.2014, 10 A 2881/11
§ 8 Abs 1 VersammlG ND
Tenor
Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt
haben, wird das Verfahren eingestellt.
Es wird festgestellt, dass die Verfügung des Beklagten vom 15. Juli 2011
rechtswidrig war, soweit darin unter Ziffer 1 die folgende
versammlungsrechtliche Beschränkung ausgesprochen worden ist:
Ansprachen und Durchsagen aus Anlass der Versammlung dürfen nur
dann unter Verwendung elektroakustischer Hilfsmittel verstärkt werden,
wenn die Zahl der Versammlungsteilnehmer 50 Personen übersteigt,
und dem Kläger aufgegeben worden ist, die verwendete Lautsprecheranlage
zu plombieren.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Leistung
einer Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit
in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit
versammlungsrechtlicher Beschränkungen.
Er zeigte am 19. August 2009 eine Demonstration unter dem Motto "Gefangen,
gefoltert, gemordet - Damals wie heute: Besatzer raus" für Sonnabend, den 6.
August 2011 an. Ausweislich der Anmeldung sollte die Veranstaltung mit ca.
500 Teilnehmern im Zeitraum von 11 Uhr bis 21.30 Uhr mit einem Aufzug und
Kundgebungen in der Innenstadt von Bad Nenndorf durchgeführt werden. Der
Kläger kündigte an, als Hilfsmittel neben Trommeln und Fahnen ein
Lautsprecherfahrzeug und Megaphone einsetzen zu wollen. Unter dem 15.
Juni 2011 lud der Beklagte den Kläger zu einem Kooperationsgespräch am
4. Juli 2011 ein. Der Kläger sagte telefonisch seine Teilnahme zu, erschien
jedoch nicht.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2011 bestätigte der Beklagte den Eingang der
Anzeige und legte zugleich unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die
Aufzugsroute und den Zeitraum der Durchführung der Versammlung fest und
erließ außerdem u. a. folgende versammlungsrechtliche Beschränkungen:
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"1. Ansprachen und Durchsagen aus Anlass der Versammlung dürfen
nur dann unter Verwendung elektroakustischer Hilfsmittel verstärkt
werden, wenn die Zahl der Versammlungsteilnehmer 50 Personen
übersteigt.
[...]
Ein Lautstärkepegel von 90 dB (A), gemessen in einem Meter Abstand
von der Emissionsquelle (Lautsprecher), darf durch zum Einsatz
kommende Lautsprecherwagen nicht überschritten werden. Die Anlage
ist entsprechend einzustellen und zu plombieren.
2. […]
3. Durch den Versammlungsleiter ist je 20 Teilnehmer ein Ordner
einzusetzen.
[...]
Der Versammlungsleiter ist verpflichtet, die Personalien (Name,
Vorname, Geburtsdatum und Wohnort) der einzusetzenden Ordner in
einer Liste zu erfassen. Diese Liste der Ordner ist einen Tag vorher, am
05.08.2011 bis 12 Uhr der Versammlungsbehörde per Fax (Faxnummer:
…) bzw. der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg per Fax
(Faxnummer: …) zu übermitteln.
[…]
4. […]
5. […]
6. Es darf pro 50 Teilnehmer eine Trommel mitgeführt werden, insgesamt
höchstens 10 Trommeln. [...] Die Trommeln dürfen nicht so geschlagen
werden, dass ein einheitlicher Marschtakt entsteht und dass den
Demonstrationsteilnehmern dadurch Kommandos gegeben werden
können. Bei polizeilichen Lautsprecherdurchsagen ist das Trommeln
unverzüglich einzustellen.
Hierbei ist sicherzustellen, dass der unter Ziffer 1 Absatz 3 festgesetzte
Immissionsrichtwert von 90 dB (A) bei der Schallquelle in einer
Entfernung von einem Meter nicht überschritten wird.
7.-10. […]
11. In Versammlungsreden, Sprechchören sowie auf Transparenten
haben Äußerungen zu unterbleiben, die das NS-Regime, seine
Organisationen und deren (auch selbst ernannte) Folgeorganisationen
sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge-
und Ersatzorganisationen billigen, verherrlichen, rechtfertigen oder
verharmlosen. Untersagt sind insbesondere [...] alle Parolen mit der
Wortfolge "… nationaler Widerstand". Gleiches gilt für etwa zu
verbreitende Druckwerke und musikalische Darbietungen.
[…]"
Zur Begründung der Beschränkung unter Ziffer 1. führte der Beklagte wie folgt
aus:
„Die Benutzung eines Megaphons oder elektroakustischer
Verstärkeranlagen gehört als Ausfluss des Rechts auf freie
Meinungsäußerung dann zum immanenten Bestandteil des
Versammlungsrechts, wenn die Versammlung ohne eine solche
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Verstärkungsmöglichkeit nicht durchgeführt werden könnte. Umfasst die
Versammlung lediglich einen Teilnehmerkreis bis zu 50 Personen, so
kann sowohl dieser als auch die den Versammlungsort passierende
Bevölkerung ohne Verstärkeranlagen erreicht werden. Denn abzuwägen
ist einerseits das Interesse des Versammlungsveranstalters an einer
möglichst weit reichenden Meinungsverbreitung und andererseits das
Interesse insbesondere derjenigen Personen, die im
Versammlungsbereich wohnen, arbeiten oder aber sich dort aus anderen
Gründen aufhalten und nicht an der Versammlungsthematik interessiert
sind. Eine Beobachtung von Versammlungen im Bereich der Stadt
Hannover hat ergeben, dass mindestens 50 Personen ohne
Schwierigkeiten auch ohne elektroakustische Verstärkung ebenso
erreicht werden wie die Passanten. Gleiches gilt auch für den Einsatz
eines Handmegaphons. Dann aber muss der Gesichtspunkt des
Schutzes der Bevölkerung vor Lärm den Vorrang haben, zumal die
insoweit erteilte Beschränkung die Versammlung in ihrer Durchführung
nicht entscheidend beeinflusst.
Die gewählten Orte der Kundgebungen bieten den
Versammlungsteilnehmern bei einer Teilnehmerzahl von weniger als 50
Personen auch ohne den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel die
Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern und auf ihr Anliegen aufmerksam zu
machen. So scheidet zum einen Straßenlärm als Beeinträchtigung aus,
da die Straßen für die Dauer der Versammlung für den
Kraftfahrzeugverkehr gesperrt werden. In den Bereichen der
Kundgebungsorte befinden sich weiterhin keine lärmverursachenden
Gewerbebetriebe, deren Lärmimmissionen den Einsatz eines
Lautsprechers bei weniger als 50 Teilnehmern erforderlich machen
würden. Dies betrifft insbesondere den Ort der Zwischenkundgebung am
Wincklerbad, da sich hier die Rheumaklinik sowie Therapieeinrichtungen
befinden. Allenfalls am Bahnhof können kurzzeitige
Lärmbeeinträchtigungen durch an- und abfahrende Züge auftreten. Die
konkreten Rahmenbedingungen erfordern daher keinen Einsatz
elektroakustischer Hilfsmittel bei einer Teilnehmerzahl von weniger als 50
Personen, um auf das Anliegen der Versammlungsteilnehmer
aufmerksam zu machen.
[...]
Für die Beschallung durch die Lautsprecheranlage ist die Technische
Anleitung Lärm [...] anzuwenden, die sowohl Maximalwerte der
Geräuschimmissionen als auch die Tag- (6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) und
Nachtzeiten (22.00 bis 6.00 Uhr) definiert. Die TA Lärm dient dem Schutz
der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen
Umwelteinwirkungen durch Geräusche sowie der Vorsorge gegen
schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche. Schädliche
Umwelteinwirkungen im Sinne dieser Anleitung sind
Geräuschimmissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind,
erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit
oder die Anlieger herbeizuführen.
Weiterhin wird auf die Vorschrift des § 33 Straßenverkehrsordnung
(StVO) verwiesen, wonach der Betrieb von Lautsprechern verboten ist,
wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden
oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können.
Hinsichtlich des festgesetzten Richtwerts von 90 dB(A) verweise ich auf
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12.8.2010 (Az.
10 B 3412/10 und 10 B 3503/10).“
Am 27. Juli 2011 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 15. Juli 2011 aufzuheben, soweit darin
1. die Beschränkung unter Ziffer 1. im Hinblick auf die 50-Personen-
Grenze für elektroakustische Hilfsmittel und das
Plombierungsgebot,
2. die Beschränkung unter Ziffer 3. (die Anordnung, einen Ordner je
20 Teilnehmer einzusetzen und die Namen der Ordner am Vortrag
bekannt zu geben),
3. die Beschränkung unter Ziffer 6. (die Schallpegelbegrenzung des
Trommelschlags),
4. die Beschränkung unter Ziffer 11. hinsichtlich des Verbots von
Parolen mit der Wortfolge „...nationaler Widerstand“ und
5. die zeitliche Beschränkung der Versammlung auf den Zeitraum
von 12.30 bis 18.00 Uhr
verfügt worden sind.
Der Beklagte hat auf die Klage und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
hin die Beschränkung unter Ziffer 11. hinsichtlich des Verbots von Parolen mit
der Wortfolge „...nationaler Widerstand“ aufgehoben und die Beschränkung
unter Ziffer 3. dahingehend abgeändert, dass nur ein Ordner je 50 Teilnehmer
gestellt werden müsse und die Ordner erst am Versammlungstag bis 11.00
Uhr benannt werden müssten.
Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Kammer mit Beschluss vom
2. August 2011 - 10 B 2882/11 - abgelehnt. Soweit der Beklagte der Klage
(hinsichtlich der Beschränkungen unter Ziffern 3. und 11.) abgeholfen habe,
sei der Antrag mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig. Hinsichtlich der
Beschränkung unter Ziffer 1 (50-Personen-Grenze für den Einsatz
elektroakustischer Hilfsmittel) fehle dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis,
weil die angefochtene Beschränkung bei der zu erwartenden Teilnehmerzahl
nicht zur Anwendung kommen werde. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet,
weil sich die Beschränkungen nach summarischer Prüfung als rechtmäßig
erwiesen.
Die gegen den Beschluss der Kammer erhobene Beschwerde des Klägers,
deren Gegenstand auf die Beschränkungen unter Ziffer 1. - 50-Personen-
Grenze für den Einsatz elektroakustischer Hilfen und Plombierungsgebot
begrenzt war - hat das Nds. Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5.
August 2011 - 11 ME 240/11 - zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 23. März 2012 hat der Kläger das Verfahren hinsichtlich der
angekündigten Klaganträge zu 4) und zu 2) - soweit damit eine Meldefrist
angegriffen wird - für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der
Erledigungserklärung angeschlossen und die Kostenübernahme erklärt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich der
Beschränkung unter Ziffer 3. (ein Ordner je 20 Teilnehmer), der Beschränkung
unter Ziffer 6. (Schallbegrenzung des Trommelschlags) und der Beschränkung
der Versammlung auf den Zeitraum 12.30 Uhr bis 18.00 Uhr in der Hauptsache
für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung
angeschlossen.
Hinsichtlich der Beschränkungen unter Ziffer 1. (der 50-Personen-Grenze für
den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel und dem Gebot, die verwendete
Lautsprecheranlage zu plombieren) hat der Kläger die Klage aufrechterhalten.
Die angefochtenen Beschränkungen verletzten seine Versammlungsfreiheit.
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Er wolle elektroakustische Hilfsmittel nicht nur einsetzen, um die
Versammlungsteilnehmer zu erreichen, sondern dadurch auch der
Bevölkerung sein Anliegen zu Gehör bringen. Die unter Ziffer 1. verfügte
Bedingung, dass elektroakustische Hilfsmittel erst ab 50
Versammlungsteilnehmern eingesetzt werden dürften, schränke seine
Möglichkeiten zur Meinungskundgabe unverhältnismäßig ein. Die Vorgabe, die
Lautsprecheranlage zu plombieren, sei technisch nicht möglich und werde
dem Wesen eines sich fortbewegenden Aufzugs nicht gerecht. Je nach
Bebauungszusammenhang sei das erforderliche Schutzniveau mal niedriger,
mal höher.
Der Kläger beantragt nunmehr,
festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2011
hinsichtlich der Beschränkung unter Ziffer 1. (Beschränkung der
elektroakustischen Hilfsmittel - 50-Personen-Grenze;
Plombierungsgebot) rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Soweit sich der Kläger gegen die 50-Personen-Grenze für den Einsatz
elektroakustischer Hilfsmittel wende, bestehe für eine Klage kein
Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger durch diese Beschränkung nicht
beschwert werde. Er habe selbst eine erwartete Teilnehmerzahl von 500
Personen angegeben.
Die Plombierung der Lautsprecheranlage sei eine gebotene und erforderliche
Maßnahme, um die Einhaltung der für den Einsatz von Lautsprecherwagen
verfügten Festsetzung des maximal zulässigen Schalldruckpegels
durchzusetzen. Dem Kläger sei zwar im Vorjahr gestattet worden, die
Lautsprecheranlage lediglich durch Klebeband gegen unbefugtes Verstellen
zu sichern. Diese Lösung habe sich aber als ungeeignet herausgestellt, weil
der Kläger gegen die Schalldruckpegelbegrenzung verstoßen habe.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des
Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend
für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von
§ 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
II. Mit dem noch zur Entscheidung des Gerichts gestellten
Feststellungsbegehren hat die Klage Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig. Zwar hat die Kammer im Verfahren um einstweiligen
Rechtsschutz hinsichtlich der Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer
Hilfsmittel auf eine Mindestteilnehmerzahl von 50 Personen ein
Rechtsschutzbedürfnis des Klägers verneint, weil der Kläger selbst deutlich
mehr als 50 Teilnehmer erwartete und das Quorum deshalb erwartetermaßen
nicht zur Geltung kommen würde. Diese Erwägungen stehen jedoch allenfalls
dem Rechtsschutzbedürfnis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entgegen
und bedeuten nicht, dass diese Beschränkung auch der gerichtlichen
Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu entziehen wäre. Die bei einer
Veranstaltung mit einem vergleichbaren kommunikativen Anliegen in Bad
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Nenndorf im November 2013 festgestellte Teilnehmerzahl von 56 Personen
zeigt im Übrigen, dass auch höhere Erwartungen an die Teilnehmerzahl
keineswegs ausschließen, dass die Beschränkung zur Anwendung kommt.
Dem Kläger kommt für das noch zur Entscheidung des Gerichts gestellte
Feststellungsbegehren unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr
auch ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung zu. Denn der
Beklagte hat bei keiner der angegriffenen Beschränkungen in Aussicht gestellt,
diese bei zukünftigen vergleichbaren Veranstaltungen, die der Kläger bereits
angezeigt hat, nicht mehr zu verwenden.
2. Die Klage ist auch begründet. Die mit der Fortsetzungsfeststellungsklage
angegriffenen Beschränkungen waren rechtswidrig und haben den Kläger in
seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
a. Rechtsgrundlage für versammlungsrechtliche Beschränkungen ist § 8 Abs.
1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 7.10.2010
(Nds. GVBl. S. 465, ber. 532). Danach kann die zuständige Behörde eine
Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr
für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
Der Begriff der "öffentlichen Sicherheit" umfasst dabei den Schutz zentraler
Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen
des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der
staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser
Schutzgüter droht. Unter "öffentlicher Ordnung" wird die Gesamtheit der
ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils
herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche
Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb
eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom
14.5.1985 - 1 BvR 233/81 - BVerfGE 69, 315, 352).
Die "unmittelbare Gefährdung" i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG setzt eine konkrete
Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an den der Versammlungsfreiheit
entgegenstehenden Rechtsgütern führt. Die Gefährdung muss nach dem
gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der
Störung aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen
mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
Wenn diese Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Beschränkung
vorliegen, räumt das Gesetz der Versammlungsbehörde Ermessen hinsichtlich
ihres Einschreitens und der Wahl ihrer Mittel ein, bei dessen Betätigung sie
den hohen Rang der Versammlungsfreiheit zu beachten und die jeweiligen
Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat.
Diesem Maßstab werden die Erwägungen, die der Beklagte den angegriffenen
Beschränkungen zugrunde gelegt hat, nicht gerecht.
b. Die Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine
Teilnehmeranzahl von mehr als 50 Personen ist ermessensfehlerhaft
ergangen.
Zwar lässt der Tatbestand des § 8 Abs. 1 NVersG nach den vorstehenden
Maßgaben grundsätzlich Beschränkungen der von der Versammlung
ausgehenden Lautstärke zu, die den Schutz der Versammlungsteilnehmer,
unbeteiligter Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen
Polizeibeamten vor schädlichen Umwelteinwirkungen gewährleisten sollen.
Zumindest die von dem Beklagten angestellten Ermessenserwägungen
vermögen eine Beschränkung in dem hier verfügten Umfang jedoch nicht zu
tragen; die Beschränkung erweist sich infolgedessen als unverhältnismäßig.
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Zu den Anforderungen an eine an die Zahl der Versammlungsteilnehmer
anknüpfende Beschränkung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel hatte
die Kammer (Beschluss vom 28.7.2006 - 10 B 4435/06 -) bereits im Jahr 2006
zu einer mit der Versammlung des Klägers vergleichbaren, ebenfalls in Bad
Nenndorf durchgeführten Versammlung ausgeführt:
„Die Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das Recht, seine Meinung
zu äußern, sondern schützt auch die damit bezweckte Wirkung auf
andere (BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198,
210). Der Grundrechtsträger ist daher grundsätzlich auch frei, die Mittel
seiner Meinungsäußerung selbst zu bestimmen. Für Demonstrationen
kann als unbestritten gelten, dass Meinungskundgebungen anlässlich
von Versammlungen und Aufzügen nicht nur die
Demonstrationsteilnehmer selbst erreichen sollen, sondern dass es
gerade auch Aufgabe der Demonstration ist, auf das Anliegen
aufmerksam zu machen; den Demonstranten muss deshalb vor allem
erlaubt sein, zufällig Vorübergehende anzusprechen (VG Hannover, Urt.
v. 26.01.1981 - 6 A 105/78 -). Auf der anderen Seite bietet das
Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht
keine Rechtfertigung dafür, durch Technikeinsatz Aufmerksamkeit von
Unbeteiligten zu erzwingen. Trotz ihres Rechtes auf Meinungskundgabe
und dessen „Wirkung auf andere“ haben die Demonstranten kein Recht
auf Beachtungserfolg. Diese widerstreitenden Interessen - der positiven
Versammlungsfreiheit der Demonstrationsteilnehmer und der negativen
Versammlungsfreiheit Unbeteiligter - erfordern einen schonenden
Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz.
Bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die grundlegende
Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Die grundrechtlich
geschützte Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn
eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des
Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter
notwendig ist (BVerfGE 69, 315 (353)). Bei Eingriffen zum Schutz der
Rechtspositionen Dritter sind die versammlungsrechtlichen
Befugnisnormen stets im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit
auszulegen und Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz
gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfGE 69, 315 (349); Dietel/
Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 81). Welche durch die Versammlung
auftretenden Rechtsbeeinträchtigungen jeweils hingenommen werden
müssen, ist im Einzelfall in Ansehung der gegebenen Tatsachen
festzustellen (Dietel/ Gintzel/ Kniesel, VersR § 15 Rn. 83 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Auflage nicht gerecht. Die
Begrenzung des Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf eine
Teilnehmerzahl von mehr als 50 Personen kann entgegen der
Auffassung des Antragsgegners nicht darauf gestützt werden, dass
Personen bis zu dieser Anzahl - wie eine Beobachtung im Bereich der
Stadt Hannover ergeben habe - ohne Schwierigkeiten auch ohne
elektroakustische Verstärkung erreicht werden können. Diese erkennbar
schematische Betrachtungsweise lässt offensichtlich die konkreten
Rahmenbedingungen und örtlichen Gegebenheiten, wie beispielsweise
auftretenden Straßenlärm oder die Lärmentwicklung durch zu erwartende
Gegendemonstranten, außer Betracht (vgl. auch VG Stuttgart, Beschl. v.
13.01.2006 - 5 K 496/06). Sie übersieht zudem, dass sich eine
Versammlung - wie bereits ausgeführt - gerade nicht nur an die
Versammlungsteilnehmer, sondern auch an die Öffentlichkeit richtet.
Darüber hinaus lässt sich aus dem bloßen Einsatz elektroakustischer
Mittel auch bei weniger als 51 Versammlungsteilnehmern keine konkrete
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erkennen. Das
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Abstellen auf das Überschreiten einer Personengrenze für den Einsatz
elektroakustischer Hilfsmittel mag zwar praktikabel sein, birgt jedoch die
Gefahr, dass weniger populäre Meinungen, die eine geringere Zahl von
Versammlungsteilnehmern ansprechen, auch einen geringeren Schutz
durch Art. 8 Abs. 1 GG erfahren, indem sie auch nur in eingeschränktem
Maße an die Öffentlichkeit gerichtet werden können. Über die Schaffung
einer bloßen Teilnehmergrenze würde damit der Minderheitenschutz
unterlaufen. Abzustellen ist daher nicht allein auf die Zahl der Teilnehmer,
sondern auch auf die konkrete Situation des Demonstrationsortes.
Im Rahmen einer Gesamtschau zu berücksichtigende Anhaltspunkte
sind dabei unter anderem der zu erwartende Lärm durch nahen
Straßenverkehr oder zu erwartende Gegendemonstranten, die
umgebenden Nutzungen - Gewerbebetriebe sind in der Regel weniger
schutzwürdig als Wohnbebauung -, die Häufigkeit von Demonstrationen
an dem beantragten Ort - ständiger Lärm durch zahlreiche
Demonstrationen kann von den Anwohnern als erhebliche Belästigung
empfunden werden -, die Tiefe des Raumes, in den der Schall
abgestrahlt wird - je weiter eine Abstrahlung möglich ist, desto mehr
Unbeteiligte werden in ihrer Ruhe gestört -, die Lage und damit in der
Regel zusammenhängend die Frequentierung des Versammlungsortes -
je mehr Passanten einen Versammlungsort passieren (müssen), desto
eher ist eine erste Ansprache dieser Personen auch ohne die
Zuhilfenahme elektroakustischer Mittel möglich - und schließlich die
Dauer der Lärmbelästigung, die bei einem Aufzug kürzer und damit eher
zumutbar ist, als bei einer Kundgebung an einem gleichbleibenden Ort.“
Diese grundsätzlichen Erwägungen beanspruchen nach wie vor Geltung. Der
Beklagte hat ihnen lediglich insoweit Rechnung getragen, als er die örtlichen
Gegebenheiten darauf geprüft hat, ob örtliche Lärmemissionen die
Durchführung der Versammlung und die Kundgabe des kommunikativen
Anliegens erschweren könnten. Darüber hinaus gehende Lärmimmissionen
durch etwaige Gegendemonstrationen, die den Einsatz von Megaphonen
durch die Versammlungsteilnehmer des Klägers erforderlich machen könnten,
hat der Beklagte bei seiner Abwägung ebenso wenig berücksichtigt wie das
konkrete Lärmschutzbedürfnis der jeweiligen Umgebung. Dass mit einer
Versammlung regelmäßig nicht nur die Demonstrationsteilnehmer selbst
erreicht werden sollen, sondern das Anliegen gerade auch Dritten gegenüber
kundgegeben werden soll, hat der Beklagte formal erwähnt, aber nicht mit
erkennbarem Gewicht in der Abwägung berücksichtigt. Schon aus den
vorstehenden Erwägungen erweist sich die Beschränkung als defizitär.
Vollumfänglich auf den vorliegenden Fall übertragbar sind im Übrigen die
weiteren Ausführungen der Kammer in dem Beschluss vom 28. Juli 2006 -
a. a. O. - zur Ermessensausübung des Beklagten und damaligen
Antragsgegners:
„Soweit durch den Einsatz elektroakustischer Hilfsmittel - also auch
Megaphone - eine Lärmbelästigung erwartet wird ... , kann diese ... durch
eine Beschränkung der Beschallung unterbunden werden, wie sie der
Antragsgegner für die Beschallung durch die Lautsprecheranlage auch
vorgenommen hat ... . Einer Untersagung elektroakustischer Hilfsmittel
auch bei unter 51 Versammlungsteilnehmern bedarf es daher nicht.
Der Hinweis des Antragsgegners auf § 33 Abs. 1 Nr. 1
Straßenverkehrsordnung, nach dem der Betrieb von Lautsprechern
verboten ist, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr
gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt
werden können, greift nicht. Ernsthafte Behinderungen des
Straßenverkehrs sind im vorliegenden Fall nicht zu erwarten, weil das
Gericht davon ausgeht, dass die Straßen in diesem Bereich anlässlich
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des Aufzuges ohnehin zumindest für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt
sein werden. Eine Ablenkung oder Belästigung anderer
Verkehrsteilnehmer, insbesondere von Passanten, ist nicht ohne
weiteres erkennbar (ebenso VG Stuttgart, Beschl. v. 13.01.2006 - 5 K
496/06).“
Soweit der Beklagte diese Ausführungen (nur) dahingehend aufgreift, dass die
Sperrung des Aufzugsbereichs für den Straßenverkehr die Beschränkung des
Einsatzes elektroakustischer Hilfsmittel auf mehr als 50
Versammlungsteilnehmer gerade rechtfertige, weil dadurch störender
Straßenlärm ausgeschlossen sei, ist die Begründung der Beschränkung in
sich widersprüchlich und nicht tragfähig, weil der Beklagte gleichzeitig zur
Rechtfertigung der Beschränkung erneut auf § 33 Abs. 1 Nr. 1 StVO verweist.
c. Die darüber hinaus angefochtene Beschränkung, die verwendete
Lautsprecheranlage (einem maximalen Schalldruckpegel von 90 dB(A) in
einem Meter Abstand vor der Lärmquelle) „entsprechend zu plombieren“,
erweist sich jedenfalls hinsichtlich der ihr zugrunde liegenden
Gefahrenprognose als defizitär.
aa. Im Hinblick auf die Bestimmtheit dieser Beschränkung geht die Kammer
zunächst davon aus, dass mit „plombieren“ ausschließlich das Anbringen einer
Plombe gemeint ist; das ist üblicherweise eine Weichmetallscheibe, die mittels
einer speziellen Zange auf einen Plombierdraht gepresst wird und diesen
gegen unbemerktes Öffnen sichert. Dass die Plombe durch eine besonders
qualifizierte Person - etwa einen öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen oder einen Notar - angebracht werden müsste, ist weder
dem Beschränkungstenor noch der Begründung zu entnehmen. Gleiches gilt
für eine etwaige Einmessung der verwendeten Lautsprecheranlage.
Die ergänzende Begründung des Beklagten in der Klageerwiderung - „sollte
jedoch tatsächlich aus technischen Gründen eine Plombierung nicht möglich
sein, kann ein Limiter (Schallpegelbegrenzer) eingebaut werden“ - gibt sodann
Anlass zu der Klarstellung, dass die Verwendung eines Limiters eine
technische Maßnahme zur Begrenzung des Schalldruckpegels einer
Lautsprecheranlage auf einen bestimmten - einstellbaren - Wert darstellt. Die
ausschließliche Verwendung eines Limiters ist deshalb ungeeignet,
nachträgliche Veränderungen der maximalen Lautstärke zu verhindern; dies
geschieht erst durch das Anbringen einer Plombe an dem Limiter. Ein Limiter
allein ist demnach kein Ersatz für eine Plombe. Das Anbringen einer Plombe
am Lautstärkeregler ohne Einsatz eines Limiters dagegen verhindert nicht nur
das Überschreiten des festgesetzten Maximalschalldruckpegels, sondern
auch dessen Unterschreiten, ohne dass der Beklagte derartiges angeordnet
hätte. Es bestehen insofern schon Zweifel daran, dass der Beklagte bei Erlass
der Beschränkung konkrete, zutreffende Vorstellungen darüber hatte, was
dem Kläger damit konkret aufgegeben worden ist.
bb. Eine das Plombierungsgebot tragende "unmittelbare Gefährdung" i.S.d. § 8
Abs. 1 NVersG ist nicht schon darin zu sehen, dass von der Versammlung
ausgehender Lärm die Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter
Dritter (z.B. Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten
beeinträchtigen kann. Denn das Plombierungsgebot trifft bei isolierter
Betrachtung keine Aussage über das noch vertretbare bzw. von Dritten
hinzunehmende Schallpegelniveau. Es dient nur mittelbar dem Lärmschutz,
indem es die Einhaltung der zugleich verfügten Schalldruckpegelbegrenzung
sichert. Aufgrund dieser Kopplung setzt die Rechtmäßigkeit des
Plombierungsgebots zunächst die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden
Schalldruckpegelbegrenzung voraus; aufgrund der mit der Plombierung
einhergehenden eigenen Beschwer ist das Plombierungsgebot sodann als
selbständige Beschränkung seinerseits vollumfänglich an § 8 Abs. 1 NVersG
zu messen.
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(1) Die dem Plombierungsgebot zugrunde liegende
Schalldruckpegelbegrenzung ist für sich genommen geeignet, Gefahren für
der Gesundheit der Versammlungsteilnehmer, unbeteiligter Dritter (z.B.
Passanten) oder der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten abzuwehren. Sie
erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Das Nds.
Oberverwaltungsgericht hatte hierzu schon mit Beschluss vom 10. Oktober
2010 - 11 LA 298/10 - ausgeführt:
"Der Schutz unbeteiligter Dritter vor Immissionen, die von einer
Versammlung ausgehen, greift vielmehr schon unterhalb der Schwelle
der andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr ein. Wie der Kläger im
Ansatz selbst zutreffend ausführt, umfasst nämlich die öffentliche
Sicherheit, zu deren Schutz nach § 15 Absatz I VersammlG Auflagen
zulässig sind, die Einhaltung der gesamten Rechtsordnung. Dazu zählen
– soweit hier erheblich – auch die Bestimmungen des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (insbesondere zu Gunsten von
Anrainern einer Versammlung) sowie des Arbeitsschutzrechts, das
grundsätzlich auch für niedersächsische Landesbeamte und damit auch
für Polizeibeamte im Rahmen des Einsatzes bei Versammlungen gilt, vgl.
§ 82 NdsBG. Und diese Normen bieten eben schon Schutz vor
erheblichen Lärmbelästigungen, d. h. unterhalb der Schwelle der
andernfalls drohenden Gesundheitsgefahr, wie sich im Einzelnen aus
den folgenden Ausführungen ergibt:
Nach § 22 Absatz I Nr. 1 i. V. mit § 3 Absatz I BImSchG sind nicht
genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass
nicht nur Gefahren, sondern auch erhebliche Nachteile oder erhebliche
Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft verhindert
werden, soweit sie nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Wie
das BVerwG wiederholt entschieden hat (vgl. etwa für Feuerwehrsirenen:
BVerwGE 79, 254 = NJW 1988, 2396 = NVwZ 1988, 918 L; sowie für das
Glockenschlagen: BVerwG, NJW 1992, 2779 m. w. Nachw.), sind diese
Bestimmungen auch auf Anlagen im Sinne des BImSchG, zu denen
grundsätzlich auch Lautsprecher gehören (vgl. Jarass, BImSchG, 8.
Aufl., § 3 Rdnr. 72, § 22 Rdnr. 10), anzuwenden, die gerade dazu
bestimmt sind, eine möglichst hohe Lautstärke zu erzeugen und damit
verbunden Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Verwendungszweck führt
nicht zum Ausschluss vom Schutzbereich des
Bundesimmissionsschutzgesetzes, sondern ist vielmehr bei der
einzelfallbezogenen Bestimmung des zu wahrenden Lärmpegels zu
berücksichtigen. Hierfür wiederum können insbesondere die
Maximalwerte der TA Lärm als Richtschnur dienen (vgl. BVerwG, NJW
1992, 2779; NVwZ 1997, 390 f.; Kutschweidt, in: Landmann/Rohmer,
UmweltR, BImSchG, § 3 Rdnr. 20 h). Ein Grund, von dieser
Rechtsprechung allgemein auszugehen, besteht verfassungsrechtlich
nicht."
Ergänzend hierzu hatte die Kammer bereits im Eilverfahren ausgeführt, dass
die Festsetzung eines maximalen Schalldruckpegels und der gewählte
Maximalwert von 90 dB(A) geeignet und erforderlich sind, Anrainer und
begleitende Polizeibeamte vor unzumutbaren Lärmimmissionen zu schützen
und zugleich dem Kläger die Kundgabe seines kommunikativen Anliegens zu
ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Lautstärke weise im Übrigen
keinen Bezug mehr zum inhaltlichen Anliegen der als Trauermarsch
konzipierten Versammlung auf. An dieser Einschätzung hält die Kammer auch
nach nochmaliger Prüfung im Hauptsacheverfahren fest.
(2) Die Begrenzung des maximal zulässigen Schalldruckpegels erweist sich
jedoch nicht nur als geeignet und erforderlich, sondern regelmäßig auch als
hinreichend zur Abwehr der in Betracht genommenen Gefahren. Das
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Plombierungsgebot bedarf deshalb einer eigenen Gefahrenprognose
dahingehend, dass ohne diese Beschränkung mit hoher Wahrscheinlichkeit
die Begrenzung des Schalldruckpegels nicht eingehalten würde. Auch
dahingehend müssen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine
Gefahrenlage vorliegen, mithin eine Gefährdung nach dem gewöhnlichen
Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen oder der Eintritt der Störung
aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bzw. nachweisbarer Tatsachen mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Bloße Verdachtsmomente und
Vermutungen reichen auch hier nicht aus.
Die Begründung des Plombierungsgebots in dem angegriffenen Bescheid
lässt nicht erkennen, dass der Beklagte die mit der Plombierung verbundene
eigenständige Beschwer und die daraus erwachsenden Anforderungen
überhaupt wahrgenommen hat. Denn der Beklagte hat im Rahmen seiner
Begründung nur die Schallpegelbegrenzung erwähnt und hierzu auf vorherige
Entscheidungen der Kammer verwiesen. Ausführungen zur Rechtfertigung des
Plombierungsgebots enthält die Begründung des angegriffenen Bescheides
nicht. Ebenso wenig hat der Beklagte in tatsächlicher Hinsicht konkrete
Erkenntnisse oder Verdachtsmomente angeführt, die hinreichende
Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage böten.
Die bei der Entscheidung des Beklagten zugrunde gelegte Gefahrenprognose
der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg trifft insofern keine Aussage,
sondern führt lediglich an, dass „die Beschränkungen aus den
Auflagenbescheiden zu den Versammlungen am 14. August 2010 [...]
grundsätzlich Bestand haben [sollten]“, ohne darauf einzugehen, dass bei
einer gleichartigen Versammlung im Vorjahr der Lautstärkeregler mit einem
Klebeband gegen unbefugte Veränderung gesichert worden ist.
Dass die Sicherung der Lärmschutzauflage durch ein einfaches Klebeband
„nur aufgrund eines Entgegenkommens des [Beklagten] akzeptiert worden ist,
um einer von der Polizei befürchteten Eskalation im Falle des Stilllegens der
Lautsprecheranlage entgegen zu wirken“, wie das Nds.
Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 5. August 2011 - 11 ME
240/11 - ausgeführt hat, ändert nichts daran, dass sich diese Maßnahme im
konkreten Fall als geeignetes milderes Mittel gegenüber der Verplombung der
Anlage oder eines zwischengeschalteten Limiters erwiesen hat. Die
gegenteilige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, diese
Form der Sicherung habe sich als „offensichtlich unzureichend“ erwiesen, weil
in der Vergangenheit „gegen die Auflage verstoßen“ worden sei, kann die
Kammer nicht nachvollziehen. Dass der Kläger im Vorjahr der
streitgegenständlichen Versammlung das Plombierungsgebot nicht befolgt hat
und mit einer unplombierten Anlage erschienen ist, die dann durch Klebeband
gesichert worden ist, begründet keine Gefahrenprognose dahingehend, dass
der Kläger auch die zugrundeliegende Schalldruckpegelbegrenzung nicht
einhalten würde. Entsprechende Erkenntnisse hat der Beklagte in der
mündlichen Verhandlung weder konkret formuliert noch belegt; sie ergeben
sich auch nicht aus den Akten. Die in der Gefahrenprognose der
Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg hinsichtlich der Person des Klägers
als Versammlungsleiter erwähnten mehr als 20 Strafverfahren betreffen, soweit
aus den aufgeführten Aktenzeichen und Verfahrensgegenständen ersichtlich,
keine Sachverhalte aus dem Vorjahr oder im Zusammenhang mit früheren
Versammlungen in Bad Nenndorf.
Selbst wenn sich die Sicherung der Lautsprecheranlage durch Klebeband in
der Vergangenheit tatsächlich als ungeeignet erwiesen hätte, wäre das
Verplombungsgebot in der von dem Beklagten gewählten Formulierung
unverhältnismäßig. Denn es bestand erkennbar kein Bedarf, eine Plombe
vorzuschreiben. Hinreichenden Schutz hätte auch ein manipulationssicheres
Klebesiegel geboten, das nicht entfernt werden kann, ohne dabei zerstört zu
werden. Die Kontrolle eines solchen Siegels wäre den Einsatzkräften der
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Polizei während und nach der Versammlung jederzeit möglich; darin
unterscheidet sich die Versammlungssituation von der Einpegelung stationärer
Anlagen wie etwa in Diskotheken. Demgegenüber bietet die mit der
Beschränkung vorgeschriebene Plombe bei deutlich höherem Aufwand keinen
erkennbaren Sicherheitsmehrwert.
Auch wenn der Beklagte die Beschränkung (nur) auf die Erwägung hätte
stützen wollen, dass nicht der Kläger selbst, sondern unbefugte Teilnehmer
seiner Versammlung die Lautsprecheranlage verstellen könnten, wäre das
Plombierungsgebot unverhältnismäßig. Denn ein weniger belastendes Mittel
hätte schon darin gelegen, dass der Kläger das Lautsprecherfahrzeug hätte
abschließen oder die Lautsprecheranlage einschließen können, um andere
Versammlungsteilnehmer gar nicht erst in deren Nähe gelangen zu lassen.
III. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des streitig entschiedenen
Klagebegehrens aus § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Beteiligten das Verfahren
übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist über die Kostenlast gem. § 161
Abs. 2 Satz 1 VWGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Insofern beruht
die Kostenquote zulasten des Beklagten auf dem Umstand, dass der Beklagte
hinsichtlich der Beschränkungen unter Ziffer 2. (Gebot, je 20 Teilnehmer einen
Ordner zu stellen und diese am Vortag zu benennen) und Ziffer 11. (Verbot
von Parolen mit der Wortfolge „nationaler Widerstand“) mit der Abhilfe zugleich
die Kostenübernahme erklärt hat. Soweit der Kläger mit seiner
Erledigungserklärung davon Abstand genommen hat, die Verpflichtung zur
Benennung von Ordnern an sich, die Festsetzung der Versammlungszeit und -
dauer und die Schalldruckpegelbegrenzung des Trommelschlags weiter
anzugreifen, kommt die Erledigungserklärung einer Klagerücknahme gleich;
entsprechend entspricht die Kostenentscheidung hinsichtlich dieser Teile des
Klagebegehrens der gesetzlichen Kostenfolge einer Klagerücknahme gem.
§ 155 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
IV. Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Eine
grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der
Rechtssache nicht zu, weil die Erforderlichkeit und der jeweils zulässige Inhalt
versammlungsrechtlicher Beschränkungen nur anhand der Umstände des
jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden können (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom -
11 LA 298/10 -). Die Kammer weicht mit der Entscheidung auch nicht im Sinne
von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von einer Entscheidung der dort genannten
Gerichte ab. Eine Divergenz in diesem Sinne ist nur gegeben, wenn das
Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der
Rechtsprechung eines Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen (d. h.
abstrakten) Rechtssatz abweicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.7.1988 -
BVerwG 1 B 44.88 -, juris; Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr 32). Die von der
Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts im Eilverfahren - 11 ME
240/11 - abweichende Beurteilung der Angemessenheit des
Plombierungsgebots beschränkt sich demgegenüber auf die konkrete
Anwendung solcher abstrakten Rechtssätze.