Urteil des VG Hannover vom 11.06.2013

VG Hannover: wiedereinsetzung in den vorigen stand, beihilfe, gesetzliche frist, behandlung, zustellung, vollstreckung, anfang, einzelrichter, rücknahme, datum

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Beihilfe, versäumnis der Jahresfrist
VG Hannover 13. Kammer, Urteil vom 11.06.2013, 13 A 2222/13
§ 48 Abs 1 NBhVO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Beihilfe für der Beihilfestelle verfristet vorgelegte
Rechnungen. Seit 31.07.2012 befindet sich der Kläger im Ruhestand, zuvor
hatte er einen Beihilfeanspruch mit einem Bemessungssatz von 50 v.H.
Zwei dem Kläger behandelnde Ärzte fertigten jeweils unter dem 30.08.2011
Rechnungen über 216,52 € bzw. 42,88 €.
Am 02.09.2011 und 07.10.2011 kaufte der Kläger jeweils ärztlich verordnete
Medikamente für 24,57 € bzw. 28,52 €.
Am 24.10.2012 ging der Beihilfeantrag mit diesen Rechnungen bei der
Beklagten ein. In einem Schreiben vom 23.10.2012 bat der Kläger um
Entschuldigung für die verspätete Eingabe. Er habe den Fristablauf nicht
bemerkt, weil er „seit dem Tode [seiner] Frau so ziemlich am Boden“ sei.
Mit Beihilfebescheid vom 31.10.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger zwar
Beihilfen für andere, ebenfalls geltend gemachte Aufwendungen, nicht jedoch
für die vier oben genannten Rechnungen. Die jeweiligen Rechnungsdaten seien
älter als ein Jahr.
Soweit Rechnungen mit einem über einen Jahr alten Rechnungsdatum
unberücksichtigt geblieben sind, legte der Kläger Widerspruch ein. Seine
Ehefrau sei infolge ärztlicher Kunstfehler gestorben. Es sei sehr schwer für ihn
gewesen, mit dieser Situation fertig zu werden, so dass er die Rechnungen
vergessen habe. Außerdem sei er im Mai bis Juli 2012 wegen psychischer
Probleme in stationärer Behandlung gewesen.
Offenbar nahm der Kläger im Laufe des Widerspruchsverfahrens seinen
Widerspruch hinsichtlich der Versagung von Beihilfe für die Medikamente
telefonisch zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2012 wies die Beklagte den Widerspruch
des Klägers hinsichtlich der beiden Arztrechnungen zurück. Wegen der
telefonischen Rücknahme entschied die Beklagte jedoch nicht mehr hinsichtlich
der Medikamentenrezepte.
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Das Datum der Zustellung des Widerspruchsbescheides lässt sich aus den
Verwaltungsvorgängen nicht ersehen. Unter dem 30.01.2013 verfasste der
Kläger jedoch ein Schreiben an die Beklagte und nahm auf den
Widerspruchsbescheid Bezug.
Der Kläger hat am 26.02.2013 Klage erhoben.
Er ist der Ansicht, ihm müsse von der Beklagten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt werden. Eine größere Ausnahme als Trauer und Angst
gebe es nicht. Seine Ehefrau sei im Oktober 2010 in einem Krankenhaus ums
Leben gebracht worden. Er versuche nun, auf dem Klageweg für seine Frau zu
kämpfen. Außerdem habe er sich von Mai bis Anfang Juli 2012 in klinischer
psychologischer Behandlung befunden.
Entgegenkommender Weise habe er die zwei Medikamentenrechnungen
unberücksichtigt lassen wollen. Da die Beklagte aber eine Beihilfe für die
Arztrechnungen versagt habe, nehme er auch die Medikamentenaufwendungen
wieder in seine Forderung auf.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Beihilfe nach dem maßgeblichen
Beihilfesatz auch für die beiden Arztrechnungen vom 30.08.2011 und die
Medikamentenrechnungen vom 02.09.2011 und 07.10.2011 zu gewähren
und den Beihilfebescheid vom 31.10.2012 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 23.01.2013 insoweit aufzuheben, wie er
dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Gründe ihres Widerspruchsbescheides.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 08.05.2013 dem Berichterstatter
als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.
Die Klage ist zulässig.
Das Datum der Zustellung des Widerspruchsbescheides ergibt sich nicht aus
den Verwaltungsvorgängen. Zugunsten des Klägers geht das Gericht von einer
fristgerecht erhobenen Klage aus.
Die Klage ist auch im Hinblick auf die beiden Medikamentenrechnungen
zulässig. Der Widerspruch des Klägers (Schreiben vom 07.11.2012) bezog sich
auch auf die versagte Beihilfe für die Medikamente. Zwar hat der Kläger im
Laufe des Widerspruchsverfahrens telefonisch seinen Widerspruch beschränkt.
Diese Beschränkung ist jedoch unwirksam, weil sie nicht in der für einen
Widerspruch vorgeschriebenen Form erfolgte. Die Beklagte hat es versäumt,
sich die Teil-Rücknahme des Widerspruches schriftlich bestätigen zu lassen.
Hinsichtlich der Aufwendungen für die Medikamente liegt bislang keine
Widerspruchsentscheidung vor. Im Widerspruchsbescheid vom 23.01.2013
wurde ausdrücklich dazu keine Entscheidung getroffen. Da die Teil-
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Widerspruchsrücknahme unwirksam ist, liegt kein zureichender Grund für die
bislang unterbliebene Bescheidung vor. Die Klage ist insoweit als
Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch mehr auf eine Beihilfe für die vier streitigen
Aufwendungen.
Nach § 48 Abs. 1 Nds. Beihilfeverordnung (NBhVO) ist der Antrag auf Beihilfe
innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Jahr nach Entstehen der
Aufwendungen zu stellen. Liegt eine Rechnung vor, so beginnt die Frist mit dem
Rechnungsdatum.
Die Jahresfrist für die letzte Rechnung lief am 07.10.2012 ab, die Fristen für die
anderen drei Rechnungen entsprechend früher. Der Beihilfeantrag mit den
Rechnungen ging jedoch erst am 24.10.2012 bei der Beklagten ein. Zu diesem
Zeitpunkt war die Jahresfrist bereits abgelaufen. Da es sich um eine
Ausschlussfrist handelt, ist der Beihilfeanspruch für diese Aufwendungen
erloschen (vgl. Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 01.06.2010 - 3 K
962/09 -, zit. n. juris).
Zu Recht hat die Beklagte dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt. Ob bei einer materiellen Ausschlussfrist überhaupt eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist (eher ablehnend:
Verwaltungsgericht des Saarlandes, a.a.O., verneinend für die hessische
Rechtslage auch VGH Kassel, Urteil vom 25.07.2012 - 1 A 2253/11 -, s.a. VG
Köln, Urt. v. 29.08.2011 - 19 K 3512/10, jeweils. zit. n. juris), kann hier offen
bleiben, weil schon die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht
vorliegen. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung wäre, dass der Kläger
ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
Verschulden i. S. v. § 32 Abs. 1 VwVfG ist dabei das Außerachtlassen
derjenigen Sorgfalt, die für einen gewissenhaft und sachgemäß seine Rechte
wahrnehmenden Beteiligten geboten und nach den Umständen des Einzelfalles
zumutbar ist. Dabei wird ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der
besonderen Umstände des Einzelfalls und des einzelnen Beteiligten zugrunde
gelegt.
Diese Voraussetzung hat der Kläger indes weder darlegen, geschweige denn
nachweisen können.
Es ist nachvollziehbar, wenn der Kläger nach dem Tod seiner Ehefrau im Jahr
2010 getrauert hat. Es ergibt sich daraus jedoch noch lange nicht, dass er
deshalb nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig eine Beihilfe zu beantragen.
Ärztliche Stellungnahmen und Atteste, die dies nahelegen könnten, hat der
Kläger nicht vorgelegt. Das Gericht kann von Amtswegen kein
Sachverständigengutachten hierzu einholen, denn dies liefe auf einen
unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Gegen eine psychiatrische
Erkrankung, die den Kläger an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert
hätte, spricht im Übrigen der Umstand, dass der Kläger ja offenbar ansonsten
durchaus tätig werden konnte, etwa die Arztrechnungen bezahlte und offenbar
auch zivilrechtliche Streitigkeiten mit den seinerzeit seien Ehefrau behandelnden
Ärzten bzw. Krankenhäusern geführt hat. Der Kläger war einfach durch die
Umstände derart belastet, dass er - wie er selbst im Widerspruchsschreiben vom
07.11.2012 einräumt, schlichtweg die Rechnungen vergessen hat. Das aber ist
schon kein Wiedereinsetzungsgrund.
Der Umstand, dass der Kläger von Mai bis Anfang Juli in stationärer Behandlung
war, stellt ebenfalls keinen Widereinsetzungsgrund dar. Aus einer stationären
Behandlung folgt ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände aber noch
nicht ohne weiteres, dass der Kläger zur Stellung eines Beihilfeantrages nicht in
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der Lage war. Die Jahresfrist für die ersten beiden Rechnungen lief erst am
30.08.2012 ab, zu diesem Zeitpunkt war der stationäre Klinikaufenthalt bereits
wieder längst beendet. Außerdem hat der Kläger selbst, worauf die Beklagte in
der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, noch im Juli 2012 Beihilfeanträge
hinsichtlich anderer Aufwendungen gestellt und damit gezeigt, dass er durchaus
in der Lage war, entsprechende Handlungen vorzunehmen (vgl. auch: VG
Hannover, Urteil vom 09.10.2006 - 2 A 4368/04 -, Seite 5 des Urteilsabdrucks).
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheides
sowie des Widerspruchsbescheides und sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von
der weiteren Begründung ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.