Urteil des VG Hannover vom 17.04.2014

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Beihilfe, Eigenanteil bei Medikamenten je
abgegebener Packung
VG Hannover 13. Kammer, Urteil vom 17.04.2014, 13 A 107/14
§ 45 Abs 1 BhV ND, § 61 SGB 5
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung eines Eigenanteils für
Medikamente durch die Beihilfestelle.
Sie ist Vorsitzende Richterin am Landgericht im Ruhestand und mit einem
Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Ihr Arzt verschrieb ihr das
Medikament Levemir Penfill. Dabei handelt es sich um Insulin-Ampullen. Die
Apotheke gab das Medikament im verschriebenen Umfang in drei
Verpackungen zu je 144,80 € ab. Die Klägerin beantragte hierfür eine Beihilfe.
Mit Beihilfebescheid vom 30.10.2013 bewilligte die Beklagte der Kläger für ihre
Aufwendungen für das Medikament Levemir auch eine Beihilfe, zog aber für
jede Packung jeweils einen Eigenanteil in Höhe von 10 € ab.
Wegen des Abzuges dieses Eigenanteils legte die Klägerin Widerspruch ein.
Der Ansatz des Eigenanteils für jede Packung sei nicht gerechtfertigt, das
Abstellen auf die Anzahl der Packungen sei nicht sachgerecht. Sie werde
dadurch benachteiligt, weil es keine größeren Verpackungen mit mehr
Ampullen gebe.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid
vom 12.12.2013 zurück. Der Abgabepreis der jeweiligen Packung sei für den
Eigenanteil maßgebend.
Die Klägerin hat am 09.02.30124 Klage erhoben.
Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihr Widerspruchsschreiben.
Ergänzend trägt sie vor, § 45 Abs. 1 Nr. 1 NBhVO knüpfe an den Begriff der
Arzneimitteln an, nicht auf den Abgabepreis der jeweilige Verpackung. Der
Mehrabzug mache bei ihrem Bemessungssatz zwar nur einen geringen
Eurobetrag aus, auf längere Sicht falle der Mehrabzug durchaus aber ins
Gewicht.
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2013 und den
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.12.2013 abzuändern
bzw. aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die pro Packung
mehrfach einbehaltenen Eigenbehalte gem. § 45 Abs. 1 NBhVO ihr
wieder auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage entgegen und nimmt Bezug auf die Gründe des
Widerspruchsbescheides.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und
mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer
einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2
und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO
weiterhin ohne mündliche Verhandlung.
Das Gericht versteht das Klagebegehren der Klägerin dahingehend, dass sie
sich gegen den Beihilfebescheid wendet, soweit mehr als 10 € Eigenanteil für
das Medikament Levimir Penfill vom Beihilfeanspruch abgesetzt wurden und
sie die Rückzahlung der ihren Ansicht nach zu viel einbehaltenen Eigenanteile
begehrt.
Die so verstandene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat
keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte trotz des Kaufes von drei
Packungen des Medikaments nur einmal den Eigenanteil berücksichtigt.
Rechtsgrundlage für den Abzug des Eigenanteils ist § 45 Abs. 1 Nr. 1 NBhVO.
Danach mindern sich die beihilfefähigen Aufwendungen um einen Eigenbehalt
in Höhe von 10 Prozent, jedoch mindestens um fünf und höchstens um zehn
Euro, jedoch jeweils nicht um mehr als die tatsächlichen beihilfefähigen
Aufwendungen bei Arznei- und Verbandmitteln.
Es ist der Klägerin zwar einzuräumen, dass die genannte Vorschrift nicht
ausdrücklich auf den Apothekenabgabepreis abstellt. Nach Sinn und Zweck
der Regelung bezieht sich der Eigenanteil jedoch jeweils auf den Abgabepreis
für die erstandene Packung. Eine andere Handhabung wäre im Übrigen auch
nicht praktikabel.
§ 45 NBhVO ist § 61 SGB V nachgebildet und soll das System der Zuzahlung
durch die Pflichtversicherten auf den Kreis der Beihilfeberechtigten übertragen.
Zu § 61 SGB V hat das Sozialgericht Aachen entschieden, dass bei
Arzneimitteln, die in einer verordneten Großpackung weder vorrätig noch
lieferbar sind, eine Apotheke berechtigt, das Arzneimittel in mehreren kleineren
Packungen an den Versicherten abzugeben. Die zu leistende Zuzahlung
richtet sich dann jedoch nicht nach der ursprünglich verordneten
Packungsgröße, sondern nach der Anzahl und Größe der tatsächlich
abgegeben Packungen (Urteil vom 22.10.2013 - S 13 KR 223/13 -, zit. n. juris).
Zur Begründung heißt es in der Entscheidung: „Anknüpfungspunkte für die
Zuzahlung sind hiernach das "verordnete Arzneimittel" und der "Abgabepreis".
Das verordnete Arzneimittel im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB V war im
vorliegenden Fall "Atmadisc 50/250 Diskus PUL". Ob und in welcher Art sich
die Packungsgröße auf die Zuzahlungsverpflichtung der Versicherten auswirkt,
ergibt sich unmittelbar weder aus § 31 Abs. 3 SGB V noch aus § 61 Satz 1
SGB V. Mittelbar ist die Packungsgröße jedoch im Rahmen des für die Höhe
der Zuzahlung maßgeblichen Abgabepreises von Bedeutung. § 61 Satz 1
enthält keine Legaldefinition des dort verwendeten Begriffs "Abgabepreis". Das
SGB V verwendet diesen Begriff auch in anderen Vorschriften und in
unterschiedlichem Zusammenhang, z.B. - "Apothekenabgabepreis" in § 129
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V und § 3 Abs. 1 AmPreisVO, - "für den Versicherten
maßgeblicher Arzneimittelabgabepreis" in § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5a
und § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB V, -"Abgabepreis des pharmazeutischen
Unternehmers" in § 129 Abs. 5a und § 130a SGB V. Nach dem Sinn und
Zweck der Vorschrift des § 61 Satz 1 SGB V ist mit dem dort genannten Begriff
"Abgabepreis" der für den Versicherten maßgebliche Arzneimittelabgabepreis,
das ist der "Apothekenabgabepreis", gemeint. Davon geht auch die Klägerin
aus. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV in der hier anzuwendenden bis
31.12.2012 geltenden Fassung ist jedoch bei Fertigarzneimitteln der
Apothekenabgabepreis die Summe aus dem Netto-Einkaufspreis, einem
Festzuschlag von 3 %, weiteren 8,10 EUR und der Umsatzsteuer je Packung,
nicht je verordnetem Arzneimittel (Hervorhebung durch das erkennende
Gericht). Andernfalls wäre nicht nur die Zuzahlung, sondern
konsequenterweise auch die Apothekenzuschläge (3 % und 8,10 EUR) sowie
der Apothekenrabatt (2,05 EUR) nicht nach der abgegebenen Packung,
sondern dem verordneten Arzneimittel zu bemessen. Denn auch § 3 Abs. 1
AMPreisV und § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB V beziehen sich im Text nicht auf die
"Packung", sondern das "Arzneimittel". Diese Konsequenz ihrer Auffassung
zieht die Klägerin aber nicht. Sie wäre auch nicht mit Gesetz und Verordnung
in Einklang zu bringen, weil sich der "Apothekenpreis" für Fertigarzneimittel -
wie aufgezeigt - auch nach der "Packung" (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1
AMPreisV) richtet und zwar nach den tatsächlich - nicht fiktiv - abgegebenen
Arzneimittelpackungen. ... Der hiervon abweichenden Auffassung der Klägerin,
die von den Versicherten zu leistende Zuzahlung müsse sich nach dem
Abgabepreis richten, der maßgeblich wäre, wenn das verordnete Arzneimittel
in der auf dem Rezept vermerkten Packungsgröße abgegeben worden wäre
(…), stehen nicht nur die dargelegten rechtssystematischen Erwägungen
entgegen. Die Klägerin führt für ihre Ansicht an, dass es gelte, Nachteile für die
Versicherten zu vermeiden, die aus Lieferschwierigkeiten erwachsen. Dieses -
auf den ersten Blick verständliche - Eintreten für die Interessen der
Versicherten, die zugleich die Kunden der Apotheke sind, spiegelt jedoch nur
die eine Seite der Medaille wieder. Die andere Seite ist die der abgebenden
Apotheke. Tatsächlich war es hier nämlich so, dass die Lieferschwierigkeiten
und die daraus resultierende Abgabe von drei N1-Packungen anstatt einer N3-
Packung "Atmadisc 50/250 Diskus PUL" zu einem um 8,73 EUR brutto
höheren Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Krankenkasse
geführt hat. Würde die Klägerin ihren aus dem Rezept vom 10.12.2012
resultierenden Vergütungsanspruch nicht mit der auf den Abgabepreis der drei
abgegebenen N1-Packungen des Arzneimittels Atmadisc zu entrichtenden
Zuzahlungsbetrag von 16,98 EUR verrechnen müssen, sondern - wie sie es
zu Gunsten der Versicherten für richtig hält - nur mit dem Zuzahlungsbetrag
von 10,00 EUR, wie er sich fiktiv aus der vom Arzt auf dem Rezept vermerkten,
aber nicht lieferbaren Packungsgröße N3 errechnet, ergäbe sich für die
Klägerin sogar ein um 15,71 EUR brutto höherer Vergütungsanspruch. Hätte
die beklagte Krankenkasse also das Rezept vom 10.12.2012 nach der
Vorstellung der Klägerin abzurechnen, würden die damaligen
Lieferschwierigkeiten zwar den Versicherten nicht belasten, die Apotheke aber
zusätzlich verdienen lassen. Gegen eine Auslegung der Zuzahlungsregelung
der §§ 31 Abs. 3, 61 Satz 1 SGB V im Sinne der Klägerin spricht zuletzt auch,
dass sie das Problem der - eigentlich vom pharmazeutischen Unternehmer zu
vertretenen - Lieferschwierigkeiten zu Gunsten der Versicherten und hier auch
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der Apotheke auf die Krankenkasse abwälzt, die jedoch die
Lieferschwierigkeiten genauso wenig wie die Vorgenannten zu vertreten hat.
Die Lösung des im vorliegenden Fall aufgezeigten Problems, dass durch
Lieferschwierigkeiten u.U. höhere Zuzahlungen als bei Lieferfähigkeit anfallen,
obliegt nicht den Gerichten durch eine zweifelhafte, interessengeleitete
Auslegung der Vorschrift des § 61 Satz 1 SGB V gegen deren Wortlaut
("Abgabepreis"), sondern allenfalls dem Gesetzgeber (SG Aachen, a.a.O.,
Rdnr. 22 ff.).
Dem schließt sich das erkennende Gericht hinsichtlich der vergleichbaren
beihilferechtlichen Fragestellung an. Solange der Gesetzgeber bzw. der
Verordnungsgeber an der Übertragung der Zuzahlungsregelungen des SGB V
auf die Beihilfe festhält, richtet sich der anzusetzende Eigenanteil nach der
Anzahl der abgegebenen Packungen, unabhängig von der verordneten
Anzahl bzw. der Frage, welche Packungsgrößen der Handel überhaupt
anbietet (so auch VG Hannover, Urteile vom 08.01.2007 - 2 A 6518/04 - und
vom 04.01.2010 - 2 A 1327/08 -, in denen ebenfalls nur auf die Anzahl der
verkauften Packungen abgestellt wurde). Die Klägerin kann zur Abmilderung
der zugegebenen für sie sich ergebenden Mehrbelastungen nur auf die
Möglichkeit eines Antrages nach § 46 NBhVO bzw. die Geltendmachung der
Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung im Rahmen der
Einkommenssteuererklärung verwiesen werden.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3
und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§
708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.