Urteil des VG Hannover vom 21.05.2014

VG Hannover: erlass des beitrages, beitragssatz, bebauungsplan, zahl, satzung, gebäudehöhe, grundstück, halle, umrechnung, gewerbe

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Abwasserbeitrag für eine Logistikhalle
Die Entscheidung eines gemeindlichen Satzungsgebers, für Lager bzw.
Logistikhallen auf den beitragsrechtlichen Vollgeschossmaßstab
abzustellen, ist rechtlich auch dann nicht zu beanstanden, wenn die
maßgebliche Zahl der Vollgeschosse wegen einer fehlenden
planungsrechtlichen Festsetzung anhand der zulässigen Gebäudehöhe
fiktiv zu ermitteln ist und es dadurch zu verhältnismäßig hohen
Abwasserbeiträgen kommt.
VG Hannover 1. Kammer, Urteil vom 21.05.2014, 1 A 222/13
§ 6 KAG ND
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines
Abwasserbeitrages für Schmutzwasser.
Die Klägerin erwarb von der Beklagten das Grundstück D. … (Gemarkung E.,
Flur 15, Flurstücke 62/2, 63, 64). Die Klägerin erhielt auf ihren Antrag für dieses
Grundstück von der Beklagten eine Baugenehmigung für den „Neubau
Logistikhalle VW mit Verwaltungs- und Sozialbereichen sowie einem
Pförtnergebäude, Lkw-Warteplatz und Pkw-Stellplätzen“. Die Klägerin
errichtete bauantragsgemäß das Logistikzentrum, welches inzwischen auch
genutzt wird.
Mit Anhörungsschreiben vom 10.05.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit,
diese zur Zahlung eines Abwasserbeitrages (Schmutzwasser) in Höhe von
491.282,96 EUR heranziehen zu wollen. Hierbei ging die Beklagte für die
Logistikhalle von drei Vollgeschossen bei einem Nutzungsfaktor in Höhe von
220 % aus. Die Klägerin äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 31.07.2012.
Sie rügte insbesondere die Höhe der beabsichtigten Inanspruchnahme und
stellte zugleich auch einen Antrag auf einen Teilerlass der Forderung der
Beklagten aus Billigkeitsgründen. Hierbei schilderte die Klägerin insbesondere
den Umfang der ihr bisher zur Nutzbarkeit des im Bebauungsplan
festgesetzten Gewerbegebietes entstandenen Aufwendungen. Diese seien mit
mehr als 1,3 Mio. EUR zu beziffern.
Mit Bescheid vom 04.12.2012 - zugegangen am 07.12.2012 - erhob die
Beklagte schließlich einen Abwasserbeitrag (Schmutzwasser) in Höhe von
625.269,23 EUR. Sie nahm hierbei einen Nutzungsfaktor in Höhe von 280 %
an und ging bei der Berechnung des Beitrages von vier Vollgeschossen
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hinsichtlich der Logistikhalle aus. Entscheidend für die Annahme von vier
Vollgeschossen sei, dass die Halle aufgrund einer auf Antrag der Klägerin
erteilten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans eine
tatsächliche Höhe von bis zu 12,46 m oberhalb der Geländeoberkante
bezogen auf die Oberkante der Fahrbahn „F.“ habe. Insofern werde die im
Bebauungsplan vorgesehene zulässige Maximalhöhe des Gebäudes von 12
m überschritten. Nach § 4 I Abs. 3 Ziffer 3 der
Abwasserbeseitigungsabgabensatzung der Landeshauptstadt Hannover vom
10.12.2009 (ABAS) sei in diesem Fall von der tatsächlichen Gebäudehöhe bei
der Umrechnung auf die Zahl der Vollgeschosse auszugehen. Die nach § 4 I
Abs. 3 Ziffer 1 b ABAS durchzuführende Berechnung laute daher: 12,46 m :
3,5 = 3,56 (gerundet: 4). Nach der Satzung ergebe sich vor dem Hintergrund
der Annahme von vier Vollgeschossen ein Nutzungsfaktor von 280 % (100 %
für das erste Geschoss und jeweils 60 % für drei weitere Geschosse). Für die
Berechnung des Beitrages sei die Grundstücksfläche von 71.804,00 qm mit
dem Nutzungsfaktor 280 % zu multiplizieren. Hieraus ergebe sich eine
Veranlagungsfläche von 201.051,21 qm. Je qm sei ein Betrag von 3,11 EUR
zu zahlen. Danach errechne sich ein Betrag in Höhe von 625.269,23 EUR.
Insbesondere sei die Annahme eines Nutzungsfaktors in Höhe von 280 %
unter Anwendung des Vollgeschossmaßstabes nicht zu beanstanden. Die
Bewertung des ersten Vollgeschosses mit 100 % bzw. des zweiten und jedes
weiteren Vollgeschosses mit 60 % sei nicht überhöht, was in der
Rechtsprechung und in der Literatur anerkannt sei. Ferner sei auch der bei der
Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse benutzte Divisor von 3,5 rechtlich
unbedenklich. Die ABAS unterscheide insofern zwischen Kern-, Gewerbe-,
Industrie- und Sondergebieten einerseits (3,5) sowie allen anderen
Baugebieten andererseits (2,2). Diese Differenzierung folge aus der
Überlegung, dass ein Vollgeschoss in einem „anderen Baugebiet“
üblicherweise niedriger sei, als z.B. in einem Industriegebiet. Würde man den
Divisor von 2,2 auf die Logistikhalle anwenden, so wäre (gerundet) von sechs
Vollgeschossen auszugehen (12,46 m : 2,2 = 5,66). Es komme für die Wahl
des Divisors auch nicht auf die konkrete Art der Bebauung an, sondern nur auf
die zulässige Nutzung. Mit dem Beitrag solle der Vorteil für ein Grundstück
abgegolten werden, der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der
öffentlichen Abwasserleitung geboten werde. Es liege auch kein unzulässiger
„Artzuschlag“ vor, weil grundsätzlich dieselben Kriterien bei der Berechnung
des Beitrages anzuwenden seien.
Auch der Antrag auf Teilerlass sei abzulehnen. Es sei unstreitig, dass für die
Erschließung des Grundstücks erhebliche Aufwendungen entstanden seien.
Allerdings stünden die Kosten nicht im Zusammenhang mit den Kosten für den
Bau der öffentlichen Abwasseranlage.
Hiergegen hat die Klägerin am 07.01.2013 Klage erhoben. Sie trägt zur
Begründung vor:
Die Rechtmäßigkeit des Beitragssatzes in Höhe von 3,11 EUR sei fraglich.
Maßstab sei insoweit zumindest eine Plausibilisierung dieses Wertes. Das
Aufwandsüberschreitungsverbot sei einzuhalten. Es sei aufgrund der
Heranziehung für Abwasserbeiträge (Schmutzwasser, Niederschlagswasser
und Anschlusskanäle) in einer Größenordnung von 967.612,32 EUR zu
vermuten, dass sie - die Klägerin - einen etwa ursprünglich ermittelten
umlagefähigen Aufwand über Bagatellgrenzen hinweg überschreite. Es
bestünden Zweifel hinsichtlich der Kalkulation. Die eingesehenen Unterlagen
der Beklagten ließen keinen Aufschluss zu hinsichtlich des ursprünglichen
Abwasserbeseitigungskonzepts und dessen Fortschreibungen, zu etwa
erfolgten Globalkalkulationen und auch nicht bezüglich eventueller
Doppelbelastungen aufgrund der Finanzierung der Aufwendungen über
Gebühren (Verhältnis der verschiedenen Abgaben zueinander). Es sei nicht
nachvollziehbar, ob die gezahlten Beiträge durch die tatsächlich anfallenden
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Kosten gerechtfertigt seien.
Unabhängig davon sei der Beitragsmaßstab unter mehreren Gesichtspunkten
rechtswidrig. Der mit der Satzung gewählte nutzungsbezogene Flächenbeitrag
bzw. der kombinierte Grundstücksflächen- und Vollgeschossmaßstab sei
wegen unreflektierter Übernahme der Vorgaben des Bauplanungsrechts
schon der Höhe nach mit 60 % rechtswidrig. Es sei von einer
Unverhältnismäßigkeit auszugehen. Teilweise sei in der Rechtsprechung
bereits ein Steigerungssatz von 25 % als ausreichend angesehen worden.
Ebenso sei der Ansatz eines linearen Steigerungssatzes je Vollgeschoss - und
damit der Ausschluss einer Degression - rechtsfehlerhaft. In der
Rechtsprechung (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 26.05.1999 - 2 K 23/97 -
juris) sei zutreffend vertreten worden, dass ein linearer Steigerungssatz - gleich
welcher Höhe - dem Vorteilsprinzip in der Regel nicht gerecht werde. Es
müsse die bauliche Nutzungsintensität berücksichtigt werden, die bei einer
eingeschossigen Lagerhalle gering sei.
Es sei systemwidrig, dass sich die Satzung einerseits am planungsrechtlich
Zulässigen halten wolle, dann aber andererseits den Abwasserbeitrag
entsprechend einer planungsrechtlichen Befreiungsentscheidung bemesse.
So habe die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 04.12.2012
ausgeführt, der gewählte Vollgeschossmaßstab würde auf die zulässige
Nutzung abstellen und nicht auf die tatsächliche Bebauung. Bei der
Berechnung sei hingegen auf die tatsächliche Bebauung abgestellt worden.
Die Klägerin sei gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des
Bebauungsplans befreit worden. Insoweit sei eine Überschreitung der
grundsätzlich zulässigen Höhe von 12 m um lediglich 46 cm zugelassen
worden. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass im Ergebnis ein ganzes
weiteres Vollgeschoss bei der Berechnung des Beitrages angenommen
werde, obwohl dieses nur „angefangen“ worden sei. Im Übrigen wäre ein
weiteres Vollgeschoss mittels Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB tatsächlich
nicht zugelassen worden.
Außerdem würden ihrer Natur nach - wie vorliegend - eingeschossige
Lagerhallen sachwidrig gleichbehandelt mit einer „kleinteiligen“ gewerblichen
Nutzung. In § 4 I ABAS werde für Gewerbegebiete bezogen auf Vollgeschosse
keine weitere Differenzierung im Hinblick auf die Gruppe „Lagerhalle“
vorgenommen. Gewerbliche Nutzungen müssten sachgemäß unterschieden
werden. Rein tatsächlich handele es sich um eine eingeschossige
Logistikhalle, die in ihrer baulichen Substanz eher eine „Hülle“ darstelle. Auch
müsse berücksichtigt werden, ob bei dem konkreten Gewerbebetrieb ein
höherer oder niedrigerer Abwasseranfall vorhanden sei.
Ferner sei die besondere Gebäudestruktur des Logistikzentrums
unberücksichtigt geblieben, obgleich das Logistikzentrum nicht über eine
einheitliche Höhe verfüge, sondern die angegliederten Kalthallen deutlich
niedriger (um mehr als 5 m) als die übrigen Gebäudeteile seien. Die Traufhöhe
der Logistikhalle könne nicht einfach auf die weiteren Gebäudeteile übertragen
werden. Dies sei nicht vorteilsgerecht (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom
10.10.2007 - 1 L 256/06 - juris). Hier sei eine aus Gründen der
Verwaltungspraktikabilität grundsätzlich gebotene Pauschalierung und
Typisierung nicht mehr angezeigt. Unabhängig davon sei nur eine
Satzungsregelung zulässig, bei welcher hinsichtlich gewerblich genutzter
Grundstücke je vollendeter 3,5 m Höhe der Baulichkeit ein Vollgeschoss
angenommen werde. Die „fiktive“ Berechnung von Geschosszahlen durch die
Umrechnung sei nur als Auffangtatbestand zulässig. Auch die
Rundungsregelungen seien unrechtmäßig. Es sei unzulässig, bereits bei
einem „angefangenen“ Vollgeschoss die Beitragspflicht zu erhöhen und ab
einem Wert von 0,5 aufzurunden. Damit sei eine enorme Erhöhung des
jeweiligen Beitrages verbunden.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.12.2012 aufzuheben, soweit ein
Betrag von mehr als 223.310,44 EUR festgesetzt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und vertieft ihre bisherige
Begründung. Es bestünden keine Zweifel hinsichtlich der Beitragskalkulation.
Der Prozessbevollmächtigte habe die hierzu vorhandenen vollständigen
Unterlagen der Beklagten eingesehen. Weitere Unterlagen könnten nicht
vorgelegt werden. Die Kalkulation sei unter Einschaltung eines externen
Fachbüros erfolgt. Die Beitragssätze würden alle drei Jahre - nach
umfassenden Ermittlungen des jeweiligen Gutachters - neu kalkuliert. Die
Klägerin habe hierzu keine konkreten Punkte angesprochen, die zweifelhaft
seien.
Die Beklagte hebt in ihrem Vortrag insbesondere hervor, der
Vollgeschossmaßstab sei ein üblicher, praktikabler und zulässiger Weg, der
die typisierenden Unterschiede im Maß der baulichen Nutzung abbilde und
regelmäßig keiner weiteren Ausdifferenzierungen bedürfe. Bei Anlegung des
Vollgeschossmaßstabes sei davon auszugehen, dass jedes Grundstück für
jeden Quadratmeter Grundfläche in gleicher Weise Vorteile von der
Entwässerungseinrichtung habe. Auch die Bewertung des ersten
Vollgeschosses mit 100 % und jedes weiteren Vollgeschosses mit 60 % sei
nicht zu beanstanden. Die höhere Bewertung des ersten Geschosses sei
gerechtfertigt, weil damit auch der Vorteil für das mögliche Dachgeschoss,
welches nach § 2 Abs. 4 NBauO kein Vollgeschoss sei, abgegolten werde. Es
gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach bei großen Flächen der
Vorteil nicht auch proportional zur Fläche wachse. Insoweit sei ein degressiver
Flächenmaßstab unzulässig. Im Bebauungsplan sei keine zulässige
Geschossanzahl, sondern eine zulässige Gebäudehöhe festgesetzt worden.
Diesem Umstand sei in der Satzung durch die Bestimmung eines
Umrechnungsfaktors Rechnung getragen worden. Der entsprechende Divisor
von 3,5 sei - gerade mit Blick auf die Regelung des § 21 Abs. 4 BauNVO -
ebenfalls nicht zu beanstanden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine
Lagerhalle nicht mit anderen Gebäuden in einem Gewerbegebiet vergleichbar
sein solle. Es komme nicht auf die Frage der tatsächlichen Nutzbarkeit des
Grundstücks an, sondern auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme des
Grundstücks, die im vorliegenden Fall durch die Festsetzungen des
Bebauungsplans eingeräumt werde.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der
Beklagten vom 04.12.2012 über die Erhebung des Abwasserbeitrages für das
Grundstück der Klägerin im D. Weg … in Hannover ist rechtmäßig und verletzt
die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte
hat den Abwasserbeitrag zutreffend auf einen Betrag in Höhe von 625.269,23
EUR festgesetzt.
Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 2 II Abs. 1, § 3
Abs. 1, § 4 ABAS i.V.m. § 6 des Niedersächsischen
Kommunalabgabengesetzes (NKAG).
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Die von der Beklagten durchgeführte Berechnung des Abwasserbeitrages ist
nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zutreffend einen Nutzungsfaktor von
280 % angenommen, weil sie von vier Vollgeschossen der Logistikhalle der
Klägerin ausgegangen ist. Auch der Beitragssatz in Höhe von 3,11 je qm bietet
keinen Ansatzpunkt für die Rechtswidrigkeit der Festsetzung.
Die Beklagte durfte im Rahmen der Festsetzung auf den
Vollgeschossmaßstab abstellen. Dieser ist in § 4 I Abs. 1 ABAS geregelt.
Danach werden zur Ermittlung des nutzungsbezogenen Beitrages für das
erste Vollgeschoss 100 % und für jedes weitere Vollgeschoss 60 % der
Grundstücksfläche in Ansatz gebracht. In der Rechtsprechung ist anerkannt,
dass gegen den Vollgeschossmaßstab keine durchgreifenden Bedenken
bestehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.10.1993 - 9 M 2240/13 -
juris), weil er an die bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks anknüpft und unter
Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten von dem Erfahrungssatz ausgeht, dass
mit zunehmender Zahl der Vollgeschosse auch der Gebrauchs- und
Nutzungswert des Grundstücks steigt. § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG, wonach die
Beiträge nach den Vorteilen zu bemessen sind, wird durch den
Vollgeschossmaßstab entsprochen (vgl. hierzu auch Driehaus,
Kommunalabgabenrecht, 49. EL, Sept. 2013, § 8 Rn. 1024 mwN; VG
Hannover, Beschluss vom 13.02.2009 - 1 B 5675/08 - n.v.).
Für die Anwendung des Vollgeschossmaßstabes ist die Art der baulichen
Nutzung nicht relevant (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
20.03.2014 - OVG 9 N 35.11 - juris). Deshalb muss erst recht nicht die
(tatsächliche) bauliche Nutzungsintensität berücksichtigt werden, die bei einer
eingeschossigen Lagerhalle gering sein mag. Es ist unerheblich, welcher
Abwasseranfall bei der konkreten Nutzung auftreten könnte und dass die
Logistikhalle noch über mehrere deutlich kleinere Kalthallen verfügt und aus
Sicht der Klägerin nur ein Geschoss hat. Entscheidend ist vielmehr bereits die
grundsätzliche Möglichkeit der Inanspruchnahme des Grundstücks, die der
Klägerin durch die Festsetzungen im Bebauungsplan und durch die Befreiung
von dessen Festsetzungen eingeräumt wurde. Da der vorliegende
Abwasserbeitrag nur einmal erhoben wird, verbietet sich eine
Betrachtungsweise, die auf die jederzeit änderbare und mehr oder weniger
zufällige tatsächliche Nutzung abstellt. Ein Abstellen auf die tatsächliche
Nutzung wäre mit einer Vielzahl von rechtlich kaum lösbaren Problemen
verbunden. Dies würde unter praxisbezogenen Gesichtspunkten kaum
ermöglichen, eine sachgerechte Finanzierung von Kanalbauprojekten
herbeizuführen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.06.1996 - 9 L 7116/94 -
juris).
Welchen Maßstab der Satzungsgeber für die Steigerung des Nutzungsfaktors
nach dem ersten Vollgeschoss wählt (hier 60 %), das heißt, ob der
Nutzungsfaktor linear-progressiv oder degressiv ausgestaltet ist und in
welchen Stufen, liegt grundsätzlich im Ermessen des Satzungsgebers. Er
muss sich nicht für den zweckmäßigsten, gerechtesten, vernünftigsten oder
wahrscheinlichsten Maßstab entscheiden. Vielmehr findet das Ermessen des
Satzungsgebers erst dort seine Grenze, wo sich sachliche Gründe für die
Abstufung nicht mehr finden lassen oder der gewählte Maßstab ersichtlich
unangemessen und deshalb dem Vorteilsprinzip und dem Gleichheitssatz
nicht mehr entspricht (vgl. VG Greifswald, Urteil vom 14.11.2013 - 3 A 524/11 -
juris). Der Vollgeschossmaßstab zeichnet sich gerade durch seine
Praktikabilität und Durchschaubarkeit aus und ist - auch ohne genauere
Differenzierungen hinsichtlich des Maßes der Nutzung nach Gebietsarten und
mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Beitragsbelastung der einzelnen
Grundstücke gerade nicht in dem Verhältnis stehen muss, wie sich deren
bauliche oder sonstige Nutzbarkeit verhält - als zulässig erachtet worden (vgl.
z.B. BVerwG, Urteil vom 26.01.1979 - 4 C 84/75 - juris; VG Oldenburg, Urteil
vom 22.02.2001 - 2 A 149/98 - n.v.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte
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hier eine weitere differenzierende Regelung bezüglich der Gruppe der
„Lagerhallen“ in der Satzung hätte treffen müssen. Der unterschiedliche
Anteilssatz für das erste Vollgeschoss mit 100% und für jedes weitere
Vollgeschoss mit 60% findet seine Rechtfertigung letztlich darin, dass beim
ersten Vollgeschoss ein ausgebautes Dachgeschoss, das nach § 2 Abs. 4
NBauO (a.F.) kein Vollgeschoß ist, mit zu berücksichtigen ist (vgl. OVG
Lüneburg, Beschluss vom 02.05.1991 - 9 M 4630/91 - juris; Driehaus,
Kommunalabgabenrecht, 49. EL, Sept. 2013, § 8 Rn. 1024 mwN). Es sind
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die entsprechenden Anteilssätze
unverhältnismäßig sind. Deshalb durfte sich die Beklagte auch auf den
Vollgeschossmaßstab in der hier vorhandenen Ausprägung stützen, obwohl
ein linearer Steigerungssatz genutzt wurde.
Hiervon ausgehend hat die Beklagte zutreffend festgestellt, dass im Rahmen
der notwendigen Berechnung des Beitrages von vier Vollgeschossen der
Logistikhalle auszugehen ist. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist insoweit § 4 I
Abs. 3 Ziffer 3 ABAS, der in Verbindung mit Abs. 1 Ziffer 1 b) eine Regelung
zur Bestimmung der Anzahl der Vollgeschosse enthält. Danach gilt als Zahl
der Vollgeschosse bei Grundstücken, für die - wie hier - im Bebauungsplan
statt der Zahl der Vollgeschosse die Höhe der baulichen Anlagen festgesetzt
ist, in Kern-, Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten im Sinne von § 11 Abs.
3 BauNVO die durch 3,5 geteilte höchstzulässige Gebäudehöhe. Bei sich
hiernach ergebenden Bruchzahlen bis 0,49 wird auf ganze Zahlen abgerundet,
bei Bruchzahlen ab 0,50 auf ganze Zahlen aufgerundet. Vorliegend ist die
Besonderheit gegeben, dass die Klägerin ausnahmsweise von den
Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB befreit wurde
und die grundsätzlich zulässige Gebäudehöhe um 46 cm überschreiten durfte.
Diese Höhe wurde von der Klägerin bei der Errichtung der Halle auch
ausgeschöpft. Es kommt nicht darauf an, ob die an die „Haupthalle“
angegliederten Kalthallen eine um 5 m niedrigere Höhe haben. Es mag unter
Umständen im Einzelfall nicht mehr vorteilsgerecht sein, wenn eine
untergeordnete Teilfläche, für die jedoch bauplanungsrechtlich die
höchstzulässige Nutzung - vorliegend in Gestalt der Gebäudehöhe - festgelegt
ist, die beitragsrechtlich beachtliche Ausnutzbarkeit der Gesamtfläche
bestimmen soll (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 10.10.2007 - 1 L 256/06 -
juris). Vorliegend ist die Logistikhalle mit der Höhe von 12,46 m als deutlich
prägender Gebäudeteil anzusehen. Ausweislich des Lageplans vom
20.07.2011 nehmen die drei vorhandenen Kalthallen - die jeweils schlauchartig
an drei Außenseiten der Halle anschließen - selbst nur eine untergeordnete
Teilfläche ein.
Hier ergibt sich ein rechnerischer Wert der Zahl der Vollgeschosse von 3,56,
wenn man 12,46 durch 3,5 teilt. Es ist nicht zu beanstanden, dass auf diese
zulässige Höhe abgestellt wurde, weil im Bebauungsplan keine zulässige
Anzahl von Vollgeschossen festgelegt wurde und es auch unbillig wäre, bei
sehr großen Gebäuden lediglich von einem Geschoss auszugehen. Im
Übrigen stand es der Klägerin auch frei, eine lediglich 12 m hohe Halle zu
bauen und keine Ausnahmeregelung in Anspruch zu nehmen. Dann hätte die
Beklagte nur von drei Vollgeschossen ausgehen können. Unproblematisch ist
hier die Verwendung des Divisors 3,5. Fehlt im Bebauungsplan die Angabe
der zulässigen Vollgeschosse, weil nur Gebäudehöhen festgesetzt sind, so
muss in der Satzungsregelung eine Umrechnungsformel enthalten sein. In
Anbetracht des dem Ortsgesetzgeber zustehenden Bewertungsermessens
kann eine vorteilsgerechte Einordnung des betroffenen Grundstücks durchaus
so erfolgen, dass bei Gewerbe- und Industriegrundstücken im Hinblick auf die
bei diesen Nutzungen übliche Raumhöhe von 3,50 m eine Umrechnung mit
dem Divisor 3,5 vorgesehen ist (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, 49.
EL, Sept. 2013, § 8 Rn. 1039a).
Auch die in § 4 I Abs. 3 Ziffer 3 ABAS vorgesehene Auf- und
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Abrundungsregelung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Regelung trägt
einerseits dem Gesichtspunkt der Praktikabilität Rechnung und wahrt
andererseits noch das Vorteilsprinzip des § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG. Die
Rechtfertigung für die Auf- und Abrundung ergibt sich jedoch vor allem aus
dem Zweck des Rechenvorganges. Denn damit soll eine fiktive zulässige Zahl
der Vollgeschosse bestimmt werden, die nicht als Bruchzahl darstellbar ist.
Soweit die Klägerin auf einen Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts
vom 12.08.2003 (9 LA 36/03 - juris) verweist, betraf diese Entscheidung eine
Bestimmung, die gerade keine kaufmännische Rundung, sondern eine
generelle Aufrundung vorsah (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom
10.03.2011 - 4 L 385/08 - juris; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, 49. EL,
Sept. 2013, § 8 Rn. 1039a). Die hier zur Anwendung kommende
Rundungsregelung ist ungeachtet des Umstandes, dass jede derartige
Regelung Härten mit sich bringen kann, wenn der jeweilige Grenzwert nur
unwesentlich überschritten wird und hieraus eine Aufrundung folgt, nicht zu
beanstanden.
Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 04.12.2012 zutreffend den Beitragssatz
nach § 5 Nr. 1 ABAS in Höhe von 3,11 EUR angewandt und unter
Berücksichtigung der errechneten Veranlagungsfläche den Beitrag in Höhe
von 625.269,23 EUR errechnet. Die Beklagte durfte sich hier auch auf den
konkreten Beitragssatz in Höhe von 3,11 EUR stützen. Es ist nicht ersichtlich,
dass dieser Beitragssatz unverhältnismäßig ist oder fehlerhaft kalkuliert wurde.
Es genügt nicht, wenn die Klägerin lediglich behauptet, der Beitragssatz sei
nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Zwar verlangt der Grundsatz der
Amtsermittlung des § 86 Abs. 1 VwGO, dass das Gericht alle
vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des
maßgeblichen Sachverhalts ausschöpft, die ihm geeignet erscheinen, die für
seine Entscheidung erforderliche Überzeugung zu gewinnen. Die
Amtsermittlungspflicht findet in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten ihre
Grenze. Die Klägerin hat hiernach auch die zur Begründung ihrer Klage
dienenden Tatsachen und Beweismittel nach § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO
anzugeben. Solange sie selbst dieser Pflicht nicht nachkommt und
überprüfbare sowie einem Beweis zugängliche Tatsachen nicht vorträgt,
braucht das Gericht der bloßen Möglichkeit fehlerhaft bestimmter Beitragssätze
nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.4.2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE
116, 188; BayVGH, Beschluss 24.01.2013 - 20 ZB 12.1540 - juris). Dass es für
die Klägerin nicht ganz einfach ist, die von der Beklagten ermittelten
Beitragssätze auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, entbindet sie nicht davon, sich
im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht selbst sachkundig zu
machen, notfalls mit Hilfe eines von ihr beauftragten Sachverständigen (vgl.
BayVGH, Beschluss 24.01.2013 - 20 ZB 12.1540 - juris).
Für das Gericht besteht vorliegend kein Anlass für eine Fehlersuche von Amts
wegen hinsichtlich der Kalkulation. Die Klägerin hat keine konkreten
Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die in die Gebührenkalkulation
eingestellten Werte unrichtig wären. Es reicht aus, dass diese Werte
nachvollziehbar sind. Es bedarf keiner detaillierten Begründung jedes Postens
in der Gebührenkalkulation (vgl. OVG Bautzen, Urteil vom 04.07.2012 - 5 C
34/09 - juris). Die Beklagte hat mit der Kalkulation des Beitragssatzes ein
externes sachverständiges Ingenieur-Büro beauftragt, welches ein
umfangreiches Gutachten (29 Seiten zzgl. verschiedener Anlagen) erstellt hat.
Darin wird plausibel erläutert, wie kalkuliert wurde. In dem Gutachten wird auf
Seite 23 ein umlagefähiger Aufwand von rund 3,9 Mio. EUR festgestellt und
hiervon ausgehend ein kostendeckender Beitragssatz in Höhe von 4,14 EUR
je qm ermittelt. In der Satzung wurde später dieser Satz auf den Betrag in
Höhe von 3,11 EUR reduziert (vgl. hinsichtlich der Verwendung eines nicht
kostendeckenden Beitrages: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.01.2011
- OVG 9 B 22.09 - juris, Rn. 36). Insofern erscheint der Beitragssatz nicht
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unangemessen. Es ist vor diesem Hintergrund auch nicht ersichtlich, dass ein
Verstoß gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot vorliegt. Die Beklagte
hätte letztlich auch den höchstzulässigen Beitragssatz in Höhe von 4,14 EUR
in der Satzung festlegen können.
Zu dem im Bescheid vom 04.12.2012 abgelehnten Teilerlass muss das
Gericht nicht weiter ausführen, da der Klageantrag sich nicht auf die
Aufhebung des gesamten Bescheides bezieht, sondern nur auf die über eine
Summe von 223.310,44 EUR hinausgehende Festsetzung. Abgesehen davon
ist der Erlass des Beitrages im Verfahren 1 A 6026/13 streitgegenständlich.
Der Bescheid vom 04.12.2012 ist damit insgesamt rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §
708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.