Urteil des VG Hannover vom 21.05.2014

VG Hannover: aufschiebende bedingung, grundstück, aufschiebende wirkung, öffentlich, verzicht, kostenbeteiligung, umdeutung, abwasseranlage, beitragssatz, abwasserbeseitigung

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Erhebung einer Vorausleistung auf einen
Abwasserbeitrag
1. Hängt die sachliche (Abwasser-)Beitragspflicht für ein im Geltungsbereich
eines Bebauungsplans liegendes Grundstück satzungsrechtlich davon ab,
dass es baulich oder gewerblich genutzt werden darf, und ist bereits eine
Baugenehmigung erteilt worden, kann auch dann keine Vorausleistung
mehr erhoben werden, wenn die im Bebauungsplan vorgesehenen
Erschließungsstraßen tatsächlich noch nicht angelegt sind.
2. Die (gerichtliche) Umdeutung eines Vorausleistungsbescheides in einen
endgültigen Beitragsbescheid scheidet aus, wenn nach einer Anhörung zur
Erhebung eines endgültigen Beitrags gleichwohl eine Vorausleistung
erhoben worden ist.
VG Hannover 1. Kammer, Urteil vom 21.05.2014, 1 A 6365/12
§ 128 AO, § 6 Abs 7 KAG ND, § 36 Abs 2 Nr 2 VwVfG
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einer Vorausleistung auf
einen Abwasserbeitrag.
Die Beteiligten und die E. schlossen Ende November/Anfang Dezember 2008
einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Gegenstand des Vertrags war ein
Bauprojekt zur Errichtung eines Logistikzentrums im Geltungsbereich des von
der Beklagten aufzustellenden Bebauungsplans "Gewerbegebiet westlich
Gutenbergstraße"; in dem Planbereich hatten die Beteiligten zuvor jeweils die
zur Realisierung erforderlichen Grundstücksflächen erworben (128.737 m
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von
der Klägerin für das Bauvorhaben, 19.835 m
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von der Beklagten als öffentliche
Fläche).
Die Vertragsurkunde wurde von der Geschäftsführung der Klägerin am 27.
November 2008, von der Geschäftsführung der F. am 1. Dezember 2008 und
vom Bürgermeister der Beklagten am 2. Dezember 2008 unterzeichnet.
Unter dem 2. Dezember 2008 erteilte die Beklagte der Klägerin eine
Baugenehmigung für den "Neubau einer Versandlagerhalle mit Sozial- und
Bürotrakt". Die Baugenehmigung, die mit dem Hinweis darauf versehen ist,
dass sie u. a. erlischt, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit
der Ausführung der Baumaßnahme nicht begonnen worden ist, ist - neben
weiteren - mit folgender Bedingung versehen:
"Von der Baugenehmigung kann erst dann Gebrauch gemacht werden,
wenn der zwischen dem Vorhabenträger und der G. geschlossene
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öffentlich-rechtliche Vertrag wirksam geworden ist."
In § 1 Abs. 1 des Vertrages ist geregelt:
"Die Stadt verpflichtet sich, der GPG die Baugenehmigung, gemäß
Stand: Vorentwurf vom 25. November 2008 für die Errichtung eines
neuen Logistikzentrums auf Wunsch der GPG unverzüglich zu erteilen.
Die Baugenehmigung steht unter der Bedingung, dass von ihr erst dann
Gebrauch gemacht werden kann, wenn dieser Vertrag rechtswirksam
ist."
Der Vertrag enthält ferner Regelungen, nach denen sich die Klägerin zur
Ablösung des Abwasserbeitrags i. H. v. 788.771,60 EUR - berechnet nach der
Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung der Beklagten in der Fassung
vom 17. Dezember 2009 (im Folgenden: ABAS 2009) - verpflichtet und die
Beklagte auf die Geltendmachung einer Vorausleistung verzichtet. Der
einschlägige § 3 Abs. 2 des Vertrages lautet insoweit wie folgt:
"Der Schmutzwasserbeitrag wird gemäß § 6 Absatz 7 Niedersächsisches
Kommunalabgabengesetz i. V. m. §§ 4, 5 und 10 der Abgabensatzung
für die Abwasserbeseitigung der G. von der GPG in Höhe von
788.771,60 EUR […] abgelöst. Der Betrag wird mit Vorliegen der
Voraussetzung für die Herstellung der öffentlichen
Erschließungseinrichtungen gemäß vorstehendem § 1 Abs. 6 zur
Zahlung fällig, ohne dass es einer weiteren Zahlungsaufforderung bedarf.
Die Zahlung erfolgt an die Stadtentwässerung H. […]. Eine
Vorausleistung der GPG auf die Beitragspflicht wird nicht erfolgen. Die
Stadt bestätigt, dass damit die Beitragspflicht für die Herstellung der
Schmutzwasserbeseitigungsanlage der Grundstücksflächen in dem
Bebauungsplan 1/47 erfüllt ist. […]"
Der in dieser Regelung in Bezug genommene § 1 Abs. 6 des Vertrages macht
die Herstellung der öffentlichen Erschließungseinrichtungen von einem
unwiderruflichen Verzicht auf Rücktrittsrechte und der Leistung einer
Kostenbeteiligung in Höhe von 975.000,00 EUR abhängig. Nach dem Vertrag
sollte die Erschließung des Plangebiets durch die Beklagte gegen
Kostenbeteiligung der Klägerin in Höhe von 975.000,00 EUR erfolgen. Mit der
Kostenbeteiligung sollten die Erschließungsbeitragspflicht und die
Kostenerstattungspflicht für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen abgegolten
sein (§ 3 Abs. 1 des Vertrages). Eine Verpflichtung der Klägerin zur
Durchführung des Projekts wurde ausgeschlossen; für den Fall der
Nichtdurchführung wurde vorgesehen, dass die Klägerin die der Beklagten
entstandenen Kosten für Planungs- und Gutachterleistungen bis zu einer
Gesamthöhe von 50.000,00 EUR zu tragen hat. Weitere Ansprüche sollten
ausgeschlossen sein (§ 4 des Vertrages). In § 4 Abs. 2 des Vertrages ist
konkret geregelt:
"Jegliche Ansprüche weiterer Art sind im Falle der Nichtdurchführung des
Projekts - soweit zulässig - ausgeschlossen. Insbesondere besteht auch
weder ein Anspruch gegen die GPG auf Zahlung der Kostenbeteiligung
gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 noch auf den Schmutzwasserbeitrag gemäß §
3 Abs. 2."
In § 5 Abs. 3 des Vertrages ist folgende salvatorische Klausel enthalten:
"Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder
unwirksam werden, berührt dies die Wirksamkeit der übrigen Regelungen
dieses Vertrages nicht. Die Vertragsparteien verpflichten sich,
unwirksame Bestimmungen durch solche zu ersetzen, die dem Sinn und
Zweck des Vertrages rechtlich und wirtschaftlich entsprechen."
Die Beklagte stellte nach ihrer Darstellung im Jahre 2010 eine betriebsfertige
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Abwasseranlage in der Straße vor dem Grundstück her. Das in Aussicht
genommene Projekt wollte die Klägerin allerdings letztendlich nicht mehr im
Stadtgebiet der Beklagten, sondern in Hannover verwirklichen.
Baumaßnahmen der Klägerin im Stadtgebiet der Beklagten erfolgten aufgrund
dieser neuen Standortentscheidung nicht mehr.
Daraufhin kündigte die Beklagte unter dem 3. Juli 2012 wegen Wegfalls der
Geschäftsgrundlage den Vertrag. Zur Begründung hob sie darauf ab, dass die
mit dem Vertrag verfolgten Ziele der Schaffung einer Erweiterungsmöglichkeit
für ein ortsansässiges Unternehmen und von ca. 1.000 neuen Arbeitsplätzen
ganz offensichtlich nicht erreicht werden könnten. Sie - die Beklagte - habe
nach wie vor ein Interesse, die Entwicklung des Vertragsgebietes
durchzuführen; für den bereits geschlossenen städtebaulichen Vertrag werde
jedoch keine Möglichkeit der Anpassung gesehen.
Unter dem 12. Juli 2012 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer
beabsichtigten Heranziehung zu einem Schmutzwasserbeitrag i. H. v.
788.771,60 EUR (128.737 m
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x 0,55 x 11,14 EUR/m
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) an. Mit Bescheid vom 8.
Oktober 2012 zog die Beklagte die Klägerin letztlich zu einer Vorausleistung
auf den Schmutzwasserbeitrag i. H. v. von 88.789,91 EUR (10 % des
voraussichtlich endgültigen Schmutzwasserbeitrags) heran. Dabei legte sie
nach ihrer Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung in der Fassung vom
19. Dezember 2011 (im Folgenden: ABAS 2011) einen voraussichtlichen
Beitrag in der Gesamthöhe von 887.899,08 EUR (128.737 m
2
x 0,55 x 12,54
EUR/m
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) - also einen höheren Beitragssatz als bei der Anhörung - zugrunde.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Vorausleistung erhoben
werde, weil die rechtlichen Voraussetzungen zur Bebauung in Form eines
Bebauungsplans geschaffen seien und auch die Abwasseranlage in der
Straße vor dem Grundstück bereits betriebsfertig zur Verfügung stehe. Der
Vertrag mit der Klägerin sei durch das Kündigungsschreiben vom 3. Juli 2012
wirksam gekündigt worden, so dass die in § 3 Abs. 2 des Vertrages geregelte
Ablösevereinbarung der Erhebung der Vorausleistung gemäß der
Abgabensatzung nicht entgegenstehe.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 9. November 2012
Anfechtungsklage erhoben; zugleich hat sie die Feststellung beantragt, dass
der Vertrag nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3.
Juli 2012 beendet worden ist. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens ist das
Verfahren mit Beschluss vom 19. November 2012 abgetrennt worden; der
abgetrennte Verfahrensteil ist nunmehr unter dem Aktenzeichen 15 A 3987/14
(vormals 9 A 6586/12) anhängig. Einem am 23. Januar 2013 gestellten Antrag
der Klägerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der
Beklagten vom 8. Oktober 2012 anzuordnen, hat die erkennende Kammer mit
Beschluss vom 29. Mai 2013 - 1 B 651/13 - entsprochen.
Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:
Es sei der Beklagten nach dem Vertrag untersagt, die Beitragspflicht der
Klägerin durch Verwaltungsakt festzusetzen. Der Vertrag sei durch die
Kündigungserklärung nicht wirksam gekündigt worden. Ein Wegfall der
Geschäftsgrundlage sei zu verneinen, da der Fall der Nichtdurchführung des
Projekts ausdrücklich im Vertrag geregelt worden und zudem klargestellt
worden sei, dass die Klägerin jederzeit sanktionslos von der Durchführung des
Projekts Abstand nehmen könne. Die daraus folgende Risikoverteilung habe
die Beklagte bewusst in Kauf genommen. Im Falle der Wirksamkeit des
Vertrages sei es der Beklagten von vornherein verboten, die
Schmutzwasserbeitragspflicht der Klägerin durch Verwaltungsakt
festzusetzen. Diese Entscheidungsform sei der Beklagten wegen der
vertraglichen Ablösungsvereinbarung verwehrt. Aufgrund des Vertrages könne
die Beklagte Vorausleistungen und Beitragszahlung von der Klägerin nicht
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mehr auf gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen stützen, sondern
ausschließlich auf der Grundlage des Vertrages verlangen.
Der Bescheid wäre allerdings selbst dann rechtswidrig, wenn der Vertrag
wirksam gekündigt worden wäre. Eine Vorausleistung sei von der
Durchführung der Maßnahmen abhängig, was der Klägerin nicht bekannt sei.
Es sei nicht sicher erkennbar, ob durchgeführte Arbeiten tatsächlich dem
Anschluss des Grundstücks der Klägerin an die Schmutzwasseranlage
gedient hätten. Die Verlegung der Druckrohrleitung sei Teil einer
Gesamtmaßnahme für die Erschließung von Gewerbegebieten nördlich der
Autobahn gewesen. Sollte die Beklagte eigeninitiativ und ohne Abstimmung
mit der Klägerin die Abwasseranlagen für das Grundstück hergestellt haben,
so hätte sie diese nicht geschuldete Vorleistung auf eigenes Risiko erbracht.
Die Klägerin habe auf den Grundstücken keinerlei Baumaßnahmen
durchgeführt und gegenüber der Beklagten auch zu keinem Zeitpunkt den
Beginn von Baumaßnahmen erklärt. Der vertraglich zu entrichtende
Ablösungsbetrag wäre erst bei einem "Startschuss" der Klägerin für das
Projekt fällig geworden. In jedem Falle seien indessen die niedrigeren
Beitragssätze aus der Abgabensatzung vom 7. Dezember 2009 und nicht
diejenigen aus der Abgabensatzung vom 19. Dezember 2011 maßgeblich. Auf
die niedrigeren Beitragssätze habe die Klägerin auch vertrauen dürfen.
Die zu einem Verzicht auf die Beitragspflicht entwickelten Grundsätze der
Rechtsprechung seien auf einen Verzicht auf die Vorausleistungspflicht nicht
übertragbar. Abgesehen davon stehe der Forderung einer Vorausleistung der
Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Es sei nicht nur auf die
Forderung einer Vorausleistung verzichtet worden, sondern die
Fälligkeitsvoraussetzungen seien vertraglich vereinbart worden. Das Recht zur
Erhebung einer Vorausleistung sei zudem verwirkt und verjährt. Die Beklagte
hätte unter Zugrundelegung ihrer eigenen Auffassung bereits seit 2009 eine
Vorausleistung verlangen können; 2012 habe sie dies hingegen nicht mehr tun
können. Arbeiten seien zudem teilweise bereits im Jahr 2001 erbracht worden,
so dass hinsichtlich der Vorausleistung Festsetzungsverjährung eingetreten
sei. Ein Erhebungszwang bestehe im Hinblick auf Vorausleistungen nicht. Die
Beklagte unternehme den gezielten Versuch, der Klägerin vertraglich
zugesicherte Rechte nunmehr einseitig wieder zu entziehen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält der Klage im Wesentlichen entgegen:
Selbst für den Fall, dass die Kündigung des öffentlich-rechtlichen Vertrages
nicht wirksam gewesen sein sollte, stünde dieser dem angefochtenen
Bescheid nicht entgegen. Der Ausschluss der Zahlung eines
Schmutzwasserbeitrages stelle einen unzulässigen Abgabenverzicht dar. Die
Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 des Vertrages stehe der Erhebung einer
Vorausleistung durch Bescheid nicht entgegen, sondern stelle eher eine
Ankündigung dar. Die Anschlussmöglichkeit des fraglichen Grundstücks sei
seit der Fertigstellung im Jahre 2010 gegeben. Auch eine Bebaubarkeit sei
gegeben. Die Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht seien nur
wegen der noch nicht gesicherten Erschließung bislang nicht vollständig erfüllt,
so dass eine Ablösung des Abwasserbeitrages noch erfolgen könnte. Wenn
es die Klägerin nach den Bestimmungen des Vertrages in der Hand habe, die
Ablösungswirkung jederzeit herbeizuführen, auch wenn sie das Vorhaben
noch nicht konkret verwirklichen wolle, sei sie bis dahin in keiner Weise
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schutzwürdig. Sie müsse damit rechnen, dass die Beitragspflicht entstehe und
auch der Beitragssatz gestiegen sein könne. Hinsichtlich der öffentlichen
Einrichtung der Abwasserentsorgung sei der Beklagten ein Aufwand
entstanden. Die für die Abwasserentsorgung geltenden Satzungsregelungen
könnten durch die vertraglichen Regelungen nur temporär modifiziert, nicht
aber ausgehebelt werden. Die Klägerin habe es ausschließlich durch Zahlung
in der Hand, die Abgabenerhebung auf der Grundlage des Vertrages
abzuwickeln. Bis dahin könne der Beklagten das Recht zur Erhebung einer
Vorausleistung nicht genommen werden. Ein Hindernis zur Erhebung einer
Vorausleistung wäre erst gegeben, wenn die Klägerin im Rahmen der
Ablösevereinbarung tatsächlich gezahlt hätte. Dann könne die Beitragspflicht
wegen der Tilgungswirkung der Ablösung nicht mehr entstehen. Solange die
Tilgungswirkung aber mangels Zahlung nicht eingetreten sei, möge die
Beklagte keinen vertraglichen Anspruch auf eine Vorauszahlung haben; die
gesetzlichen Regelungen und Satzungsbestimmungen könnten durch den
Vertrag aber nicht ausgehebelt werden.
Ein unzulässiger Abgabenverzicht liege spätestens in dem Moment vor, in
dem die Grundstückseigentümerin ihre Bauabsicht aufgebe. Ab diesem
Moment könnte die Beitragspflicht nicht mehr entstehen, weil der Baubeginn
nicht herbeigeführt werde. Dieser Abgabenverzicht würde dadurch vollständig,
dass bis zu dem nicht absehbaren Zeitpunkt des Entstehens der
Beitragspflicht auch keine Vorauszahlung erhoben werden könnte. Wenn sich
die Beklagte entschließe, eine Entwässerungsleitung herzustellen, müsse sie
auch in der Lage sein, in absehbarer Zeit die Refinanzierung zu sichern.
Maßgeblich für die Höhe der Beitragspflicht sei die Sach- und Rechtslage zum
Zeitpunkt ihrer Entstehung. Wenn die Klägerin sich einen günstigeren,
niedrigeren Beitragssatz habe sichern wollen, hätte sie die
Ablösevereinbarung erfüllen können.
Der Erhebung der Vorausleistung stehe auch nicht etwa entgegen, dass die
Beitragspflicht infolge der Baugenehmigung entstanden sei. Die
Baugenehmigung stehe unter der Bedingung der Wirksamkeit des öffentlich-
rechtlichen Vertrages. Soweit die Baugenehmigung nicht wirksam geworden
sei, sei auch die Beitragspflicht nicht entstanden. Es käme daher auf die
Wirksamkeit des Vertrages an.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Der angegriffene Vorausleistungsbescheid der Beklagten
vom 8. Oktober 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten,
so dass er aufzuheben ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Zur Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides hat die Kammer bereits im
Beschluss vom 29. Mai 2013 - 1 B 651/13 - ausgeführt:
"Der Bescheid des Antragsgegners vom 08. Oktober 2012 erweist sich
bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.
Das Gericht kann dabei offen lassen, ob der oben genannte öffentlich-
rechtliche Vertrag bei Erlass des streitigen Bescheides wirksam war.
Sollte das der Fall sein, steht der Heranziehung der Antragstellerin zu der
Vorausleistung bereits die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 4 des Vertrages
entgegen. Darin heißt es: "Eine Vorausleistung auf die Beitragspflicht
wird nicht erfolgen."
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Danach hat die Antragsgegnerin auf die Geltendmachung einer
Vorausleistung auf den Schmutzwasserbeitrag verzichtet. Ein
unzulässiger Abgabenverzicht liegt darin nicht, weil sich die
Beitragserhebungspflicht nur auf die Heranziehung zu dem Beitrag selbst
nicht aber auf die im Ermessen der Gemeinde stehende
Geltendmachung einer Vorausleistung erstreckt.
Sollte der öffentlich-rechtliche Vertrag unwirksam sein oder aufgrund der
wirksamen Kündigung nicht mehr wirksam sein, ist die Geltendmachung
ermessensfehlerhaft erfolgt. Die Antragsgegnerin geht nach ihrem
Bescheid und der Katasterkarte davon aus, dass die Abwasseranlage
vor dem Grundstück bereits im Jahre 2010 betriebsfertig zur Verfügung
steht. Damit ist aber die Beitragspflicht nach § 7 Abs. 1 der ABAS 2009
bereits entstanden. Das Grundstück unterliegt auch der Beitragspflicht
nach § 3 Abs. 1 a) ABAS 2009, weil es an die öffentliche
Abwasseranlage angeschlossen werden konnte, aufgrund des
Bebauungsplanes 1/47 „westlich Gutenbergstraße“ - in Kraft getreten am
19. November 2009 - eine bauliche oder gewerbliche Nutzung
festgesetzt ist und es im Hinblick auf die Baugenehmigung vom 2.
Dezember 2008 baulich genutzt werden durfte. Unbeachtlich sind dabei
aber die Gesichtspunkte, dass die Erschließung nicht gesichert sei und
die Baugenehmigung wegen der Nichtausnutzung außer Kraft getreten
ist. Die Baugenehmigung steht nicht unter dem Vorbehalt einer noch zu
errichtenden Erschließung. Eine nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte
Baugenehmigung setzt die Sicherung der Erschließung voraus. Das
mittlerweile eingetretene Erlöschen der Baugenehmigung nach § 71 Satz
1 NBauO ändert an der einmal eingetreten Beitragspflicht nichts mehr.
Die Antragsgegnerin war danach nicht mehr berechtigt einen
Vorausleistungsbescheid zu erlassen. Er erweist sich als
ermessensfehlerhaft. Bei der Ausübung ihres Ermessens über die Frage,
ob Vorausleistungen erhoben werden sollen, muss sich die
Antragsgegnerin an dem Zweck der betreffenden
Ermächtigungsgrundlage in § 6 Abs. 7 NKAG i. V. m. § 8 ABAS 2009
orientieren, ein bestehendes Vorfinanzierungsbedürfnis zu decken. Ein
durch einen Vorausleistungsbescheid zu befriedigendes
Vorfinanzierungsinteresse besteht dann nicht mehr, wenn die
Beitragspflicht bereits entstanden ist. Dann erfolgt nämlich die Leistung
entgegen § 6 Abs. 7 NKAG nicht mehr auf eine künftige, sondern auf
eine bereits entstandene Beitragsschuld. Die Antragsgegnerin hat ihre
Ermessensausübung somit nicht hinreichend am beschriebenen Zweck
der Ermächtigungsgrundlage ausgerichtet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. OVG kommt eine
Umdeutung eines - wie hier nach summarischer Prüfung - fehlerhaften
Vorausleistungsbescheids in einen endgültigen Beitragsbescheid nicht in
Betracht, weil beide Bescheide nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind
(dazu § 11 Abs. 1 Nr. 3b NKAG i.V.m. § 128 Abs. 1 AO, Nds. OVG,
Beschluss vom 17. Dezember 1998 - 9 L 4721/98 - und 21. Dezember
2010 - 9 ME 127/10 - V.n.b.; OVG Lüneburg, Urteil vom 8. November
1988 - 9 OVG A 11/87 - juris)."
2. Diese Erwägungen erweisen sich auch nach nochmaliger Überprüfung im
Klageverfahren als zutreffend:
a) Sollte der Vertrag bei Erlass des streitigen Bescheides wirksam gewesen
sein, stünde der Erhebung der Vorausleistung bereits die Regelung in dessen
§ 3 Abs. 2 Satz 4 entgegen, welche der Beklagten die Möglichkeit versperrt,
eine Vorausleistung auf den endgültigen Beitrag zu erheben. Der Auffassung
der Beklagten, dass diese Regelung nur eine Art "Ankündigung" ohne
bindenden Charakter darstellen sollte, von der sie später auch abweichen
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dürfe, vermag die Kammer nicht zu folgen. Ein Vertragsverständnis, das
einzelne nach Wortlaut und Regelungszweck an sich klare Regelungen als
unverbindlich einstuft, verbietet sich. Da die Erhebung von Vorausleistungen
im Ermessen der Beklagten steht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG), liegt in dem
vertraglichen Verzicht auf dieses Vorfinanzierungsinstrument auch kein
unzulässiger Abgabenverzicht.
b) Unabhängig von der Frage der (materiellen) Wirksamkeit des Vertrages
steht der erfolgten Erhebung einer Vorausleistung jedenfalls entgegen, dass
unter Zugrundelegung der eigenen Auffassung der Beklagten zum Bau der
Abwasserbeseitigungseinrichtung die (endgültige) sachliche Beitragspflicht
bereits vor dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides entstanden war:
aa) Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass sich aus einer
(etwaigen) Unwirksamkeit des Vertrages ableiten ließe, dass auch die
Baugenehmigung nicht wirksam geworden sei und deshalb die Beitragspflicht
nicht habe entstehen können. Sowohl die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 des
Vertrages als auch die mit dieser Vertragsbestimmung korrespondierende
Bedingung in der Baugenehmigung haben ersichtlich nur die äußere
Wirksamkeit bzw. das "Wirksamwerden" des Vertrages im Blick, nicht aber die
Frage der materiell-rechtlichen Wirksamkeit einzelner Vertragsregelungen oder
des Vertrages insgesamt. Die vertragliche Regelung und die aufschiebende
Bedingung (§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) in der
Baugenehmigung sollten erkennbar (nur) einen "Gleichklang" zwischen dem
Vertrag und der Baugenehmigung dergestalt gewährleisten, dass die
Ausnutzbarkeit der Baugenehmigung von der Vertragsunterzeichnung seitens
der Vertragsparteien abhängen sollte. Deshalb nimmt der Vertrag Bezug auf
den Vorentwurf der Baugenehmigung vom 25. November 2008. Ein
Verständnis der der Baugenehmigung beigefügten Bedingung oder der
korrespondierenden vertraglichen Regelung dahingehend, dass die
Baugenehmigung als niemals wirksam geworden anzusehen sein soll, wenn
sich zu einem späteren Zeitpunkt eine Unwirksamkeit des Vertrages aus
materiell-rechtlichen Gründen herausstellen sollte, hält die Kammer für
fernliegend. Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt müssen ihren
Regelungsgehalt aus sich heraus oder zumindest im Kontext mit anderen
Regelungen des Verwaltungsakts erkennen lassen. Stellt man dies in
Rechnung, lässt sich die Bedingung unter Nr. 1 nur dahingehend verstehen,
dass eine Ausnutzung der Baugenehmigung ohne Unterzeichnung des
Vertrages verhindert werden sollte. Eine Unterzeichnung ist indessen Ende
November/Anfang Dezember 2008 erfolgt. Damit ist die aufschiebende
Bedingung verwirklicht worden und die Baugenehmigung wirksam geworden.
Ihr weiteres "rechtliches Schicksal" sollte nach der Nebenbestimmung Nr. 1
nicht von einer später erkannten Unwirksamkeit des Vertrages oder einer
Kündigung desselben abhängen. Ein abweichendes Verständnis der der
Baugenehmigung beigefügten Bedingung Nr. 1 würde sich als
Nichtigkeitsregelung praeter legem darstellen und verbietet sich auch deshalb.
Die Wirksamkeit der Baugenehmigung ist "aus sich heraus" zu beurteilen, da
die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts nicht von den Regelungen eines
(öffentlich-rechtlichen) Vertrages abhängen kann. Selbst wenn man es
demgegenüber für möglich hielte, dass die vertragliche Regelung in § 1 Abs. 1
Satz 2 Auswirkungen auf die Baugenehmigung haben könnte, würde sich an
dem Ergebnis nichts ändern. Auch dieser Bestimmung lässt sich nämlich
keineswegs entnehmen, dass die Baugenehmigung von Anfang an unwirksam
sein soll, wenn sich herausstellen sollte, dass infolge der Unwirksamkeit
einzelner Vertragsklauseln der gesamte Vertrag unwirksam ist. Auch die
vertragliche Regelung sollte erkennbar lediglich den "Gleichklang" zwischen
dem Vertrag und der Baugenehmigung gewährleisten. Zudem enthält § 5 des
Vertrages in Gestalt einer salvatorischen Klausel ausdrückliche Regelungen,
die eine sich nach Vertragsschluss herausstellende Unwirksamkeit des
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Vertrages betreffen. Die Regelung gibt den Vertragsparteien vor, einzelne
unwirksame Regelungen durch zweckentsprechende Neuregelungen zu
ersetzen. Vereinbart worden ist mithin eine möglichst weitgehende
Geltungserhaltung oder -wiederherstellung für den Fall einer sich später
herausstellenden Unwirksamkeit der vertraglichen Regelungen. Diese
vereinbarte Geltungserhaltung oder -wiederherstellung lässt nur ein
Verständnis zu, dass die einmal erteilte und infolge der allseitigen
Vertragsunterzeichnung auch wirksam gewordene Baugenehmigung nicht
etwa von einer später erkannten Unwirksamkeit des Vertrages "infiziert"
werden sollte. Eine gegenteilige Sichtweise hätte zur Folge, dass eine
aufgrund einer erteilten Baugenehmigung errichtete bauliche Anlage
nachträglich durch die erkannte Unwirksamkeit begleitender vertraglicher
Abreden formell illegal - also gleichsam ein "Schwarzbau" - werden könnte.
Dies kann nicht ernsthaft als von den Vertragsparteien beabsichtigt
angesehen werden.
bb) Aufgrund der zuvor wirksam gewordenen Baugenehmigung ist bei der
betriebsfertigen Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage im Jahre 2010
vor dem in Rede stehenden Baugrundstück - von der die Beklagte ausgeht -
die sachliche Beitragspflicht entstanden und die Erhebung einer
Vorausleistung unzulässig geworden.
Eines tatsächlichen Baus (auch) der Erschließungsanlagen im Plangebiet
bedurfte es für die Erfüllung des satzungsrechtlichen Tatbestandsmerkmals
"sobald das Grundstück bebaut oder gewerblich genutzt werden darf" (§ 3
Abs. 1 Buchst. a) ABAS) nicht. Die erteilte und insoweit nicht mit einem
Vorbehalt versehene Baugenehmigung "kompensiert" das fehlende
Vorhandensein solcher Erschließungsanlagen. Satzungsrechtliche
Voraussetzung ist allein, dass das Grundstück bebaut oder baulich genutzt
werden "darf", was im Falle einer wirksamen Baugenehmigung für ein im
Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegendes Grundstück auch dann
nicht (mehr) verneint werden kann, wenn der Verwirklichung des
Bauvorhabens wegen fehlender oder unzureichender Erschließung
(überwindbare) tatsächliche Hindernisse entgegenstehen. Rechtliche
Hindernisse sind durch die Baugenehmigung ausgeräumt. Der vorliegende
Fall unterscheidet sich wegen der bereits erteilten Baugenehmigung
maßgeblich von anderen Konstellationen, in denen in einem Baugebiet wegen
noch fehlender Erschließung oder deren Sicherung eine Bebaubarkeit des
Beitragsgrundstücks nicht angenommen werden kann (vgl. dazu OVG
Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.11.2007 - 4 L 202/05 -, juris Rn. 20 m. w. N.;
Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2014, § 8 Rn. 1055). Auch ist
der Fall nicht vergleichbar mit der Konstellation der Erteilung einer
Baugenehmigung für ein Außenbereichsgrundstück, die keine Baulandqualität
des Grundstücks zur Folge haben soll (vgl. Driehaus, a. a. O, § 8 Rn. 1032).
Selbst wenn man mit der Klägerin die betriebsfertige Herstellung der
Abwasserbeseitigungseinrichtung vor dem klägerischen Grundstück für
zweifelhaft hielte, weil die baulichen Maßnahmen eigentlich einem anderen
Zweck gedient haben könnten, ergäbe sich nichts anderes: Die Beklagte kann
nicht ermessensfehlerfrei eine Vorausleistung verlangen, wenn sie selbst von
der betriebsfertigen Herstellung der beitragspflichtigen Anlage ausgeht. Dass
die Beklagte irrtümlich davon ausgegangen sein mag, dass trotz der von ihr
angenommenen betriebsfertigen Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage
die Beitragspflicht noch nicht entstanden sei, würde den Ermessensfehler nicht
relativieren können.
Eine Vorausleistung auf eine künftig entstehende Beitragsschuld (vgl. § 6 Abs.
7 NKAG) konnte daher nach 2010 nicht mehr in rechtmäßiger Weise erhoben
werden. Die Erhebung von Vorausleistungen ist auch nicht etwa ein probates
Mittel dafür, nach Entstehung der sachlichen Beitragspflicht zunächst nur
einen Teil eines entstandenen Abwasserbeitrags geltend zu machen. Insoweit
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hält § 6a NKAG gerade bei leitungsgebundenen Einrichtungen für bestimmte
Fallgestaltungen die Möglichkeit der Stundung vor. Es ist aber nicht möglich,
zu Vorausleistungen heranzuziehen, wenn ein Beitragspflichtiger - aus
welchen Gründen auch immer - mit einer entstandenen und fällig gewordenen
Beitragsschuld wirtschaftlich zunächst nur teilweise belastet werden soll. Ein
entsprechender Eindruck kann sich hier insbesondere aus dem Umstand
ergeben, dass die Klägerin zunächst zum beabsichtigten Erlass eines
(endgültigen) Beitragsbescheides angehört wurde, dann aber tatsächlich eine
Vorausleistung erhoben wurde.
cc) Die - auch seitens des Gerichts mögliche - Umdeutung des 2012
erlassenen Vorausleistungsbescheides in einen (endgültigen)
Beitragsbescheid scheidet nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) NKAG i. v. m. §
128 AO aus. Zu dem bereits im Eilverfahren genannten Grund kommt hinzu,
dass es in Anbetracht der erfolgten Anhörung zur Erhebung eines endgültigen
Beitrags eine bewusste Entscheidung der Beklagten war, stattdessen eine
Vorausleistung zu erheben, so dass eine Umdeutung der erkennbaren Absicht
der erlassenden Behörde widerspräche (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) NKAG i.
V. m. § 128 Abs. 2 Satz 1 AO). Außerdem wären die Rechtsfolgen eines
endgültigen Beitragsbescheides für den Betroffenen ungünstiger als die eines
Vorausleistungsbescheides (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.04.2003 - 6 A
10778/02 -, juris Rn. 24).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i. V. m. § 709 ZPO.