Urteil des VG Hannover vom 13.09.2013

VG Hannover: besondere härte, beendigung des dienstverhältnisses, vorzeitige entlassung, unbestimmter rechtsbegriff, soldat, anerkennung, rückforderung, ausbildungskosten, verzicht, form

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Rückforderung von Ausbildungsgeld
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Erstattung von
Ausbildungsgeld für einen auf eigenen Antrag aus der Bundeswehr
entlassenen Soldaten auf Zeit eine besondere Härte bedeutet.
VG Hannover 2. Kammer, Urteil vom 13.09.2013, 2 A 3056/12
§ 46 Abs 2 Nr 7 SG, § 55 Abs 1 SG, § 56 Abs 4 S 1 Nr 1 SG, § 56 Abs 4 S 3 SG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Der im Jahr D. geborene Kläger ist Arzt. Seit März 2011 ist er als
wissenschaftlicher Mitarbeiter beim E. -Institut F. tätig. Was er jetzt genau
beruflich macht, ist nicht bekannt. Der Kläger begehrt Rechtsschutz gegen die
Rückforderung von Ausbildungskosten durch die Bundeswehr.
Der Kläger wurde zum 01.07.2000 zum Grundwehrdienst der Bundeswehr
einberufen. Mit Ablauf des 13.07.2000 wurde er gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5
WPflG in der Fassung vom 15.12.1995 aus der Bundeswehr entlassen, da er
nach ärztlichem Urteil vorübergehend nicht wehrdienstfähig war.
Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr
wurde der Kläger zum 01.01.2001 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere
des Sanitätsdienstes wieder in die Bundeswehr eingestellt und in das
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde auf
der Grundlage seiner Verpflichtungserklärung vom 25.10.2000 über eine
Verpflichtungszeit von 18 Jahren zunächst auf fünf Jahre festgesetzt.
Für die Zeit vom 01.10.2001 bis 31.12.2004 wurde der Kläger für das Studium
der Humanmedizin an der G. (H.) beurlaubt. Während dieser Zeit wurde ihm
ausweislich einer Aufstellung der Wehrbereichsverwaltung Nord vom
14.04.2005 Ausbildungsgeld nach der Verordnung über das Ausbildungsgeld
für Sanitätsoffizier-Anwärter in Höhe von insgesamt 61.421,76 Euro gezahlt.
Am 24.05.2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Entlassung aus der
Bundeswehr gemäß § 55 Abs. 3 Soldatengesetz (SG). Zur Begründung berief
er sich darauf, dass es ihm aus Gewissensgründen nicht mehr möglich sei, als
Sanitätssoldat in der Bundeswehr Dienst zu leisten. Auf den
Entlassungsantrag wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 10.01.2003 lehnte das Personalamt der Bundeswehr den
Entlassungsantrag ab. Zur Begründung führte die Behörde aus, dem
Vorbringen des Klägers sei nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen,
dass ihm sein Gewissen bereits den Sanitätsdienst in der Bundeswehr
verbiete. Er habe das Vorliegen einer diesbezüglichen
Gewissensentscheidung nicht glaubhaft gemacht. Auf den Bescheid vom
10.01.2003 wird Bezug genommen. Hiergegen legte der Kläger am
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27.01.2003 Beschwerde ein. Diese wurde mit Beschwerdebescheid des
Personalamts der Bundeswehr vom 03.09.2003 zurückgewiesen. Am
08.10.2003 erhob der Kläger Klage vor dem erkennenden Gericht (2 A
5037/03).
Im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger am 19.07.2004
einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Mit Bescheid des
Bundesamtes für den Zivildienst vom 16.11.2004 wurde der Kläger als
Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Von der Beklagten wurde er - mittlerweile
zum Fahnenjunker befördert - deshalb mit Verfügung vom 20.12.2004 aus
dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gemäß § 55 Abs. 1 SG i.V.m. §
46 Abs. 2 Nr. 7 SG entlassen. Das Dienstverhältnis endete mit Ablauf des
01.02.2005 Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde daraufhin
eingestellt.
Mit Bescheid vom 09.09.2005 forderte die Beklagte von dem Kläger die
Rückzahlung des ihm gewährten Ausbildungsgeldes und setzte den
Erstattungsbetrag auf 61.421,76 Euro fest. Nach erfolglosem Widerspruch
erhob der Kläger vor dem erkennenden Gericht am 21.08.2006 Klage (2 A
4933/06). Im gerichtlichen Verfahren hob die Beklagte die angefochtenen
Bescheide auf. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde daraufhin
eingestellt.
Mit Bescheid vom 10.08.2011 forderte das Personalamt der Bundeswehr den
Kläger nochmals auf, den anlässlich seines Studiums der Humanmedizin an
der H. verbliebenen geldwerten Vorteil zu erstatten. Der Erstattungsbetrag
wurde auf 24.316,83 Euro festgesetzt. Dem Kläger wurde eine verzinsliche
Stundung durch Einräumung von Ratenzahlungen gewährt. Die monatliche
Zahlungsrate wurde auf 810,00 Euro festgesetzt. Außerdem wurde dem Kläger
mitgeteilt, dass mit Bestandskraft des Leistungsbescheids, spätestens ab
20.09.2011 Stundungszinsen in Höhe von jährlich 4 % erhoben werden. Der
Bescheid wurde wie folgt begründet:
Die Erstattungsforderung beruhe auf § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG. Nach dieser
Vorschrift müsse der Kläger als früherer Soldat auf Zeit, der auf seinen Antrag
entlassen worden sei, die entstandenen Kosten seines Studiums erstatten.
Während seines Studiums an der H. sei ihm in dem Zeitraum vom 01.10.2001
bis zum 31.12.2004 Ausbildungsgeld in Höhe von insgesamt 61.421,76 Euro
gezahlt worden. Dieser Betrag stehe zur Rückerstattung heran.
Auf die Erstattung dieser Kosten könne nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ganz oder
teilweise verzichtet werden, wenn sie für den Betroffenen eine besondere
Härte bedeuten würde. Die Erstattungsverpflichtung, der sich ein wegen seiner
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat gegenübersehe,
stelle eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift dar, die den
ehemaligen Dienstherrn zu Ermessenserwägungen über den vollständigen
oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwinge.
Im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG sei § 56 Abs. 4 S. 3 SG dahin auszulegen, dass
anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihrer Ausbildung nur im
Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssten, der ihnen aus dem
genossenen Studium oder einer genossenen Fachausbildung für ihr weiteres
Berufsleben real und nachprüfbar verblieben sei. Nach Maßgabe der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückforderung von
Ausbildungskosten müssten die zurück verlangten Kosten angemessen und
verhältnismäßig sein. Es sei ein Vorteils-ausgleich anzustellen, der die
Situation wiederherstelle, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht
bestanden habe, bevor der Kläger sein Studium absolviert habe. Der zu
ermittelnde erstattungspflichtige Vorteil aus dem Studium sei dabei in der
Ersparnis von Aufwendungen und nicht in der Aussicht auf künftige
Einnahmen zu sehen. Abzustellen sei auf die abstrakt vorhandene Nutzbarkeit
im zivilberuflichen Bereich.
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Im Rahmen der danach vorzunehmenden Berechnung sei auf der Grundlage
der sogenannten „Bemessungsgrundsätze“ (Erlass BMVg vom 22.07.2002)
hinsichtlich der von dem Kläger ersparten Aufwendungen eine fiktive
Berechnung vorgenommen worden. Nach der Anlage 4 dieses Erlasses
könnte im Rahmen einer Berechnung der fiktiven Kosten die monatlichen
Beiträge für Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittelzuschuss in
Ansatz gebracht werden. Bis zum 31.12.2001 setzte sich der monatliche
Kostenansatz aus den einzelnen Beträgen für Lebensunterhalt,
Studiengebühren und Lernmittelzuschuss zusammen. Bei der Bemessung der
fiktiven Studiengebühren sowie der fiktiven Lernmittelzuschüsse würden
regelmäßig nur volle Semester - ausgehend von den Daten des
Semesterbeginns am 01.04. und 01.10. eines jeden Jahres - in Ansatz
gebracht. Für den absolvierten Studienzeitraum vom 01.10.2001 bis
31.12.2001 werde somit zugunsten des Klägers kein Semester angesetzt. Ab
dem 01.01.2002 würden die Beiträge zum Lebensunterhalt, die
Studiengebühren und der Lernmittelzuschuss zusammengefasst und es
werde auf einen Monatsbetrag umgestellt. Der zugrunde liegende monatliche
Betrag in Höhe von 612,00 Euro unterliege einer jährlichen Erhöhung von 2,9
%. Für den von dem Kläger absolvierten Studienzeitraum vom 01.10.2001 bis
31.12.2004 seien demnach folgende Sätze maßgeblich:
Berechnung des geldwerten Vorteils vom 01.10.2001 bis 31.12.2001:
Beitrag zum Lebensunterhalt:
10/01 – 12/01 546,57 Euro/Monat (ledig)
Studiengebühren je Semester: entfällt
Lernmittelzuschuss je Semester: entfällt
Hieraus ergebe sich folgende Berechnung:
Jahr Monate Betrag/Monat (Euro) Summe (Euro)
2001 3 546,57
1.639,71
Berechnung des geldwerten Vorteils vom 01.01.2002 bis 31.12.2004:
Jahr Monate Betrag/Monat (Euro) Summe (Euro)
2002 12
612,00
7.344,00
2003 12
629,75
7.557,00
2004 12
648,01
7.776,12
Gesamt:
22.677,12
Das dem Kläger von der Bundeswehr finanzierte Studium vom 1.10.2001 bis
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31. 12.2004 habe ihm demnach Aufwendungen in Form eines nunmehr von
ihm zu erstattenden wirtschaftlichen Vorteils in Höhe von insgesamt 24.316,83
Euro (1.639,71 Euro + 22.677,12 Euro) erspart. Die so errechneten ersparten
Aufwendungen entsprächen dem wirtschaftlichen Wert der Ausbildung und
seien zurückzuerstatten.
Um eine besondere Härte durch die grundsätzlich gebotene sofortige
Erstattung des Betrages in Höhe von 24.316,83 Euro zu vermeiden, werde
dem Kläger aufgrund der von ihm dargelegten Einkommens- und
Vermögenssituation von Amts wegen eine verzinsliche Stundung durch
Einräumung von Teilzahlungen gewährt. Die Bestimmung der Teilzahlungsrate
sei unter Berücksichtigung des Pfändungsschutzes nach der
Zivilprozessordnung vorgenommen worden. Sie ergebe monatlich 810 Euro.
Die Berechnung zur Erhebung von Stundungszinsen ergebe sich unmittelbar
aus § 56 Abs. 4 Satz 1 und 3 SG.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schriftsatz vom 02.09.2011
Widerspruch ein. Diesen begründete er am 18.10.2011 wie folgt: Bei der
Berechnung des geldwerten Vorteils sei nicht hinreichend berücksichtigt
worden, dass die Dauer der Dienstzeit nur zustande gekommen sei, weil sich
seine Entlassung erheblich verzögert habe. Er habe bereits nach Absolvierung
des ersten Semesters seinen Vorgesetzten über seine persönliche Situation
informiert und ihm mitgeteilt, dass er seine Entlassung aus dem
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit beantragen müsse, nachdem für ihn
nicht überwindbare Gewissenkonflikte aufgetreten seien. Die Bundesrepublik
Deutschland habe die Entlassung dann in unvertretbarer Weise verzögert.
Seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis sei ständig als völlig unmöglich
dargestellt und jeder Versuch, diese zu erreichen, als völlig aussichtslos
deklariert worden. Es sei erheblicher Druck auf ihn ausgeübt worden, um die
Entlassung zu verhindern.
Hilfsweise werde gerügt, dass die Bestimmung der Teilzahlungsrate unter
Berücksichtigung der Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO unzulässig sei.
Die Pfändungsschutzbestimmungen seien ein rechtliches Minimum, auf das
die Bundeswehr einem ehemaligen Soldaten gegenüber nicht zurückgreifen
könne. Seine persönliche Situation sei mit dieser Regelung nicht hinreichend
berücksichtigt worden.
Mit Bescheid vom 24.02.2012 wies das Personalamt der Bundeswehr den
Widerspruch zurück. Zur Begründung führte die Behörde aus: Der Einwand,
die Entlassung des Klägers sei in unzulässiger Weise verzögert worden,
vermöge eine weitere Reduzierung des Erstattungsbetrages nicht zu
rechtfertigen. Dies ergebe sich - völlig unabhängig davon, ob dieser Vorwurf
berechtigt sei - bereits daraus, dass im Rahmen der Berechnung des
Erstattungsbetrags lediglich Kosten in Ansatz gebracht worden seien, die der
Kläger auch als gewöhnlicher, d. h. nicht in einem Wehrdienstverhältnis
stehender und von der Bundeswehr alimentierter Student der Medizin gehabt
hätte. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen seines
als Angehöriger der Bundeswehr absolvierten Studiums Fachwissen erworben
habe, das er auch im zivilen Bereich nutzen könne und während der gesamten
für die Berechnung des Erstattungsbetrags in Ansatz gebrachten
Studiendauer Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich durchschnittlich
1.570,00 Euro erhalten habe, sei der auf monatliche Lebenshaltungskosten in
Höhe von durchschnittlich 620,00 Euro basierende Erstattungsbetrag in keiner
Weise zu beanstanden.
Die Höhe der monatlichen Ratenzahlungen begegne keinen rechtlichen
Bedenken. Sie sei auf der Grundlage der Angaben über die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse und in Einklang mit den Pfändungsschutzvorschriften
der §§ 850 ff. ZPO errechnet worden.
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Der Kläger hat am 27.03.2012 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Er
bleibe dabei, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihn wesentlich früher
aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zu entlassen. Ihm sei bereits
während seiner Ausbildung in I. von seinen dortigen Vorgesetzten
unmissverständlich klargemacht worden, dass ihm als Soldat auf Zeit im
Sanitätsdienst weder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch eine
andere Möglichkeit zustehe, die Bundeswehr vorzeitig zu verlassen. Er sei
desinformiert und eingeschüchtert worden, um ihn von seinem Vorhaben, die
Entlassung zu beantragen, abzubringen. Nach seinem Antrag vom 24.05.2002
hätte er jedenfalls sogleich auf der Grundlage der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.1996 (2 B 80.96) aus dem
Soldatenverhältnis auf Zeit entlassen werden müssen. Stattdessen sei er in
einem Personalgespräch am 26.09.2002 in einer nicht mehr rechtsstaatlichen
Weise verhört worden. Dies habe dem Zweck gedient, ihn unglaubwürdig zu
machen.
Er habe, bevor er aus dem Dienstverhältnis entlassen worden sei, einer Arbeit
nicht nachgehen und einen Erwerb nicht erzielen können. Dies habe er erst
nach seiner Entlassung getan und sein Studium durch Aushilfstätigkeiten in
der neurochirurgischen Praxis Dr. J. und im K. in G. finanziert. Bei frühzeitiger,
fristgemäßer Entlassung wäre er also im Stande gewesen, den benötigten
Unterhalt für die Finanzierung seines Studiums zu verdienen. Weil er vor der
Entlassung nicht habe arbeiten können, sei der Schuldsaldo durch das
Verschulden der Beklagten auf den jetzt geltend gemachten Betrag gestiegen.
Die Beklagte müsse die Folgen aus der nicht rechtzeitigen Entlassung tragen.
Er weise darauf hin, dass er für das Wintersemester 2001/2002 eine
Studienplatzzusage für das Fach Humanmedizin an der Universität I. und der
Universität L. gehabt habe.
Auch die Bestimmung der Teilzahlungsrate von 810,00 Euro monatlich werde
weiter angegriffen. Die Beklagte könne nicht den pfändbaren Betrag nach §
850 c Abs. 1 ZPO beanspruchen. Diesen Betrag könne er nicht zahlen.
Der Kläger beantragt,
den Leistungsbescheid der Beklagten vom 10.08.2011 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Es habe etwas länger gedauert, die Begründetheit des
Entlassungsantrags des Klägers zu prüfen. Dies habe auch damit zu tun, dass
der Kläger als Soldat im Sanitätsdienst erst sehr spät erklärt habe, nach seiner
Entlassung aus der Bundeswehr einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung
zu stellen. Es sei in einem Rechtsstaat durchaus legitim, einen solchen Antrag
genauer zu prüfen. Zudem habe der Kläger sein Studium fortsetzen können,
sodass er trotz der langen Dauer des Verfahrens gerade keine Nachteile
erlitten habe. Der Kläger hätte auch Rücklagen aus seiner damaligen
Besoldung bilden können. Die geltend gemachten Kosten seien das Minimum
des verbliebenen Vorteils. Eigentlich sehe das Gesetz die Rückforderung der
tatsächlichen Kosten vor. Der überwiegende Vorteil verbleibe hier beim Kläger.
Der Beklagten verbleibe durch die Reduzierung des Rückforderungsbetrags
um mehr als 60 % ein erheblicher finanzieller Nachteil. Es entspreche der
Billigkeit, dass der Kläger zumindest diesen kleinen Teil des tatsächlich
verbleibenden Vorteils erstatte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der
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Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 10.08.2011 in der
Form des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Rückforderung von Ausbildungskosten
ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Soldatengesetz - SG - in der Neufassung vom
30.05.2005 (BGBl I, S. 1482), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt
geändert durch Gesetz vom 28.04.2011 (BGBl I, S. 678). Danach muss ein
früherer Soldat auf Zeit, dessen militärischer Ausbildung mit einem Studium
oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag
entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt, die
entstandenen Kosten des Studiums oder Fachausbildung erstatten. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger wurde zum 01.01.2001 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere
des Sanitätsdienstes in die Bundeswehr eingestellt und in das Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine militärische Ausbildung war mit dem
Studium der Humanmedizin verbunden, welches er am 01.10.2001 an der G.
(H.) begonnen hatte. Die Dienstzeit des Klägers wurde zunächst auf der
Grundlage seiner Verpflichtungserklärung von 18 Jahren auf fünf Jahre
festgesetzt. Hierzu kam es jedoch nicht. Der Kläger wurde mit Bescheid der
Beklagten vom 20.12.2004 mit Ablauf des 01.02.2005 aus dem
Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gem. § 55 Abs. 1 SG in Verbindung
mit § 46 Abs. 2 Nr. 7 SG entlassen, nachdem er von dem Bundesamt für den
Zivildienst am 16.11.2004 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden war.
Das Dienstverhältnis des Klägers endete damit mit Ablauf des 01.02.2005.
Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG vor, kann
gem. § 56 Abs. 4 Satz 3 SG auf die Erstattung ganz oder teilweise verzichtet
werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine besondere Härte bedeuten
würde. Eine besondere Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn sich ein wegen
seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer entlassener Soldat der
Erstattungsverpflichtung gegenübersieht. Einem Zeitsoldaten, der – wie der
Kläger – eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen hat,
kann wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Rechtes der
Kriegsdienstverweigerung in Art. 4 Abs. 3 GG nicht zugemutet werden, auf den
für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erforderlichen Antrag allein
deshalb zu verzichten und weiterhin im Wehrverhältnis zu verbleiben und
dabei seinem Gewissen zuwider zu handeln, um der andernfalls drohenden
Erstattungsverpflichtung zu entgehen. Der Dienstherr ist in diesen Fällen
deshalb verpflichtet, sich im Rahmen des ihm durch die Härtefallregelung des
§ 56 Abs. 4 Satz 3 SG eingeräumten Ermessens für eine Reduzierung der
Ausbildungskosten zu entscheiden, deren (Rück-) Erstattung er von dem
entlassenen Soldaten fordert. Die Ermessensvorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 3
SG ist dabei im Lichte des Art. 4 Abs. 3 GG dahin auszulegen, dass
anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihrer Ausbildung nur im
Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssen, der ihnen aus der
genossenen Ausbildung für ihr weiteres Berufsleben real und nachprüfbar
verblieben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 18/05 -, zitiert nach
juris [m. w. N.]). Dieser Vorteil besteht in den ersparten Kosten, die der als
Kriegsdienstverweigerer anerkannte Soldat in Ausbildungseinrichtungen
außerhalb der Bundeswehr hätte aufwenden müssen, um die während der
Ausbildung bei der Bundeswehr gewonnenen und in seinem weiteren
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Berufsleben verwertbaren Spezialkenntnisse und -fähigkeiten zu erlangen (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1996 - 2 B 49/96 -, NVwZ-RR 1996, 309 [m. w.
N.]).
An diesen Maßgaben hat sich die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden
orientiert. Sie hat erkannt, dass die vollständige Erstattung der
Ausbildungskosten für den Kläger im Hinblick auf seine Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer eine besondere Härte bedeuten würde, und deshalb
die von ihm zu erstattenden Kosten erheblich beschränkt. Die Beklagte fordert
von dem Kläger nämlich nicht mehr, wie noch in dem Vorverfahren 2 A
4933/06 im Streit, die ihm gewährten Ausbildungsgelder in Höhe von
61.421,76 Euro zurück, sondern begehrt nur noch eine Erstattung von etwa 40
Prozent des dem Kläger gezahlten Ausbildungsgeldes, nämlich in Höhe von
24.316,83 Euro. Sie schöpft damit nur einen geringeren Teil des geldwerten
Vorteils ab, mit dem die Ausbildung des Klägers in der Bundeswehr für ihn
verbunden war. Dies allerdings ist sachgerecht und eine weitere
Beschränkung der Rückforderung nicht geboten, weil die von dem Kläger
während seines Studiums an der H. erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten mit
ganz konkretem Nutzen für sein ziviles Berufsleben verbunden waren. Der
Kläger hat nämlich nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr sein
Studium der Humanmedizin an der H. fortgeführt und ist - nach einer Tätigkeit
im Städtischen Klinikum M. - seit März 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter
beim E. -Institut bei F. tätig. Die Vorteile die er ihm von der Bundeswehr
finanzierten Ausbildung sind ihm real und nachprüfbar in seinem zivilen
Berufsleben verblieben.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann es nicht zu einem Verzicht oder
einer weiter gehenden Reduzierung der Erstattungsforderung führen, dass ihn
die Beklagte auf seinen Antrag auf Entlassung vom 24.05.2002 nicht sogleich
aus der Bundeswehr entlassen hat. Dies beruht auf zwei selbständig
tragenden Gründen:
Zunächst ist der rechtliche Ausgangspunkt für einen teilweisen oder
vollständigen Verzicht auf den Erstattungsanspruch in den Blick zu nehmen.
Nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG kann auf die Erstattung ganz oder teilweise
verzichtet werden, wenn sie für den früheren Soldaten eine „besondere Härte“
bedeuten würde. Zu einer „besonderen Härte“ führt es nicht, dass ihm die
Beklagte nach seinem Entlassungsantrag vom Mai 2002 weiterhin
Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich durchschnittlich 1.570,00 Euro zur
Verfügung gestellt hat, von denen jetzt ein Teilbetrag von etwa monatlich
620,00 Euro zurückerstattet werden soll. Durch die nach Einschätzung des
Klägers aus sachfremden Erwägungen verzögerte Bearbeitung seines
Entlassungsantrages sind dem Kläger bei wirtschaftlicher Betrachtung keine
Nachteile entstanden, sondern er hat vielmehr einen messbaren geldwerten
Vorteil dadurch erlangt, dass ihm mehr als doppelt so viel Ausbildungsgeld
während seines Studiums zugewandt wurde, als er jetzt zurückzuzahlen hat.
Im Übrigen hätte es sich angeboten, dass der Kläger, nachdem er seine
Entlassung aus der Bundeswehr beantragt hat, aufgrund der ihm durchaus
bekannten Kenntnis der Rückzahlungsverpflichtung im Hinblick auf die
bevorstehende Beendigung des Dienstverhältnisses Rücklagen bildet, um
diese anschließend im Rahmen der auf ihn zukommenden
Erstattungsforderungen entsprechend einzusetzen. Das Zurücklegen eines
Teilbetrags des ihm zugewandten Ausbildungsgeldes hätte nahegelegen und
wäre angesichts der Höhe des Ausbildungsgeldes auch ohne weiteres
möglich gewesen. Ein weitergehender Verzicht auf die Erstattungsforderung ist
deshalb nicht angezeigt, weil der Kläger die „Härte“, die die Rückzahlung für
ihn bedeutet, durch Rücklagenbildung hätte abwenden können. Unerheblich
ist dagegen in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Kläger, wenn er
frühzeitig aus der Bundeswehr entlassen worden wäre, sein Studium durch
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zum Teil selbst finanziert hätte. Dies mag
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durchaus der Fall sein - eine „besondere Härte“ im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz
3 SG ergibt sich im Hinblick auf die angeführten Umstände daraus nicht.
Zudem spricht manches dagegen, dass die Beklagte gehalten war, den Kläger
auf seinen Antrag vom 24.05.2002 sogleich aus seinem Soldatenverhältnis zu
entlassen. Dies gilt auch im Hinblick auf den Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.1996 (2 B 80/96), in dem unter
Randnummer 12 festgehalten wird, dass einem auf § 46 Abs. 3 Satz 3 oder §
55 Abs. 3 SGB gestützten Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem
Soldatenverhältnis zu entsprechen sein wird, wenn dieser Antrag zu dem
Zweck gestellt wird, gestützt auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG
einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus
Gewissensgründen zu stellen. Denn auch wenn solchen Anträgen regelmäßig
zu entsprechen sein wird, hat die Behörde (und dies gilt auch für das Gericht in
einem sich ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren) das
Begehren eines Soldaten auf Zeit auf Entlassung wegen eines bereits
gestellten bzw. beabsichtigten Antrages auf Kriegsdienstverweigerung
unbeschränkt und eigenständig zu prüfen, ob insoweit die
Anspruchsvoraussetzungen der besonderen persönlichen Härte im konkreten
Fall erfüllt ist.
Dieses Merkmal ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, mit dem der Gesetzgeber
aus dem Gedanken der Zumutbarkeit heraus eine Einzelfallgerechtigkeit
ermöglicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02. 2005 - 10 A 11919/04
- a. a. O.). Dabei geht die Kammer davon aus, dass in dem
Entlassungsverfahren noch nicht in Form einer „Gewissensprüfung“ über die
Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung zu entscheiden war, denn dies
war, als der Kläger seine Entlassung beantragte, den Ausschüssen für
Kriegsdienstverweigerung bei den Kreiswehrersatzämtern vorbehalten (vgl. § 9
Kriegsdienstverweigerungsgesetz - KDVG i.d.F. vom 30.06.1989). Im
Entlassungsverfahren war aber zu prüfen, ob dem Entlassungsantrag -
gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Beweismittel - hinreichend
deutlich zu entnehmen war, dass der Soldat auf Zeit deshalb einen Antrag auf
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beabsichtigt oder gestellt hat, weil
ihm sein Gewissen bereits den Sanitätsdienst in der Bundeswehr verbietet und
die beabsichtigte oder bereits vorgenommene Stellung eines Antrags auf
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nicht nur vorgeschoben ist, um das
Soldatenverhältnis auf Zeit aus anderen Gründen vorzeitig zu beenden (VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.1996 - 4 S 1485/95 -.; Thüringer
OVG, Urteil vom 17.05.2010 - 2 KO 63/10- juris).
In dem Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 10.01.2003, mit
dem der Entlassungsantrag abgelehnt wurde, werden Gesichtspunkte
aufgeführt, die dafür sprechen, dass dem Vorbringen des Klägers nicht mit
hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen war, dass ihm sein Gewissen den
Sanitätsdienst in der Bundeswehr verbiete. Die von dem Personalamt der
Bundeswehr angemeldeten Zweifel sind nicht substanzlos. Dies hat auch mit
den zeitlichen Zusammenhängen zu tun. Der Kläger hat - mit einem Abitur-
Notendurchschnitt von 2,2 - aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen
Dienst in der Bundeswehr im Wintersemester 2001/2002 einen Studienplatz
der Humanmedizin an der H. enthalten. Nur wenige Monate später, im Mai
2002 hat er, ohne dass er ein konkretes Ereignis für seinen Gewissenskonflikt
anführen konnte, unter Hinweis auf einen lang andauernden
Erkenntnisprozess angekündigt, den Sanitätsdienst in der Bundeswehr aus
Gewissensgründen nicht mehr leisten zu können. Es erscheint jedenfalls nicht
willkürlich, dass die Beklagte den von dem Kläger angeführten Grundkonflikt
und seine Gewissennöte angezweifelt und seinen Entlassungsantrag
zunächst abgelehnt hat.
Dass es durch das Verhalten der Vorgesetzten des Klägers und die von ihm
geschilderten Desinformationen (vgl. Schriftsatz vom 20.08.2013) zu einer
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Verzögerung des Entlassungsverfahrens gekommen ist, ist nicht zu erkennen.
Der Kläger hat sich durch das Verhalten seiner Vorgesetzten offensichtlich
nicht davon abhalten lassen, gleich nach Ende des ersten Semesters den
Entlassungsantrag zu stellen.
Die Berechnung des von dem Kläger zu erstattenden Ausbildungsgeldes hat
die Beklagte auf der Grundlage der sogenannten „Bemessungsgrundsätze“
(Erlass BMVg vom 22.07.2002) vorgenommen und sich zur fiktiven
Berechnung der von dem Kläger ersparten Aufwendungen an der Anlage 4
dieses Erlasses orientiert. Danach hat sie die monatlichen Beiträge für
Lebensunterhalt, Studiengebühren und Lernmittelzuschuss in Ansatz gebracht
und auf diese Weise die Ersparnis von Aufwendungen berechnet, die der
Kläger dadurch erzielt. hat, dass er auf Kosten der Bundeswehr studiert hat.
An dieser Berechnung ist nichts auszusetzen; insoweit hat auch die
Klägerpartei keine Einwände erhoben.
Um eine besondere Härte durch die grundsätzlich gebotene sofortige
Erstattung des gesamten Betrages zu vermeiden, hat die Beklagte dem Kläger
auf Grund der von ihm dargelegten Einkommens- und Vermögenssituationen
eine verzinsliche Stundung durch die Einräumung von Teilzahlungen gewährt.
Dabei hat die Beklagte sich - zum Vorteil des Klägers - von den
Bemessungsgrundsätzen gelöst. Nach 3.5 der Bemessungsgrundsätze ist die
monatliche Teilzahlungsrate auf 70 % des pfändbaren Nettoeinkommens des
Erstattungspflichtigen festzusetzen. Die Beklagte hat hier eine demgegenüber
geringere Teilzahlungsrate festgesetzt und deren Bestimmung unter
Berücksichtigung der Pfändungsschutzvorschriften nach der
Zivilprozessordnung vorgenommen. Daran ist nichts auszusetzen, zumal der
Kläger nicht substantiiert unter Vorlage entsprechender Nachweise dargelegt
hat, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse es ihm nicht oder
nur unter unzumutbaren Bedingungen möglich machen, die ihm auferlegten
Raten aufzubringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr.
11 ZPO.