Urteil des VG Hannover vom 01.04.2014

VG Hannover: vertretung, amtszeit, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aktives wahlrecht, subjektives recht, einzelnes mitglied, passives wahlrecht, stimmrecht, fusion, ngo

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Amtszeitverlängerung eines Landrats verletzt keine
subjektiven Rechte von Kreistagsabgeordneten
1. Eine Gruppe in der Vertretung kann selbst keine Rechte aus dem
Stimmrecht der ihr angehörenden Abgeordneten ableiten. Das Stimmrecht
des einzelnen Abgeordneten wird durch die Amtszeitverlängerung eines
Hauptverwaltungsbeamten unabhängig von der Rechtmäßigkeit des der
Verlängerung zugrunde liegenden Beschlusses nicht verletzt, da das
Stimmgewicht nicht beeinträchtigt wird. Allein die Aussicht, dass sich die
politischen Mehrheiten in der Vertretung bei einer Neuwahl des
Hauptverwaltungsbeamten nach den regulären Fristen verschieben
könnten, ist rechtlich nicht geschützt.
2. Die gesetzlichen Regelungen zu Wahlverzicht und Amtszeitverlängerung
bei Aufnahme von Fusionsverhandlungen verletzen nicht das
Demokratieprinzip. Der Hauptverwaltungsbeamte ist als Amtswalter
aufgrund der Beschlüsse der Vertretung weiterhin mittelbar legitimiert. Der
Gesetzgeber hat sich bei der Modifikation der grundsätzlich vorgesehenen
Direktwahl im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bewegt.
VG Hannover 1. Kammer, Beschluss vom 01.04.2014, 1 B 3147/14
Art 28 Abs 1 GG, § 80 KomVerfG ND
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,00 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren in ihrer Funktion als Gruppe des Kreistags (Ast. zu
1) bzw. als Mitglied des Kreistags (Ast. zu 2) im Wege der einstweiligen
Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, zwei Beschlüsse des
Kreistags nicht zu vollziehen. Es handelt sich hierbei um den Beschluss zur
Aussetzung der Landratswahl für zwei Jahre sowie den zur Verlängerung der
Amtszeit des Antragsgegners um zwei Jahre bis zum 31.10.2016.
Der Antragsgegner wurde am 24.09.2006 in direkter Wahl für eine Amtszeit
von acht Jahren zum Hauptverwaltungsbeamten des E. gewählt. Seine
reguläre Amtszeit endet am 31.10.2014.
Im Sommer 2013 führte er zwei Gespräche mit dem Landrat des F., - das erste
am 10.07.2013 im Kreishaus G., das zweite am 27.08.2013 im Kreishaus H..
Hierbei wurde eine mögliche Fusion beider Landkreise thematisiert. Darüber
informierte der Antragsgegner den Kreistag am 30.09.2013 unter dem
Tagesordnungspunkt „Anfragen“ und teilte mit, dass es bislang keine
konkreten Ergebnisse gebe.
Nachdem in der I. Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Landkreis-Fusion
mit H. bahnt sich an“ über einen möglichen Zusammenschluss der beiden
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Landkreise berichtet worden war, stellten die Kreistagsfraktion J., die Gruppe
K. sowie die Antragstellerin zu 1) Anfragen an die Kreisverwaltung. Diese
wurden jeweils am 28.10.2013 dahingehend beantwortet, dass es bislang
keine konkreten (Zwischen-)Ergebnisse hinsichtlich einer Fusion mit dem
Landkreis H. gebe. In dem Antwortschreiben an die Fraktion J. wurde auf die
Frage nach einem beabsichtigten Kreistagsbeschluss hinsichtlich einer
Verlängerung der Amtszeit des Antragsgegners ausgeführt:
„Soweit mir bekannt ist, ist evtl. beabsichtigt, einen politischen Antrag analog
zu dem in der letzten Woche in H. beschlossenen Antrag der dortigen
Mehrheitsgruppe auch hier im Kreistag für die kommende Sitzung am
09.12.2013 zu stellen. Ein Unterpunkt dieses Antrags könnte auch die
Amtszeitverlängerung des Landrates sein. Die Kreisverwaltung selbst bereitet
einen solchen Antrag zurzeit nicht vor.“
Hintergrund war, dass der Kreistag des Landkreises H. bereits am 22.10.2013
beschlossen hatte, Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit
Nachbarkommunen aufzunehmen und die Amtszeit des Landrats um zwei
Jahre bis zum 31.10.2016 zu verlängern.
In Vorbereitung der Kreistagssitzung am 09.12.2013 reichte die (Mehrheits-
)Gruppe von L. und M. am 14.11.2013 unter dem Stichwort
„Entwicklungsperspektiven des Landkreises G.“ folgenden Antrag ein:
· „Der Landrat nimmt Verhandlungen über einen Zusammenschluss
mit Nachbarkommunen auf.
· Auf die Durchführung der Landratswahl wird bis zum 31.10.2016 (2
Jahre nach Ablauf der derzeitigen Amtszeit des Landrats) vorläufig
verzichtet.
· Die Amtszeit des bisherigen Landrats, N., wird bis zum 31.10.2016
verlängert.“
In der Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Landkreis G. aus
verschiedenen Gründen dem Thema „Fusion“ nicht verschließen könne. Um
die Basis für zukünftige Entscheidungen beurteilen zu können, sei „eine
Auseinandersetzung bis hin zur Aufnahme konkreter Verhandlungen mit
potenziellen Partnern erforderlich“. Die in Betracht kommenden möglichen
Verhandlungspartner wurden nicht näher bezeichnet.
Die Antragstellerin zu 1) reichte Ende November 2013 einen Änderungsantrag
ein, in dem der erste Punkt des oben zitierten Antrags wie folgt ergänzt wurde:
„Nach Abschluss der Verhandlungen werden die Ergebnisse öffentlich
gemacht. Sofern eine Fusion erfolgen soll, wird hierzu eine Bürgerbefragung
durchgeführt, an deren Ergebnis sich der Kreistag gebunden fühlt.“
Die weiteren Punkte des ursprünglichen Antrags sollten entfallen. In der
Begründung führte die Antragstellerin zu 1) u.a. aus, dass „der Kreis H.
wahrscheinliches Zielobjekt“ sei, dieser aber erhebliche eigene
Schwierigkeiten habe. Da das Projekt noch nicht begonnen worden sei, sei ein
Abschluss innerhalb von zwei Jahren unrealistisch, so dass die Wahl eines
neuen Landrats bevorzugt werde; dieser könne dann ohne Zeitdruck
entsprechende Verhandlungen führen.
Am 28.11.2013 erklärte der Antragsgegner schriftlich seine Zustimmung zu der
Verlängerung seiner Amtszeit als Landrat des Landkreises G. um zwei Jahre.
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In seiner Sitzung vom 09.12.2013 fasste der Kreistag ohne Mitwirkung des
Antragsgegners unter den Tagesordnungspunkten (im Folgenden TOP) 8 - 10
mehrheitlich die dem Antrag der Mehrheitsfraktion entsprechenden
Beschlüsse (s.o.).
Mit Schreiben vom 11.12.2013 zeigte der Antragsgegner die Aufnahme von
Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit Nachbarkommunen
gegenüber der zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde an. In dem folgenden
Schriftverkehr brachte er zum Ausdruck, dass „vorrangig die Absicht bestehe,
mit dem Landkreis H. in Fusionsverhandlungen einzutreten“ (Schreiben des
Antragsgegners vom 23.12.2013).
Der Kreisausschuss des Landkreises H. beschloss in seiner Sitzung am
29.01.2014, ausschließlich mit dem Landkreis G. über einen
Zusammenschluss zu verhandeln. Im Landkreis G. stellte der Erste Kreisrat in
der Sitzung des Kreisausschusses vom 17.02.2014 auf der Grundlage eines
von ihm Ende Januar 2014 erarbeiteten Diskussionspapiers den Sachstand
der Fusionsverhandlungen vor.
Die Antragsteller haben mit Schreiben vom 21.02.2014 bei Gericht Klage
gegen den Kreistag des Landkreises G. erhoben. Mit dieser Klage, die sie als
Hauptsacheverfahren zum vorliegenden Verfahren ansehen, begehren sie die
Feststellung, dass die Beschlüsse zu dem vorläufigen Verzicht auf die Wahl
eines Landrats sowie die Verlängerung der Amtszeit des Antragsgegners
rechtswidrig sind.
Zusammen mit der Klage haben sie um Eilrechtsschutz nachgesucht. Zur
Begründung führen sie aus:
Der Antrag sei zulässig, da sie durch die angegriffenen Beschlüsse in ihren
organschaftlichen Rechten verletzt seien. Zu diesen gehöre es, dass dem
Kreistag nur solche Mitglieder angehören und an Entscheidungen mitwirken,
die hierzu auch entsprechend legitimiert seien. Mit Ablauf seiner regulären
Amtszeit würde der Antragsgegner aufgrund der rechtswidrigen Beschlüsse
weiterhin der Vertretung als nicht legitimiertes, aber formal stimmberechtigtes
Mitglied angehören.
Eine rechtsfehlerhafte Zusammensetzung der Vertretung verfälsche zudem
das zahlenmäßige Gewicht der einzelnen Stimme und schmälere rechtswidrig
das (Abstimmungs-)Mitwirkungsrecht der Kreistagsabgeordneten. Dieses
umfasse auch den Anspruch, dass die einzelne Stimme mit dem ihr nach dem
NKomVG zukommenden Gewicht bei der Abstimmung berücksichtigt werde.
Der Antrag sei auch begründet, da ein Anordnungsanspruch und -grund
glaubhaft gemacht werden könne. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus
Folgendem:
Die zu TOP 9 und 10 gefassten Beschlüsse seien rechtswidrig, weil die ihnen
zugrundeliegende Regelungen in § 80 NKomVG nicht im Einklang mit
Verfassungsrecht stünden. Unabhängig davon seien aber die
Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt. Zur Begründung führen sie aus:
§ 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 NKomVG a. F. erlaube es der Vertretung einer
Kommune, durch Beschluss auf eine erforderliche Wahl des
Hauptverwaltungsbeamten für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren nach
dem Ablauf der Amtszeit oder dem Ausscheiden aus dem Amt vorläufig zu
verzichten, wenn die Vertretung beschlossen habe, Verhandlungen über den
Zusammenschluss mit einer anderen Kommune aufzunehmen. In diesem Fall
könne die Vertretung zugleich mit Zustimmung der Amtsinhaberin oder des
Amtsinhabers eine Verlängerung der Amtszeit beschließen (§ 80 Abs. 5 S. 7
NKomVG a. F.). Damit weiche die Norm von der grundsätzlichen Regelung
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des NKomVG ab, nach welcher der Hauptverwaltungsbeamte von den
Bürgerinnen und Bürgern entsprechend den Vorschriften des
Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes in direkter Wahl gewählt werde.
Hinzu komme, dass 2006 zum Zeitpunkt der Wahl des Antragsgegners weder
diese Vorschrift noch die erst 2009 in die NGO aufgenommene gleichlautende
Vorläufervorschrift - § 61 Abs. 2a NGO - existiert hätten. Die Bürger hätten ihre
Wahlentscheidung somit vor dem Hintergrund getroffen, dass die Amtszeit des
Antragsgegners lediglich acht Jahre betrüge. Sie hätten nicht damit rechnen
können und müssen, dass die Vertretung nachträglich durch den
Landesgesetzgeber ermächtigt würde, durch mit einfacher Mehrheit
herbeigeführten Beschluss die Amtszeit des Landrats um zwei Jahre bzw.
nach antragsgemäßer Entscheidung der obersten Kommunalaufsichtsbehörde
gem. § 80 Abs. 3 S. 3 NKomVG a. F. sogar um drei Jahre zu verlängern.
Dies führe zu erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, da nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die in Art. 28 Abs. 1 S. 2 und
Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG umschriebenen Wahlrechtsgrundsätze als allgemeine
Rechtsprinzipien für Wahlen zu allen Volksvertretungen im staatlichen und
kommunalen Bereich gelten würden. Es widerspreche diesen sich aus dem
Grundgesetz ergebenden allgemeinen Rechtsprinzipien, wenn den
Bürgerinnen und Bürgern zunächst ein subjektives, aktives Wahlrecht
eingeräumt werde, die Tragweite der daraufhin getroffenen Entscheidung
jedoch nachträglich einem anderen - nämlich der Vertretung der Kommune -
überlassen werde.
Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
NKomVG a. F. nicht vor. Danach müsse die Vertretung beschlossen haben,
Verhandlungen über den Zusammenschluss mit einer anderen Kommune
aufzunehmen. Vorliegend fehle dem zum TOP 8 gefassten Beschluss die
erforderliche Bestimmtheit, werde doch in diesem der Antragsgegner nur
äußerst vage beauftragt, Verhandlungen über einen Zusammenschluss „mit
Nachbarkommunen“ aufzunehmen. Eine Auslegung der Vorschrift dergestalt,
dass weder eine Beschränkung auf einen Verhandlungspartner noch eine
Nennung der in Betracht kommenden Verhandlungspartner erforderlich sei,
lasse sich nicht mit dem Wortlaut vereinbaren.
Entscheidend für die Auslegung der Vorschrift sei, dass diese eine Ausnahme
zu den in § 80 Abs. 2 NKomVG a. F. vorgesehenen Fristen für die Wahl des
Hauptverwaltungsbeamten regele und damit eng auszulegen sei. Auch der
Umstand, dass der Gesetzgeber nach den Gesetzesmaterialien offenbar
davon ausgegangen sei, dass die Fusionsverhandlungen in einem „Zeitraum
von längstens zwei Jahren“ bzw. bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen in maximal drei Jahren, abzuschließen seien, spreche dafür,
dass in dem Beschluss zumindest die in Aussicht genommene Kommune
benannt werden müsse. Stünde noch nicht einmal diese fest, wäre der
vorgegebene zeitliche Rahmen für die Fusion nicht einzuhalten. Der in der
Vorschrift verwendete Singular „eine Nachbarkommune“ sei bewusst gewählt
und spiegele sich auch in der die zwölfmonatige Verlängerung betreffenden
Formulierung „die nach Satz 1 geplante Körperschaftsumbildung“ wider. Nur
der Fall, in dem bereits ein konkreter Verhandlungspartner ausgemacht
worden sei, könne einen ausnahmsweisen Verzicht auf die Wahl des
Hauptverwaltungsbeamten rechtfertigen.
Zudem bringe die Unbestimmtheit erkennbare Schwierigkeiten bei der
Umsetzung des Beschlusses durch den Hauptverwaltungsbeamten mit sich
und berge die Gefahr einer unzulässigen rechtsmissbräuchlichen Verwendung
der Ausnahmeregelung, soweit die Vertretung von vornherein ernsthafte
Verhandlungen nicht beabsichtige, sondern mit dem Beschluss nach § 80
Abs. 4 S. 1 NKomVG (§ 80 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 NKomVG a. F.) in Wahrheit die
Fristen des § 80 Abs. 2 NKomVG a. F. umgehen wolle.
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Sowohl die Wortwahl des Antrags vom 14.11.2013 als auch die ihn betreffende
Diskussion in der Kreistagssitzung würden sehr anschaulich belegen, dass die
Vertretung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung mangels entsprechender
Vorgespräche/-untersuchungen keine Vorstellung davon gehabt habe, ob ein
Zusammenschluss mit einer der Nachbarkommunen überhaupt Sinn mache.
Die Einleitung der hierfür erforderlichen Maßnahmen bereits als
„Verhandlungen über einen Zusammenschluss“ zu bezeichnen, begründe
bereits den Verdacht eines Etikettenschwindels. In jedem Fall werde deutlich,
dass der Prozess nicht innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden
könne; allein über die bloße Anpassung eines bestehenden Finanzvertrages
habe der Landkreis G. mit der Stadt G. 2 ½ Jahre verhandelt.
Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Antragsgegner die
angegriffenen Beschlüsse wohl ausführen werde. Nur im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes könne gesichert werden, dass die erforderliche
Landratswahl, die idealerweise mit der Wahl des Europäischen Parlaments am
25.05.2014 zusammengelegt werden solle, durchgeführt werde.
Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, die zu den Tagesordnungspunkten 9 und 10 gefassten
Beschlüsse des Kreistags des Landkreises Hildesheim vom
09.12.2013 vorläufig und bis zur Entscheidung des Gerichts über die
Anträge zu 1) und 2) im Kommunalverfassungsstreit nicht zu
vollziehen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, dass der Antrag bereits unzulässig, daneben aber auch
unbegründet sei. Hierzu führt er aus:
Es fehle den Antragstellern die Antragsbefugnis, da sie nicht in eigenen
Rechten verletzt seien. Das gerichtliche Verfahren diene nicht der Feststellung
der objektiven Rechtswidrigkeit von Kreistags- oder Ratsbeschlüssen, sondern
dem Schutz der dem klagenden Organ bzw. Organteil durch das Innenrecht
zugewiesenen Rechtspositionen. Auf Letztere könnten sich jedoch weder die
Antragstellerin zu 1) noch der Antragsteller zu 2) berufen. Es sei zwar von der
Rechtsprechung entschieden worden, dass das Stimmrecht eines
Abgeordneten auch den Anspruch darauf umfasse, dass seine Stimme mit
dem ihr nach dem Kommunalverfassungsrecht zukommenden Gewicht bei der
Abstimmung berücksichtigt werde. Dieser Zählwert der Stimme werde
geschmälert, wenn bei einer Abstimmung nicht nur die Stimmen der
Stimmberechtigten, sondern auch solche nicht stimmberechtigter Personen
gezählt würden. In dem Fall seien Mitgliedschaftsrechte verletzt und könnten
klageweise im Wege des Kommunalverfassungsstreits geltend gemacht
werden.
Eine Berufung hierauf sei den Antragstellern vorliegend jedoch verwehrt. Zum
einen greife für die Antragstellerin zu 1) die aus dem Stimmrecht ggf.
abzuleitende Antragsbefugnis nicht, da diese aus dem einzelnen Mandat
abgeleitete Rechtsposition auch nur von den einzelnen Mitgliedern der
Vertretung geltend gemacht werden könne.
Zum anderen mache der Antragsteller zu 2) – wie auch die Antragstellerin zu
1) – gerade nicht geltend, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im
Kreistag eine Verletzung des Stimmrechts vorgelegen habe. Vielmehr werde
beanstandet, dass durch die angegriffenen Beschlüsse der Kreistag nach
Ablauf der regulären Amtszeit des Antragsgegners fehlerhaft
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zusammengesetzt sei und das Stimmrecht zukünftig verletzt würde. Das
Rechtsschutzbegehren richte sich derzeit ausschließlich auf die (objektive)
Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Kreistagsbeschlüsse und nicht auf die
Verletzung organschaftlicher Rechte.
Auch das Rechtsschutzbedürfnis sei nicht gegeben. Das Ziel der Antragsteller,
die Ausführung der angegriffenen Beschlüsse zu verhindern, könne im Wege
der einstweiligen Anordnung gar nicht erreicht werden; der Antrag gehe ins
Leere, da die Rechtsfolgen bereits kraft Gesetzes eingetreten seien und eines
gesonderten Vollzugs nicht bedürften.
Für die Verlängerung seiner Amtszeit folge dies daraus, dass nach dem
Niedersächsischen Beamtengesetz für die Begründung eines
Beamtenverhältnisses auf Zeit, welches auf einer Wahl durch die Bürgerinnen
und Bürger beruhe, eine Ernennung nicht erforderlich sei. Entsprechendes
gelte für die beschlossene Verlängerung, die mit Beschlussfassung
eingetreten sei. Daran ändere auch die Feststellung der vermeintlichen
Rechtswidrigkeit nichts, zumal der Landesgesetzgeber für den Fall der
Aufhebung des Beschlusses über den vorläufigen Wahlverzicht eine
gesonderte Regelung vorgesehen habe.
Auch im Hinblick auf den Beschluss, vorläufig auf eine Wahl des
Hauptverwaltungsbeamten zu verzichten, trete bereits kraft Gesetzes die
Folge ein, dass der Antragsgegner (vorläufig) keinen Wahltermin festzulegen
habe.
Den Antragstellern fehle im Übrigen auch ein Anordnungsanspruch, da die
angegriffenen Beschlüsse auf einem rechtmäßigen Beschluss beruhten und
damit ihrerseits uneingeschränkt rechtmäßig seien.
Die Vorschrift über den vorläufigen Wahlverzicht begegne keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Landesgesetzgeber habe von der ihm
zustehenden Regelungskompetenz hinsichtlich der Wahl und der
Amtszeitverlängerung des Hauptverwaltungsbeamten Gebrauch gemacht.
Von der grundsätzlich geltenden Direktwahl sei man für die vorliegende
Konstellation abgewichen bzw. habe diese verfahrensrechtlich ergänzt, um
freiwillige Fusionen auf kommunaler Ebene zu fördern. Dies stehe auch nicht
im Widerspruch zu dem Demokratieprinzip, welches lediglich eine
ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben
betrauten Organen mit Amtswaltern erfordere. Diese müsse nicht in jedem Fall
durch unmittelbare Volkswahl, welche das Grundgesetz nur für den Rat als
zentrale Führungsinstanz der Gemeinde vorschreibe, erfolgen. Der
Landesgesetzgeber bewege sich innerhalb seines gesetzgeberischen
Spielraums und fördere einen legitimen und gewichtigen Zweck, nämlich
freiwillige kommunale Fusionen zu fördern und Folgekosten einzusparen,
wenn er der unmittelbar demokratisch legitimierten Vertretung die
Entscheidung über den vorläufigen Wahlverzicht und die
Amtszeitverlängerung einräume. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Wähler in
die konkrete Dauer einer Amtsperiode könne es zudem schon deshalb nicht
geben, weil das Gesetz u.a. die Möglichkeiten der Abberufung/Abwahl oder
den Rücktritt vorsehe. Im Übrigen könne der Landesgesetzgeber auch
bestimmen, dass zukünftig der Hauptverwaltungsbeamte grundsätzlich von
der Vertretung gewählt werde.
Die Einstufung der gesetzlichen Regelung zur Aufnahme von
Fusionsverhandlungen mit Nachbarkommunen als eng auszulegende
Ausnahmevorschrift sei nicht zutreffend. Der Wortlaut dieser Vorschrift
verlange gerade nicht, dass bereits Verhandlungen begonnen oder gar weit
fortgeschritten sein müssten. Hätte der Landesgesetzgeber dies voraussetzen
wollen, wären andere Formulierungen erforderlich und sinnvoll gewesen. Auch
für eine Einschränkung dergestalt, dass die Verhandlungen innerhalb eines
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prognostischen Zeitraums von zwei Jahren zu Ende gebracht werden können,
fände sich im Gesetz keine Stütze. Vielmehr seien die gesamten Regelungen
vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Land den freiwilligen
Zusammenschluss von Kommunen nachhaltig unterstütze, um eine
Entschuldung der kommunalen Gebietskörperschaften zu erreichen und
möglichst eine ansonsten notwendige gesetzliche Gebietsreform zu
vermeiden. Daher sei eine eher weite Auslegung der Regelung geboten.
Auch sei es nicht erforderlich, dass sich der Beschluss perspektivisch allein
auf eine positive Entscheidung zu der geplanten Fusion richte; dass der
Gesetzgeber eine Regelung für den Fall der Aufhebung eines Beschlusses
über den vorläufigen Wahlverzicht vorgesehen habe, spreche dafür, dass er
auch ein negatives Ende der Fusionsverhandlungen im Blick gehabt habe.
Die am Wortlaut verhaftete Auslegung der Vorschrift mache insoweit keinen
Sinn, als danach auch Verhandlungen mit einer beliebigen Kommune,
beispielsweise auch dem Landkreis O., gedeckt seien, was der Gesetzgeber
jedoch ganz offensichtlich nicht gemeint haben könne. Ebenso sei der
verwendete Singular entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht
zwingend. Vielmehr erfordere die Umsetzung der Vorschrift eine konkrete,
realitätsbezogene und zielgerichtete Herangehensweise, ohne jedoch von
vornherein Gespräche mit anderen potenziellen Partnern auszuschließen.
Unabhängig von der weiten Fassung des „formalen“ Wortlauts des
Beschlusses ergebe sich aus dem Protokoll der Kreistagssitzung, dass allen
beteiligten Kreistagsmitgliedern bewusst oder es für diese erkennbar gewesen
sei, dass zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen der Landkreis H. als
Verhandlungspartner in Betracht gekommen sei. Seit Beschlussfassung hätten
sehr zielgerichtete Fusionsverhandlungen mit dem Landkreis H. begonnen,
u.a. sei eine Lenkungsgruppe gebildet, ein externes Gutachten zu den
entscheidungserheblichen Grundlagen in Auftrag gegeben und Anfang März
2014 der Landkreis G. gemeinsam bereist worden.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg, da er bereits unzulässig, im Übrigen aber auch
unbegründet ist.
1. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist statthaft; die in § 123 Abs. 5 VwGO
angeordnete Subsidiarität greift vorliegend nicht. In der Hauptsache verfolgen
die Antragsteller ihr Begehren, nämlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit
der streitgegenständlichen Beschlüsse gegenüber dem Kreistag G., im Wege
der Feststellungsklage, für die eine Anordnung oder Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung nach den §§ 80, 80a VwGO nicht in Betracht kommt.
Nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung bereits vor Klageerhebung zulässig. Daher kann es vorliegend
dahinstehen, ob die Auffassung der Antragsteller, ihre Klage gegen den
Kreistag G. sei die zu diesem Verfahren gehörige Hauptsache, zutreffend ist.
Für diese Auffassung könnte die sich aus dem NKomVG ergebenden
Zuständigkeitsverteilung zwischen Vertretung und Hauptverwaltungsbeamten
sprechen; nach dieser fasst die Vertretung die Beschlüsse, während dem
Hauptverwaltungsbeamten, also dem Antragsgegner, gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 2
NKomVG regelmäßig deren Ausführung zugewiesen ist.
Zweifel an der Beteiligtenfähigkeit der Antragsteller bestehen nicht. Für das
vorliegende Verfahren, welches dem in der Hauptsache angelegten
kommunalen Organstreit vorausgeht, sind insoweit die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Kommunalverfassungsstreit
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anzuwenden. Danach ist die Antragstellerin zu 1) als Gruppe und Teilorgan
der Vertretung analog § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig, soweit ihr ein Recht
zusteht. Für den Antragsteller zu 2) als einzelnes Mitglied der Vertretung ergibt
sich die Beteiligtenfähigkeit nach Auffassung der Kammer ebenfalls nach
dieser Vorschrift.
Der Antragstellerin zu 1) fehlt jedoch die gem. § 42 Abs. 2 VwGO in analoger
Anwendung erforderliche Antragsbefugnis. Da es sich bei den Antragstellern
um Organteile der kommunalen Vertretung handelt, müssten die angegriffenen
Beschlüsse in eigene, den Antragstellern in ihrer Funktion durch Gesetz
eingeräumten Rechtspositionen eingreifen. Das Abstimmungsrecht, auf das
sich die Antragsteller berufen, vermag der Antragstellerin zu 1) in der
vorliegenden Konstellation keine Antragsbefugnis zu vermitteln.
Die Antragstellerin zu 1) ist eine Gruppe im Sinne des § 57 Abs. 1 NKomVG,
der dieses Gesetz verschiedene Rechte einräumt, beispielsweise im
Zusammenhang mit der Besetzung der Ausschüsse der Vertretung (§ 71 Abs.
2 S. 7, Abs. 9 S. 3 NKomVG) oder im Hinblick auf die Gewährung von
Akteneinsicht (§ 58 Abs. 4 S. 3 NKomVG). Das Recht auf Abstimmung, § 66
NKomVG, räumt hingegen lediglich dem einzelnen Mitglied der Vertretung eine
eigene Rechtsposition ein. Die Antragstellerin zu 1) als solche kann für sich als
Gruppe über das den einzelnen, ihr angehörenden Mitgliedern zustehende
Stimmrecht hinaus keine weitergehenden Rechte ableiten, auf deren mögliche
Beeinträchtigung sie sich im Rahmen der Antragsbefugnis berufen könnte.
Ihre Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht daraus, dass sie, - sollten die
angegriffenen Beschlüsse rechtswidrig sein -, nach Ablauf der regulären
Amtszeit des Antragsgegners Bestandteil eines rechtsfehlerhaft
zusammengesetzten Organs wäre. Die rechtmäßige Zusammensetzung der
Vertretung gehört nicht zu den der Antragstellerin als Teilorgan der Vertretung
spezifisch zugewiesenen Rechten, ebenso wenig wie es ein subjektives Recht
der einzelnen Organe darauf gibt, dass in der Vertretung nur rechtmäßige
Beschlüsse gefasst werden (VG Ansbach, Beschluss vom 11.01.2005 - AN 4
E 04.03283 -, juris Rn. 15 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom
07.01.1994 - 7 B 224/93 -, juris Rn. 3). Die Überwachung und Einhaltung der
Rechtmäßigkeit ist insoweit Sache der Kommunalaufsicht bzw. der
körperschaftsinternen Rechtsaufsicht, die das NKomVG dem Hauptausschuss
(§ 79 S. 1 NKomVG) und dem Hauptverwaltungsbeamten (§ 88 NKomVG)
zuweist, und kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, das dem Schutz und
der Durchsetzung subjektiver Rechte dient und kein objektives
Beanstandungsverfahren ist, nicht geltend gemacht werden.
Demgegenüber steht dem Antragsteller zu 2) das Stimmrecht zwar als eigene
wehrfähige Innenrechtsposition zu, die durch die angegriffenen Beschlüsse
jedoch nicht verletzt wird. Den Ausführungen des Antragstellers zu 2), dass
nach dem Ende der regulären Amtszeit des Antragsgegners die Vertretung
fehlerhaft besetzt sei – nämlich mit dem Antragsgegner, der aufgrund
rechtswidriger Beschlüsse weiterhin als stimmberechtigtes Mitglied an den
Abstimmungen teilnehme –, was zu einer Minderung des seiner Stimme
zukommenden seines Stimmgewichts führe, schließt sich die Kammer im
Ergebnis nicht an. Den Antragstellern ist zuzugeben, dass das Stimmrecht
zwar nicht nur das Recht auf Abstimmung als solche umfasst, sondern der
einzelnen Stimme auch ein bestimmtes Gewicht verleiht. Dies ergibt sich aus
der gesetzlichen Regelung des § 66 Abs. 1 NKomVG, nach der die
Beschlüsse regelmäßig mit Stimmenmehrheit gefasst werden und bei
Stimmengleichheit der Antrag abgelehnt ist. Daraus folgt, dass allein die
Stimmen der Stimmberechtigten, d.h. die der Abgeordneten sowie des
Hauptverwaltungsbeamten (§ 45 Abs. 1 S. 2 NKomVG) maßgeblich sind. Aus
dem Verhältnis der Ja- und Neinstimmen zu der Gesamtzahl der
Stimmberechtigten ergibt sich dadurch ein bestimmter Erfolgswert der Stimme.
Werden auch die Stimmen nicht stimmberechtigter Mitglieder gezählt, würde
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das insoweit sich aus der Zahl der Stimmberechtigten und der beschriebenen
Abstimmungsregel konkretisierte (Abstimmungs-)Mitwirkungsrecht des
einzelnen Abgeordneten rechtswidrig geschmälert (VG Lüneburg, Urteil vom
26.04.2006 - 5 A 414/05 -, juris Rn. 14 m. w. N.). Zu einer Verschiebung des
Stimmgewichts kommt es in der vorliegenden Konstellation jedoch in keinem
Fall, da der Hauptverwaltungsbeamte immer kraft Gesetzes in der Vertretung
eine Stimme hätte. Ob dies nun der Antragsgegner oder eine für die Zeit nach
Ablauf seiner regulären Amtszeit gewählte andere Person wäre, ist für die
objektive Stimmgewichtung unerheblich. Allein die Aussicht der Antragsteller,
dass sich die politischen Mehrheiten bei einer Landratswahl nach den
regulären Fristen zu ihren Gunsten verschieben würden, ist rechtlich nicht
geschützt. Insoweit ist es unerheblich, ob der Antragsgegner für die Zeit nach
dem 31.10.2014 rechtmäßig stimmberechtigtes Mitglied des Kreistags ist.
Problematisch ist auch das Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf den
Beschluss, mit dem die Amtszeit des Antragsgegners verlängert wurde. Hier
bestehen Zweifel daran, ob es einer Vollziehung überhaupt bedarf bzw. diese
überhaupt möglich ist, mit der Konsequenz, dass Eilrechtsschutz in Form des
gestellten Antrags ggf. nicht zu erlangen ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Antragsgegner wird gem. § 88 Abs. 1 S. 1 NKomVG von den Bürgerinnen
und Bürgern direkt gewählt. Er ist Beamter auf Zeit und sein Beamtenverhältnis
wird regelmäßig mit dem Tag begründet, an dem die Wahl angenommen wird
(§ 80 Abs. 5 S. 2 und 3 NKomVG). Nach § 7 Abs. 4 NBG bedarf es keiner
Ernennung, deren gesetzliche Rechtsfolgen treten mit Begründung des
Beamtenverhältnisses, also mit Annahme der Wahl ein. Vorliegend hat der
Antragsgegner bereits vor der Sitzung am 09.12.2013, in der seine
Amtszeitverlängerung beschlossen wurde, sich mit einer Verlängerung seiner
Amtszeit für zwei Jahre einverstanden erklärt. Stellt man den die Amtszeit
verlängernden Beschluss einer Wahl gleich, könnte man dieses Schreiben als
(vorgezogene) Annahme werten. Damit wäre das Beamtenverhältnis für die
weiteren zwei Jahre „begründet“ bzw. verlängert. Wie eine „Vollziehung“ dieses
Beschlusses aussehen soll, wird nicht vorgetragen und scheint auch schwer
denkbar. Unabhängig davon, ob man das Einverständnis des
Hauptverwaltungsbeamten für das Wirksamwerden des Beschlusses für
konstitutiv hält (was möglicherweise dem Gedanken des § 80 Abs. 5 S. 9
NKomVG – „Hauptverwaltungsbeamte zur Wiederwahl nicht verpflichtet“ -
entnommen werden könnte), dürfte er jedenfalls mit seiner
Einverständniserklärung alles getan haben, um den Beschluss wirksam
werden zu lassen. Bei dieser Betrachtungsweise ginge der Antrag nur dann
nicht „ins Leere“, wenn man ihn dahingehend verstünde „den Antragsgegner
im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Neuwahlen
vorzubereiten“. (Der Antragsgegner wäre nach § 45 c iVm. § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
NKWG Wahlleiter, der für die Bildung des Wahlausschusses verantwortlich ist,
§ 10 Abs. 1 S. 1 NKWG.)
Mit Blick auf den Beschluss über den vorläufigen Wahlverzicht ist eine
Vollziehung des Beschlusses wohl denkbar, auch wenn diese paradoxerweise
in einem Nichthandeln besteht. Würde man den Antragsgegner hier im Wege
der einstweiligen Anordnung verpflichten, den Beschluss nicht auszuführen,
bedeutete dies, dass die Neuwahl innerhalb der Fristen des § 80 Abs. 8
NKomVG n.F. durchzuführen wäre. Einer abschließenden Bewertung bedarf
es indes nicht, weil der Antrag bereits aus anderen Gründen unzulässig ist.
2. Der Antrag wäre darüber hinaus auch nicht begründet. Für den Erlass der
begehrten Sicherungsanordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO fehlt es
bereits an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller zu 2) hat nicht
glaubhaft gemacht, dass die streitgegenständlichen Beschlüsse rechtwidrig
sind. Diese sind nach Auffassung der Kammer rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Rechtsgrundlage ist verfassungsgemäß und die Beschlüsse erfüllen die
gesetzlichen Voraussetzungen.
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Rechtsgrundlage für den Beschluss über den vorläufigen Wahlverzicht ist § 80
Abs. 3 S. 1 Nr. 1 NKomVG a. F.. Danach kann die Vertretung für einen
festzulegenden Zeitraum von längstens zwei Jahren nach dem Ablauf der
Amtszeit oder dem Ausscheiden aus dem Amt auf eine erforderliche Wahl des
Hauptverwaltungsbeamten verzichten, wenn sie beschlossen hat, mit einer
anderen Kommune Verhandlungen über einen Zusammenschluss zu führen.
Damit bildet die Vorschrift eine Ausnahme zu der Regelung des § 80 Abs. 1 S.
1 NKomVG, nach der der Hauptverwaltungsbeamte von den Bürgerinnen und
Bürgern direkt gewählt wird.
Die Ausnahmeregelung verstößt nicht gegen die allgemeinen
Wahlrechtsgrundsätze, die in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 57 Abs. 2 S. 1
Nds. Verfassung für die Wahl zu den kommunalen Vertretungen niedergelegt
sind, aber auch darüber hinaus Geltung entfalten. Art. 38 Abs. 1 GG ist
vorliegend nicht einschlägig, da dieser unmittelbar nur die Wahlen zum
Deutschen Bundestag erfasst und sich eine analoge Anwendung auf Wahlen
und Abstimmungen in den Ländern vor dem Hintergrund der selbständigen
Verfassungsräume von Bund und Ländern verbietet (BVerfG, Beschluss vom
20.12.1998 - 2 BvR 69/98 -, juris Rn. 3).
Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist vorliegend nicht verletzt, da es
nicht um einen unberechtigten Ausschluss der Staatsbürger von einer Wahl
überhaupt geht. Ebenso wird die Unmittelbarkeit der Wahl nicht beeinträchtigt,
da bei einer Verlängerung der Amtszeit des Hauptverwaltungsbeamten
lediglich das ursprüngliche Votum der Wähler verlängert, nicht aber ersetzt
wird. Die Wähler können ihr aktives und passives Wahlrecht bei der nächsten
Wahl auch in gleicher Weise ausüben, da die in Rede stehende gesetzliche
Regelung das Stimmgewicht nach Zähl- und Erfolgswert nicht verändert. Für
eine Verletzung der übrigen Wahlgrundsätze bestehen keine Anhaltspunkte.
Darüber hinaus ist jedoch für die Wahl zum Hauptverwaltungsbeamten das
Demokratieprinzip zu beachten, welches gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG in
Verbindung mit § 2 Abs. 1 der Nds. Verfassung für den gesamten kommunalen
Bereich Geltung beansprucht. Danach bedürfen kommunale Organe und
Amtswalter, soweit sie Staatsgewalt ausüben, stets einer demokratischen
Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der Bürger zurückführen lässt. Für
diese genügt es regelmäßig, dass sie sich mittelbar auf das Volk als Träger der
Staatsgewalt zurückführen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.02.1978 – 2
BvR 268/76 -, juris Rn. 46). Der Landrat ist neben Kreistag und
Kreisausschuss ein Organ des Landkreises (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 NKomVG); er übt
Staatsgewalt aus, indem er u.a. die Beschlüsse der Vertretung ausführt und
die Verwaltung leitet. Während die Direktwahl für den Kreistag als kommunale
Vertretung verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist, hat der
Landesgesetzgeber bezüglich der Wahl des Hauptverwaltungsbeamten einen
Gestaltungsspielraum. Dem Demokratieprinzip würde auch die Wahl durch die
Abgeordneten der Vertretung entsprechen, da diese ihrerseits direkt gewählt
wurden und dem Hauptverwaltungsbeamten die erforderliche Legitimation
vermitteln würden. Der Landesgesetzgeber hat sich grundsätzlich für die
Direktwahl des Landrats entschieden und billigt der Vertretung nur im
Ausnahmefall die Möglichkeit zu, diese Entscheidung der Bürgerinnen und
Bürger zu modifizieren. Mit der ab 20.05.2009 eingefügten Regelung zum
Wahlverzicht, § 61 Abs. 2a S. 1 NGO, die dann im Rahmen der Neuordnung
des Kommunalverfassungsrechts durch Einführung des NKomVG auf die
Landkreise bzw. alle Kommunen ausgedehnt wurde, hat er in zulässiger
Weise von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht.
Der Landesgesetzgeber hat mit der Einführung der Vorschrift über den
Wahlverzicht in die NGO, die in der Folge durch das NKomVG ersetzt und um
die Möglichkeit der Amtszeitverlängerung ergänzt wurde, auch nicht gegen
das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 2 der Nds.
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Verf.) abzuleitende Rückwirkungsverbot verstoßen. Bei beiden Regelungen
handelt es sich allenfalls um einen Fall der zulässigen „unechten“
Rückwirkung, weil der in der Vorschrift geregelte Sachverhalt noch nicht
abgeschlossen ist. Gegebenenfalls kann aber der Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes der Regelungsbefugnis Schranken setzen. Diese
Schranken werden jedoch nicht überschritten, wenn die Bedeutung des
gesetzgeberischen Anliegens das Ausmaß des Vertrauensschadens
überwiegt (HessStGH, Urteil vom 07.04.1976 – P. St. 798 -, S. 37). Nachdem
der Antragsgegner 2006 gewählt wurde, fiel die Einführung des § 61 Abs. 2a
NGO am 20.05.2009 mitten in seine laufende achtjährige Amtszeit, eine
Neuwahl stand nicht an. Gleiches gilt für das Inkrafttreten des NKomVG am
24.12.2010, mit dem die Möglichkeit der Amtszeitverlängerung überhaupt erst
geschaffen wurde. Den Antragstellern ist zuzugeben, dass die Wähler diese
Neuregelungen bei der Wahl des Antragsgegners nicht vorhersehen konnten
und möglicherweise auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelung vertraut
haben. Auf Seiten des Gesetzgebers ist dagegen einzustellen, dass er
freiwillige kommunale Zusammenschlüsse erleichtern wollte. Die sich aus
diesen ergebenden Synergieeffekte kommen letztlich auch den Wählern
zugute und dienen dem Gemeinwohl, so dass die Abwägung vorliegend
zugunsten der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit ausfällt.
Die Beschlüsse erfüllen auch die Voraussetzungen der gesetzlichen
Regelung. Dafür ist der Beschluss notwendig, aber auch hinreichend,
Verhandlungen über den Zusammenschluss mit Nachbarkommunen
aufzunehmen. Der von den Antragstellern vertretenen restriktiven Auslegung,
nach denen sich die Verhandlungsbereitschaft bereits auf eine andere
Kommune, die dann auch noch namentlich zu benennen sei, konkretisiert
haben müsse, ist nicht zu folgen. Letzteres lässt sich der
Gesetzgebungsgeschichte jedenfalls nicht entnehmen (vgl. zu § 80 Abs. 3 a.F.
NKomVG: LT-Drs. 16/2510, S. 115 f., LT-Drs. 16/3147, S. 11 f.). Die
Argumentation der Antragsteller, dass der Singular vorliegend absichtlich
gewählt wurde, was sich auch in der Verwendung „die …
Körperschaftsumbildung“ (§ 80 Abs. 3 S. 3 NKomVG a.F.) zeige, verfängt
nicht. Eine Körperschaftsumbildung ist auch mit der Beteiligung von mehr als
zwei Kommunen denkbar.
Zudem spricht der Zweck der Vorschrift für eine weite Auslegung. Mit dieser
sollen gebietliche Neugliederungen auf freiwilliger Basis gefördert werden,
soweit diese nachhaltig zu wirtschaftlich verbesserten Rahmenbedingungen
und damit zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort beitragen
können. Die Landesregierung unterstützt den Fusionsprozess der Kommunen
finanziell und bietet an, den Prozess beratend zu begleiten (vgl. Gemeinsame
Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen Spitzenverbände
Niedersachsens und der Niedersächsischen Landesregierung zur
Zukunftsfähigkeit der niedersächsischen Kommunen (Zukunftsvertrag), Ziff. 8,
http://www.nsgb.info/pics/medien/1_1261125792/Zukunftsvertrag.pdf). Vor
diesem Hintergrund ist ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen auch
bei einer nur begrenzt evaluierten Ausgangslage nicht von vornherein aus
zeitlichen Gründen ausgeschlossen. Zudem spricht gerade die Regelung des
§ 80 Abs. 3 S. 3 NKomVG a.F. dafür, dass der voraussichtliche Erfolg gerade
nicht schon Voraussetzung für den von der Vertretung beschlossenen
Wahlverzicht sein kann. Diese Vorschrift ermöglicht es der obersten
Kommunalaufsichtsbehörde, den Wahlverzicht um zwölf Monate zu
verlängern, soweit die Körperschaftsumbildung innerhalb des
Verlängerungszeitraums voraussichtlich abgeschlossen sein werde. Eine
entsprechende Formulierung findet sich für den von der Vertretung zu
beschließenden Wahlverzicht nicht. Dass der Gesetzgeber eine Regelung für
den Fall vorgesehen hat, dass ein Beschluss zum Wahlverzicht aufgehoben
wird, legt ebenfalls den Schluss nahe, dass er auch einen Misserfolg der
Fusionsverhandlungen einkalkuliert hat.
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Nicht zuletzt erscheint es wenig nachvollziehbar, wenn der Antragsteller zu 2)
geltend macht, dass im vorliegenden Fall aufgrund des Beschlusses
Verhandlungen mit allen möglichen Kommunen in Betracht kämen. Betrachtet
man den bloßen Wortlaut des Beschlusses isoliert, mag dies zwar so sein,
allein der Geschehensablauf macht aber deutlich, dass zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung in erster Linie der Landkreis H. und eventuell noch die Stadt
P. als Verhandlungspartner in Betracht kamen. Auch die Entwicklung seit der
Beschlussfassung zeigt, dass ernsthaft mit dem Landkreis H. und nur mit
diesem über einen möglichen Zusammenschluss verhandelt wird.
Schließlich wird auch die Frist des § 80 Abs. 3 S. 2 NKomVG a. F. eingehalten.
Danach muss der Beschluss über den Wahlverzicht spätestens fünf Monate
vor Ablauf der Amtszeit gefasst werden. Vorliegend datiert der entsprechende
Beschluss auf den 09.12.2013 und damit ca. zehn Monate vor Ablauf der
regulären Amtszeit des Antragsgegners.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und
§ 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog von 2013, Ziff. 1.5,
22.7 (NVwZ-Beilage 2013, 57).