Urteil des VG Hannover vom 15.04.2014

VG Hannover: befreiung, schutz der kinder, belastung, beschädigung, funktionale auslegung, grundstück, stadt, landschaft, anwohner, umweltrecht

1
2
3
4
Vergrämung von Saatkrähen
1.Beschädigung i.S.des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG kann auch eine
indirekte Beeinträchtigung der ökologischen Funktionalität der Lebensstätte
sein.
2. Die mittelbare Beeinträchtigung von Nestern und Nistbäumen von
Saatkrähen durch den mobilen Einsatz von sog. Krähenklappen oder durch
anderen gezielt eingesetzten, zur Vertreibung der Krähen geeigneten Lärm
stellen eine nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG verbotene Beschädigung von
Fortpflanzungsstätten dar.
VG Stade 1. Kammer, Urteil vom 15.04.2014, 1 A 1490/10
§ 44 Abs 1 S 3 BNatSchG, § 45 Abs 7 BNatSchG, § 67 BNatSchG
Tatbestand
Der Kläger möchte Maßnahmen zur Vergrämung von Saatkrähen einer
Brutkolonie durchführen.
Die Kolonie befindet sich in F. am Rand eines innerstädtischen bewaldeten
Gebietes an der G. Straße und zwar in Höhe der Straße „H. ". Die Entfernung
zum Wohnhaus des Klägers beträgt ca. 30 m. Neben dieser Kolonie gibt es in
F. noch insgesamt 12 weitere Saatkrähenbrutkolonien. Die hier umstrittene
Brutkolonie gehört zumindest seit dem Jahr 2008 zu den größten Kolonien im
Stadtgebiet. Im Frühjahr 2013 war sie mit 256 Brutpaaren die zweitgrößte
Saatkrähenbrutkolonie in F..
Bereits in der Vergangenheit traten der Kläger und weitere Anwohner des
Gebiets erfolglos an den Beklagten heran und beschwerten sich über den
durch die Saatkrähen verursachten Lärm sowie über die Verschmutzung der
Gegend. Am 28. November 2008 beantragte der Kläger, ihm Maßnahmen zur
Vergrämung von Saatkrähen zu genehmigen. Ziel sei es, die Krähen in ein ca.
300 m entferntes Gebiet am Öllager zu vertreiben. Nach verschiedenen
Vergrämungsmaßnahmen bei anderen Kolonien im Stadtgebiet von F. habe
sich die ehemals kleine Kolonie an der G. Straße inzwischen derart
ausgeweitet, dass sich die Zahl der Nistplätze von ursprünglich 60 im Jahr
2004 auf 180 im Jahr 2008 erhöht habe. Dies bedeute 360 brütende
Saatkrähen mit jeweils drei bis vier Jungtieren, d.h. eine Kolonie von etwa
1.000 Tieren. Autos, Gärten und Balkone würden erheblich verschmutzt, auch
bestehe eine Gesundheitsgefahr, insbesondere für spielende Kinder. Die
Geräuschbelastung übersteige das normale Maß erheblich. Ab den frühen
Morgenstunden, ab etwa 4.00 Uhr, bis in die Abendstunden sei ein normales
Wohnen nicht mehr möglich. Es gebe im Gebiet von F. genügend andere
Nistmöglichkeiten. Die Vergrämungsmaßnahmen seien deswegen kein
unzumutbarer Eingriff in die Natur. Er, der Kläger, strebe an, die Nistplätze auf
60 zu reduzieren.
Mit Bescheid vom 4. Mai 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Saatkrähen
seien eine im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes - BNatSchG - besonders
geschützte wildlebende Vogelart, die den Verboten des BNatSchG unterliege.
Eine Befreiung von diesen Verboten, könne hier aber nicht erteilt werden. Es
liege kein atypischer Einzelfall vor. Die Auswirkungen, die von der streitigen
Saatkrähenkolonie ausgingen, unterschieden sich nicht von denjenigen
anderer Kolonien gleicher Größe. Es lägen auch keine unzumutbaren
5
6
7
8
9
Belastungen vor. Die Kolonie habe im Jahr 2000 aus 115 Brutpaaren
bestanden, im Jahr 2002 aus 90 Paaren und im Jahr 2003 aus 110 Paaren.
Gegenwärtig seien die Bestandszahlen deutlich geringer als 1.000 Tiere. Der
Lärm und der Schmutz, die von den Tieren ausgingen, rechtfertigten eine
Befreiung von den Zugriffsverboten des Artenschutzrechts nicht. Während der
Nestbauzeit im Frühjahr komme es durch die erhöhte Flugtätigkeit der Tiere zu
erhöhten Verschmutzungen. Nach dieser Zeit verringerten sich die
Belästigungen aber. Da sich hier alle Nester im Gehölz an der G. Straße
befänden, fielen die meisten Verschmutzungen direkt innerhalb des
Brutgebietes an. Auch die Lärmbelästigungen nähmen nach der Brutzeit ab.
Weiter befinde sich die Kolonie an einer viel befahrenen Hauptverkehrsstraße,
der G. Straße. Der Verkehrslärm überlagere am Tag den Lärm, der von den
Krähen ausgehe. Am frühen Morgen oder am Abend, wenn der Verkehrslärm
nicht gegeben sei, könne die Lärmbelastung durch die Krähen stärker
wahrgenommen werden. Insgesamt sei sie aber noch niedriger als die
Verkehrsbelastung während des Tages. Die Kolonie werde beobachtet, es
fänden jährlich Bestandszählungen statt.
Der Kläger erhob am 25. Mai 2009 Widerspruch. Es liege hier ein atypischer
Einzelfall vor, weil andere Grundstücke nicht in der gleichen Weise durch
Saatkrähen belastet würden. Im Übrigen sei die freie, unbebaute Landschaft
der allgemeine Lebensraum von Saatkrähen. Das Auftreten von großen
Nistkolonien im bebauten städtischen Umfeld sei eine atypische Erscheinung,
die zu Spannungen zwischen Mensch und Tier führe. Ziel des Naturschutzes
müsse die Rückführung der Krähen in ihren eigentlichen Lebensraum sein.
Was den Lärm angehe, komme es nicht nur in der Nestbauzeit zu einer
erheblichen Belästigung, sondern wegen der großen Anzahl der Tiere von
Mitte Februar bis Mitte August. Durch den über das normale Maß
hinausgehenden Lärm komme es zu Gesundheitsbeeinträchtigungen der
Anwohner. Es sei unzutreffend, dass der Verkehrslärm den Krähenlärm
überlagere. Im Übrigen handele es sich bei Letzterem um eine
Dauerbelastung, die den zulässigen Richtwert für Wohngebiete übersteige. Es
müsse im Augenblick von einer Anzahl von 1.344 Krähen ausgegangen
werden. Dies sei auch mit Rücksicht auf den Kot, der durch die Tiere
produziert werde, unzumutbar. Insgesamt lägen überwiegende Gründe des
Allgemeinwohls vor, die die begehrte Vergrämung rechtfertigten.
In der Folgezeit ließ der Beklagte mehrere Lärmmessungen vor einem
Wohnhaus an der G. Straße vornehmen. Die Messungen ergaben im Juni
2009 Werte von 53 dB in der Zeit von 22.00 Uhr und 22.30 Uhr und von 56 dB
in der Zeit von 4.30 Uhr bis 5.30 Uhr. An vier Messungen in der Zeit zwischen
15. März 2010 und 24. Mai 2010 wurden morgens Werte zwischen 62 dB und
64 dB gemessen.
Mit Bescheid vom 8. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch des
Klägers zurück. Zur Begründung führte er aus:
Die maßgebenden Fragen seien nach den Änderungen des BNatSchG nun
nach §§ 44, 45 und 67 BNatSchG zu beurteilen. Es seien keine besonderen
Umstände des Einzelfalls gegeben, die eine Ausnahme von den Verboten des
BNatSchG rechtfertigten. Von einem Einzelfall könne nur dann ausgegangen
werden, wenn der Gesetzgeber die nachteiligen Auswirkungen der
Regelungen auf den Betroffenen in dieser Form nicht vorhergesehen habe
und nicht habe vorhersehen können. Nur derartige atypische Fälle seien von
der Befreiungsmöglichkeit des § 67 Abs. 2 BNatSchG erfasst. Der umfassende
Schutz des BNatSchG für Saatkrähen gelte unabhängig davon, wo sich die
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der besonders geschützten Art befänden.
Der Standort der Brutkolonie „H. " sei nicht atypisch, weil Brutkolonien von
Saatkrähen durchaus auch innerhalb von Städten aufträten.
Lebensäußerungen von geschützten Tieren gehörten in der Regel zu den
10
11
Beeinträchtigungen, die der Gesetzgeber vorhergesehen habe. Sie seien von
der Allgemeinheit hinzunehmen und begründeten keinen atypischen
Sachverhalt im Sinne der Befreiungsvorschrift. Die Lautäußerungen und
Verschmutzungen, die im vorliegenden Fall durch die Saatkrähen verursacht
würden, seien auch nicht so besonders, dass von einem atypischen
Sachverhalt ausgegangen werden könne.
Auch die in den vergangenen Jahren beobachtete Entwicklung der Kolonie
lasse keine andere Beurteilung zu. Einen atypischen Einzelfall könne man nur
dann annehmen, wenn es sich um eine außergewöhnlich große
Saatkrähenkolonie im innerörtlichen Bereich handele oder wenn die
Konzentration der Saatkrähen an dieser Stelle durch Maßnahmen des
Menschen in einer Weise verursacht würde, die vom Gesetzgeber nicht habe
vorhergesehen werden können. Ob das hier der Fall sei, könne dahingestellt
bleiben, weil durch die Lebensäußerungen der Saatkrähen keine
unzumutbaren Belastungen für den Kläger hervorgerufen würden. Solche
Belastungen seien erst dann gegeben, wenn Gesundheitsgefährdungen
entstünden oder die Belastung über das Maß der Sozialbindung des
Eigentums hinausgehe. Die Schallmessungen hätten derartige Belastungen
nicht ergeben, auch wenn die Richtwerte der TA-Lärm für Wohngebiete
außerhalb von Gebäuden überschritten würden. Die Beeinträchtigungen der
Nachtruhe seien zwar nicht unerheblich, erfolgten aber nur in der Zeit der
Aktivität der Saatkrähen ab Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Eine
Beeinträchtigung der Nachtruhe sei mithin allenfalls für ca. 1 ½ Monate und
damit nur in einem kurzen Zeitraum gegeben. Der Tagesrichtwert werde nur
geringfügig überschritten. Bei der Beurteilung sei zu berücksichtigen, dass die
Lärmbeeinträchtigung insgesamt nur einen Zeitraum von ca. 6 bis 8 Wochen
andauere und dass der Kläger durch den Verkehrslärm viel stärker belastet
werde. Der Kfz-Lärm sei mehrheitlich deutlich lauter, als die Lautäußerungen
der Saatkrähen. Vor dem Hintergrund der zeitlich eingegrenzten
Beeinträchtigung führe es auch nicht zu einer unzumutbaren Belastung, dass
die Charakteristik der Krähenlaute als unangenehm empfunden werde und
deswegen eine Beeinträchtigung der Lebensqualität bedeuten könne. Unter
Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 44 BNatSchG seien sie zumutbar
und hinzunehmen.
Die Verschmutzungen seien nicht so erheblich, dass eine
Gesundheitsgefährdung zu befürchten sei oder dass die Nutzung des
Grundstücks des Klägers so eingeschränkt werde, dass das Maß der
Belastung überschritten werde, welches der Kläger im Rahmen der
Sozialbindung hinnehmen müsse. Die Kolonie sei nicht in dem
vorausgesagten Ausmaß angewachsen. Die aktuellen Zählergebnisse
bestätigten, dass sie sich seit dem Vorjahr nicht vergrößert habe. Bei einer
Anzahl von 260 Brutnestern und einem durchschnittlichen Bruterfolg von 2,5
Jungen könne davon ausgegangen werden, dass die Kolonie zum Abschluss
der Brutsaison in diesem Jahr aus ca. 972 Saatkrähen bestanden habe.
Während der gesamten Nist-, Brut- und Nestlingszeit bis zum Ausfliegen der
Jungvögel fielen Verschmutzungen durch die Jungvögel ausschließlich
innerhalb des Gehölzes an und beeinträchtigten die Anwohner damit nicht.
Zunächst würden auch alle Gelege und bereits geschlüpfte Jungvögel von
einem Elternvogel betreut. Während dieser Zeit übernehme der andere
Elternvogel die Futterversorgung. Erst im Anschluss, wenn die Nestlinge
selbstständig seien, fütterten beide Elternvögel. Die gesamte Kolonie fliege
erst am Ende der Nestlingszeit gemeinsam aus, wenn alle Jungvögel flügge
seien. Sie fliege dann am frühen Morgen gemeinsam zu den Futterplätzen und
kehre erst am Abend vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Durch regelmäßige
Begehungen prüfe er, der Beklagte, ob an den Standorten erhebliche
Beeinträchtigungen durch Verschmutzungen verursacht würden. In Absprache
mit der Stadt F. würden an dem hier streitigen Standort durch die
Stadtreinigung die öffentlichen Bereiche entlang des Brutgebietes gerade
12
13
14
15
während der Nist- und Brutzeiten verstärkt gereinigt. Die Verschmutzungen
würden dadurch minimiert. Das Maß der Verschmutzungen übersteige die
Grenze der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht; sie träten zudem nur in
einem sehr begrenzten Zeitraum auf. Gemessen daran sei die dauerhafte
Zerstörung von Nistmöglichkeiten durch Eingriffe innerhalb einer bedeutenden
Brutkolonie der besonders geschützten Saatkrähen als gravierend
einzustufen. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 44 BNatSchG
seien die Verschmutzungen durch die Krähen dem Kläger zumutbar und von
ihm hinzunehmen. Eine besondere Gesundheitsgefährdung gehe davon nicht
aus.
Der Kläger hat am 13. Dezember 2010 Klage erhoben.
Am 21. September 2011 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Wegen des
Ergebnisses wird auf das Protokoll Bezug genommen. Im Anschluss hat sich
der Beklagte an die Staatliche Vogelschutzwarte des Niedersächsischen
Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küstenschutz und Naturschutz - NLWKN
- gewandt sowie an das Niedersächsische Umweltministerium. Die staatliche
Vogelschutzwarte hat sich mit Schreiben vom 31. Januar 2012 geäußert, das
Niedersächsische Umweltministerium mit Schreiben vom 10. Februar 2012. Im
Frühjahr 2012 haben der Kläger und seine Ehefrau die Saatkrähen zu Beginn
der Brutzeit gezielt durch Lärm gestört. Sie haben eine sog. Krähenklappe
oder „Krähenklatsche" in den Nistbäumen aufgehängt und diese regelmäßig
betätigt, bzw. eine mobile Krähenklappe eingesetzt. Weiter haben sie mit Hilfe
eines Megaphons Greifvogelrufe abgespielt. Der Beklagte hat dem Kläger und
seiner Ehefrau mit Bescheid vom 29. März 2012 alle weiteren
Störungsmaßnahmen untersagt und die sofortige Vollziehung angeordnet. Der
Kläger hat hiergegen erfolglos um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht
(Beschl. des erkennenden Gerichts v. 29.10.2012 - 1 B 2338/12 -; Nds.OVG,
Beschl. v. 18.12.2012 - 4 ME 285/12 -). Den Widerspruch des Klägers gegen
den Bescheid vom 29. März 2012 hat der Beklagte mit Bescheid vom 10. April
2013 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Gericht mit
Urteil vom heutigen Tag abgewiesen (1 A 2683/13). Als Folge der Störungen
im Frühjahr 2012 ist die Anzahl von Brutpaaren in der umstrittenen Kolonie
deutlich zurückgegangen. Auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten hat
das Gericht in der Folgezeit das Ruhen des vorliegenden Verfahrens
angeordnet. Es hat das Verfahren wieder aufgenommen, nachdem die
Brutkolonie im Jahr 2013 erneut angewachsen ist. Auf Veranlassung der Stadt
F. hat die I. u.a. die hier umstrittene Kolonie im Hinblick auf eine Suche nach
alternativen Niststandorten untersucht. Im Laufe des Verfahrens hat der
Beklagte den Krähenlärm vor dem Haus des Klägers gemessen. Es wurde ein
Wert von 55 dB festgestellt.
Zur Begründung der vorliegenden Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein
bisheriges Vorbringen. Ergänzend macht er geltend:
Die von ihm beabsichtigten Maßnahmen seien gemessen an § 44 BNatSchG
bereits nicht verboten. Die geplanten Störungen seien nicht im Sinne von § 44
Abs. 1 Ziffer 2 BNatSchG erheblich, weil sie nicht zu einer Verschlechterung
des Erhaltungszustandes der lokalen Population der Saatkrähen führten.
Dabei könne man angesichts der übrigen Kolonien, die allein in F. existierten,
nicht davon ausgehen, dass die umstrittene Brutkolonie eine eigene lokale
Population im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Das Niedersächsische
Ministerium für Umwelt habe in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 2012
ausdrücklich ausgeführt, dass die lokale Population der Saatkrähen
keineswegs beeinträchtigt werde, da die Vögel lediglich gezwungen würden,
sich an weniger sensiblen Plätzen neu anzusiedeln. Genau das sei hier im
Jahr 2012 auch erreicht worden. Die Krähen hätten sich im näheren Umfeld
verteilt und dort neue Nistplätze geschaffen. Im Übrigen sei die Annahme des
Beklagten falsch, hier habe sich eine geschlossene Kolonie gebildet. Es habe
zwischen den einzelnen Niststandorten in F. immer eine durchgehende
16
17
18
19
20
21
22
Wechselbeziehung gegeben. Durch seine Maßnahmen sei der
Krähenbestand als solcher weder beeinträchtigt worden noch in sonstiger
Form zu Schaden gekommen. Krähen brüteten ohnehin nicht in den Nestern
des Vorjahres, sondern bauten sich aus dem Nistmaterial der vorherigen
Nester neue Nester. Für die Beurteilung der Frage, ob gegen das in § 44 Abs.
1 Nr. 2 BNatSchG geregelte sog. Störungsverbot verstoßen werde, habe das
Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom
18.12.2012 eine auf den Einzelfall bezogene naturschutzfachliche Bewertung
unter Berücksichtigung des artspezifischen Raumanspruchs und des
Aktionsradius der Saatkrähe sowie der konkret vorhandenen
Landschaftsstruktur für erforderlich gehalten. Eine derartige Untersuchung und
Bewertung liege noch immer nicht vor. Nachdem er, der Kläger, durch die
Verfügung des Beklagten gehindert worden sei, weiter auf die Krähen
einzuwirken, sei die Population erneut rapide angewachsen. Dieses
Anwachsen zeige, dass die Befürchtungen des Beklagten, der
Erhaltungszustand der Saatkrähen könne sich durch die von ihm beabsichtigte
Vergrämung verschlechtern, substanzlos seien. Insgesamt sei im Stadtgebiet
von Achim die Anzahl der Saatkrähenbrutpaare in den letzten Jahren deutlich
angestiegen.
Er plane weiter nicht, eine Fortpflanzungsstätte im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 3
BNatSchG zu beschädigen oder zu zerstören. Es gehe ihm nicht darum, die
Krähen insgesamt zu vernichten oder zu vertreiben. Allerdings müsse auch
berücksichtigt werden, dass die umstrittene Kolonie erst dadurch auf diese
Größe angewachsen sei, dass der Beklagte das Vertreiben der Krähen an
anderen Standorten in F. zugelassen habe; dies gelte namentlich für die
Kolonie am Bereich der J. sowie für diejenige, die sich am Parkplatz des
Landgerichts befunden habe. Auch im Bereich des Rathausmarktes sei eine
Vergrämung zugelassen worden. Es sei nicht einzusehen, dass derartige
Maßnahmen nicht auch im Interesse der Anwohner der Straße „H. " erfolgen
könnten. Zuletzt müsse berücksichtigt werden, dass Saatkrähen ihr Brutgebiet
ursprünglich in der freien Landschaft gehabt hätten.
Er könne jedenfalls eine Befreiung von den Verboten des § 44 BNatSchG
verlangen, weil insbesondere der durch die Krähen verursachte Lärm für ihn
unzumutbar sei. Die Krähen verursachten einen dauernden Lärmpegel, der -
anders als der Beklagte meine - nicht von dem Verkehrslärm überdeckt werde.
Die Belastung sei in der Zeit von April bis Juni am höchsten, da in dieser Zeit
bereits vor 5 Uhr morgens den ganzen Tag bis über eine Stunde nach
Sonnenuntergang durchgehend Krähengeschrei festzustellen sei. An Schlaf
sei nicht zu denken.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die von ihm beabsichtigten Maßnahmen, nämlich
das Aufhängen von Klappern in den Nistbäumen der Krähen sowie
der gezielte Einsatz von akustischen Mitteln zum Vertreiben der
Krähen in der Zeit von Mitte Februar bis zum Beginn der Eiablage
(üblicherweise Anfang April) gemessen an § 44 BNatSchG erlaubt
sind und den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2010 aufzuheben,
hilfsweise,
den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 8. November 2010 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, für die von ihm nach dem Hauptantrag
beabsichtigten Maßnahmen eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7
BNatSchG zuzulassen,
hilfsweise,
23
24
25
26
27
28
29
30
den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 8. November 2010 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, ihm für die nach dem Hauptantrag
beabsichtigten Maßnahmen eine Befreiung nach § 67 BNatSchG zu
erteilen,
hilfsweise,
den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 8. November 2010 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, über seinen Antrag,
Vergrämungsmaßnahmen im Hinblick auf die Saatkrähenbrutkolonie
„H. /G. Straße" zuzulassen, unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er zunächst auf die Gründe des ablehnenden
Bescheides.
Ergänzend trägt er vor: Es sei nicht zu erwarten, dass man die Krähen von
dem hier umstrittenen Standort in andere unproblematische Bereiche
vertreiben könne. Die von dem Kläger angestrebte Vergrämung werde zu einer
Sprengung der Kolonie führen und zur Verteilung von Saatkrähen in der
näheren Umgebung. Vertriebene Saatkrähen würden in unmittelbarer Nähe
zur alten Kolonie weitere Niststandorte gründen und diese innerhalb kurzer
Zeit durch starke Bruten stabilisieren. Auch die Vögel in der alten Kolonie
würden sich so verhalten, um Verluste auszugleichen. Es sei zu erwarten,
dass eine Vertreibung der Saatkrähen von ihrem jetzigen Standort zu einer
Intensivierung der Beeinträchtigungen führen werde. Insbesondere sei nicht zu
erwarten, dass die Vögel eine neue Kolonie innerhalb des Stadtwalds gründen
würden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass vertriebene Saatkrähen die
Bäume entlang der Straße „H. " bzw. der G. Straße besetzen würden. Bei
Störungen während der Futtersuche nutzten die Vögel schon jetzt diese
Bäume als Zufluchtsort. Im Gegensatz dazu würden die Bäume im hinteren
Bereich des Stadtwalds nicht angeflogen. So hätten die Störungen des
Klägers im Jahr 2012 dann auch zu der Entstehung einer Splitterkolonie an der
J. geführt. Den Betreibern dieses Veranstaltungsgebäudes sei durch eine
befristete Befreiung von den Verboten des § 44 BNatSchG gestattet worden,
Saatkrähennester außerhalb der Fortpflanzungszeit zu entfernen, weil
anderenfalls eine Bewirtung im Außenbereich nicht mehr möglich gewesen
wäre. Nachdem die Betreiber hiervon Gebrauch gemacht hätten, sei ein
Großteil der Splitterkolonie in die hier umstrittene Kolonie „H. " zurückgekehrt.
Einige der vertriebenen Krähen hätten auf dem Gelände der Grundschule K.
eine neue Kolonie gebildet. Die Nester führten auf dem Schulhof und den
angrenzenden Spielflächen zu erheblichen hygienischen Beeinträchtigungen.
Hier sei eine Vergrämung zum Schutz der Kinder zugelassen worden.
Die Störungsmaßnahmen, die der Kläger im Jahr 2012 während der
Fortpflanzungszeit durchgeführt habe und die er weiter durchführen wolle,
seien eine erhebliche Störung im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG.
Hierdurch verschlechtere sich der Erhaltungszustand der lokalen Population
dieser europäischen Vogelart. Lokale Population sei bei koloniebildenden
Vögeln wie der Saatkrähe die jeweilige Kolonie, da es sich hierbei um ein gut
abgrenzbares Vorkommen handele. Eine Verschlechterung des
Erhaltungszustandes der Art sei aber auch dann anzunehmen, wenn man
davon ausgehe, dass der gesamte Saatkrähenbestand in Achim als lokale
Population im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG anzusehen sei.
Vergrämungsmaßnahmen führten immer zur Zersplitterung der Brutkolonien.
31
32
33
34
35
36
Derartige Zersplitterungen schwächten die Art, weil die kleineren Kolonien
gegenüber Einflüssen bzw. Störungen von außen erheblich empfindlicher
seien als große Kolonien. Dies könne den Gesamtbestand der Art gefährden.
Da als Folge der Vergrämungsmaßnahmen des Klägers mindestens eine
große Anzahl der Brutplätze nicht mehr für die Vögel nutzbar gewesen sei, sei
hierdurch auch eine Fortpflanzungsstätte i.S.v. § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG
beschädigt worden. Nachdem er, der Beklagte, dem Kläger die
Störungsmaßnahmen untersagt habe, sei der Brutbestand wieder auf die alte
Größe angewachsen. Dies zeige auch, dass Maßnahmen, wie der Kläger sie
anstrebe, nur bei dauerhafter Fortsetzung geeignet seien, zum Erfolg zu
führen.
Er, der Beklagte, habe zu berücksichtigen, dass es allein in Achim 13 Kolonien
von Saatkrähen im Stadtbereich gebe. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Stadt
L.. Bei einer Vergrämung der Krähen von einem Standort sei immer zu
befürchten, dass wiederum Probleme an anderen Standorten aufträten. Er
erlaube Vergrämungen deswegen nur dann, wenn es um
Gesundheitsgefahren im öffentlichen Raum gehe, oder wenn es aus Gründen
der Verkehrssicherheit, etwa zur Sicherung von Schulwegen, geboten sei.
Insgesamt sei im Bereich der Stadt F. ein Rückgang der Saatkrähenbrutpaare
zu verzeichnen. Dabei sei ein Brutstandort durch die Erschließung eines
Baugebietes beeinträchtigt worden und ein anderer durch die Schließung der
Brotfabrik und dem damit verbundenen Verlust einer sicheren Futterquelle für
die Krähen. Es sei zu vermuten, dass es deswegen zu
Ausweichbrutstandorten in F. gekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen. Dem Gericht haben weiter die Gerichtsakten und
Verwaltungsvorgänge der Verfahren 1 A 2638/13 und 1 B 2338/12 vorgelegen.
Die Kammer hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen des
Ergebnisses wird auf das Protokoll vom 15. April 2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg.
Die von dem Kläger beabsichtigten Maßnahmen zur Vergrämung eines Teils
der Saatkrähen der Brutkolonie „H. " bzw. an der G. Straße in der Zeit von Mitte
Februar bis zum Beginn der Eiablage Anfang April sind gemessen an § 44
BNatSchG (vom 29.7.2009, BGBl. I, 2009, zuletzt geändert durch G. v.
7.8.2013, BGBl. I, 3154) verboten.
Dabei braucht die Kammer nicht zu entscheiden, ob das geplante Vertreiben
von Saatkrähen mit § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG vereinbar wäre, wonach es
u.a. verboten ist, wild lebende Tiere der europäischen Vogelarten während der
Fortpflanzungs- und Aufzuchtzeiten erheblich zu stören. Insbesondere kann in
dem vorliegenden Verfahren offen bleiben, ob es zu einer erheblichen Störung
käme, die nach der genannten Vorschrift vorliegt, wenn sich durch die Störung
der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert.
Die Maßnahmen, die der Kläger ergreifen möchte, um zumindest einen Teil der
Saatkrähen zu vertreiben, sind nämlich jedenfalls gemessen an § 44 Abs. 1
Nr. 3 BNatSchG unzulässig. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist verboten,
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders
geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu
zerstören. Die Saatkrähen gehören zu den wildlebenden Tieren der besonders
geschützten Arten, denn nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 BNatSchG sind dies u.a. auch
die europäischen Vogelarten. Das von dem Kläger geplante Vergrämen in der
37
38
39
40
Zeit von Mitte Februar bis Anfang April durch den Einsatz von sog.
Krähenklappen sowie durch den gezielten Einsatz von akustischen Mitteln wie
etwa eines Megaphons, mit dem Greifvogelgeräusche abgespielt werden,
würde sich weiter gegen eine von § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG geschützte
Lebensstätte richten und zudem eine durch die Vorschrift verbotene Handlung
darstellen.
Die beabsichtigten Maßnahmen beträfen zunächst Fortpflanzungsstätten im
Sinne der Vorschrift. Dabei regelt § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG (allein) den
Schutz der ausdrücklich bezeichneten Lebensstätten, die durch bestimmte
Funktionen für die jeweilige Art geprägt sind (BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 - 9 A
39.07 - juris). Fortpflanzungsstätten im Sinne der Vorschrift sind alle Stätten,
die für eine erfolgreiche Fortpflanzung notwendig sind. Geschützt sind die als
Ort der Fortpflanzung dienenden Gegenstände und die diesen unmittelbar zu
Grunde liegenden Strukturen. Dabei umfasst der Schutz auch den Standort
der konkreten Fortpflanzungsstätte; dies gilt insbesondere für die Horst- bzw.
Nistbäume von Vögeln. Fortpflanzungsstätten, die wiederholt genutzt werden,
sind auch in den Zeiten geschützt, in denen sie nicht belegt sind (zum
Vorstehenden: Lau, in: Frenz, BNatSchG, § 44 Rn. 16 f; Meßerschmidt,
Bundesnaturschutzrecht, Stand August 2008, § 42 Rn. 32 ff; Möller,
Umweltrecht und Landnutzungsrecht, Band IV, Naturschutzrecht, 5. Aufl. 2013,
S. 699; Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatschG, 2. Aufl., § 44 Rn.
33; Louis, NuR 2008, 65). Geschützt sind in dem vorliegenden Fall mithin
neben den Nestern der Saatkrähen - soweit diese erneut verwendet werden -
auch die Bäume, in denen die Krähen ihre Nester errichten.
Die Handlungen, die der Kläger zur Vergrämung zumindest eines Teils der
Saatkrähen vornehmen möchte, erfüllen den Tatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 3
BNatSchG. Dies gilt sowohl für das Aufhängen einer sog. Krähenklappe oder
„Krähenklatsche" in den Nistbäumen sowie deren Betätigung, um die Krähen
durch den erzeugten Knall zu erschrecken und zu vertreiben, als auch für den
auf die gleiche Wirkung gerichteten mobilen Einsatz der Krähenklappe und
ebenso für das gezielte Erzeugen von Lärm auf andere Weise, etwa durch den
Einsatz eines Megaphons. Alle diese Maßnahmen stellen eine Beschädigung
der Fortpflanzungsstätte der Saatkrähen im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 3
BNatSchG dar.
Eine Fortpflanzungsstätte wird dabei nicht nur dann beschädigt, wenn sie in
ihrer Substanz verletzt wird, sondern auch dann, wenn es durch die
betreffende Handlung zu einer nicht unerheblichen Minderung ihrer
Brauchbarkeit für die Fortpflanzung der Tiere kommt. „Beschädigung" im Sinne
des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG kann auch eine indirekte Beeinträchtigung
der ökologischen Funktionalität der Lebensstätte sein (so auch Meßerschmidt,
Bundesnaturschutzrecht, Stand 2008, § 42 Rn. 32;
Kolodziejcok/Reken/Apfelbacher/Iven, Naturschutz und Landschaftspflege,
§ 42 BNatSchG a.F. Rn. 11; Heugel, in Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 18;
a.A.: Louis, NuR 2009, S. 91 ff; Lau, in: Frenz, BNatSchG, § 44 Rn. 18, der
allerdings die Vergrämung von Tieren etwa durch Lärm als „Entnahme der
Fortpflanzungsstätte" i.S. von § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ansieht; offen
gelassen durch BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 - 9 A 39.07 - juris).
Diese weite funktionale Auslegung des Begriffs der „Beschädigung" ist mit
Rücksicht auf den durch § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG bezweckten Schutz der
Funktionsfähigkeit der Lebensstätte (hierzu BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 - 9 A
39.07 - juris) geboten. Sie entspricht auch dem Grundsatz einer effektiven
Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Meßerschmidt,
Bundesnaturschutzrecht, Stand 2008, § 42 Rn. 32). Insoweit ist zunächst Art. 5
der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten -
Vogelschutzrichtlinie - (ABl. L 20, S. 7) zu berücksichtigen, wonach durch die
Mitgliedstaaten u.a. die absichtliche Zerstörung und Beschädigung von
41
42
43
44
Nestern zu verbieten ist. Der Wortlaut der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1
BNatSchG ist allerdings an Art. 12 der Richtlinie 92/43 EWG vom 21. Mai 1992
zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und
Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) - FFH-Richtlinie - angepasst (BTDrs. 16/5100, S.
11) und geht damit - was die Art der geschützten Lebensstätten angeht - über
Art. 5 Buchst. b der Vogelschutzrichtlinie hinaus. Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d
der FFH-Richtlinie treffen die Mitgliedsstaaten u.a. die notwendigen
Maßnahmen für ein strenges Schutzsystem, das jede Beschädigung oder
Vernichtung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der durch die Richtlinie
geschützten Tierarten verbietet. Fortpflanzungs- und Ruhestätten müssen
streng geschützt werden, da sie für den Lebenszyklus der Tiere von
entscheidender Bedeutung sind und lebenswichtige Teile des Gesamthabitats
einer Art bilden. Artikel 12 Absatz 1 Buchst. d ist deswegen so zu verstehen,
dass er darauf abzielt, die kontinuierliche ökologische Funktionalität dieser
Stätten zu schützen, so dass sie weiterhin alles bieten können, was für den
Fortpflanzungserfolg und die ungestörte Rast der betreffenden Art erforderlich
ist (Leitfaden der Kommission zum strengen Schutzsystem für Tierarten von
gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, S.
51, http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/guidance).
Durch die von dem Kläger beabsichtigten Vergrämungsmaßnahmen würde die
Funktionsfähigkeit der vorliegenden Fortpflanzungsstätten der Saatkrähen in
nicht unerheblichem Ausmaß beeinträchtigt. Als Folge der gezielten und auf
Vertreibung gerichteten Handlungen des Klägers, die er jährlich wiederholen
möchte, wären weder die vorhandenen Nester noch die Nistbäume für die
Krähen weiterhin uneingeschränkt nutzbar, da es an der für den
Fortpflanzungserfolg unabdingbaren Ruhe fehlte. Dabei stellt die Befestigung
einer sog. Krähenklappe in den Nistbäumen und deren Betätigung bereits
einen unmittelbaren und direkten Zugriff auf die Nistbäume und damit auf die
Fortpflanzungsstätten dar, der unzweifelhaft den Tatbestand der
„Beschädigung" nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfüllt. Aber auch die
mittelbare Beeinträchtigung der Nester und Nistbäume durch den mobilen
Einsatz der Krähenklappe oder durch anderen gezielt eingesetzten Lärm sind
eine Beschädigung in diesem Sinne. Es kann hier offen bleiben, ob und unter
welchen Voraussetzungen mittelbare Beeinträchtigungen wie Lärm generell
unter das Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG fallen. Das gilt aber
jedenfalls dann, wenn der Lärm im Hinblick auf die Art der Beschallung sowie
deren Intensität gezielt ausgewählt und eingesetzt wird, um Tiere zu hindern,
ihre Fortpflanzungsstätten zu nutzen, und wenn er sich hierfür objektiv auch
eignet. Werden bewusst Lärmquellen ausgewählt, auf die die Tiere empfindlich
reagieren, und werden diese so intensiv eingesetzt, dass sie geeignet sind, die
Tiere am Bezug der Fortpflanzungsstätten zu hindern, so kommt eine derartige
Lärmerzeugung in ihrer Wirkung für die Funktion der Fortpflanzungsstätte
einem direkten bzw. unmittelbaren Zugriff auf die Stätte gleich. Nach dem Sinn
und Zweck des durch § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG beabsichtigten Schutzes
von Lebensstätten ist es deswegen geboten, das Zugriffsverbot des § 44 Abs.
1 Nr. 3 BNatSchG auf solche Handlungen zu erstrecken.
Nach allem hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, die er mit
seinem Hauptantrag begehrt, weil die von ihm beabsichtigten
Vergrämungsmaßnahmen nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG verboten sind.
Der Kläger kann weiter nicht verlangen, dass der Beklagte die geplanten
Handlungen auf der Grundlage des § 45 BNatSchG zulässt. In Frage kommt
dabei allein die Vorschrift des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG. Danach können
u.a. die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen
Behörden von den Verboten des § 44 im Einzelfall weitere Ausnahmen
zulassen
1. zur Abwendung erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder
sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden,
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
2. zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt,
3. für Zwecke der Forschung, Lehre, Bildung oder Wiederansiedlung
oder diesen Zwecken dienende Maßnahmen der Aufzucht oder
künstlichen Vermehrung,
4. im Interesse der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen
Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der
Zivilbevölkerung, oder der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die
Umwelt oder
5. aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen
Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.
Eine Ausnahme darf nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen
nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art
nicht verschlechtert, soweit nicht Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/43/EWG
weitergehende Anforderungen enthält (§ 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG). Artikel
16 Absatz 3 der Richtlinie 92/43/EWG und Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie
2009/147/EG sind zu beachten (§ 45 Abs. 7 Satz 3 BNatSchG).
Auf diese Vorschrift kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Interessen im
Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 BNatSchG macht der Kläger dabei
bereits nicht geltend. Im Übrigen ermöglicht § 45 Abs. 7 BNatSchG allein
Ausnahmeregelungen im öffentlichen Interesse und ist nicht dazu bestimmt,
die Interessen Privater zu schützen, was sich aus der Gesetzesbegründung
zum wortgleichen § 43 Abs. 8 BNatSchG a.F. ersehen lässt (vgl. BTDrs.
16/5100, S. 13).
Der Kläger kann zuletzt weder die begehrte Befreiung von den Verboten des
§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG verlangen, noch hat er einen Anspruch darauf,
dass der Beklagte über seinen Befreiungsantrag erneut entscheidet. Die mit
den angefochtenen Bescheiden getroffene Entscheidung des Beklagten,
diese Befreiung zu versagen, ist rechts- und ermessensfehlerfrei ergangen
und deswegen nicht zu beanstanden.
Als Rechtsgrundlage für eine Befreiung kommt allein § 67 Abs. 2 Satz 1
BNatSchG in Betracht. Danach kann von den Verboten u.a. des § 44
BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der
Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde.
Die Kammer muss in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheiden, ob
§ 67 Abs. 2 BNatSchG mit den Vorgaben vereinbar ist, die sich aus Art. 9 der
Vogelschutzrichtlinie ergeben. Zweifel daran könnten vor dem Hintergrund
bestehen, dass Art. 9 Ausnahmen von den in Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie
geregelten Verboten allein im öffentlichen Interesse vorsieht, wie sie bereits in
§ 45 Abs. 7 BNatSchG bestimmt sind (vgl. hierzu Gellermann, NuR 2007, 783
zu § 62 a.F.; Möller, Umweltrecht und Landnutzungsrecht, Band IV,
Naturschutzrecht, 5. Aufl. 2013, S. 942). Andererseits soll § 67 BNatSchG dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, der auch europarechtlich
anerkannt ist (so die Gesetzesbegründung, BTDrs. 16/12274, S. 76 f). Die
Frage einer Vereinbarkeit von § 67 BNatSchG mit europäischem Recht kann
hier offen bleiben, weil schon die Voraussetzungen nicht vorliegen, unter
denen § 67 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG eine Befreiung von den sog.
Zugriffsverboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG erlaubt.
Auf der Grundlage des Eindrucks, den die Kammer in dem Ortstermin von den
Örtlichkeiten gewonnen hat, und unter Abwägung aller Gesamtumstände kann
die Kammer nicht feststellen, dass die von der Saatkrähenbrutkolonie
ausgehenden Beeinträchtigungen für den Kläger unzumutbar sind.
55
56
57
58
Eine unzumutbare Belastung im Sinne des § 67 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG liegt
dabei dann vor, wenn sich die Belastung des Betroffenen im Rahmen einer
Abwägung mit den öffentlichen Interessen, die mit dem betreffenden Verbot
verfolgt werden, wegen ihrer Besonderheit und Schwere als unangemessen
erweist (Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn. 1; vgl. auch Möller,
Umweltrecht und Landnutzungsrecht, Band IV, Naturschutzrecht, 5. Aufl. 2013,
S. 945 m.w.N.). Aus dem Umstand, dass die Vorschrift an die Unzumutbarkeit
„im Einzelfall" anknüpft folgt, dass sich die Situation durch eine Besonderheit
auszeichnen muss, die von dem Normgeber so nicht bedacht werden konnte.
Insoweit gilt das Gleiche, wie bei dem früheren Befreiungstatbestand der „nicht
beabsichtigten Härte" in § 62 BNatSchG a.F., nämlich, dass für den Regelfall
das, was die Norm bestimmt, auch dann beabsichtigt ist, wenn es sich als
Härte erweist. Eine Korrektur der Auswirkungen einer Norm setzt mehr voraus
als nur den Eintritt solcher Konsequenzen, mit denen bei einer derartigen
Regelung normalerweise zu rechnen ist. Eine unzumutbare Belastung ist
deswegen nicht eine Folge, die die Norm in einer unbestimmten Anzahl von
Fällen typischerweise und gleichermaßen haben kann oder haben soll.
Voraussetzung für eine Befreiung ist vielmehr, dass ein Sonderfall vorliegt, der
aus objektiven Umständen folgt. Subjektive, personenbezogene Umstände
reichen nicht aus (hierzu Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-Hüftle,
BNatschG, 2. Aufl., § 67 Rn. 14; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn.
1).
Weiter muss sich diese in einem Sonderfall vorliegende Belastung im
Verhältnis zu den mit der Norm verfolgten Zielen bzw. öffentlichen Interessen
für den Betroffenen als unangemessen bzw. unverhältnismäßig erweisen.
Dabei ist nicht jede Auswirkung, die der Betroffene als Härte empfindet,
zugleich eine unzumutbare Belastung. Bei der Prüfung dieser Frage dürfen
nicht nur die Konsequenzen der Regelung für den Betroffenen in den Blick
genommen werden. Sie sind mit den normalerweise zu erwartenden
Auswirkungen der Norm zu vergleichen. Kommt es gegenüber den allgemein
erwarteten Konsequenzen zu einer ungleich schwereren Belastung, kann
diese den Grad der Unzumutbarkeit erreichen. Weiter ist die Bedeutung der
öffentlichen Interessen zu berücksichtigen, die durch das Verbot durchgesetzt
werden sollen (zum Vorstehenden Fischer-Hüftle, in: Schumacher/Fischer-
Hüftle, BNatschG, 2. Aufl., § 67 Rn. 14; Meßerschmitt,
Bundesnaturschutzrecht, Stand August 2008, § 62 Rn. 5 ff).
Aus diesen Ausführungen folgt, dass die typischen Laute bzw. die sonstigen
Auswirkungen des Verhaltens der durch § 44 Abs. 1 BNatSchG geschützten
Tiere im Allgemeinen keine Befreiung von artenschutzrechtlichen Verboten
rechtfertigen, weil diese Auswirkungen im Regelfall bereits vom Normgeber
bedacht wurden. Ein Sonderfall im Sinne der naturschutzrechtlichen
Befreiungsregelung, liegt auch dann nicht vor, wenn eine situationsbedingte
Vorbelastung gegeben ist (Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn. 16).
Soll eine Befreiung für die Umsiedelung oder gar Beseitigung besonders
geschützter Tiere erteilt werden, sind im Übrigen die Zumutbarkeit der
Beeinträchtigungen für die Betroffenen und die Nachteile, die die Tiere
verursachen, mit der Bedeutung der Lebensstätte für das Überleben der Tiere
ins Verhältnis zu setzen. Kann die Lebensstätte in näherer Umgebung nicht
ersetzt werden, müssen Betroffene erhebliche Beeinträchtigungen hinnehmen.
Angesichts der Bedeutung des Artenschutzes ist es auch zumutbar,
Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen (Möller, Umweltrecht und
Landnutzungsrecht, Band IV, Naturschutzrecht, 5. Aufl. 2013, S. 946).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegen hier die Befreiungsvoraussetzungen
des § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG nicht vor. Als Ausgangspunkt ist die
erhebliche situationsbedingte Vorbelastung des klägerischen Grundstückes
festzuhalten. Das Grundstück ist in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem
Stadtwald F. s gelegen, der Bäume aufweist, die sich als Nistplatz für
59
60
61
62
63
64
65
Saatkrähen eignen. Grundsätzlich muss der Kläger - was er auch selbst
anerkennt - es damit hinnehmen, dass Saatkrähen dort Brutkolonien bilden.
Die mit der Kolonie verbundenen Beeinträchtigungen können deswegen
grundsätzlich die Erteilung einer Befreiung nicht rechtfertigen. Die von dem
Kläger vorgebrachten Umstände rechtfertigen es nicht, hier eine besondere,
atypische Fallgestaltung anzunehmen, die ausnahmsweise eine andere
Beurteilung gebieten könnte.
Eine solche ergibt sich zunächst nicht daraus, dass Saatkrähen ihren
Lebensraum aus der freien Landschaft in Städte verlagert haben. Das
Gutachten von I. vom 31. Mai 2013 führt hierzu aus:
„Die Zunahme des Bestandes in der Stadt spiegelt nicht nur den
stärkeren Schutz, sondern auch eine zweite Entwicklung wieder: eine
Auflösung der meisten Saatkrähenkolonien in der freien Landschaft. Seit
etwa 30 Jahren gibt es eine ausgesprochene 'Landflucht', nicht nur in
Niedersachsen, sondern auch sonst in Deutschland, wie in den
Niederlanden und England. Neue Gründungen von Kolonien haben sich
innerhalb der Städte entwickelt wegen z.B.:
- dem Verlust an ehemaligen Koloniebäumen in der freien Landschaft,
zum Beispiel aufgrund verkehrssicherheitsrelevanter Maßnahmen,
dagegen das hervorragende Angebot großer Bäume mit
entsprechenden Astgabelungen als Nistunterlage in den Ortslagen,
- aber auch illegale Zerstörung von Nestern der Saatkrähen oder von
Nistbäumen,
- Jagddruck außerhalb der Bebauung durch natürliche Prädatoren
(meist Greifvögel) aber auch durch den Menschen. Saatkrähen
erfahren selbst den erlaubten Abschuss von Aaskrähen als
Bedrohung, da sie bei der Futtersuche oft mit diesen vergesellschaftet
sind. Saatkrähen können auch von Jägern als Rabenkrähen erlegt
werden,
- das große Angebot an Lebensmittelresten, die im menschlichen
Siedlungsbereich weggeworfen werden oder durch Aufreißen von
Müllbeuteln oder Säcken für die Tiere noch erreichbar sind."
Dies zeigt, dass die sog. „Landflucht" der Saatkrähen keine neue Entwicklung
ist, sondern insbesondere zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BNatSchG in
der hier anzuwenden Fassung bereits bekannt war. Es kann deswegen nicht
davon ausgegangen werden, dass eine derartige Sachlage von dem
Gesetzgeber nicht berücksichtigt wurde. Im Übrigen ist Zweck des
Artenschutzes gerade der Schutz u.a. der Tiere wild lebender Arten und ihrer
Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch den Menschen (§ 37
Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG). Diese Zielsetzung würde verfehlt, sähe man es
generell als einen die Befreiung rechtfertigenden Tatbestand an, wenn
wildlebende Tiere als Folge des Verlustes ihres Habitats durch menschliche
Eingriffe ihren Lebensraum in menschliche Siedlungsbereiche hinein
verlagern. Dies gilt - jedenfalls ohne das Hinzutreten weiterer Besonderheiten -
auch, falls sich die Anzahl der Brutpaare in der Kolonie „H.“ deswegen
signifikant erhöht haben sollte, weil die Krähen von anderen Standorten in
Achim vertrieben wurden. Solche Besonderheiten sind hier nicht ersichtlich.
Insbesondere brüten die Krähen nicht auf dem eigenen Grundstück des
Klägers, sondern im angrenzenden Stadtwald, der - so hat der Beklagte
unwidersprochen vorgetragen - einen für die Lebensraumansprüche der
Saatkrähen besonders günstigen Standort darstellt. Damit hat sich für den
Kläger durch den Zuzug weiterer Saatkrähen in den letzten Jahren ein Risiko
verwirklicht, das aus der besonderen Lage seines Grundstückes als
Nachbargrundstück des Stadtwaldes folgt. Es kann auch nicht festgestellt
66
67
68
69
werden, dass die Brutkolonie für diesen Standort ungewöhnlich groß ist. Sie
hatte im Jahr 2013 nach übereinstimmenden Feststellungen der Beteiligten
256 Brutpaare und besteht auch gegenwärtig in etwa gleicher Größe. Dabei
gibt es schon in F. mit der Brutkolonie in „M. " eine Kolonie, die in der
Vergangenheit etwa gleich groß war, wie die hier umstrittene Kolonie, und bei
der der Beklagte im April 2013 sogar 343 Brutpaare festgestellt hat. Im Übrigen
können Brutkolonien von Saatkrähen generell aus mehreren hundert
Brutpaaren bestehen (http://www.naturschutzinformationen-
nrw.de/artenschutz/de/arten/gruppe/voegel/kurzbeschreibung/103061).
Weiter sind die Auswirkungen, die für den Kläger mit der
Saatkrähenbrutkolonie verbunden sind, mit Rücksicht auf den
Gefährdungsgrad der Art, nicht als unzumutbar anzusehen. Dabei hat der
Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung klargestellt, dass er sich selbst
vorwiegend nur durch den Lärm beeinträchtigt fühlt, der von den Krähen
unmittelbar während der Nist-, Brut- und Nestlingszeit ausgeht. Von
Verschmutzungen ist das Grundstück des Klägers nach seinen Angaben
weniger betroffen, weil die Krähen im Regelfall in südlicher Richtung
ausschwärmen, was sich auch aus der Untersuchung der I. ergibt. Die
Kammer konnte bei dem Ortstermin ebenfalls keine erhebliche Verschmutzung
vor dem Grundstück des Klägers feststellen. Da es für den vorliegenden
Rechtsstreit nur auf die Beeinträchtigungen ankommt, die für den Kläger sowie
für sein Grundstück bestehen, sind Verschmutzungen anderer Bereiche für die
Entscheidung des Gerichts unerheblich.
Was die Aktivitäten in der Saatkrähenbrutkolonie angeht, die hier zu
berücksichtigen sind, hat sich die Kammer auf die Untersuchung der I. vom
Mai 2013 gestützt. Darin heißt es insoweit u.a.:
„Im Laufe der Monate Februar und März beschäftigen Saatkrähen sich
mehr und mehr mit ihrem Nestbau und werden auch mehr und mehr in
ihren Brutkolonien übernachten. Die große Wintersammlung löst sich
auf und teilt sich entsprechend der Bindung an die einzelnen
Brutkolonien auf. Die nördlichen und nordöstlichen Saatkrähen ziehen
in ihre angestammten Brutgebiete zurück. Saatkrähen sind
asynchrone Brüter; es gibt frühe und späte Brüter. Frühe Brutvögel
beginnen mit ihrem Nestbau schon Mitte Februar, die späten Vögel
können bis Mitte April warten, aber die meisten Nester sind dann
schon gebaut. Das Nest kann Ende März in wenigen Tagen fertig
gestellt werden, obwohl ein Nest etwa 300 Zweige umfasst.
Saatkrähen legen ihre Eier nur ins fertige Nest. Die Eiablage erfolgt
zwischen Mitte März bei frühen Tieren und Ende April bei späten
Tieren. Das Gelege besteht aus drei bis sechs Eiern, und wird vom
Weibchen bebrütet, das in dieser Zeit vom Männchen gefüttert wird.
Die Brutdauer liegt bei ca. 3 Wochen. Die geschlüpften Vögel fliegen
nach vier bis fünf Wochen aus. Jedoch ist die Nestlingsdauer
abhängig von der Nahrung der Eltern".
Dem Kläger ist der Lärm, den die Saatkrähen in der Nist-Brut- und
Nestlingszeit verursachen, zuzumuten, auch wenn dieser Lärm nach dem
Ergebnis der Messungen des Beklagten erheblich ist. So ergab die Messung
vor dem Haus des Klägers am 4. April 2014 einen Wert von 55 dB. Auch nach
dem persönlichen Eindruck der Kammer im Rahmen des Ortstermins war das
Krächzen der Krähen vor dem Grundstück des Klägers laut und deutlich
wahrnehmbar. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass noch eine Erhöhung
des Lärmpegels durch die Jungvögel zu erwarten ist und dass angesichts der
Aktivitätszeiten der Krähen von Beginn bis Ende der Dämmerung hierdurch
auch die Nachtruhe des Klägers gestört werden kann. Da es hier allein auf die
mögliche Beeinträchtigung des Klägers ankommt, ist es unerheblich, dass das
Krächzen der Krähen entlang der Verdener Straße tatsächlich neben dem
erheblichen Verkehrslärm nicht mehr feststellbar war.
70
71
72
73
Es ist dem Kläger zuzumuten, den Lärm, den die Saatkrähen verursachen, zu
dulden oder ggf. selbst Maßnahmen zur Lärmvermeidung zu ergreifen, wie z.
B. nachts Gehörschutz zu tragen oder notfalls seine Wohn- und oder
Schlafräume mit lärmdämmenden Fenstern auszustatten. Saatkrähen werden
in Niedersachsen in der Vorwarnstufe der Roten Liste der gefährdeten
Brutvogelarten geführt, die Arten beinhaltet, die aktuell noch nicht gefährdet
sind, von denen aber zu befürchten ist, dass sie innerhalb der nächsten zehn
Jahre gefährdet sein werden, wenn bestimmte Faktoren weiterhin einwirken. In
anderen Bundesländern, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, werden sie in der
Roten Liste geführt (vgl. Stellungnahme des NLWKN vom 31.1.2012; zur
Roten Liste: www.bfn.de/0322_rote_liste.html; Rote Liste der Brutvögel
Mecklenburg-Vorpommerns, http://www.lung.mv-
regierung.de/dateien/rote_liste_voegel.pdf). Weiter ist davon auszugehen,
dass für die Kolonie „H. " bzw. an der G. Straße kurzfristig kein
Alternativstandort zur Verfügung steht, der sich für eine Umsiedlung der Vögel
eignet. Zu diesem Ergebnis ist die I. in ihrem Gutachten vom 31. Mai 2013
gekommen. Darin heißt es, u.a. gebe es keine gute Alternativstelle außerhalb
F. s für die Brutkolonie „H. ". Eine Vergrämung der Saatkrähen dort werde nur
zur Umsiedelung der Tiere innerhalb F. s führen. Die südlichen Teile F. s
würden dann zuerst gewählt, z.B. am Wall an der J., wo Saatkrähen mehrmals
versucht hätten zu nisten. Dabei hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt,
dass es an der J. und auch an anderen Standorten innerhalb F. s ebenfalls zu
Konflikten mit Anwohnern, Schulen und einem Veranstaltungsbetrieb kommen
würde, was eine Umsiedelung der Saatkrähen innerhalb F. s ausgeschlossen
erscheinen lässt.
Demgegenüber folgen aus den festgestellten Lärmemissionen der Krähen
keine direkten bzw. unmittelbaren Gesundheitsgefahren (hierzu Helmholtz-
Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und
Umwelt, http://www.helmholtz-muenchen.de/flugs). Orientiert man sich an den
Vorgaben, die die TA-Lärm für ihren Anwendungsbereich vorsieht, so werden
die Tagesgrenzwerte für allgemeine Wohngebiete von 55 dB nicht
überschritten, wohl aber diejenigen für reine Wohngebiete (50 dB). Für die
Nacht sieht die TA-Lärm Grenzwerte von 40 dB im allgemeinen Wohngebiet
und von 35 dB im reinen Wohngebiet vor, wobei zu den Nachtstunden die Zeit
zwischen 22 Uhr bis 6 Uhr zählt. Dem Kläger ist es durchaus möglich und
angesichts des Schutzstatus der Saatkrähen in Verbindung mit der
festgestellten situationsbedingten Vorbelastung seines Grundstückes auch
zumutbar, die Auswirkungen des Lärms für sich eigenständig zu mindern. So
bieten beispielsweise bereits Schallschutzfenster der Klasse 1 Dämmwerte
zwischen 25 und 29 dB; Einfachfenster mit Isolierverglasung haben eine
Schalldämmung von ungefähr 30 dB (Kötz, Baulicher Schallschutz gegen
Verkehrslärm,
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/420/dokumente/fenster.pdf).
Nach allem ist die Entscheidung, die der Beklagte in dem angefochtenen
Bescheid vom 4. Mai 2009 sowie in dem Widerspruchsbescheid vom 8.
November 2010 getroffen hat, rechtmäßig. Die Klage ist deswegen insgesamt
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. mit. §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO. Die Kammer hat die Berufung auf der Grundlage von § 124 Abs.
2 Nr. 3 i.V. mit § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zugelassen, weil die Auslegung
des Zugriffsverbotes des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG grundsätzliche
Bedeutung hat.