Urteil des VG Hannover vom 12.05.2014

VG Hannover: arglistige täuschung, entlassung, beamtenverhältnis, disziplinarverfahren, bekanntgabe, nichtigkeit, niedersachsen, zustand, mangel, feststellungsklage

1
2
3
4
5
6
7
Feststellung des Forttbestehens eines
Beamtenverhältnisses
VG Hannover 13. Kammer, Urteil vom 12.05.2014, 13 A 7701/13
23 I Nr 4 BesmStG, 31 NBG, 43 II VwGO, § 44 I VwVfG, 43 I VwVfG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Beamtenverhältnis fortbesteht.
Der private Wohnsitz des Klägers liegt im Zuständigkeitsbereich eines anderen
Verwaltungsgerichts, aber auch außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der
Polizeidirektion Hannover.
Der Kläger trat 1980 als Polizeihauptwachtmeister-Anwärter in den
Polizeidienst ein. Zuletzt war er als Kriminalkommissar im Beamtenverhältnis
auf Lebenszeit bei der Polizeidirektion Hannover tätig.
Nach den vorgelegten Verwaltungsvorgängen wurde der Kläger 2008 von dem
Regionalen medizinischen Dienst der ZPD untersucht. Der Polizeiarzt kam
unter dem 09.01.2009 zu dem Schluss, dass der Kläger zwar erneut in die
Alkoholabhängigkeit zurückgefallen sei, nunmehr jedoch wieder voll
polizeidiensttauglich sei. Mit Disziplinarverfügung vom 18.03.2009 wurde
wegen der Rückfalls in die nasse Phase des Alkoholismus trotz Absolvierung
einer Langzeittherapie gegenüber dem Kläger ein Verweis ausgesprochen.
Nach eigenen Angaben gegenüber behandelnden Ärzten gelang es dem
Kläger nur, bis August 2010 „trocken“ zu bleiben. Im November und Dezember
2010 befand sich der Kläger daraufhin in psychotherapeutischer Behandlung
in einer Klinik in Bad Pyrmont. Die dortigen Ärzten diagnostizierten neben
verschiedenen körperlichen Beschwerden unter anderen auch eine „leichte
depressive Episode“, „Alkoholabhängigkeit“ und eine „narzisstische
Persönlichkeitsstörung“ (Bl. 15 GA). Nach dem Entlassungsbericht der Klinik
war der Kläger bei Entlassung weiterhin dienstunfähig; es hieß, derzeit (d.h.
23.12.2010) sei lediglich eine Innendiensttätigkeit vorstellbar.
Der Polizeiarzt begutachtete den Kläger erneut. Nach der Stellungnahme des
Medizinischen Dienstes der ZPD vom 09.02.2011 war der Kläger seinerzeit
Innendienstfähig.
Auch im Jahre 2011 wies der Kläger dann weitere krankheitsbedingte
Fehlzeiten auf. Im Juni 2011 leitete die Polizeidirektion ein weiteres
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Disziplinarverfahren mit zunächst folgenden Vorwürfen ein: Verdacht auf eine
betrügerische Insolvenz, Verdacht eines Dienstvergehens infolge einer
Strafanzeige wegen Beleidigung, wegen gegen ihn gerichteter Ermittlungen
wegen Ladendiebstahls, wegen Verstoß gegen Wahrheitspflichten und wegen
unerlaubten Fernbleiben vom Dienst. Das Disziplinarverfahren wurde dann
wegen einer Trunkenheitsfahrt ausgeweitet. Am 05.10.2011 wurde der Kläger
im Rahmen des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes erhoben. Der
Kläger nahm selbst schriftlich zu den Vorwürfen im Disziplinarverfahren
Stellung.
Am 06.10.2011 kam der Kläger zu einem Gespräch in die Räume der
Polizeidirektion Hannover. Dem Gespräch wohnte seine damalige
Lebensgefährtin D. bei. Im Verlauf dieses Gespräches wurde ein Antrag auf
Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zum 01.12.2011 niedergeschrieben,
der vom Kläger eigenhändig unterzeichnet wurde. Der Klägerin erklärte darin
auch, dass es sich um seine freie Entscheidung handele und er sich körperlich
und gesundheitlich in der Lage sehe, diese Entscheidung zu treffen.
Mit Bescheid vom 17.10.2011 entließ daraufhin die Polizeidirektion Hannover
den Kläger mit Ablauf des 30.11.2011 aus dem Beamtenverhältnis. Der
Bescheid wurde laut Postzustellungsurkunde dem Kläger am 20.10.2011
zugestellt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält der Bescheid nicht.
Am 25.06.2012 bestellte das Amtsgericht für den Kläger den jetzigen
Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Betreuer, u.a. für Rechts-, Antrags-
und Behördenangelegenheiten. Ein EInwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB
wurde nicht angeordnet.
Unter dem 20.09.2012 erstattetet der Gutachter Dr. E. dem Amtsgericht
Hildesheim ein Gutachten über dem Kläger. Danach besteht beim Kläger eine
Alkoholabhängigkeit mit fehlender Abstinenzfähig und psychogener
Verleugnung der Abhängigkeit. Deshalb könne der Kläger letztendlich seinen
Willen nicht unabhängig von der Erkrankung bestimmen, solange er weder das
Ausmaß der Alkoholabhängigkeit noch die Alkoholfolgen realisiere. Es
bestehe eine erhebliche Einschränkung der freien Willensbestimmung, der
Kläger sei nicht in der Lage, willentlich gegen die Suchterkrankung
vorzugehen (Bl. 32 GA).
Der den Kläger behandelnde Facharzt bescheinigte dem Kläger unter dem
02.12.2012, unter einer „therapieresistenten anhaltenden schweren
Depression“ zu leiden. Diese Depression zeige sich mindestens seit zwei
Jahren. Deshalb sei die Gültigkeit der vom Kläger gelieferten Unterschrift zu
seiner Kündigung im Oktober 2011 „absolut anzuzweifeln“. Menschen mit
schweren Depressionen könnten häufig - wie beim Kläger aktuell auch - keine
endgültigen Entscheidungen vornehmen.
Am 28.11.2012 erklärte ein Rechtsanwalt aus dem Büro des jetzigen
Prozessbevollmächtigten und Betreuers des Klägers unter Vorlage einer
entsprechenden Vollmacht die Anfechtung der Willenserklärung des Klägers,
mit der er seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt hatte. Der
Kläger sei unter Androhung eines Disziplinarverfahrens zu dem Antrag
gedrängt worden. Die disziplinarischen Vorwürfe seien jedoch nahezu haltlos
gewesen. Man habe den Kläger aber mit den Kosten eines Prozesses gedroht
und ihm vorgespiegelt, man könne die Gerichtsentscheidungen zu Gunsten
der Polizei beeinflussen.
Die Polizeidirektion Hannover trat mit Schreiben vom 11.01.2013 der
Anfechtung entgegen.
Der Kläger hat am 22.11.2013 Klage erhoben.
Er trägt vor, nur aufgrund der Einschüchterungen durch Beamte der
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
Polizeidirektion und wegen seines schwer depressiven Zustandes habe er das
vorformulierte Entlassungsgesuch unterzeichnet. Nach der ärztlichen
Bescheinigung vom 02.12.2012 sei die Gültigkeit seiner Unterschrift im
Oktober 2011 absolut anzuzweifeln. Er sei bei Stellung seines
Entlassungsantrages geschäftsunfähig gewesen. Sein Entlassungsantrag sei
gem. § 104 BGB nicht wirksam gestellt worden. Die Jahresfrist des § 124 BGB
zur Anfechtung sei eingehalten worden. Sein Irrtum sei erst durch die
anwaltliche Beratung am 28.11.2012 aufgedeckt worden. Da er, der Kläger,
seinerzeit geschäftsunfähig gewesen sei, sei auch die Zustellung des
Entlassungsbescheides nicht wirksam erfolgt.
Der Kläger beantragt,
.festzustellen, dass er, der Kläger, mit Ablauf des 30.11.2011 nicht aus
dem Beamtenverhältnis das Landes Niedersachsen entlassen worden
ist.
Mit Schriftsatz vom 13.02.2014 stellt er zudem klar, dass er gleichzeitig damit
auch die Feststellung der Nichtigkeit der Entlassungsverfügung begehre.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es tritt der Klage entgegen. Der Kläger habe mit Schreiben vom 30.06.2011
und 25.08.2011 noch zu den Vorwürfen in der Einleitungsverfügung Stellung
genommen. Schon daraus sei ersichtlich, dass der Kläger sich durchaus
schlüssig habe äußern können. Für eine Geschäftsunfähigkeit zum Zeitpunkt
seines Antrages auf Entlassung lägen keine Anhaltspunkte vor.
Die ärztliche Stellungnahme vom 02.12.2012 beruhe nur auf den subjektiven
Vortrag des Klägers.
Die Entscheidung, einen Antrag auf Entlassung zu stellen, habe der Kläger
offensichtlich nicht erst am 06.10.2011 getroffen. Bereits am 27.09.2011 habe
er in einem Telefonat mitgeteilt, dass er einen derartigen Antrag beabsichtige.
Druck sei auf den Kläger am 06.10.2011 nicht ausgeübt worden. Das
Disziplinarverfahren sei bereits eingeleitet gewesen. Die vom Kläger
behaupteten Äußerungen der Disziplinarsachbearbeiter seien nicht gefallen.
Ein Polizeibeamter mit 31 Jahren im Polizeidienst sei im Übrigen über die
Möglichkeit zur Prozesskostenhilfe und über mögliche Rechtsschutzkosten
durchaus informiert.
Im Übrigen habe der Kläger seine Erklärung nicht fristgerecht angefochten. Es
gelte nicht die Jahresfrist des § 124 BGB. In beamtenrechtlichen
Angelegenheiten habe eine Anfechtung unverzüglich zu erfolgen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 24.02.2014 dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne
mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Das angerufene Gericht ist gem. § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig. Zwar
verfügt der Kläger über keinen dienstlichen Wohnsitz mehr im Gerichtsbezirk
des Verwaltungsgerichts Hannover und sein privater Wohnsitz liegt im
Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Sitz der
Polizeidirektion Hannover ist jedoch Hannover und der private Wohnsitz des
Klägers liegt nicht im Zuständigkeitsbereich dieser Behörde. Zwar handelt es
sich vorliegend nicht um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, sondern
um eine Feststellungsklage. Die Polizeidirektion Hannover hat aber den
umstrittenen Verwaltungsakt vom 17.10.2011, dessen Nichtigkeit im Rahmen
dieser Klage festgestellt werden soll, seinerzeit erlassen.
Da es sich um eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO handelt, kommt § 8
Abs. 1 Nds. VwGO-AG nicht zur Anwendung. Das Gericht hat daher von
Amtswegen das Rubrum dahingehend geändert, dass nunmehr Beklagter das
Land Niedersachsen, vertreten durch die Polizeidirektion Hannover, diese
vertreten durch den Polizeipräsidenten, ist.
Die erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Ein Rechtsschutzinteresse für
die Feststellung des Rechtsverhältnisses - Bestehen oder Nichtbestehen
eines Beamtenverhältnisses zum Land Niedersachsen - liegt auf der Hand.
Zwar hätte der Kläger ursprünglich auch Anfechtungsklage gegen den
Bescheid vom 17.10.2011 erheben können. Das hat er nicht getan. Das
Klagebegehren geht aber auch dahingehend, dass der Kläger die Nichtigkeit
dieses Bescheides festgestellt wissen möchte. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO
ist insoweit die Feststellungsklage zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Es könnte nur dann festgestellt werden, dass der Kläger weiterhin in einem
Beamtenverhältnis zum Land Niedersachsen steht, wenn er daraus nicht
wirksam mit Bescheid vom 17.10.2011 entlassen worden wäre. Das ist indes
der Fall.
Die Entlassungsverfügung vom 17.10.2011 ist nicht nichtig.
Der Kläger ist auf eigenen Antrag gem. § 23 Abs. 1 Nr. 4 BeamtStG, § 31 NBG
entlassen worden.
Zwar setzt die Entlassung nach dieser Vorschrift einen rechtswirksamen
Antrag
voraus. Wirksam ist ein solcher Antrag zudem nur, wenn der Beamte bei seiner
Abgabe geschäftsfähig war und der ehemalige Beamte auch nicht im
Nachhinein wirksam seinen Antrag angefochten hat.
Die Frage der seinerzeitigen Geschäftsfähigkeit und der Wirksamkeit einer
Anfechtung kann an dieser Stelle jedoch noch offen bleiben. Denn selbst,
wenn der Beamte seinerzeit nicht geschäftsfähig gewesen sein sollte und/oder
nunmehr seine damalige Erklärung wirksam angefochten haben sollte, führt
dies nicht automatisch zur Nichtigkeit der Entlassungsverfügung vom
17.10.2011.
Nichtig ist gem. § 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 44 Abs. 1 VwVfG des Bundes ein
Verwaltungsakt nur dann, soweit er an einem besonders schwerwiegenden
Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht
kommenden Umstände offensichtlich ist.
Soweit ein Entlassungsantrag aufgrund einer wirksamen Anfechtung
rückwirkend wegfällt, stellt dies zwar einen schwerwiegenden Mangel dar, weil
der Entlassungsantrag die wesentliche Grundlage der Entlassungsverfügung
43
44
45
46
47
bildet. Die Offensichtlichkeit iSd § 44 Abs. 1 VwVfG richtet sich aber nach dem
Zeitpunkt der Entlassungsverfügung. Nur wenn der Anfechtungsgrund zu
diesem Zeitpunkt offenkundig war, kommt auch die Nichtigkeit der
Entlassungsverfügung in Frage (so auch Kümmel, Beamtenrecht,
Loseblattwerk, Stand Nov. 2013, Kommentar zu § 23 BeamStG, Rdnr. 10 d.
m.w.N.).
Von einem derart schwerwiegenden Mangel kann hier indes keine Rede sein.
Der Kläger hat einen Antrag auf Entlassung gestellt und es liegen keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass er Anfang Oktober 2011 nach Außen
unzweifelhaft erkennbar nicht mehr geschäftsfähig gewesen war. Zum
Zeitpunkt der Entlassungsverfügung war der jetzt vom Kläger behauptete
Mangel in seinem Erklärungswillen jedenfalls nicht offensichtlich feststellbar.
Im Übrigen hat weder eine Anfechtung Erfolg noch würde eine unterstellte
wirksame Anfechtung zur Nichtigkeit der Entlassungsbescheides vom
17.10.2011 führen.
Die am 28.11.2012 erfolgte Anfechtung des Entlassungsantrages wird mit dem
Umstand begründet, der Kläger sei unter Druck gesetzt worden. Zwar würde
eine tatsächlich erfolgte arglistige Täuschung oder gar eine widerrechtliche
Drohung einen Anfechtungsgrund iSd. § 123 Abs. 1 BGB darstellen. Eine
derartige arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung ist hier aber
schon nicht ersichtlich. Insbesondere ist eine derartige Drohung nicht in dem
seinerzeit laufenden Disziplinarverfahren zu sehen. Das Disziplinarverfahren
war bereits vor dem 06.10.2011 eingeleitet und hatte auch bei den zu Grunde
liegenden Vorwürfen erst einmal eingeleitet werden müssen. Es entsprach
lediglich der Rechtslage, dass, wenn sich alle Vorwürfe im Disziplinarverfahren
bestätigen würden, durchaus auch eine Entfernung des Beamten aus dem
Dienst als Disziplinarmaßnahme in Betracht gekommen wäre. Insoweit kann
insbesondere von einer widerrechtlichen Drohung bereits nicht die Rede sein.
Vielmehr war es angesichts der damaligen Situation eine durchaus vernünftige
Überlegung des Klägers, die Möglichkeit, aufgrund eines Entlassungsantrages
ohne den Makel einer Disziplinarmaßnahme aus dem Dienst auszuscheiden,
in Betracht zu ziehen. Grundsätzlich musste der Kläger als erfahrener
Polizeibeamter auch die Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe kennen, so
dass er durch den Hinweis auf die Kosten eines Rechtstreites jedenfalls nicht
unter Druck gesetzt werden konnte.
Letztendlich muss dies nicht weiter aufgeklärt werden. Zum Zeitpunkt der
Entlassungsverfügung war der jetzt vom Kläger behauptete Mangel in seinem
Erklärungswillen jedenfalls nicht offensichtlich feststellbar. Hinzu kommt, dass
die behaupteten Drohungen und Täuschungen die Erklärung auch nur -
würden sie zutreffen - anfechtbar machten, ohne dass seinerzeit jedenfalls
erkennbar gewesen wäre, dass der Kläger seine Erklärung auch auf jeden Fall
anfechten würde. Da es auf Zeitpunkt der Entlassungsverfügung ankommt
(vgl. Kümmel, a.a.O.) kann eine später erfolgte Anfechtung diese Sachlage
nicht mehr rückwirkend ändern.
Unwirksam kann ein Antrag auf Entlassung zwar ebenfalls sein, wenn der
Erklärende zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung
geschäftsunfähig war. Dass dies beim Kläger am 06.10.2011 der Fall war, war
zum Zeitpunkt der Entlassungsverfügung jedoch ebenfalls nicht offensichtlich
(und ist es im Übrigen auch jetzt nicht). Der Kläger konnte sich wenige Zeit
zuvor im Rahmen des Disziplinarverfahrens noch vernünftig und schlüssig
äußern, er hatte seine Lebensgefährtin mitgebracht, die ebenfalls nicht bei
einem etwaigen Ausfall des Klägers eingegriffen hat und es war in damaligen
Situation des Klägers - abhängig von der Einschätzung der Erfolgsaussichten
in einem Disziplinarverfahren - eine durchaus vernünftige Option, aufgrund
eigenen Antrags aus dem Dienst auszuscheiden. Eine etwaige
Geschäftsunfähigkeit des Klägers war zumindest nicht so offensichtlich, dass
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
zum maßgeblichen Zeitpunkt - Erlass der Verfügung am 17.10.2011 - von der
Unwirksamkeit seines Antrages hätte ausgegangen werden müssen. Auch
daraus lässt sich die Nichtigkeit des Bescheides vom 17.10.2011 nicht
ableiten.
Die Entlassungsverfügung ist nach alledem nicht nichtig. Sie ist auch sonst
wirksam.
Nach § 43 Abs. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für
den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam,
indem er ihm bekannt gegeben wird.
Hier wurde der Bescheid vom 17.10.2011 dem Kläger ausweislich der
Postzustellungsurkunde am 20.11.2011 zugestellt und damit bekanntgegeben.
(Vorerst) unwirksam wäre die Bekanntgabe seinerzeit nur dann gewesen,
wenn der Kläger am 20.11.2011 nicht handlungsfähig gemäß § 12 VwVfG
gewesen wäre, wobei die Handlungsfähigkeit mit seiner Geschäftsfähigkeit
nach bürgerlichem Recht einhergeht.
Geschäftsfähig ist gemäß § 104 Nr. 2 BGB, wer sich in einem die freie
Willensbildung ausschließenden, nicht nur vorübergehenden Zustand
krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Dagegen führt nicht einmal
der vorübergehende völlige Ausschluss der freien Willensbestimmung, der
nach § 105 Abs. 2 BGB der Wirksamkeit von Willenserklärungen entgegen
steht, zur Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit. Selbst ein solcher - hier nicht
ersichtlicher - vorübergehender Zustand hindert nicht die wirksame
Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach den hierauf entsprechend
anwendbaren allgemeinen Regeln über den Zugang von Willenserklärungen
nach bürgerlichem Recht.
Dafür, dass der Kläger am 20.11.2011 sich in einem die freie Willensbildung
ausschließenden, nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung der
Geistestätigkeit befand - wofür der Kläger beweispflichtig ist - liegen keine
durchgreifenden Anhaltspunkte vor.
Der Kläger konnte sich im Vorfeld der hier streitigen Entlassung noch durchaus
schlüssig im Disziplinarverfahren erklären. Dies spricht als Indiz gegen seine
Geschäftsunfähigkeit. Das Gutachten des Dr. E. vom 20.09.2012 enthält dafür
ebenfalls keinen Anhaltspunkt. Soweit der Gutachter eine erhebliche
Einschränkung der freien Willensbildung - im Übrigen bezogen auf den
Zeitpunkt der Begutachtung im September 2012 - ausmacht, bezieht sich dies
auf die psychogene Verleugnung der Alkoholabhängigkeit des Klägers und die
damit verbundene Unfähigkeit, ernsthaft eine Abstinenz anzustreben. Für den
Herbst 2011 enthält das Gutachten keine Aussage.
Zwar zweifelt die dem Kläger behandelnde Ärztin Dr. Liliane Wilkens die
Wirksamkeit der klägerischen Erklärung im Oktober 2011 an. Ausweislich ihrer
Stellungnahme stellte sich der Kläger bei ihr jedoch erstmals am 22.11.2012
vor. Ihre Schlussfolgerungen und Zweifel zieht sie nur aus den Angaben des
Klägers, der zu diesem Zeitpunkt bereits seine weitere Beschäftigung im
Beamtenverhältnis anstrebte. Ein schlüssiger Beleg für eine dauerhafte
Geschäftsunfähigkeit des Klägers ist in der Stellungnahme nicht zu finden; das
Gericht sieht dieses Schreiben deshalb als Gefälligkeitsattest an.
Nicht zuletzt der Umstand, dass die Betreuung ohne EInwilligungsvorbehalt
des Betreuers angeordnet wurde, spricht ebenfalls eindeutig gegen die
Geschäftsunfähigkeit des Klägers.
Mangels ernsthafter Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers
jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt würde die Einholung eines
Sachverständigengutachtens zu dieser Frage nur einen unzulässigen
58
59
60
61
62
63
64
Ausforschungsbeweis darstellen, abgesehen davon, dass es auch einem
exzellenten Spezialisten auf psychiatrischen bzw. neurologischem Fachgebiet
wohl kaum noch möglich sein dürfte, gesicherte Aussagen zur Situation des
Klägers im Oktober 2011 zu machen.
Entsprechend war auch die Zustellung des Bescheides wirksam erfolgt.
Letztendlich kommt es hierauf aber im Ergebnis ebenfalls gar nicht an.
Denn die Entlassungsverfügung wäre - selbst wenn eine wirksame
Bekanntgabe gegenüber dem Kläger verneint werden würde - spätestens mit
Kenntnis des Betreuers als gesetzlichen Vertreter gegenüber dem Kläger
wirksam bekanntgegeben bzw. zugestellt worden. Denn der - hier schon nicht
vorliegende - Fehler einer unwirksamen Bekanntgabe ist heilbar. Eine
wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsakts liegt auch dann vor, wenn und
sobald der - im Zeitpunkt des Zugangs geschäfts- und handlungsunfähig
gewesene - Empfänger später wieder geschäfts- und handlungsfähig wird und
in diesem Zustand von dem Verwaltungsakt Kenntnis hat oder erhält bzw. ein
bestellter Betreuer davon Kenntnis erhält. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts reicht es zur Bekanntgabe eines
Verwaltungsaktes aus, dass die Behörde - willentlich - dem Adressaten von
seinem Inhalt Kenntnis verschafft (vgl. BVerwGE 22, 14 f.; 29, 321 <323>;
Urteil vom 24. Januar 1992 - BVerwG 7 C 38.90 - ,
insoweit in Buchholz 316 § 49 Nr. 25 nicht abgedruckt). Das trifft auch auf die
spätere Kenntniserlangung in handlungsfähigem Zustand zu. Im gleichen
Sinne hat das VGH Mannheim hinsichtlich der Zustellung einer
beamtenrechtlichen Entlassungsverfügung in einem früheren Urteil (Urteil vom
20. Februar 1990 - 4 S 287/87 - )
in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
entschieden (BVerwG, Beschl. v. 11.02.1994, 2 B 173/93 -, zit. n. juris). Ist der
Empfänger geschäftsunfähig, erfolgt die Heilung dann eben mit der
Bekanntgabe an den Betreuer.
Die Entlassungsverfügung wurde weiterhin nicht erfolgreich angefochten.
Bislang ist keine Anfechtungsklage erhoben worden. Der Bescheid vom
17.10.2011 wurde auch nicht anderweitig aufgehoben oder ist aus anderen
Gründen unwirksam.
Nach alledem ist der Kläger wirksam durch den Bescheid vom 17.10.2011 aus
dem Beamtenverhältnis entlassen worden. Das Fortbestehen seines
Beamtenverhältnisses kann nicht festgestellt werden.
Zur Vermeidung eines weiteren unnötigen Rechtsstreites weist das Gericht in
diesem Zusammen darauf hin, dass die Entlassungsverfügung
zwischenzeitlich auch bestandskräftig ist. Zwar hat die Polizeidirektion
versäumt, ihren Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen, so
dass die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eingreift. Der Kläger hat jedoch
nicht innerhalb dieser Frist Anfechtungsklage erhoben. Selbst wenn man erst
auf die Kenntnis des Betreuers von der Entlassungsverfügung abstellen
würde, die jedenfalls vor dem 28.11.2012 erfolgt sein muss, ist die Jahresfrist
längst abgelaufen. Fehler seines Betreuers und Prozessbevollmächtigten
muss sich der Kläger zurechnen lassen.
Im Übrigen ist die Entlassungsverfügung rechtmäßig. Zwar ist dem Kläger
einzuräumen, dass eine wirksame Anfechtung des Entlassungsantrages zu
einer nachträglichen Rechtswidrigkeit der Entlassung führen würde und
möglicherweise dann ein Fall des § 51 VwVfG vorliegen könnte. Im
vorliegenden Fall ist die Anfechtung jedoch verspätet erfolgt, so dass es
letztendlich nicht mehr darauf ankommt, ob überhaupt zu Recht eine
Anfechtung hätte erfolgen können.
Eine wirksame Anfechtung eines beamtenrechtlichen Entlassungsantrages
65
setzt eine entsprechende Erklärung ohne schuldhaftes Zögern voraus. Auf die
in § 124 BGB geregelte Jahresfrist kommt es nicht an (vgl. schon BVerwG,
Urteil vom 10.12.1970 - 2 C 5.66 -, zit. n. juris, dort Rdnr. 19). Der Kläger hat
hier jedoch die Anfechtung nicht unverzüglich erklärt. Selbst wenn dem Kläger
zugebilligt werden könnte, dass er geschäftsunfähig war uns ist, hätte
spätestens mit Übernahme der Betreuung durch einen erfahrenen
Rechtsanwalt die Anfechtung erklärt werden können. Der Betreuer und jetzige
Prozessbevollmächtigte hat sich jedoch mehrere Monate bis Ende November
2912 Zeit gelassen, die Anfechtung zu erklären. Dies ist nicht mehr
unverzüglich. Mit Übernahme der Betreuung kannte der
Prozessbevollmächtigte den Fall des Klägers oder hätte ihn zumindest kennen
müssen. Eine Anfechtung hätte mithin spätestens im Juli 2012 erfolgen
müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §
708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.