Urteil des VG Hannover vom 27.08.2014

VG Hannover: patient, approbation, widerruf, gefährdung der gesundheit, unwürdigkeit, körperliche untersuchung, ärztliche anordnung, verordnung, innere medizin, verschreibung

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Einzelfall eines rechtmäßigen Approbationswiderrufs
bei einem das Leben des Patienten potentiell
gefährdenden ärztlichen Fehlverhalten
Eine medizinisch nicht einmal ansatzweise gerechtfertigte, das Leben eines
(drogenabhängigen) Patienten gefährdende Übermedikation kann zur
Annahme der Unwürdigkeit führen.
VG Hannover 5. Kammer, Urteil vom 27.08.2014, 5 A 2959/13
§ 3 Abs 1 S 1 Nr 2 BÄO, § 5 Abs 2 S 1 BÄO
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags
leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Approbation als Arzt.
Der im Jahr D. geborene Kläger ist Facharzt für Innere Medizin. Er betrieb bis
vor kurzem in E. eine Einzelpraxis. Am 02.09.2010 verschrieb er seinem F.
geborenen Patienten G., von dem er wusste, dass er medikamentenabhängig
war, auf vier Privatrezepten 36 Schachteln (720 Tabletten) Fluninoc (Wirkstoff
pro Tablette: 1 mg Flunitrazepam). Am 06.09.2010 verschrieb er dem
Patienten auf einem weiteren Privatrezept 9 Schachteln (180 Tabletten)
Fluninoc.
G. war im Verlaufe des Jahres 2010 wiederholt aufgrund von Delikten aus dem
Bereich Betäubungsmittelkriminalität (Besitz und Handel mit BtM) polizeilich in
Erscheinung getreten. In der Nähe des H. in E. beschuldigte Herr I. am
07.09.2010 einen Dritten gegenüber Polizeibeamten, ihm Fluninoc-Tabletten
entwendet zu haben, währenddessen jener ihn beschuldigte, mit den Fluninoc-
Tabletten Handel zu treiben. Gegen beide Personen wurde strafrechtlich
ermittelt (gegen Herrn I. unter dem Az. 1252 Js 24129/11 - u. a. wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Arzneimitteln).
G. war bis zur Aufgabe der Praxis des Klägers sein langjähriger, wenngleich
unregelmäßiger Patient. Im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft E. gegen
den Kläger eingeleiteten Strafverfahrens wegen Beihilfe zum unerlaubten
Handeltreiben mit Arzneimitteln (- 1252 Js 40392/11-) erklärte der Kläger
gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten, er habe Herrn I. die Rezepte
ausgestellt, weil dieser immer wieder längere Zeit in Italien verweilen würde
und man dort Fluninoc-Tabletten nicht erhalten würde. In letzter Zeit sei er aber
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hellhörig geworden, weil der Patient immer häufiger gekommen sei. Am
heutigen Tage, dem 07.09.2010, habe er das Arzt-Patienten-Verhältnis
beendet.
Die Ärztekammer Niedersachsen teilte auf Anfrage der Staatsanwaltschaft E.
mit Schreiben vom 30.05.2011 mit, dass gegen den Kläger keine Erkenntnisse
vorlägen. Die Verschreibung einer derart großen Menge von Tabletten sei aus
ärztlicher und suchtmedizinischer Sicht nicht vertretbar. Es handele sich um
ein eher in der Klinik anzuwendendes Medikament. Sollte sich ein
Flunitrazepam-abhängiger Patient bei einem niedergelassenen Arzt vorstellen,
sollte versucht werden, diesen über einen Zeitraum von 6 -12 Wochen
auszudosieren. Der Kläger selbst erklärte, ihm sei bekannt gewesen, dass
Herr I. unter mehreren schwerwiegenden Erkrankungen leide, sodass eine
Therapie mittels einer hohen Dosierung mit Fluninoc vertretbar gewesen sei.
Er sei kein „Stammpatient“ gewesen. So sei er im Jahr 2010 nur an wenigen
Terminen erschienen.
Die Staatsanwaltschaft E. stellte das Verfahren gegen den Kläger nach
Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 500,00 EUR gemäß 153 a StPO ein.
Dabei war ausweislich des Einstellungsvermerks maßgeblich, dass dem
Kläger der „Erfolg“ des Weiterverkaufs der Tabletten durch Herrn I. sicher
unerwünscht gewesen sei, der Kläger aber wohl bereit gewesen sei, diesen
Erfolg als eine als möglich erkannte Folge hinzunehmen. Er habe Herrn I. wohl
als Patienten behalten wollen und erst aufgrund der Probleme mit der Polizei
das Arzt-Patientenverhältnis beendet.
Nach vorheriger Anhörung widerrief der Beklagte mit Verfügung vom
19.04.2013 gegenüber dem Kläger die Approbation als Arzt. Zur Begründung
führte er aus, die Einstellung des gegen den Kläger gerichteten strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens stehe einer Verwertung der Strafakte nicht entgegen.
Die Zeugenaussagen dürften vom Beklagten verwertet werden zu der Frage,
ob die Tatvorwürfe im Kern zuträfen. Die vom Kläger seinem Patienten I.
verschriebenen Tabletten hätten selbst bei einem zugrunde gelegten
Tagesbedarf von 2 mg Fluninoc eine Behandlungsdauer von 450 Tagen
ermöglicht und damit die in der Fachinformation empfohlene
Behandlungsdauer um 1.200 % überschritten. Bei dem vom Kläger
vorgetragenen Tageskonsum des Patienten von 5 - 10 Tabletten hätten die
Verordnungen eine Anwendung über einen Zeitraum von 72 Tagen ermöglicht,
was die empfohlene Anwendungshöchstdauer weit überschritten und
regelmäßige Kontrollen erforderlich gemacht hätte. Aufgrund der örtlichen
Entfernung wäre eine ärztliche Kontrolle aber unmöglich gewesen. Zudem
hätte ein schrittweiser Entzug in Italien eine immer geringere Einnahme des
Medikaments seitens des Patienten bedeutet. Hinzu käme, dass dem Kläger
bekannt gewesen sei, dass bei Herrn I. im Jahr 2003 ein Benzodiazepam-
Abusus vorgelegen habe und mehrfache Behandlungsversuche inklusive
Einweisungen in stationäre Therapien bis zum Jahr 2008 erfolglos geblieben
seien. Bei einer Abhängigkeitsanamnese hätte eine derartige Verordnung nicht
erfolgen dürfen. Hinzu komme die schwere Drogenabhängigkeit des Herrn I.,
die einer derartigen Verschreibung entgegenstehe. Wenn überhaupt, wäre die
Verordnung nur auf einem Betäubungsmittelrezept möglich gewesen. Der
Kläger hätte seinen Patienten auf Drogenabhängigkeit zuvor untersuchen
müssen. Die Vorfälle hätten sich im direkten Arzt-Patienten-Verhältnis ereignet
und stünden im unmittelbaren Zusammenhang mit der Berufsausübung des
Klägers. Sie stellten ein Fehlverhalten dar, das geeignet sei, das zur Ausübung
des ärztlichen Berufs erforderliche Vertrauen und Ansehen nachhaltig zu
zerstören. Die originäre Aufgabe des Arztes sei es, die Leiden seiner Patienten
zu lindern. Der Kläger habe im Gegenteil den Eintritt einer Fluninoc-
Abhängigkeit gefördert. Im Falle der Überlassung einer derart großen Menge
an Tabletten und gleichzeitiger Ortsabwesenheit könnte eine Gefährdung der
Gesundheit, beispielsweise durch Überdosierungen, nicht sicher
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ausgeschlossen werden. Beim Kläger sei angesichts dieser Vorfälle die
erforderliche Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs entfallen. Die
Approbation sei zwingend zu widerrufen. Eine weniger einschneidende
Maßnahme sei nicht ersichtlich, da die Approbation nicht teilbar oder
einschränkbar sei.
Der Kläger hat dagegen am 26.04.2013 Klage erhoben. Zur Begründung trägt
er vor: Die Erstbehandlung des Patienten I. sei im November 1998 erfolgt
wegen Asthma aufgrund akuter Bronchitis. Die nächste Konsultation sei am
25.03.2003 wegen Asthma erfolgt. Seit dem Quartal 2/02 habe Herr I. unter
einer HIV-Infektion sowie chronischer Hepatitis B und C gelitten. Bei ihm habe
ein zentraler inoperabler Tumor vorgelegen. In diesem Zusammenhang sei
erstmals ein Benzodiazepin-Abusus aufgefallen. Es hätten immer wieder zum
Teil sehr lange Gespräche mit dem Patienten wegen des Themas
stattgefunden. Wegen glaubhafter Entzugserscheinungen mit Schlafstörungen
habe er zunächst hin und wieder Einzelpackungen Fluninoc rezeptiert. In der
Folgezeit sei der Patient sporadisch mit zum Teil mehrmonatigen Pausen
erschienen. Er habe angegeben, sich für Wochen oder Monate in Florenz
aufgehalten zu haben. Er habe von seinem Patienten u. a. einen Brief aus
einem Krankenhaus in Florenz erhalten. Herr I. sei mehrfach zu stationären
Entzugstherapien eingewiesen worden, teils auf eigenen Wunsch, teils von
ihm initiiert, aber ohne bleibenden Erfolg. Anfang 2010 sei er nach einer Pause
von rund zwei Jahren in der Praxis erschienen. Er habe am 02.09.2010
angegeben, er wolle nach Florenz übersiedeln, wo er nach seinen Angaben
bessere Chancen gesehen habe, von den Medikamenten loszukommen. Dort
bekäme er Fluninoc nicht. Da sein Patient einen Konsum von 5 -10 Tabletten
täglich angegeben habe, habe er sich entschlossen, ihm eine größere Menge
zu verschreiben, die einen allmählichen Entzug in Italien ermöglicht hätte. Am
06.09.2010 sei Herr I. erneut erschienen. Er habe angegeben, dass die
verschriebene Menge für die gesamte Zeit seines geplanten Aufenthaltes in
Italien nicht ausreichen würde. Sein Patient habe von ihm daher eine geringere
Nachverordnung erhalten. Erst nach dem Kontakt habe er von gefälschten
Rezepten aus seiner Praxis erfahren und sofort jeglichen Kontakt mit dem
Patienten abgebrochen. Der ernsthafte Wille des Herrn I., nach Übersiedlung
nach Italien einen weiteren Entwöhnungsversuch zu probieren, sei ihm
aufgrund der zahlreichen Gespräche mit ihm glaubhaft und plausibel
erschienen. Er sei seit über 30 Jahren im Besitz der ärztlichen Approbation
und betreibe fast ebenso lange eine erfolgreiche Tätigkeit als Hausarzt. Seit 12
Jahren sei er als Palliativmediziner tätig, ohne dass er sich etwas habe zu
Schulden kommen zu lassen. In der Gesamtschau gebe es keinen Anlass, an
seiner Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes zu zweifeln.
Der Kläger beantragt,
die Widerrufsverfügung des Beklagten vom 19.04.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Bescheid. Ein Approbationsentzug komme
nicht nur bei Vorsatztaten in Betracht, sondern auch bei Fahrlässigkeitstaten,
sofern ein Zusammenhang der Verfehlung mit der unmittelbaren
Berufsausübung bestehe. Zudem sei nicht abschließend entschieden worden,
ob es sich bei der dem Kläger vorgeworfenen Tat um einen Fall von Vorsatz
oder Fahrlässigkeit handele.
Der Kläger hat dem Gericht Kopien aus der Patientenkartei betreffend Herrn I.
sowie von darin enthaltenen Unterlagen vorgelegt. Auf den Inhalt wird
verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 19.04.2013 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den Widerruf der Approbation ist § 5 Abs. 2 Satz 1 i. V. m.
§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung - BÄO -. Hiernach ist die
Approbation zu widerrufen, wenn der Arzt sich nachträglich eines Verhaltens
schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder
Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes ergibt. Das Verhalten
des Klägers rechtfertigt den Widerruf wegen Unwürdigkeit, worauf der
Bescheid gestützt ist.
Unwürdigkeit liegt vor, wenn der Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das
Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes
unabdingbar nötig ist. Voraussetzung dafür ist ein schweres Fehlverhalten des
Arztes, das bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung
untragbar erscheinen lässt (ständige Rechtsprechung des BVerwG, z. B. B. v.
09.01.1991 - 3 B 75/90 -; B. v. 14.04.1998 - 3 B 95/97-, juris; B. v. 28.01.2003 -
3 B 149/02 -, Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 107). Ein solch schwerwiegendes
Fehlverhalten muss auch nicht allein die eigentliche Ausübung der Heilkunst
betreffen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass sogar erhebliche
Straftaten eines Arztes, die in keinerlei Zusammenhang mit seiner als solcher
unbeanstandbar ausgeübten ärztlichen Tätigkeit stehen, zur Unwürdigkeit
führen können (BVerwG, B. v. 18.08.2011 - 3 B 6/11 -, juris; BayVGH, B. v.
07.02.2002 - 21 ZS 01.2890 -, juris).
Der Widerruf der Approbation ist bei Vorliegen der Voraussetzungen ein
verfassungsrechtlich unbedenklicher Eingriff in das Grundrecht auf
Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Der Schutz des wichtigen
Gemeinschaftsgutes der Gesundheitsversorgung des einzelnen Patienten und
der Bevölkerung rechtfertigt es, die Betätigung eines Arztes zu unterbinden,
der sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine
Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes
ergibt. Angesichts des Gewichts, das der Gesetzgeber diesen Eigenschaften
für die Ausübung des ärztlichen Berufes beigemessen hat und beimessen
durfte, ist es folgerichtig, dass er in § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO angeordnet hat,
dass bei Wegfall der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO die
zuständige Behörde die Approbation widerrufen muss, und insoweit - anders
als in § 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG - der
Behörde kein Ermessen eingeräumt ist (BVerwG, U. v. 16.09.1997 - 3 C 12/95
-, juris). Ob die Voraussetzungen für den Widerruf gegeben sind, beurteilt sich
dabei nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung (BVerwG, U. v. 16.09.1997, a.a.O.; B. v. 25.02.2008
- 3 B 85/07 -, juris; B. v. 18.08.2011, a. a. O.).
Unter Berücksichtigung dieser in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen
Rechtspraxis entwickelten Grundsätze (BVerfG, B. v 12.03.2004 - 1 BvR
540/04 -, juris; vgl. auch Nds. OVG, B. v. 19.01.2005 - 8 ME 181/04 -, juris) ist
der angefochtene Bescheid des Beklagten rechtmäßig. Es liegt ein schweres
Fehlverhalten des Klägers vor. Bei der gebotenen Würdigung aller Umstände
lässt dieses Fehlverhalten seine weitere Berufsausübung als untragbar
erscheinen. Der Approbationswiderruf war zum Zeitpunkt der
Behördenentscheidung aufgrund der Umstände des Einzelfalls
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verhältnismäßig.
Ein niedergelassener Arzt hat nach Maßgabe seiner Ausbildung, praktischen
Erfahrung und Weiterbildung die Aufgabe, das Leben zu erhalten, die
Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern (§ 1
Abs. 2 Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen). Mit der Übernahme
der Behandlung verpflichtet er sich dem Patienten gegenüber zur
gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden. Die sogenannte Therapiefreiheit beinhaltet einen
großen Handlungsspielraum im Hinblick auf die Methodenauswahl auch in
dem von ihm zu verantwortenden Risikobereich. Die Grenze ist aber
überschritten, wenn ein Patient durch die ärztliche Verschreibungspraxis
wissentlich oder grob fahrlässig dem Risiko ausgesetzt wird, in Lebensgefahr
zu geraten. Das gilt auch dann, wenn der Patient genau nach einer derartigen
Verordnung verlangt. Sie widerspräche dem ärztlichen Heilauftrag.
Der Kläger hat gegen die vorgenannten Grundsätze verstoßen. Das Gericht
stimmt mit der Einschätzung des Beklagten überein, wonach in der
Ausstellung der 4 Privatrezepte am 02.09.2010 - für 3 x 3 Schachteln Fluninoc
1mg zu je 20 Tabletten pro Rezept - und der erneuten Verschreibung auf
Privatrezept vom 06.09.2010 über 9 Schachteln Fluninoc à 20 Tabletten ein
schweres Fehlverhalten des Klägers liegt. Er hatte seinem Patienten I. damit
innerhalb von nur 4 Tagen 45 Schachteln Fluninoc à 20 Tabletten, d. h.
insgesamt 900 Tabletten verschrieben. Eine derartige Verordnung erscheint
auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter
medizinischen Gesichtspunkten völlig unvertretbar.
Das in Tablettenform vom Arzt rezeptierbare Fluninoc 1mg gehört zur Gruppe
der Benzodiazepine. Laut Gebrauchsinformation der Firma Hexal liegt bei
Erwachsenen die Dosierung bei 0,5 bis 1mg am Tag, auf ärztliche Anordnung
bei bis zu 2 mg am Tag. Die Dosierung soll so gering wie möglich sein. Die
Dauer der Behandlung soll im Allgemeinen wenige Tage bis 2 Wochen
betragen, einschließlich einer schrittweisen Absetzphase nicht mehr als 4
Wochen. Das Medikament wird zur Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen
mit klinisch bedeutsamem Schweregrad angewendet. Gegenanzeigen liegen
vor bei Patienten mit Drogenabhängigkeit oder bei Patienten mit
Abhängigkeitsanamnese (Rote Liste 2003, unter Hypnotika/Sedative, Nr. 49
098). Die Gebrauchsinformation der Firma Hexal enthält den Hinweis, dass es
bei der gleichzeitigen Einnahme mit Drogen durch die Herabsetzung der
Atemtätigkeit zu lebensbedrohlichen Zuständen kommen kann. Fluninoc 1mg
darf laut Beipackzettel der Firma Hexal auch nicht eingenommen werden,
wenn früher einmal Abhängigkeit von Drogen oder Arzneimittel bestand. Der in
Fluninoc enthaltene Wirkstoff Flunitrazepam verstärkt im Gehirn die
hemmende Wirkung des Botenstoffs GABA auf unterschiedliche Verbände von
Nervenknoten. Dazu werden viel niedrigere Dosen benötigt als von anderen
Benzodiazepinen, was die vorherrschend bewusstseinseintrübende Wirkung
des Flunitrazepams erklärt
(www.onmeda.de/Wirkstoffe/Flunitrazepam/wirkung-medikament-10.html). Der
sedative Effekt von Flunitrazepam ist ungefähr 7- bis 10mal stärker als der von
Diazepam (wikipedia.org/wiki/Flunitrazepam).
Flunitrazepam (enthalten auch in Rohypnol 1mg) ist wegen des schnellen
Wirkungseintritts das mit am häufigsten von Drogenabhängigen als
Ausweichmittel missbrauchte Präparat (Geschwinde, Rauschdrogen, 5. A.,
Rdnr. 2191). Es wird von Heroinabhängigen auch zur Verstärkung der Opioid-
Wirkung verwendet. Infolge der sich dadurch verstärkenden atemdepressiven
Effekte dieser Fremdstoffe ist der Wirkstoff Flunitrazepam für einen großen Teil
der sog. „Drogentoten“ der 80er Jahre verantwortlich und bahnt zudem einem
polytoxikomanen Suchtverhalten den Weg. Die zentral-dämpfend wirkenden
Stoffe werden auch unwissentlich als k.o.-Tropfen verabreicht. (Geschwinde,
a. a. O., Rdnrn. 2222, 2226 u. 2231). Weber (Kommentar zum BtMG, 3. A.,
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2009, § 5 BtMVV, Rdnr. 51) weist darauf hin, dass der Mischkonsum von
Heroin und Flunitrazepam besonders gefährlich ist und hierauf eine erhebliche
Zahl von Drogentodesfällen beruht. Rohypnol (Wirkstoff Flunitrazepam),
vielfach in einer Mixtur mit Heroin, war mit einem hohen Anteil bei den
Drogentoten vertreten (BR-Drs 881/97, S. 44, zitiert nach Weber, a.a.O., § 1
BtMG, Rdnr. 505; vgl. auch Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz,
Komm. 7. A., § 13, Rdnr. 84: Eine hohe Zahl von Drogentodesfällen beruht
gerade auf dem Mischkonsum von Heroin und Rohypnol; Rdnr. 84: Das
Missbrauchspotential von Flunitrazepam wird vielfach unterschätzt).
Der Kläger wusste eigenen Angaben zufolge nicht nur von der langjährigen
Flunitrazepamabhängigkeit des Klägers, hatte sie durch die in unregelmäßigen
Abständen erfolgende Medikation möglicherweise sogar gefördert. Aus der
vom Kläger dem Gericht vorgelegten Patientenkartei über seinen Patienten I.
ist ersichtlich, dass er die bei diesem vorhandene Polytoxikomanie
(gleichzeitige Abhängigkeit von mehreren Substanzen, ohne dass eine davon
eindeutig überwiegt, vgl. Weber, a.a.O., § 1 BtMG, Rdnr. 47), die bei dem
Patienten die Abhängigkeit von Heroin und Kokain neben der Abhängigkeit
von Fluninoc umfasste, kannte. Der Kläger hat dem Gericht den ihm
nachrichtlich übersandten Bericht der Neurologischen Klinik des Klinikums E.
J. vom 16.02.2005 vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass G. zu diesem
Zeitpunkt bereits seit 20 bis 25 Jahren Opiatkonsument war, seit mindestens 7
Jahren heroinabhängig war und zudem Benzodiazepine konsumierte.
Ausweislich der vom Kläger verordneten Krankenhausbehandlung (Notfall)
vom 28.12.2007 stellte dieser die Diagnose „Polytoxikomanie, HIV-Infektion,
Hepatitis, Verd. auf zentralen RF-Prozess“ und wies auf die Abhängigkeit des
Patienten von „Fluninoc seit Jahren“ hin. Die daraufhin durchgeführte
Krankenhausbehandlung im Klinikum K., L., ist dokumentiert in dem an den
Kläger gesandten Entlassungsbericht vom 16.01.2008. Darin heißt es, dass
die Aufnahme des Herrn I. aufgrund Drogenintoxikation bei bekannter
Polytoxikomanie erfolgt sei. Der Patient habe berichtet, dass er nach einer 3-
monatigen Therapie kurze Zeit später wieder rückfällig geworden sei. Es sei
nun eine Drogenentzugsbehandlung unter Methadonschutz in absteigender
Dosierung durchgeführt worden. Die letzte Kontrolle auf Drogen im Urin sei am
15.01.2008 erfolgt. Benzodiazepine nahm der Patient zu diesem Zeitpunkt laut
Laborbericht nicht.
Der Patient war zum Zeitpunkt der Rezeptausstellung am 02.09.2010 und am
06.09.2010 drogensüchtig. So hatte er in der polizeilichen Vernehmung vom
15.09.2010 angegeben, nach der Einlösung von einem der Privatrezepte am
02.09.2010 im Fixpunkt eine KE (Konsumeinheit) Heroin und eine (aufgelöste)
Tablette Fluninoc intravenös gespritzt zu haben, was bei ihm zu einer
mehrstündigen Ohnmacht geführt habe.
Der Kläger wusste von der weiterhin bestehenden Drogenabhängigkeit seines
Patienten, wie daraus ersichtlich ist, dass er in der Patientenkartei für G. unter
dem Datum des 21.01.2008 notiert hatte: „Entzug nicht geklappt!“ Seine
Einlassung in der mündlichen Verhandlung, er sei aufgrund der
Drogenentzugstherapie davon ausgegangen, dass der Patient drogenfrei sei,
ist durch diesen Eintrag widerlegt. Dass er mit dem Eintrag „Entzug im Hinblick
auf Heroin und Kokain erfolgreich“, gemeint haben könnte und nur die
Fluninoc-Abhängigkeit mit „Entzug nicht geklappt“ vermerkt haben wollte,
erscheint lebensfremd. Allenfalls könnte man daraus schließen, dass er der
Frage, ob der Patient auch im Hinblick auf den Drogenkonsum rückfällig
geworden war, keine weitere Beachtung geschenkt haben könnte. Der Kläger
konnte aber im Hinblick auf den von ihm selbst dokumentierten Rückfall seines
Patienten im Januar 2008 keinesfalls davon ausgehen, dass dieser, als er am
02.09.2010 erstmalig nach ca. 1 1/2 Jahren wieder in seiner Praxis erschien,
nicht mehr heroin- und kokainabhängig war. Dafür gab es keinerlei
Anhaltspunkte. Er hätte den Patienten zu dieser Thematik eingehend befragen
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und auch im Falle des Abstreitens der Drogensucht ausführlich untersuchen
müssen unter Überprüfung entsprechender Laborwerte.
Unabhängig davon wäre die Medikation selbst bei regulärer Dosierung bei
einem früher Drogenabhängigen medizinisch nicht vertretbar gewesen. Laut
der bereits zitierten Gebrauchsinformation für Fluninoc und aufgrund aller
sonstigen über das darin enthaltene Medikament Flunitrazepam verfügbaren
Informationen wäre bereits die Verordnung der Dosis von 0,5 bis 1 mg/Tag, d.
h. maximal einer Schachtel Fluninoc 1 mg à 20 Tabletten, bei einem früher
drogenabhängigen Patienten strikt kontraindiziert gewesen. Erst recht war es
dies aber der Fall bei der aufgrund der vorgenannten Umstände gegebenen
sehr hohen Gefahr, dass dieser Patient weiterhin Drogen konsumierte.
Gleichwohl aber den Patienten I. - noch dazu ohne vorherige körperliche
Untersuchung und ohne Überprüfung der Laborwerte auf aktuellen
Drogenkonsum - die geradezu absurd hoch anmutende Dosis von 36
Schachteln Fluninoc à 20 Tabletten und 4 Tage später nochmals 9 Schachteln
Fluninoc, mithin 45 Schachteln à 900 Tabletten, zu verordnen, wie der Kläger
es getan hatte, ist mit dem ärztlichen Heilauftrag nicht zu vereinbaren.
Die vorgenannten Gesichtspunkte sprechen gegen eine weiter bestehende
Würdigkeit des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs. Der Kläger hat
durch die Verordnung dieses Medikaments - zudem auf 4 einzelnen
Privatrezepten, die offenbar eine unauffällige Einlösung in mehreren
Apotheken ermöglichen sollten -, die Drogensucht und
Medikamentenabhängigkeit seines Patienten I. nicht nur aufrechterhalten. Er
hat darüber hinaus - und das ist maßgeblich - seinen aufgrund der
Polytoxikomanie potentiell nur eingeschränkt einsichtsfähigen Patienten in
Lebensgefahr gebracht oder dieses Risiko zumindest in Kauf genommen.
Denn der Kläger ging nach seinen Angaben davon aus, dass sein Patient
Deutschland für einen längeren Zeitraum verlassen wollte und dass er die
extrem große Menge des Medikaments gerade nicht unter seiner
hausärztlichen Kontrolle einnehmen wollte. I. war von Flunitrazepam abhängig;
Entgiftungs- und Entwöhnungsversuche waren immer wieder gescheitert. Dem
Patienten auf seine bloße Behauptung hin, er wolle Fluninoc langfristig in
Italien ausschleichend einnehmen, ohne jegliches Therapiekonzept eine
gegenüber der normalen Dosis extrem überhöhte Flunitrazepamdosis zu
verschreiben, dürfte - wäre es zu dem Medikamentenkonsum während des
geplanten Italienaufenthalts gekommen - für den Patienten in Anbetracht der
bestehenden Mehrfachdrogenabhängigkeit (Heroin, Kokain) vermutlich
unmittelbar lebensbedrohlich gewesen sein. Diese Medikation widerspricht
jeglicher ärztlichen Verantwortung. Sie schadet dem Ansehen der Ärzteschaft
und erfüllt damit das Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit in § 3 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 BÄO.
Dass die Medikation von Fluninoc mit dem Ziel des Ausschleichens bei einer
massiven Flunitrazepam-Abhängigkeit, die im Ausland ohne die Kontrolle
durch den verordnenden Arzt erfolgen sollte, für sich isoliert betrachtet bereits
einen massiven ärztlichen Kunstfehler darstellen dürfte, da der Entzug nach
Angaben des Klägers sehr schwierig ist und es dabei zu (lebensbedrohenden)
Krampfanfällen kommen kann, sei lediglich noch ergänzend erwähnt.
Hinzu kommt, dass bereits seit 1998 und damit auch zum Zeitpunkt der hier
streitgegenständlichen Fluninoc-Verordnungen im September 2010 der
Wirkstoff Flunitrazepam nicht auf einem gewöhnlichen Rezept, sondern nur auf
Betäubungsmittelrezept verordnet werden durfte, wenn er an
Drogenabhängige abgegeben wurde. Mit Wirkung vom 01.02.1998 war durch
Art. 1 Nr. 3 der 10. BtMÄndVO Flunitrazepam in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG
aufgenommen worden, wenngleich bis zum 30.10.2011 normiert war: „-
ausgenommenen Zubereitungen, die ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I
bis III je abgeteilte Form (z. B. Tablette) bis zu 1mg Flunitrazepam enthalten.
Für ausgenommene Zubereitungen, die für betäubungsmittelabhängige
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Personen verschrieben werden, gelten jedoch die Vorschriften über das
Verschreiben und die Abgabe von Betäubungsmitteln.“ Zwar ist Flunitrazepam
erst seit dem Wegfall des vorgenannten gesamten Zusatzes durch die 25.
BtMÄndVO mit Wirkung ab dem 01.11.2011 ohne jede Einschränkung als
Betäubungsmittel i. S. d. BtMG zu qualifizieren (Weber, BtMG, 3. A. 2009, § 13
Rdnr. 76). Die hier streitige Medikation unterlag aber infolge der vorher
geltenden Regel-Ausnahme-Rückausnahmeregelung aufgrund der
Drogenabhängigkeit des Patienten I. auch zuvor dem BtMG-Regime (Nds.
OVG, B. v. 07.02.2014 - 8 LA 84/13, juris, Rdnr. 27). Der Kläger hat durch die
(langjährige) Verordnung von Fluninoc auf einem normalen ärztlichen Rezept
zumindest gegen die gemäß §§ 32 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, 17 Nr. 3 BtMVV
bußgeldbewehrte Regelung des § 8 BtMVV verstoßen. Er hätte nur das vom
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anforderung an den
einzelnen Arzt ausgegebene Betäubungsmittelrezept (§ 8 Abs. 2 BtMVV)
verwenden dürfen.
Der Kläger hat das Gebot in § 13 Abs. 1 BtMG außer Acht gelassen hat,
wonach die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel von Ärzten nur dann
verschrieben werden dürfen, wenn ihre Anwendung im menschlichen Körper
begründet ist. Eine Verschreibung zu unkontrolliertem Gebrauch ist ärztlich
nicht zu verantworten und deswegen nicht begründet (Weber, a.a.O., § 13
BtMG, 47).
Darauf, dass die Staatsanwaltschaft E. zunächst geprüft hatte, ob der Kläger
sich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Flunitrazepam durch G. schuldig
gemacht haben könnte, das diesbezügliche strafrechtliche
Ermittlungsverfahren dann aber gegen Zahlung einer niedrigen Geldauflage
von 500,00 EUR nach § 153 a StPO wegen geringer Schuld eingestellt hatte,
kommt es nicht an. Unerheblich ist insoweit auch, dass die Staatsanwaltschaft
ein strafwürdiges Verhalten des Klägers wegen Körperverletzung im Hinblick
auf die Verschreibung gegenüber dem Patienten I. nach Aktenlage nicht
ausdrücklich geprüft hat - möglicherweise wegen fehlender Strafanzeige des
Betroffenen, wegen des Ausschlusses des Tatbestandes bei
eigenverantwortlicher Selbstgefährdung (dazu Weber, a.a.O., § 13 BtMG,
Rdnr. 84, 85) oder weil eine (versuchte) fahrlässige Körperverletzung nicht
strafbar wäre.
Grundlage der Feststellung einer Unwürdigkeit i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BÄO ist zwar regelmäßig, aber nicht zwingend immer ein straftatbestandliches
Verhalten des Arztes. Verstöße bei der Verschreibung von Arzneimitteln führen
nach der bislang publizierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
jedenfalls dann zu einem Widerruf der Approbation wegen des Wegfalls der
Würdigkeit, wenn ein Arzt wegen zahlreicher Delikte im Hinblick die
Verordnung von Substitutionsmitteln bzw. Ausweichmedikamenten für
Drogenabhängige strafrechtlich belangt worden ist (vgl. Nds. OVG, B. v.
07.02.2014 -, a.a.O., m. w. Nachw.; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 20.09.2005 - 6
A 10556/05 -, juris). Verstöße bei der Verordnungspraxis sind ansonsten wohl
eher Gegenstand berufsgerichtlicher Verfahren (vgl. Rechtsprechungsnachw.
im vorgen. U. d. OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., juris, Rdnr. 32).
Auch ein strafrechtlich unerhebliches Verhalten kann aber ausnahmsweise zu
einem Approbationsentzug führen. Denn über die Möglichkeit des Widerrufs
der Approbation soll auch das Ansehen des Arztberufs und damit verbunden
das Vertrauen der Bevölkerung in eine ordnungsgemäße ärztliche Versorgung
gewahrt werden (Spickhoff, Medizinrecht, 2011, § 5 BÄO, Rdnr. 52). Dieser
Ausnahmefall liegt hier nach der Überzeugung des Gerichts vor. Maßgeblich
ist, dass der Kläger seinen Angaben zufolge davon ausging, dass sein Patient
die Fluninoc-Tabletten selbst konsumieren würde, und des Weiteren der
Umstand, dass er nicht nur von der Flunitrazepamabhängigkeit, sondern auch
von der Heroin- und Kokainabhängigkeit des Patienten seit vielen Jahren
wusste und mit dem Weiterbestehen dieser Sucht ungeachtet des Umstands,
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dass man dies dem Patienten möglicherweise nicht ansah, rechnen musste.
Mit der nicht einmal ansatzweise gerechtfertigten, das Leben eines Patienten
unmittelbar gefährdenden Übermedikation hat sich der Kläger aber eines
berufswidrigen Fehlverhaltens schuldig gemacht. Es reicht in diesem extremen
Ausnahmefall ein einziger aktenkundig gewordener Vorfall, auch wenn er nicht
zu einer Bestrafung geführt hat. Insoweit kann - ohne dass dies
entscheidungserheblich wäre - ergänzend auch berücksichtigt werden, dass
der Patientenkartei betr. Herrn I. zu entnehmen ist, dass der Kläger zumindest
in der Zeit seit 2003 mehrmals dem Drängen dieses Patienten nachgegeben
und Fluninoc „auf Vorrat“ illegal auf ärztlichem Privatrezept verschrieben hatte,
wenngleich wohl in einem deutlich geringeren Maße.
Dass der Kläger, soweit bekannt, zuvor nicht in irgendeiner Weise als
„Junkiearzt“ aufgefallen war und den Patientenkontakt mit Herrn I. gleich nach
dem erneuten Auftauchen des Patienten in seiner Praxis am 07.10.2010
beendet hatte, vermag den Widerruf der Approbation nicht als
unverhältnismäßig zu qualifizieren. Der Abbruch des Arzt-Patienten-
Verhältnisses dürfte zumindest auch dem Ärger mit polizeilichen Nachfragen
und dem Druck durch mehrere Telefonate von Apothekern geschuldet
gewesen sein. Des Weiteren streitet zu Lasten des Klägers, dass er nicht, wie
geboten, Betäubungsmittelrezepte ausgestellt hatte bzw. auf die Medikation
verzichtet hätte, wenn er die Vordrucke hierfür nicht hätte erlangen können.
Von einer Wiedererlangung der Würdigkeit des Klägers bis zum Zeitpunkt der
Behördenentscheidung kann nicht ausgegangen werden. Allein der
Zeitabstand ab der letzten Verschreibung reicht vorliegend nicht aus, die
manifest gewordenen charakterlichen Mängel als kompensiert anzusehen. Die
Wiedererlangung der Würdigkeit setzt voraus, dass sich die Sachlage „zum
Guten geändert hat“, nämlich der Arzt das erforderliche Ansehen und
Vertrauen zurückerlangt hat. Ein beanstandungsfreies Verhalten,
insbesondere eine nachträgliche berufliche Bewährung, fällt hiernach positiv
ins Gewicht, während umgekehrt etwaige neue Verfehlungen negativ zu
Buche schlagen (BVerwG, B. v. 15.11.2012 - 3 B 36/12 -, juris). Dass der
Kläger unter dem Druck des behördlichen Verfahrens nach den Regeln der
ärztlichen Heilauftrags rezeptieren und sich damit einwandfrei verhalten würde,
ist selbstverständlich und lässt auf die Wiedererlangung der Würdigkeit im
Sinne von einem „zum Guten wenden“ nicht schließen. Ihm kann kein
besonderer Wert beigemessen werden (Nds. OVG, B. v. 02.05.2012 - 8 LA
78/11 -, juris; B. v. 21.05.2013 - 8 LA 54/13 -, juris; BayVGH, B. v. 15.6.1993 -
21 B 92.226 -, juris Rdnr. 34).
Der Widerruf ist mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG verhältnismäßig. Er ist
angesichts der Schwere der in Rede stehenden Handlungen gerechtfertigt
(vgl. auch OVG Koblenz, U. v. 09.05.1989 - 6 A 124/88 -, juris). Die
Gefährdung des Patienten durch eine krass fehlerhafte lebensgefährdende
Verschreibungspraxis betrifft den Kern der ärztlichen Tätigkeit, sodass der
Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit keine unverhältnismäßige
Sanktion darstellt.
Der Widerruf ist geeignet, das Gemeinschaftsgut der Patientengesundheit zu
schützen. Sowohl der Ärzteschaft als auch der Bevölkerung wird aufgezeigt,
dass eine dem ärztlichen Heilauftrag widersprechende, einen Patienten an den
Rand der Lebensgefahr bringende Verschreibungspraxis von diesem
Berufsstand nicht hingenommen wird. Der Widerruf der Approbation ist zudem
erforderlich. Denn die nach geltendem Recht in Betracht kommenden milderen
Mittel sind nicht ausreichend. Er greift mit Blick auf die Möglichkeit, nach einer
Wohlverhaltensfrist eine Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 BÄO oder aber eine
Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach § 10 Abs. 1 BÄO
beantragen zu können, auch nicht unangemessen in die Berufsfreiheit des
Klägers ein. Dadurch ist gewährleistet, dass der Widerruf nicht zu einem
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lebenslangen Berufsverbot führt (vgl. dazu BVerwG, U. v. 26.9.2002, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11
ZPO.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§§ 124 a
Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung misst die
Kammer der hier entscheidungserheblichen und noch nicht höchstrichterlich
geklärten Rechtsfrage bei, ob und unter welchen Voraussetzungen eine das
Leben eines Patienten potentiell gefährdende Medikation, die nicht
Gegenstand eines Strafverfahrens war, Grundlage für einen Widerruf der
ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit gemäß §§ 5 Abs. 2 i. V. m. 3 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 BÄO sein kann. Zur Wahrung der Einheit der Rechtsprechung
bedarf es nach Auffassung der Kammer insoweit einer obergerichtlichen
Klärung.