Urteil des VG Hannover vom 24.04.2014

VG Hannover: radweg, fahrbahn, breite, radfahrer, gehweg, fahrspur, gefahr, markierung, parkplatz, era

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Radwegebenutzungspflicht
Zur Ermessensausübung bei der Anordnung einer
Radwegebenutzungspflicht
VG Hannover 7. Kammer, Urteil vom 24.04.2014, 7 A 5659/13
§ 2 Abs 4 S 2 StVO, § 45 Abs 1 StVO, § 45 Abs 9 S 2 StVO, § 5 Abs 4 S 2 StVO, § 35
S 2 VwVfG
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der
Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten (stadtauswärts)
zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“ wird insoweit
aufgehoben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet worden ist.
Die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der
Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten (stadteinwärts)
zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der Brücke über die „G.“ wird
insoweit aufgehoben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht angeordnet
worden ist.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Gerichtskosten zu je 1/2. Die
außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 1/2. Die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger zu 1/2. Im Übrigen
trägt jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht, die die
Beklagte für eine etwa 1 Km lange Teilstrecke der in ihrem Stadtgebiet
verlaufenden Straße „C.“ (in diesem Bereich K 104) beidseits angeordnet hat.
Die seit den 1980er Jahren für den gesamten Verlauf der Straße „C.“
angeordnete Radwegebenutzungspflicht hob die Beklagte für den nördlichen
Abschnitt zwischen der H. /„I.“ und der aus nordwestlicher Richtung
auftreffenden Straße „D.“ am 20. Dezember 2012 auf. Für den weiteren Verlauf
der westlichen, stadtauswärts führenden Straßenseite ordnete die Beklagte
gleichzeitig durch Zeichen 241 (Getrennter Rad- und Gehweg) die vorliegend
streitige Radwegebenutzungspflicht bis zur Einmündung der Straße „E.“ an.
Entlang der östlichen, stadteinwärts führenden Fahrspur änderte die Beklagte
im Juli bzw. August 2013 für die Teilstrecke von der Einmündung des von
Süden auf die Straße „C.“ treffenden Weges „F.“ bis kurz vor Erreichen der G. -
Brücke die bis dahin ebenfalls durch Zeichen 241 geregelte Benutzungspflicht
und ordnete diese nunmehr durch Zeichen 240 (Gemeinsamer Geh- und
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Radweg) an.
Die Straße „C.“ trifft an ihrem nördlichen Ende in der J. Neustadt auf die H. bzw.
die Straße „I.“ und führt in südwestlicher Richtung auf den J. Stadtteil K. zu.
Zunächst durchquert sie geschlossen bebautes Stadtgebiet; ab einer
Brückenquerung über die G. verläuft sie durch deren Überlaufbecken am L.
vorbei durch unbebautes Gebiet. Kurz bevor die Bundesstraße 243 den
Straßenverlauf auf einer Überbrückung quert, ändert sich die
Straßenbenennung in M. Straße; diese führt dann in den Stadtteil K.. Die
Fahrbahn der streitbefangenen Straße ist gegenläufig einspurig ausgebaut.
Unmittelbar hinter der G. -Brücke stadtauswärts befindet sich eine
Lichtzeichenanlage; dort weist die Fahrbahn eine Breite - dies ist jeweils
zwischen den Bordsteinen gemessen - von ca. 7,70 m auf. Es schließt sich ca.
100 m weiter stadtauswärts die nördliche Zu-/Ausfahrt zum Parkplatz der
Gaststätte „N.“ an; dort ist für die aus Richtung K. kommenden Fahrzeuge eine
Abbiegespur angelegt, so dass die Fahrbahnbreite hier ca. 10,60 m beträgt.
Die Straße verläuft weitgehend gradlinig und macht hinter dem
Brückenbauwerk in Richtung stadtauswärts eine leichte Linkskurve und weiter
südlich eine leichte Rechtskurve. Ab der Einmündung der Straße „D.“
markieren (schwach) rot eingefärbte Gehwegplatten zur Größe von 30 x 30 cm
einen Radweg. Auf der G. -Brücke findet sich keine Fortsetzung der
Markierung des Radweges; jenseits der G. -Brücke wird die
Radwegmarkierung stadtauswärts wieder in der Breite von ca. 0,90 m
aufgenommen. Der Radweg ist durch zwei weitere Platten zum Bordstein hin
abgegrenzt. Die Gesamtbreite des getrennten Geh- und Radweges beträgt
südlich der Einfahrt zur Gaststätte „N.“ ca. 3,00 m. Hinter der südlichen
Ausfahrt des Parkplatzes des „N.“ liegt unmittelbar eine Bushaltebucht.
Ausweislich des Fahrplans der Bushaltestelle findet sich jedenfalls werktags
stündlich ein Busverkehr von vier Takten je Richtung. Südlich der
Bushaltestelle ist auf einer Strecke von ca. 200 m eine Holzbarriere mit einer
Höhe von ca. 0,50 m errichtet, die den Radweg von der Fahrbahn abgrenzt
und deren Befestigungsstützen im Abgrenzungsstreifen zwischen markiertem
Radweg und Bordstein gegründet sind. Der Ausbauzustand des Geh- und
Radweges ist in seinem weiteren Verlauf bis zur Einmündung der Straße „E.“
unverändert. Bauliche Maßnahmen zur Führung des Fahrradverkehrs auf der
Fahrbahn sind nicht vorhanden.
Der parallel zu der südlichen, vom Stadtteil K. stadteinwärts führenden
Fahrspur verlaufende gemeinsame Geh- und Radweg, der in Höhe der
Einmündung des von Süden auf die Straße „C.“ treffenden Weges „F.“ durch
das Zeichen 240 angeordnet ist, weist dort eine Breite von 2,10 m auf. Nach
etwa 150 m beginnt eine Pflastermarkierung zur Breite von 0,90 m, die sich bis
zur G. -Brücke hin erstreckt. Die Breite des gemeinsamen Geh- und Radweges
beträgt in diesem Bereich durchgehend 3,00 m. Im weiteren Verlauf gabelt sich
der gemeinsame Geh- und Radweg höhenversetzt entlang einer ca. 200 m
langen Bauminsel. Die vorbeschriebene Markierung führt unmittelbar an der
Fahrbahn bzw. an parallel zum Radweg angelegten Parkbuchten entlang. Die
Gabelungen weisen jeweils eine Breite von insgesamt 1,50 m auf und werden
durch die Einmündung der Zuwegung zur „H. Kolonie“ unterbrochen, zu der
auf der Fahrbahn der Straße „C.“ ebenfalls eine Abbiegespur angelegt ist.
Unmittelbar vor der G. -Brücke findet sich das Zusatzzeichen 1022-10
„Radfahrer frei“. Die Radwegmarkierung führt bis zum Beginn der Brücke und
setzt sich jenseits der Brücke fort. Auch hier sind bauliche Maßnahmen zur
Führung des Fahrradverkehrs auf die Fahrbahn nicht vorvorhanden; der
Bordstein ist nicht abgesenkt.
Der Kläger hatte erstmals mit E-Mail vom 21. Dezember 2012 bei der
Beklagten die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht für die gesamte
Streckenführung der Straße „C.“ beantragt. Es folgte weiterer Schriftverkehr, in
dem die jeweiligen Standpunkte und Argumente ausgetauscht wurden. Mit
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Schreiben vom 03. Juni 2013 fasste die Beklagte ihre Auffassung dahin
zusammen, die Fahrbahn der insgesamt stark frequentierten und von
Linienbussen befahrenen Straße „C.“ sei nicht sehr breit, sodass es beim
Überholen von die Fahrbahn nutzenden Fahrradfahrern zu gefährlichen
Situationen kommen könne, weil die gerade Strecke die Kraftfahrzeugführer
zum Überholen verleite; das Befahren der ohnehin nur gering frequentierten
Radwege sei hingegen zumutbar, insbesondere wiesen diese auch die
erforderliche Mindestbreite auf.
Daraufhin hat der Kläger am 14. Juli 2013 Klage beim Verwaltungsgericht
Hannover erhoben und zunächst beantragt,
1a) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung
der Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten
(stadtauswärts) zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“
insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht
angeordnet ist,
1b) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung
der Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten
(stadteinwärts) zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der G. -
Brücke insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht
angeordnet ist,
2) die Beklagte zu verpflichten, auf der Fahrbahn der Straße „C.“ in den
nach dem Klagantrag zu 1) bezeichneten Abschnitten beidseits einen
Schutzstreifen für Radfahrer (Zeichen 340) zu markieren,
hilfsweise,
Geh- und Radweg in den im Klagantrag zu 1) bezeichneten Abschnitten
in den von der Straßenverkehrsordnung, den Verwaltungsvorschriften
zur StVO und ergänzenden Veröffentlichungen der
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen geforderten
baulichen Zustand zu versetzen.
Der Kläger hat im Verlauf der mündlichen Verhandlung den Klageantrag zu 2)
und den Hilfsantrag mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.
Zur Begründung der Klage führt er im Wesentlichen aus, die Beklagte habe
eine besondere, die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht
rechtfertigende Gefahrenlage nicht belegt. Im Übrigen werde die
Benutzungspflicht seit Dezember 2012 in weiten Teilen der Straße „C.“
offensichtlich nicht für notwendig erachtet, ohne dass sich in der Zwischenzeit
im Verkehrsgeschehen oder der Verkehrsbelastung etwas geändert habe.
Linienbusse führen auf der gesamten Strecke der Straße “ C.“. Die gesamte
streitbefangene Strecke verlaufe nahezu gerade. Durch die überbreite
Fahrbahn im strittigen Abschnitt sei ein Mischverkehr auf der Fahrbahn
problemlos möglich. Die streitigen Radwege seien insbesondere im Sommer
eine von Berufspendlern und Schulkindern stark befahrene Route. Auf der
östlichen Seite werde der Seitenabstand zu parkenden Fahrzeugen
eingehalten. Im Bereich des unmittelbar an den östlichen Radweg
angrenzenden Parkstreifens müsse ein Fahrradfahrer ständig mit unvorsichtig
geöffneten Autoseitentüren von abgestellten Kraftfahrzeugen rechnen; der
erforderliche Seitenabstand von einem Meter neben parkenden Fahrzeugen
werde nicht eingehalten. Dies sei auch nicht möglich, weil der Radweg dort nur
1,50 m breit sei. Die Radwegeführung im Bereich der Zu- und Abfahrten zum
Parkplatz am Restaurant „N. " erzeuge regelmäßig gefährliche Situationen.
Zwar weise ein Hinweisschild auf kreuzenden Radverkehr hin, aber die
Sichtbeziehungen zur Straße sorgten unvermeidbar für ein Befahren des
Radwegs durch Kraftfahrzeuge.
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Der Kläger beantragt,
a) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der
Verkehrszeichen 241 auf der Straße „C.“ Richtung Südwesten
(stadtauswärts) zwischen den Einmündungen der Straßen „D.“ und „E.“
insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht
angeordnet ist,
b) die verkehrsbehördliche Anordnung der Beklagten zur Aufstellung der
Verkehrszeichen 240 auf der Straße „C.“ Richtung Nordosten
(stadteinwärts) zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der G. -
Brücke insoweit aufzuheben, als damit eine Radwegebenutzungspflicht
angeordnet ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihre Darlegungen aus der vorgerichtlichen
E-Mail vom 03. Juni 2013. Ergänzend führt sie aus, für die (gesamte) Straße
„C.“ bestehe aufgrund des Umstandes, dass die letzte Schleifenzählung aus
dem Jahre 2006 ein Verkehrsaufkommen von über 21.000 Fahrzeuge - davon
über 400 Fahrzeuge Schwerverkehr - pro Tag ergeben habe, eine
Gefahrenlage, die die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht
rechtfertige. Allerdings habe für den nicht streitbefangenen, nördlichen
Abschnitt der Straße an der Benutzungspflicht nicht festgehalten werden
können, weil dort die Pflasterung des Radwegs durch Baumwurzeln
hochgedrückt und es im Bereich von Grundstückseinfahrten zu
Sichtproblemen gekommen sei.
Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss die Örtlichkeit am 24. April 2014 in
Augenschein genommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Niederschrift verwiesen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß §
92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
II.
Die Klage ist im Übrigen sowohl zulässig (1.) als auch begründet (2.).
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 VwGO gegen die durch die
Vorschriftszeichen 240 und 241 (Nrn. 19 und 20 der Anlage 2 zur StVO) als
Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 2 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds.
VwVfG) bekannt gemachten Anordnungen der Beklagten vom 20. Dezember
2012 bzw. vom Juli/August 2013 statthaft, soweit diese eine
Radwegbenutzungspflicht regelt; Weitergehendes ist auch nicht
streitgegenständlich. Die Klage ist auch fristgerecht erhoben. Da hier ein
Vorverfahren nach § 68 VwGO gemäß § 8 a Abs. 1 NdsAGVwGO nicht
stattfindet, musste die Klage gemäß §§ 74 Abs. 1 S. 2, 58 Abs. 2 S. 1 VwGO
innerhalb eines Jahres, nachdem sich der Kläger erstmals der Regelung durch
Verkehrszeichen gegenübergesehen hat, erhoben werden (vgl. zu Letzterem
BVerwG, Urteile v. 23.09.2010 - 3 C 32/09 - u. - 3 C 37/09 -, jeweils juris). Diese
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Frist hat der Kläger zweifelsfrei mit seiner am 16. Juli 2013 erhobenen Klage
eingehalten. Denn die streitige Beschilderung war erst ab dem 20. Dezember
2012 (stadtauswärts) bzw. ab dem Juli/August 2013 (stadteinwärts)
angebracht.
2. Die Klage ist auch begründet. Die durch die Beklagte für eine Teilstrecke der
in ihrem Stadtgebiet verlaufenden Straße „C.“ angeordnete Benutzungspflicht -
bezüglich des getrennten Rad- und Gehweges zwischen den Einmündungen
der Straßen „D.“ und „E.“ (stadtauswärts) sowie hinsichtlich des gemeinsamen
Geh- und Radweges zwischen der Einmündung des Weges „F.“ und der
Brücke über die G. (stadteinwärts) - ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Zwar spricht Überwiegendes dafür,
dass insoweit eine besondere Gefahrenlage für den Straßenverkehr vorliegt,
die grundsätzlich ein Einschreiten der Beklagten rechtfertigt (a.). Die Beklagte
hat das ihr insoweit zustehende Ermessen aber nicht ordnungsgemäß
ausgeübt (b.).
a.) Maßgeblich ist aufgrund des Charakters der Verkehrsregelung als
Dauerverwaltungsakt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Entscheidung des erkennenden Gerichts (vgl. BVerwG, Urteile v. 23.09.2010,
a. a. O.).
Die streitige Radwegbenutzungspflicht ist an § 45 Abs. 9 und Abs. 1 S. 1 StVO
(i. d. F. v. 06.03.2013, BGBl. I S. 367) zu messen. Denn die
Radwegbenutzungspflicht ist eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im
Sinne von § 45 Abs. 9 S. 2 StVO und eine Beschränkung der Benutzung der
Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 1 StVO. Nach § 2 Abs. 4 S. 2 StVO besteht
eine Benutzungspflicht der Radwege unter anderem, wenn dies durch Zeichen
240 oder 241 (lfd. Nrn. 19 u. 20 d. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO -Anlage 2-)
angeordnet ist. Ferner ist Kehrseite dieses Nutzungsgebotes das Verbot für
Radfahrer, auf den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen
(vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010 - 3 C 42/09 -, BVerwGE 138, 159 = NJW
2011, 152 = NZV 2011, 363).
Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die
Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der
Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken. Gemäß § 45 Abs. 9 S. 2
StVO dürfen - abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen -
Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet
werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine
Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko oder eine Beeinträchtigung
der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich
übersteigt. Gefordert wird dabei nicht eine an Sicherheit grenzende
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, sondern eine das allgemeine
Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit, d. h. eine konkrete Gefahr
aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse (vgl. BVerwG, Urteile v.
23.09.2010, a. a. O.). Besondere örtliche Verhältnisse in diesem Sinne können
dabei insbesondere in der Streckenführung, in dem Ausbauzustand der
Strecke, in witterungsbedingten Einflüssen (zum Beispiel Nebel, Schnee- und
Eisglätte), in der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und in den daraus
resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2010,
a.a.O.).
Nach den vorgenannten Grundsätzen spricht Überwiegendes dafür, dass in
dem hier streitbefangenen Streckenabschnitt der Straße „C.“ eine besondere
Gefahrenlage im Hinblick auf die Sicherheit des Straßenverkehrs vorliegt, die
grundsätzlich ein Einschreiten der Beklagten rechtfertigt. Zwar hat die Beklagte
nicht darzulegen vermocht, dass auffällig häufig Radfahrer an Unfällen in dem
streitigen Streckenabschnitt der Straße „C.“ beteiligt sind. Gleichwohl spricht
die hohe Verkehrsbelastung bei einer eher geringen Fahrbahnbreite dafür,
hinsichtlich dieses Straßenabschnitts von einer das allgemeine Risiko
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erheblich übersteigenden Gefahrenlage auszugehen. In der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass für die Wertung, ob die in
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vorausgesetzte besondere Gefährdungslage vorliegt,
auch auf die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen zurückgegriffen werden
kann (BVerwG, Beschl. v. 16.04.2012 - 3 B 62/11 -, NJW 2012, 3048 = juris
und Urt. v. 18.11.2010, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der Empfehlungen für
Radverkehrsanlagen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und
Verkehrswesen, Ausgabe 2010 (ERA 2010) wäre hier bei einem Mischverkehr
von Kraftfahrzeugen und Radfahrern auf der Fahrbahn eine solche Gefahr
gegeben.
Die Kammer geht aufgrund des Ergebnisses der letzten Schleifenzählung im
Jahre 2006 davon aus, dass der hier streitige Straßenabschnitt einer
Verkehrsbelastung von etwa 21.000 Kraftfahrzeugen - davon über 400
Fahrzeuge Schwerverkehr - pro Tag und von mehr als 1.400 Kraftfahrzeugen
(Kfz) je Stunde zu Spitzenzeiten an Werktagen außer samstags ausgesetzt ist.
Der letztgenannte Wert wurde zwar durch eine lediglich an einem Tag im Juni
2007 zwischen 15.00 Uhr und 20.00 Uhr seitens des zuständigen
Fachbereichs der Beklagten durchgeführten Verkehrszählung ermittelt (vgl.
Beiakte „B“, Bl. 191); er korrespondiert aber mit dem Ergebnis der genannten
Schleifenzählung, denn es kann ohne weiteres angenommen werden, dass
die dort ermittelten 21.000 Kfz nicht gleichmäßig über die Tagessstunden
verteilt die Straße „C.“ befahren, sondern die Stunden des Berufsverkehrs
morgens und am späten Nachmittag/frühen Abend ein deutlich über dem
Durchschnitt liegendes Verkehrsaufkommen aufweisen.
Mit dieser Verkehrsbelastung und der maximal zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h befindet sich die Straße „C.“ bereits im
Übergang zum Belastungsbereich IV des Bildes 7 in Abschnitt 2.2.3 der ERA
2010 (S. 19), in dem das Trennen von Kfz- und Radverkehr unerlässlich ist.
Zwar ermöglicht die Fahrbahnbreite von ca. 7,70 m grundsätzlich auch
breiteren Fahrzeugen, wie z.B. einem Omnibus, noch ein Überholen des
Fahrradfahrers unter Einhaltung eines nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO
ausreichenden Seitenabstandes. Dabei geht die Kammer zunächst von § 32
Abs. 1 Nr. 1 StVZO aus, wonach die allgemeine Fahrzeugbreite von 2,55 m
nicht überschritten werden darf. Unter Zugrundelegung eines Verkehrsraums
für Radfahrer von 1 m und eines in der Regel zum Radfahrer einzuhaltenden
Seitenabstandes von 1,50 m (vgl. dazu König in: Hentschel/ König/ Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 42 Aufl., § 5 StVO Rz. 54, 55 m. w. N. aus d. Rspr.) und
davon ausgehend, dass ein Kraftfahrzeug einschließlich Außenspiegel
üblicherweise etwa 2,00 m breit ist, bietet die genannte Fahrbahnbreite
ausreichend Raum für einen Überholvorgang. Allerdings ist das Überholen
eines Radfahrers im Falle von Gegenverkehr nicht mehr gefahrenlos möglich.
Hinzu kommt, dass auf Teilen des streitigen Streckenabschnitts eine
durchgezogene Linie das Überholen verbietet (Zeichen 295, lfd. Nr. 68 Anlage
2 zur StVO). In diesen Situationen muss der Autofahrer, der sich hinter einem
Radfahrer befindet, seine Geschwindigkeit solange anpassen, bis das
entgegenkommende Fahrzeug vorbeigefahren und das Überholen erlaubt ist.
Bei dem beschriebenen hohen Verkehrsaufkommen, insbesondere in
Spitzenzeiten während des Berufsverkehrs, dürften erhebliche Verzögerungen
im Verkehrsablauf eintreten, weil unter Umständen für geraume Zeit ein
Überholen nicht möglich ist. Vor allem aber steht zu befürchten, dass in diesen
Situationen Autofahrer unter Missachtung des erforderlichen
Sicherheitsabstandes überholen werden/würden. Dies rechtfertigt hier
grundsätzlich die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht.
Auch nach der Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO, Rdnr. 9 (i. d. F.
v. 07.06.2009, BAnz. S. 2050, dort Rdnr. 9) - VwV-StVO - kann insbesondere
bei innerörtlichen Vorfahrtsstraßen mit starkem Kraftfahrzeugverkehr die
Verkehrssicherheit und der Verkehrsablauf eine Radwegbenutzungspflicht
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erfordern.
b.) Die angegriffenen Anordnungen der Radwegbenutzungspflicht im Verlauf
der Straße „C.“ sind jedoch ermessensfehlerhaft erfolgt. Die Begründung für
diese Anordnungen, die die Beklagte gegenüber dem Kläger in ihrem
Schreiben vom 03. Juni 2013 abgegeben und die sie mit ihren Schriftsätzen im
Klageverfahren ergänzt hat, weist Ermessensdefizite und damit der
gerichtlichen Überprüfung unterliegende Rechtsfehler auf.
Gemäß § 114 Satz 1 VwGO ist die gerichtliche Kontrolle einer behördlichen
Ermessensentscheidung auf die Überprüfung beschränkt, ob die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten sind, oder ob von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist. Ermessensfehlerhaft in diesem Sinne ist ein
Verwaltungsakt auch, wenn die Behörde bei ihrem Handeln, von
unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch
gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht (siehe
dazu Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 114 Rdnr. 12). So liegen die
Dinge hier. Denn die Beklagte geht jedenfalls zu Unrecht davon aus, dass der
getrennte Rad- und Gehweg entlang der westlichen, stadtauswärts führenden
Fahrspur (aa.) sowie der gemeinsame Geh- und Radweg parallel zur östlichen,
stadteinwärts führenden Fahrspur (bb.) jeweils die Anforderungen erfüllen, die
an die Zumutbarkeit ihrer Nutzung zu stellen sind.
aa.) Das den Antrag des Klägers auf Aufhebung der
Radwegebenutzungspflicht für die Straße „C.“ ablehnende Schreiben der
Beklagten vom 03. Juni 2013 geht bereits insoweit von unzutreffenden bzw.
unzureichend ermittelten Voraussetzungen aus, als darin mitgeteilt wurde,
dass die Radwege auch die erforderliche Mindestbreite aufwiesen. Dies trifft
hinsichtlich der Vorgaben der VwV-StVO (jedenfalls) für den getrennten Rad-
und Gehweg stadtauswärts zwischen der Straße „D.“ und der Straße „E.“ für
einen Teil der Strecke nicht zu. Nach den VwV-StVO soll bei Anordnung durch
das Zeichen 241 die Mindestbreite eines Radweges 1,50 m betragen (Rdnr.
20). Diese Breite weist der Radweg in dem Bereich nicht auf, in dem auf einer
Strecke von ca. 200 m eine Holzbarriere mit einer Höhe von ca. 0,50 m
errichtet ist, die den Radweg von der Fahrbahn abgrenzt. Denn dort - wie im
gesamten Verlauf des stadtauswärts führenden streitigen Streckenabschnitts
der Straße „C.“ mit Ausnahme der G. -Brücke - markieren jeweils drei
(schwach) rot eingefärbte Gehwegplatten zur Größe von 30 x 30 cm einen
Radweg, und der Radweg ist durch zwei weitere Platten in dieser Größe zum
Bordstein hin abgegrenzt. An dieser Stelle kann offen bleiben, ob - wie die
Beklagte meint - diese Abgrenzungsplatten (auch) in rechtlicher Hinsicht zum
Radweg zählen und somit die Soll-Breite von 1,50 m erreicht wird, oder ob -
wie der Kläger einwendet - die Abgrenzungsplatten als Sicherheitsstreifen zur
Fahrbahn anzusehen sind. Denn jedenfalls soweit die genannte Holzbarriere
auf den Abgrenzungsplatten errichtet ist, stehen diese nicht dem Radverkehr
zur Verfügung und können daher bereits nicht zum Radweg gezählt werden.
Dieser hält damit auf einem nicht lediglich kurzen, vernachlässigbaren
Streckenabschnitt (vgl. zu solchen Ausnahmen: VwV-StVO, Rdnr. 22) die Soll-
Breite nicht ein.
Der westlich der Straße „C.“ geführte getrennte Rad- und Gehweg erfüllt in dem
streitigen Abschnitt auch insofern nicht die Vorgaben der VwV-StVO, als
danach die Linienführung eindeutig, stetig und sicher sein soll; an Kreuzungen
und Einmündungen soll die Linienführung und der Radwegeverlauf auch für
den Ortsfremden eindeutig erkennbar … und sicher gestaltet sein (Rdnrn. 16,
25). Jedenfalls die nördliche Einmündung von dem Parkplatz des „N.“ in die
Straße “ C.“ entspricht dieser Anforderung trotz des dort für die ausfahrenden
Kraftfahrzeugführer angebrachten Hinweisschildes nicht, weil durch einen
Zaun und den vorhandenen Bewuchs durch Bäume und Sträucher der
Einblick in den Radweg sehr eingeschränkt ist.
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Darüber hinaus entspricht der Radweg auf diesem Streckenabschnitt den
Anforderungen der VwV-StVO auch insofern nicht, als diese für eine
Benutzungspflicht voraussetzen, dass der Radweg (u.a.) frei von Hindernissen
ist (Rdnr. 17). Dem widerspricht das Vorhandensein der Holzbarriere eindeutig,
wenn sie - nach dem Rechtsverständnis der Beklagten - im Radweg errichtet
ist.
Der getrennte Rad- und Gehweg erfüllt in dem streitigen Abschnitt weiterhin
insofern nicht die Vorgaben der VwV-StVO wonach, eine sichere Gestaltung
des Radweges (Rdnrn. 16, 25) nicht angenommen werden kann, wenn - wie
vorliegend - der Radverkehr am Ende des benutzungspflichtigen
Radwegeabschnitts kurz hinter der Einmündung der Straße „E.“ übergangslos
auf die Straße „C.“ geleitet wird. Die hohe Verkehrsdichte auf dieser Straße
und der Umstand, dass sich unmittelbar in dieser Fahrtrichtung eine
Rechtsabbiegespur anschließt, machen es für einen sicheren Übergang des
Radverkehrs auf die Fahrbahn erforderlich, diesen Übergang auf der Fahrbahn
farblich zu kennzeichnen oder auf andere Weise die Kraftfahrzeugführer auf
das Ende des Radweges und den zufließenden Radverkehr aufmerksam zu
machen.
bb.) Der stadteinwärts verlaufende Geh- und Radweg weist ab der
Einmündung des Weges „F.“ bis zur weiter stadteinwärts angelegten
Bushaltestelle nur eine Breite von ca. 2,10 m, im Bereich der Bushaltestelle
von nur 1,80 m auf. Damit wird die nach der VwV-StVO (Rdnr. 21)
vorgesehene Soll-Breite von 2,50 m nicht eingehalten, ohne dass es sich etwa
um einen lediglich kurzen, vernachlässigbaren Streckenabschnitt (vgl. zu
solchen Ausnahmen: VwV-StVO, Rdnr. 22) handelt. Gerade die
Unterschreitung der vorgegebenen Breite im Bereich der Bushaltestelle
erscheint als gefahrerhöhend, weil der Radverkehr hier unter Umständen auf
eine Gruppe wartender Busfahrgäste trifft und der zur Verfügung stehende
Raum für ein gefahrloses Passieren der Radfahrer nicht ausreicht.
Die nördlich der Bushaltestelle durch rote Einfärbung der drei der Fahrbahn
nächsten Pflasterplatten hergestellte optische Trennung von Geh- und
Radweg steht im Widerspruch zu der für diesen Streckenabschnitt durch
Zeichen 240 erfolgten Anordnung eines gemeinsamen Geh- und Radweges.
Auch der weitere Verlauf des gemeinsamen Geh- und Radweges
stadteinwärts entspricht nicht den Voraussetzungen der VwV-StVO, weil er
nicht eindeutig ist. Etwa in der Mitte dieses Streckenabschnitts gabelt er sich
höhenversetzt entlang einer ca. 200 m langen Bauminsel; beide Spangen
weisen eine Breite von jeweils 1,50 m auf. Die unmittelbar an der Fahrbahn
geführte Spange ist rot markiert, sodass für den unbefangenen Fahrradfahrer
der Eindruck entsteht, er dürfe lediglich diese Spange befahren.
Hinzu kommt, dass der Radweg im Bereich dieser rot markierten Spange nicht
sicher geführt ist. Denn insoweit verläuft er in nahezu seiner gesamten Länge
unmittelbar entlang in Längsrichtung angelegter Parkbuchten, ohne dass zu
diesen ein Sicherheitsabstand vorhanden ist. Es besteht daher die Gefahr,
dass Radfahrer, die diese Spange befahren, mit Beifahrertüren parkender
Kraftfahrzeuge kollidieren, wenn diese unachtsam geöffnet werden.
Im Übrigen mangelt es auch auf dem stadteinwärts führenden Radweg
insofern an einer sicheren Gestaltung, als der Radverkehr am Ende des
benutzungspflichtigen Radwegeabschnitts kurz vor der G. -Brücke die Straße
„C.“ befahren darf, ohne dass auch nur ein baulicher Übergang auf die
Fahrbahn vorhanden ist; der Bordstein ist hier nicht abgesenkt. Eine farbliche
Markierung auf der Fahrbahn oder andere Hinweise an die
Kraftfahrzeugführer, dass ab dieser Stelle Radfahrer die Fahrbahn nutzen
dürfen, fehlen ebenfalls.
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Nach alldem ist die Radwegebenutzungspflicht in den streitbefangenen
Abschnitten der Straße „C.“ ermessensfehlerhaft angeordnet.
III.
Soweit die Beklagte unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des Verfahrens zu tragen; soweit der Kläger die Klage
zurückgenommen hat, sind ihm nach § 155 Abs. 2 VwGO die
Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Kammer gewichtet die
zurückgenommenen und die erfolgreichen Anträge gleich.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.