Urteil des VG Hannover vom 18.12.2012

VG Hannover: grundstück, gebäude, bebauungsplan, fahrbahn, zugang, geschoss, gehweg, erneuerung, zahl, überzeugung

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Zur Heranziehung von Gebäuden auf öffentlichen
Straßenverkehrsflächen zu Straßenausbaubeträgen
1. Ein auf einer öffentlichen Verkehrsfläche stehendes Geschäftsgebäude
kann einen besonderen Vorteil durch eine Straßenausbaumaßnahme
genießen.
2. Für diesen Fall hat eine Straßenausbaubeitragssatzung eine
Verteilungsregelung vorzusehen.
VG Hannover 9. Kammer, Urteil vom 18.12.2012, 9 A 4772/11
§ 6 KAG ND
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger
zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen für den Ausbau
der Siebstraße.
Der Kläger ist Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft D., die Eigentümerin
des Grundstücks Marienstraße ist. Das Grundstück ist mit einem an der
Marienstraße gelegenen Geschäftshaus und einem damit baulich verbundenen,
an der Rückseite des Grundstücks im Süden stehenden „Gartenhaus“ in ganzer
Breite bebaut. Südlich an das Grundstück des Klägers grenzt das Grundstück
Siebstraße (Flurstück E.), das seinerseits an der parallel zur Marienstraße
verlaufenden Siebstraße liegt. Die Siebstraße verbindet die Höltystraße mit dem
Aegidientorplatz. Durch das im Jahr 2004 an der Siebstraße errichtete - an die
Stelle eines öffentlichen Parkplatzes getretene - Gebäude Siebstraße führt eine
Zufahrt. Zu Gunsten des klägerischen Grundstücks besteht eine 2003/2005
bewilligte Grunddienstbarkeit (Nutzungsrecht für Zu- und Abgangsverkehr) an
dem Grundstück Siebstraße . Im Norden dieses Grundstück liegt eine zu der
Zufahrt zur Siebstraße und einer weiteren Zufahrt zur Höltystraße orientierte
Wegefläche. Von der Wegefläche besteht ein Zugang zum „Gartenhaus“ auf
dem Grundstück des Klägers. In das Gebäude führt eine als
Nr. gekennzeichnete Eingangstür mit der Aufschrift "Zugang freihalten!".
Darüber befindet sich ein Piktogramm, das einen Abschleppvorgang darstellt.
Neben der Tür ist ein Klingelschild angebracht.
Im Bebauungsplan Nr. 1331 der Beklagten sind
- das Grundstück Siebstraße und das Grundstück des Klägers als
Kerngebiet festgesetzt,
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- die von der Siebstraße auf das Grundstück Siebstraße durch das dortige
Gebäude führende Zufahrt als Straßenverkehrsfläche sowie die
Wegefläche auf dem Grundstück als eine mit Geh- und Fahrrechten
versehene, zu Gunsten der Anlieger belastete Fläche festgesetzt,
- westlich des westlich an das Gebäude Siebstraße 4 anschließenden
Gebäudes Aegidientorplatz (Flurstücke F. und G.) eine
„Straßenverkehrsfläche überlagert mit einem Baugebiet; Bebauung ab 1.
Obergeschoss“ und zwischen dem Baugebiet und dem Haus
Aegidientorplatz ein „Transparentes Flugdach“ über einer „Straßenfläche
mit zulässiger Überbauung“ festgesetzt. Das Baugebiet besteht aus einem
frei vor dem Gebäude oberhalb des Gehwegs angeordneten Baufenster
mit einer Brücke zu dem Gebäude Aegidientorplatz und ist als vom ersten
bis zum sechsten Geschoss bebaubares Kerngebiet ausgewiesen.
Die Gebäude Siebstraße 4 und Aegidientorplatz , das Flugdach sowie der davor
auf Stützen in dem Baugebiet oberhalb der Straßenverkehrsfläche stehende
Baukörper (künftig: Hängehaus) - bezeichnet als „Torhaus am Aegi“ - wurden
2004 genehmigt. Laut Baugenehmigung Nr. H. besteht das Baugrundstück aus
den Flurstücken:
Flur der
Gemarkung
Hannover
Flurstück Fläche Eigentümer
Adresse
(eig. Anfügung)
40
I.
18158
Landeshauptstadt
Hannover
Straßenkörper
Aegidientorplatz
29
J.
36890
Landeshauptstadt
Hannover
Straßenkörper
Hildesheimer Straße
29
F.
329
Allianz
Versicherung
Aegidientorplatz nördlicher
Teil
29
G.
733
Landeshauptstadt
Hannover
Aegidientorplatz südlicher
Teil
29
E.
1083
Landeshauptstadt
Hannover
Siebstraße
Das „Hängehaus“ ist nicht von dem Aegidientorplatz selbst, sondern nur über
das Gebäude Aegidientorplatz erreichbar.
Die Beklagte baute 2007 die spätestens 1958 hergestellte - und hinsichtlich der
Fahrbahn 1976 erneuerte - Siebstraße von Osten her zwischen der Höltystraße
und der Hildesheimer Straße mit einer Fahrbahn und dem südlichen Gehweg
sowie den Anschluss an die Höltystraße aus. Auf der der Hildesheimer Straße
zugewandten Strecke der Siebstraße legte die Beklagte 2007 eine auch dem
Fahrradverkehr eröffnete Gehwegfläche ohne Fahrbahn an. Der südliche
Gehweg erhielt einen verstärkten Unterbau und die Fahrbahn zwei Schichten
aus Asphaltbinder und eine Deckschicht.
Mit Bescheid vom 04.10.2011 setzte die Beklagte einen Straßenausbaubeitrag
in Höhe von 1.373,90 € gegen den Kläger fest. Bei der Ermittlung der
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Gesamtkosten ließ die Beklagte die Herstellung des Bürgersteigs auf der
Nordseite und der Beleuchtung außer Betracht. Unberücksichtigt blieben ferner
Kosten, die durch die Beschädigung des Mischwasserkanals entstanden waren.
Am 31.10.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Sein Grundstück sei nicht
bevorteilt. Es sei ausschließlich von der Marienstraße aus erschlossen. Auf
seiner Rückseite befinde sich ein privater Zugangsweg des
Grundstücksnachbarn K., der ein Bürogebäude in der Siebstraße errichtet
habe. Eine Grunddienstbarkeit zu seinen Gunsten habe er weder beantragt
noch daran mitgewirkt. Mit Fahrzeugen könne auf sein Grundstück ohnehin
nicht von der Siebstraße gefahren werden. Außerdem sei die Siebstraße
vollständig ausgebaut gewesen. Erst der Neubau des „Torhauses am Aegi“
habe die Straßeneinrichtung entfernt. Ein Ausbau des südlichen Gehwegs mit
verstärktem Unterbau sei ohne den Bürobau nicht notwendig gewesen. Die
Fahrbahn der Siebstraße sei vor dem Ausbau asphaltiert und ohne Schäden
gewesen. Das Ausbringen von Asphaltschichten bringe keinen Vorteil
gegenüber dem bisherigen Zustand.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Grundstück des Klägers sei bevorteilt, weil es eine gesicherte
Zugangsmöglichkeit über das Grundstück Siebstraße habe. Der Verschleiß der
abgerechneten Teile der Anlage sei durch die bestimmungsgemäße Nutzung
erfolgt. Hierzu gehörten auch Baufahrzeuge und die Verlegung von
Versorgungsleitungen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Kläger kann die
Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 04.10.2011 begehren, denn der
Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs.
1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte kann die Heranziehung des Klägers nicht auf § 6 NKAG i.V.m. § 1
der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 6 NKAG für
straßenbauliche Maßnahmen in der Landeshauptstadt Hannover
(Straßenausbaubeitragssatzung) vom 19.03.1992 (Amtsblatt Regierungsbezirk
Hannover Seite 258) in der Fassung der Änderungssatzung vom 21.03.2002
(Amtsblatt Regierungsbezirk Hannover Seite 399) - SABS - stützen. Danach
erhebt die Beklagte zur Deckung ihres Aufwandes für die Verbesserung und
Erneuerung ihrer öffentlichen Straßen Beiträge von Grundstückseigentümern,
denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen
besondere wirtschaftliche Vorteile bietet.
Die Heranziehung des Klägers scheitert aber nicht bereits daran, dass sein
Grundstück Marienstraße nicht von der Verbesserung bzw. Erneuerung der
Siebstraße profitiert. Der Kläger kann mit dem Einwand nicht durchdringen, der
Ausbau der Straße habe grundsätzlich keinen Vorteil gebracht, denn die
Siebstraße sei bereits vollständig ausgebaut gewesen und erst der Bau des
„Torhauses am Aegi“ habe die Straßeneinrichtung entfernt. Hinsichtlich des
südlichen Gehwegs liegt eine Verbesserung bereits darin, dass dieser eine
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Frostschutzschicht erhielt, die ihm bislang nach den Unterlagen der Beklagten
fehlte. In der Baumaßnahme der Beklagten an dem Gehweg und der Fahrbahn
liegt zudem eine beitragsrechtliche Verbesserung. Dies gilt auch für den Fall,
den der Kläger annimmt, dass sich der Zustand der beiden Teileinrichtungen
durch den Baustellenverkehr anlässlich der Errichtung des „Torhauses am Aegi“
verschlechtert hätte. Die Belastung einer Straßenanlage mit Schwerlastverkehr
für die Dauer der Durchführung eines Bauvorhabens auf einem anliegenden
Grundstück gehört zum „Lebensschicksal” der Straße. Sie steht der Erhebung
von Beiträgen für eine nach Ablauf der üblichen Lebensdauer einer solchen
Anlage vorgenommene grundlegende Erneuerung nicht entgegen, auch wenn
der tatsächliche Eintritt der Erneuerungsbedürftigkeit maßgeblich durch die
Belastung mit dem Baustellenverkehr gefördert worden ist (vgl. VGH Kassel,
Beschluss vom 25.05.2009 - 5 D 1060/09 -, NVwZ-RR 2009, 821; OVG Münster,
Beschluss vom 07.12.2007 - 15 B 1837/07 -, juris; OVG Münster, Beschluss
vom 21.08.2007 - 15 B 870/07 -, juris; VG Hannover, Urteil vom 25.01.2001 - 4 A
2844/00 -, BeckRS 2001, 31003523). Ist - wie hier - seit der Herstellung
spätestens 1958 die übliche Nutzungsdauer abgelaufen, ist die Beitragsfähigkeit
einer Erneuerungsmaßnahme daher auch dann nicht ausgeschlossen, wenn
die Erneuerungsbedürftigkeit auch auf Kanalbauarbeiten zurückgeht (vgl. VGH
München, Urteil vom 14.07.2010 - 6 B 08.2254 -, BeckRS 2011, 46501).
Der Kläger kann auch mit dem Einwand nicht durchdringen, sein Grundstück
genieße von der Siebstraße keinen Vorteil. Hiergegen spricht das ihm auf dem
Grundstück Siebstraße eingeräumte Geh- und Fahrrecht, das zu seinen
Gunsten im Grundbuch eingetragen ist. Solange dieses durch die
Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1331 vorgesehene Recht besteht, ist
der Zugang von dem Grundstück des Klägers zur Siebstraße gesichert und
damit seine Bevorteilung gegeben.
Die Heranziehung des Klägers scheitert in dem hier vorliegenden Sonderfall
aber daran, dass anhand der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten das
Abrechnungsgebiet nicht bestimmt werden kann und deshalb eine Handhabe
fehlt, den letztlich von dem Kläger zu leistenden Betrag der Höhe nach zu
bestimmen.
Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG sind die Ausbaubeiträge nach den Vorteilen zu
bemessen. Das bedeutet, dass alle Kommunalabgabensatzungen einen
Maßstab zu enthalten haben, nach dem der umlagefähige Aufwand auf die
Beitragspflichtigen verteilt wird (Driehaus, Erschließungs- und
Straßenausbaubeiträge, 9. Aufl., § 30, Rn. 35). Für alle begünstigten
Grundstücke muss ein Verteilungsmaßstab bestehen. Ein solcher fehlt jedoch
für die Grundstücke der Beklagten, auf denen das „Hängehaus“ des „Torhauses
am Aegi“ mit dem Flugdach steht (Aegidientorplatz, Flur 40, Flurstück I., und
Hildesheimer Straße, Flur 29, Flurstück J.).
Die Berücksichtigung auch dieser Grundstücke fordert die Beitrags- bzw.
Vorteilsgerechtigkeit. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG hat die Beklagte „Beiträge
von den Grundstückseigentümern (zu) erheben, denen die Möglichkeit der
Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche
Vorteile bietet“. Maßgeblich ist also eine vorteilsbehaftete Grundstücksnutzung.
Die mit dem „Hängehaus“ und dem Flugdach bebauten Grundstücke genießen
„besondere wirtschaftliche Vorteile“. Sie können nicht nur als
Straßenverkehrsfläche genutzt werden. Sie sind zugleich nach dem
Bebauungsplan Nr. 1331 entweder als eine "Straßenverkehrsfläche überlagert
mit einem Baugebiet", nämlich einem vom 1. bis 6. Geschoss bebaubaren
Kerngebiet, festgesetzt („Hängehaus“) oder teilweise als eine
„Straßenverkehrsfläche mit einer zulässigen Überbauung“ und „transparentem
Flugdach“. Entsprechend ist das „Hängehaus“ als Geschäftshaus genutzt und
die Grundstücke der Beklagten unterscheiden sich insoweit in der baulichen
Nutzung nicht von den anderen herangezogenen Grundstücken. Dies gilt auch
für das Flugdach, dessen Bedeutung sich nicht in der Überdachung der darunter
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liegenden Straßenverkehrsfläche erschöpft, sondern das aus Gründen der
Baustatik erforderlich ist, um das auf Stützen stehende „Hängehaus“ mit dem
„Haupthaus“ Aegidientorplatz zu verbinden und so vor dem Umsturz zu
bewahren. Insoweit wird (wie bei dem Grundstück Siebstraße mit einer
entsprechenden Festsetzung) die von dem Dach abgedeckte
Grundstücksfläche nicht lediglich für den Straßenverkehr, sondern auch für die
darüber liegenden Baulichkeiten genutzt.
Öffentliche Verkehrsflächen werden von einer ausgebauten Anlage zwar
grundsätzlich nicht bevorteilt, dies gilt im vorliegenden Sonderfall aber gerade
nicht. Der grundsätzliche Ausschluss von öffentlichen Verkehrsflächen beruht
auf der Rechtsprechung zum Erschließungsbeitragsrecht. Danach genießen
diejenigen Grundstücke einen Erschließungsvorteil nicht, die auf Dauer nicht
Gegenstand einer Beitragspflicht sind, weil sie „unfähig“ sind, jemals „baureif“ zu
werden bzw. - hier einschlägig - Grundstücke, auf denen nur eine „unterwertige
Nutzung“ möglich ist oder solche, für die der Bebauungsplan z. B. (öffentliche)
Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) festsetzt (BVerwG, Urteil vom
23.10.1996 - 8 C 40/95 -, BVerwGE 102, 159; für das Ausbaubeitragsrecht: OVG
Lüneburg, Beschluss vom 22.11.1995 - 9 L 6406/93 -, NST-N 1996, 22;
zusammenfassend auch Nds. OVG, Urteil vom 27.04.2010 - 9 LC 271/08 -
„Wennigser Bahnhof“; Urteil der Kammer vom 24.10.2011 - 9 A 91/11 -
„Wunstorfer Bahnhof“; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., §
17, Rn. 22; § 35, Rn. 32 f.). Die Herausnahme von Verkehrsflächen aus dem
Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke kann zur Überzeugung des Gerichts
nur dann Platz greifen, wenn diese Verkehrsflächen wie im Regelfall nicht
bebaut werden bzw. nur „unterwertig“ genutzt werden können. Die Grundstücke
der Beklagten sind aber in dem hier betroffenen Sonderbereich nicht lediglich
öffentliche Verkehrsflächen, sondern sie sind gerade durch den Bebauungsplan
teilweise „baureif“ gemacht worden und bilden bauplanungsrechtlich ein
Kerngebiet. Bei der Betrachtung, ob ein Grundstück durch einen
Bebauungsplan „baureif“ gemacht ist, kann zur Überzeugung der Kammer nicht
lediglich die ebenerdige Fläche einbezogen werden, sondern die
Grundstücksnutzung muss insgesamt in den Blick genommen werden, also
auch die Nutzung darüber und darunter.
Die bauliche Nutzung der Grundstücke der Beklagten erfährt auch von der
ausgebauten Anlage, der Siebstraße, einen hier beachtlichen Vorteil, obwohl
das „Hängehaus“ an der Siebstraße nicht unmittelbar anliegt. Denn das
„Hängehaus“ und das Flugdach sind keine ohne die Bebauung des
Grundstücks Aegidientorplatz und Siebstraße denkbaren Baukörper. Sie
setzen konstruktiv die Verbindung mit dem „Haupthaus“
Aegidientorplatz voraus. Das „Hängehaus“ kann nur über dieses an der
Siebstraße liegende und damit von dem Ausbau begünstigte „Haupthaus“
erreicht werden. „Hängehaus“ und Flugdach sind auch in der Baugenehmigung
Nr. H. gemeinsam mit den Gebäuden Aegidientorplatz und
Siebstraße genehmigt worden. Diese weist entsprechend der Festsetzung des
Bebauungsplans sämtliche von den Gebäudeteilen des „Torhaus am Aegi“
beanspruchten Grundstücksflächen, also auch die des „Hängehauses“ und des
Flugdaches, als (ein) „Baugrundstück“ aus.
Obwohl die Vorteilsgerechtigkeit die Berücksichtigung der Grundstücke der
Beklagten verlangt, gibt die Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten keine
Handhabe, sie am Ausbauaufwand zu beteiligen. Nach § 5 SABS bilden die
Grundstücke, deren Eigentümern durch die Inanspruchnahme der ausgebauten
Einrichtung besondere wirtschaftliche Vorteile geboten werden, das
Abrechnungsgebiet. Diese Grundstücke definiert § 6 Abs. 1 Satz 1 SABS als
„berücksichtigungsfähige Grundstücke“.
Die Grundstücke der Beklagten gehören nicht zu den „berücksichtigungsfähigen
Grundstücken“ i. S. v. §§ 5 und 6 SABS. Die Vorschrift trifft keine Regelung für
Flächen, die zugleich Verkehrsanlage und baulich nutzbar sind. Ihre
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Anwendung würde im Wortsinn zu unsinnigen Ergebnissen führen. § 6 Abs. 3
SABS nennt verschiedene berücksichtigungsfähige Grundstücke; hier kommen
nur solche, die „baulich oder gewerblich“ nutzbar sind, in Betracht, denn die
Grundstücke der Beklagten sind ausweislich der Planfestsetzung sowohl als
Verkehrsfläche als auch auf einer kleinen Teilfläche uneingeschränkt baulich
nutzbar.
Streng am Wortlaut orientiert sieht § 6 Abs. 3 Nr. 1 SABS bei einer im
Bebauungsplan geregelten (hier: „Kerngebiet“) und auch nur teilweisen
baulichen Nutzbarkeit eines Grundstücks die Berücksichtigung der
„Gesamtfläche des Grundstücks mit Ausnahme der unter Abs. 4 Nr. 2
genannten Flächen“ vor. Das hieße, da keine der Ausnahmen nach § 6 Abs. 4
Nr. 2 SABS in Betracht kommt, für die Grundstücke der Beklagten die
Berücksichtigung der Flächen des Aegidientorplatzes (Flur 40, Flurstück I.) mit
18.158 m² und der Hildesheimer Straße (Flur 29, Flurstück J.) mit 36.890 m² als
bebaubar. Damit wäre es ohne Bedeutung, dass das von der Satzung zum
Anknüpfungspunkt genommene Baugrundstück nur eine sehr kleine Fläche
einnimmt und eine Bebauung der Grundstücke darüber hinaus ihrer Aufgabe als
Verkehrsanlagen entgegenstände. Die Konsequenz, die Hildesheimer Straße
und den Aegidientorplatz als insgesamt baulich nutzbar anzusehen, kann § 6
SABS nicht beabsichtigen, denn auch dieses wäre
straßenausbaubeitragsrechtlich nicht stimmig.
Da die Rechtsfigur der begrenzten Erschließungswirkung, die auch im
Straßenausbaubeitragsrecht Anwendung finden kann (Nds. OVG, Beschluss
vom 26.04.2007 - 9 LA 92/06), im Bereich eines Bebauungsplans nur dann
anwendbar ist, wenn sich diese aus den Festsetzungen des Bebauungsplans
erkennbar eindeutig ergibt (BVerwG, Beschluss vom 21.07.2009 - 9 B 71/08 -,
NVwZ 2009, 1374), solche Festsetzungen hier aber fehlen, kann auch nicht auf
diese Weise das mit dem Aegidientorplatz und der Hildesheimer Straße
„übergroß“ gebildete Abrechnungsgebiet verkleinert werden.
Im Übrigen würde, selbst wenn nach § 6 SABS die Grundstücke der Beklagten
berücksichtigungsfähig wären, sich die weitere mit den Satzungsregelungen der
Beklagten nicht lösbare Hürde stellen, mit welchem Nutzungsfaktor die
Grundstücke in die Verteilungsberechnung einzufließen haben. Denn nach § 7
Abs. 1 SABS wird der maßgebliche Nutzungsfaktor bei
berücksichtigungsfähigen Grundstücken, die baulich oder gewerblich nutzbar
sind, durch die Zahl der Vollgeschosse bestimmt. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 SABS
gilt als Zahl der Vollgeschosse - jeweils bezogen auf die in § 6 Abs. 3 SABS
bestimmten Flächen - bei Grundstücken, die ganz oder teilweise im
Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SABS),
die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse
(Nr. 1a). Im Wortsinne angewandt - und mit der Vorteilsgerechtigkeit wieder nicht
vereinbar - hieße das, dass die Hildesheimer Straße und der Aegidientorplatz
als insgesamt vom 1. bis zum 6. Geschoss bebaubar berücksichtigt werden
müssten und keine Rücksicht darauf genommen würde, dass das als Baugebiet
festgesetzte Baugrundstück darauf nur einen äußerst kleinen Bruchteil der
Gesamtfläche einnimmt.
Diese Regelungslücke allein führt schon zur - derzeit - irreparablen
Beitragsberechnung und damit zur vollständigen Rechtswidrigkeit des
angefochtenen Bescheides. Weiteren Bedenken, etwa inwieweit die Beklagte
das Abrechnungsgebiet auch sonst nicht zutreffend gebildet hat, brauchte die
Kammer folglich nicht nachzugehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.