Urteil des VG Hannover vom 27.05.2014

VG Hannover: ungarn, genfer flüchtlingskonvention, aufschiebende wirkung, annahme des antrags, abschiebung, asylbewerber, mitgliedstaat, psychotherapeutische behandlung, eugh, gefahr

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1. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn weisen
keine systemischen Mängel auf.
2. Der Asylbewerber kann sich nicht auf einen möglichen Verstoß gegen die
Fristenregelung in Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II VO berufen.
3. Unter Zugrundelegung eines europarechtlich geprägten, nicht an der
Dogmatik der VwGO haftenden Begriffsverständnisses spricht
Überwiegendes dafür, dass der Begriff eines Rechtsbehelfs mit
aufschiebender Wirkung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II VO, nach
Inkrafttreten der Neufassung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG auch einen
rechtzeitig gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag, der nach § 34 a
Abs. 2 Satz 2 AsylVfG n.F. Suspensivwirkung entfaltet, erfasst. Die Frist des
Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II VO beginnt dann erst mit der ablehnenden
Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu laufen.
VG Hannover 5. Kammer, Beschluss vom 27.05.2014, 5 B 634/14
§ 34a AsylVfG, Art 20 Abs 1d EGV 343/2003, Art 3 MRK
Tenor
Der Antrag wird mit der Maßgabe abgelehnt, dass die ungarischen Behörden
vor der Durchführung der Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn - unter
Berücksichtigung des vorgelegten ärztlichen Attestes vom 31.01.2014 - über
die Asthmaerkrankung des Antragstellers informiert werden und dem
Antragsteller die erforderliche Menge des Medikaments Symbicort für einen
Übergangszeitraum von einem Monat von der Antragsgegnerin zur Verfügung
gestellt wird.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die
Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 23.01.2014 anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist nach § 34a AsylVfG in der seit 06.09.2013 geltenden Fassung
zwar zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt worden. Er ist aber nicht
begründet.
Nach Art. 16 Abs. 1 c) der Verordnung 343/2003/EG (Dublin II -VO)ist für das
Asylverfahren des Antragstellers Ungarn zuständig. Der Antragsteller hatte in
Ungarn bereits einen Asylantrag gestellt, über den noch nicht sachlich
entschieden ist, weil das Verfahren aufgrund Abwesenheit eingestellt wurde.
Der in der Bundesrepublik gestellte Asylantrag des Antragstellers ist gem. § 27
a AsylVfG unzulässig. Die nach § 34 a AsylVfG ergangene
Abschiebungsanordnung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht zu
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beanstanden. Das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt
nicht das öffentliche Interesse am Vollzug der Abschiebungsanordnung.
Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Recht hat die Antragsgegnerin einen
Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II- VO bzw. eine weitere Prüfung
nach Kapitel 3 der Dublin II- VO, welcher andere Mitgliedstaat ggf. einzutreten
hätte, abgelehnt. Der Abschiebung nach Ungarn stehen keine
außergewöhnlichen rechtlichen oder tatsächlichen Gründe entgegen, die der
Annahme, das Asylverfahren sei in Ungarn durchzuführen, entgegenstehen
könnten.
Den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II- VO liegt die Annahme zugrunde,
dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im
Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union (EU-GR-Charta), der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) steht. Grundsätzlich besteht damit keine
Veranlassung, von einer Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat zur
Durchführung des Asylverfahrens abzusehen. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kann jedoch in Ausnahmefällen die
Ausübung des Selbsteintrittsrechts zum Schutz der Rechte des
Asylsuchenden angezeigt sein. So geht der EGMR in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass die Abschiebung eines Asylbewerbers
durch einen Konventionsstaat eine Frage nach Art. 3 EMRK aufwerfen und die
Verantwortlichkeit des Staates begründen kann, wenn es ernsthafte und
stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Aufnahmeland
tatsächlich Gefahr läuft, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender
Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt
sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land
abzuschieben (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09 - M.S. S./Belgien u.
Griechenland, NVwZ 2011, 413 m.w.Nachw.). Der EuGH hat zum
inhaltsgleichen Art. 4 der EU-GR-Charta entschieden, dass es den
Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte im Hinblick auf den
Schutzgehalt dieses Grundrechts obliegt, einen Asylbewerber nicht an den
zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin II- VO zu überstellen, wenn
ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des
Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem
Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die
Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser
Bestimmung ausgesetzt zu werden (Urt. vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-
493/10 - NVwZ 2012, 417).
Eine Situation, die Anlass zu einem Selbsteintritt geben würde, hält das Gericht
bezüglich der Bedingungen des Asylverfahrens in Ungarn derzeit nicht für
gegeben.
In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestanden zwar - bezogen
auf die Jahre 2011 und 2012 - erhebliche Zweifel, ob nach einer Abschiebung
im Dublin-Verfahren die Durchführung eines ordnungsgemäßen
Asylverfahrens in Ungarn gewährleistet ist. Diese Zweifel gründeten im
Wesentlichen auf einem Bericht des UNHCR zur Situation für Asylsuchende
und Flüchtlinge in Ungarn vom April 2012, wonach Dublin-Rückkehrer inhaftiert
worden waren und eine sachliche Prüfung ihres Asylantrages nicht erfolgte.
Die Situation für Asylsuchende hat sich in Ungarn jedoch inzwischen geändert.
Auf Druck der übrigen EU-Staaten hat das ungarische Parlament im November
2012 umfassende Gesetzesänderungen verabschiedet, denen zufolge
Asylbewerber nicht ohne sachliche Prüfung des Asylantrages abgeschoben
werden dürfen. Eine Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern ist ebenfalls
untersagt worden. Dublin-Rückkehrer haben die Möglichkeit erhalten, ein noch
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nicht in der Sache geprüftes Asylverfahren zu Ende zu führen.
Dementsprechend hat auch der UNHCR seinen Lagebericht im Dezember
2012 aktualisiert. Diese Erkenntnisse decken sich mit den Angaben von
Liaisonmitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beim
Ungarischen Amt für Staatsbürgerschaft und Einwanderung, die sowohl vom
OVG Magdeburg (Beschluss vom 31.05.2013 - 4 L 169/12, juris) als auch vom
VG Augsburg (Beschluss vom 22.04.2013 - Au 6 S 13.2009 - juris) angeführt
werden. Ausgehend von der Äußerung des UNHCR ist im konkreten Fall des
Antragstellers nicht zu erkennen, dass derart eklatante Missstände vorliegen,
die derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass er in
Ungarn der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung
ausgesetzt würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2013 - 12
S 675/13 - juris m.w.N.).
Zwar ist zum 01.07.2013 in Ungarn die sog. Asylhaft eingeführt worden. Die
Haftgründe stimmen jedoch überwiegend mit denjenigen der EU-
Aufnahmerichtlinie überein. Zur veränderten Situation in Ungarn und zur sog.
Asylhaft hat das VG Würzburg im Beschluss vom 28.03.2014 (- W 1 S
14.30143 -, juris) ausgeführt wie folgt:
Mögliche systemische Mängel des ungarischen Asylsystems werden in
jüngerer Zeit primär auf die im Juli 2013 in Ungarn in Kraft getretene
Gesetzesnovelle gestützt, wonach die Inhaftierung von Asylsuchenden
für bis zu sechs Monaten möglich ist (vgl. hierzu etwa VG Frankfurt/Oder,
B.v. 24.7.2013 – VG 1 L 213/13.A; VG München, B.v. 4.10.2013 – M 23
S 13.30926). Auch dieser Umstand vermag nach Auffassung des
Gerichts - jedenfalls derzeit - systemische Mängel nicht zu begründen.
So entsprechen die in Art. 31 A Abs. 1 des ungarischen Gesetzes (eine
englische Version dieses Gesetzes findet sich in dem in englischer
Sprache verfassten Bericht: UNHCR comments and recommendations
on the draft modification of certain migration-related legislative acts for the
purpose of legal harmonisation; abrufbar im Internet) genannten
Haftgründe ganz überwiegend denen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie (RL)
2013/33/EU, die am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Entsprechend den
Vorgaben dieser Richtlinie darf nach Art. 31 A Abs. 3 des ungarischen
Gesetzes eine solche Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen
Ermessensentscheidung erfolgen (vgl. insoweit Art. 8 Abs. 2 RL
2013/33/EU). Auch darf eine solche Inhaftierung nach Art. 31 B Abs. 1
des ungarischen Gesetzes nicht alleine deswegen erfolgen, weil der
Antragsteller einen Asylantrag gestellt hat (vgl. Art. 8 Abs. 1 RL
2013/33/EU). Dass allein aufgrund dieser Neuregelungen das
ungarische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, die eine
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Asylsuchenden zur
Folge hätten, ist damit nicht ersichtlich. Kritisiert wurde diesbezüglich nur,
dass die ungarischen Regelungen zum Teil zu unbestimmt gefasst seien
und damit die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung bestünde (so
HHC, Brief Information Note, S. 2 f.; European Council on Refugees and
Exiles in seinem Bericht: Hungary passes legislation allowing widespread
detention of asylum seekers; zugänglich im Internet in englischer
Sprache; UNHCR comments and recommendations, S. 9).
Dass es tatsächlich zu einer systematischen, missbräuchlichen
Anwendung der Inhaftierungsvorschriften komme oder bereits
gekommen sei, kann diesen Berichten dagegen gerade nicht
entnommen werden (vgl. hierzu nur HHC, Brief Information Note, S. 4, wo
explizit darauf hingewiesen wird, dass die zukünftige Umsetzung und
Anwendung dieser Gesetzesnovelle beobachtet werden muss).
Gegenteiliges ist auch dem angeführten Bericht von bordermonitoring.eu,
Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, vom Oktober
2013 nicht zu entnehmen. Auch dort wird insoweit nur kritisiert, dass die
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entsprechenden Normen weit gefasst seien (vgl. S. 35 des genannten
Berichts). Entsprechende Erkenntnismittel, die insoweit bereits
bestehende systemische Mängel festgestellt hätten, sind aber bislang
weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit und solange sich aber keine
gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben, ist in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v.
21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417 ff.) davon auszugehen,
dass auch für Ungarn die Vermutung besteht, dass Asylsuchende
jedenfalls seit November 2012 (wieder) in Einklang mit den Vorgaben der
Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK
behandelt werden.
Auch die von den Antragstellern angeführte anderslautende
Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis, da sie zum einen auf
bereits überholten Erkenntnisquellen beruht bzw. die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10
u.a. – NVwZ 2012, 417 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG
B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14) nicht hinreichend berücksichtigt (so VG
Frankfurt/Oder, B.v. 24.7.2013 – VG 1 L 213/13.A). Zum anderen
vermögen aber auch die derzeit zugänglichen Erkenntnisquellen aus den
oben genannten Gründen tatsächlich bestehende systemische Mängel
in Ungarn insbesondere im Hinblick auf die im Juli 2013 in Kraft getretene
Gesetzesnovelle zur Inhaftierungsmöglichkeit von Asylbewerbern nicht
glaubhaft zu machen (a.A. VG München, B.v. 4.10.2013 – M 23 S
13.30926). Denn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man den ungarischen Behörden im
Hinblick auf die genannte Gesetzesnovelle quasi vorab ein
unionsgrundrechtswidriges bzw. konventionswidriges Verhalten
unterstellte, ohne diesbezüglich tatsächliche Anhaltspunkte anführen zu
können. Auch hinsichtlich des im Beschluss des Verwaltungsgerichts
München vom 26. November 2013 (Az. M 21 S 13.31198) Bezug
genommenen Berichts „Statement upon the conclusion of it`s visit to
Hungary (23.9. – 2.10.2013)“ der Working Group on Arbitrary Detention
(abrufbar im Internet unter
NewsID=13816&LangID=Edes>), sind systemische Mängel nicht
erkennbar. Denn insoweit wird nur von problematischen Einzelfällen
berichtet.
Dieser Einschätzung, die aktuell von fast allen mit Abschiebungsanordnungen
nach Ungarn befassten Verwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. etwa VG
Regensburg, Beschl. v. 02.05.2014, - RN 8 S 14.50079 -, juris; VG Augsburg,
Beschl. v. 11.04.2014 - AU 7 S 14.50048 -, juris; VG Hamburg, Beschl. v.
10.02.2014 - 19 AE 5415/13 -, juris; VG Oldenburg, Beschl. v. 16.01.2014 - 5 B
33/14 -, juris) schließt sich die Einzelrichterin nach nochmaliger eigener
Prüfung der Auskunftslage ausdrücklich an.
Auch der EuGH hat mit Beschluss vom 10.12.2013 (C-394/12, juris, Rn. 61) in
einem Verfahren, das Dublin-Rückkehrer betraf, entschieden, dass es keine
Anhaltspunkte dafür gibt, dass in Ungarn systemische Mängel des
Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen,
die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme
darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-
GR-Charta ausgesetzt zu werden.
Die vom Antragsteller angeführte Entscheidung des VG München vom
28.10.2013 (M 23 S 13.31082, Inf AuslR 2014,33) lässt die Bewertung der
Situation letztlich offen und widerlegt damit - wie das VG Würzburg zutreffend
ausführt - nicht die Vermutung eines menschenrechtskonformen
Asylverfahrens in Ungarn.
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Schließlich ist eine menschenrechtswidrige Behandlung in Ungarn auch unter
Berücksichtigung der individuellen Situation des Antragstellers nicht zu
befürchten. Aufgrund der aktuellen Auskunftslage ergibt sich für Dublin-
Rückkehrer, wie den Antragsteller, kein konkreter Hinweis auf die Gefahr einer
menschenrechtswidrigen Inhaftierung ohne Einzelfallprüfung.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus geltend macht, die Unterbringung von
Asylbewerbern in Ungarn sei für ihn als Asthmatiker gesundheitsgefährdend,
wird diese Behauptung vom Antragsteller, der sich bereits in Ungarn
aufgehalten hat, in keiner Weise konkretisiert. Asthma gehört zu den
häufigsten Krankheiten weltweit (vgl. http://www.lungeninformationsdienst.de
/krankheiten/asthma /verbreitung/index.html) und ist gut behandelbar. Dass
sich die ärztlich attestierte Erkrankung des Antragstellers allein durch ggf. nicht
optimale hygienische Bedingungen in den ungarischen Sammelunterkünften
dramatisch verschlechtern könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich
dem vorgelegten Attest nicht entnehmen, dass die hygienische Situation, die in
allen europäischen Ländern wesentlich besser sein dürfte als im
marokkanischen Heimatland des Antragstellers, zu einer erheblichen
Verschlechterung des Gesundheitszustands oder gar zu einer
lebensbedrohlichen Situation führen könnte.
Hinsichtlich der Gesundheitsversorgung in Ungarn ist entsprechend der
Stellungnahme der Antragsgegnerin davon auszugehen, dass eine
Asthmaerkrankung auch dort behandelbar ist. Das vom Antragsteller benötigte
Medikament verfügt auch in Ungarn über eine Zulassung (vgl.
https://www.diagnosia. com/at/medikamente/symbicort-turbohaler-160-
mikrogramm-4-5-mikrogramm-pro-dosis-pulver-zur-inhalation/), ist also auch
dort erhältlich. Der Antragsteller wird nach seiner Rückkehr nach Ungarn auch
Zugang zum Gesundheitssystem haben. Nach Auskunft des Auswärtigen
Amtes an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 23. Mai 2013 ist auch für
Dublin II-Rückkehrer eine medizinische Notfallversorgung gesichert (VG
Augsburg, Beschl. v. 05.12.2013 - Au 7 S 13.30454 -, juris). Zudem sieht der in
Ungarn am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Act LXXX of 2007 on Asylum
Government Decree 301/2007 (XI.9.) für Asylsuchende einen Zugang zur
Gesundheitsversorgung als Teil der materiellen Aufnahmebedingungen vor.
Danach sind Asylsuchende berechtigt, kostenlose Gesundheitsversorgung
und insbesondere psychologische Betreuung oder psychotherapeutische
Behandlung in Anspruch zu nehmen, wenngleich in der Praxis die Kapazitäten
eingeschränkt sind und Sprachbarrieren die Behandlung erschweren (VG
Oldenburg, Beschl. v. 16.01.2014 - 5 B 33/14 -, juris).
Vorliegend haben die ungarischen Behörden in der Übernahmezusage vom
13.11.2013 um Mitteilung des Gesundheitszustandes, etwaiger Krankheiten
und der benötigten Medikation gebeten, was zusätzlich dafür spricht, dass die
erforderliche Behandlung des Antragstellers stattfinden wird. Jedenfalls ist eine
ausreichende medizinische Versorgung dann gesichert, wenn die deutschen
Behörden schon im Vorfeld der Überstellung Kontakt mit den ungarischen
Behörden aufnehmen und diese über die individuellen Bedürfnisse des
Antragstellers informieren. Insoweit hat das Gericht in Anlehnung an die Praxis
des VG Würzburg bei besonders schutzbedürftigen Personen im Sinne von
Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU, zu denen der Antragsteller selbst nicht
gehört, die verpflichtende Maßgabe in den Tenor aufgenommen, die
ungarischen Behörden vor der Durchführung der Abschiebung unter
Berücksichtigung des ärztlichen Attests vom 31.01.2014 über die Erkrankung
des Antragstellers und die notwendige Medikation zu informieren (vgl. hierzu
VG Würzburg, Beschl. v. 05.03.2013 - W 6 S 14.30235). Zur Sicherstellung der
medikamentösen Versorgung während der Flugreise und für einen
Übergangszeitraum, der hier großzügig auf einen Monat festgesetzt wurde,
wurde die weitere Maßgabe in den Tenor aufgenommen, dass der
Antragsteller mit dem von ihm benötigten Medikament Symbicort ausgestattet
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wird. Dabei wurden etwaige Anfangsschwierigkeiten oder Wartezeiten bis zum
Beginn einer ärztlichen Behandlung in Ungarn einkalkuliert.
Für die behauptete Reiseunfähigkeit des Antragstellers bestehen dagegen
keine Anhaltspunkte. Eine solche ergibt sich zunächst nicht aus dem
vorgelegten Attest. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller den
Inhalationsapparat nicht während der Flugreise nach Ungarn mit sich führen
und eine ggf. erforderliche Behandlung mit dem Inhalator an Bord des
Flugzeugs vornehmen könnte.
Im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 21.05.2014
angesprochene Frage des Fristablaufs nach Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO wird
noch darauf hingewiesen, dass der Antragsteller, der sich bislang hierauf nicht
berufen hat, gegen die Abschiebungsanordnung nicht einwenden könnte,
dass seit der Wiederaufnahmezusage der ungarischen Behörden vom
13.11.2013 inzwischen sechs Monate vergangen sind. Die Fristenregelungen
in Art. 16 ff. der Dublin II-VO vermitteln keine subjektive Rechtsposition für den
betroffenen Asylbewerber, der grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, dass
sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat der EU durchgeführt
wird. Die Fristen können daher nur in Verbindung mit der Rüge einer
Grundrechtsverletzung, etwa wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens
und der Aufnahmebedingungen im Zielstaat der Überstellung, geltend
gemacht werden (vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - Abdullahi gegen
Bundesasylamt, - C-394/12 -, juris, VG Osnabrück, Beschl. v. 19.02.2014 - 5 B
12/14 -, juris, zur Frist des Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO: VG Regensburg,
Gerichtsbescheid vom 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -, juris).
Abgesehen davon spricht hier Überwiegendes dafür, dass die
Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO noch nicht abgelaufen ist.
Die Einzelrichterin neigt insoweit der Auffassung zu, dass die 6-monatige Frist
des Art. 20 Abs.1 d) Dublin II-VO bei rechtzeitiger Stellung eines einstweiligen
Rechtsschutzantrags erst mit der ablehnenden Entscheidung über diesen
Antrag zu laufen beginnt (so auch: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.04.2014 - 2 L
55/14 -, juris; VG Regensburg, Beschl. v. 13.12.2013 - RO 9 S 13.30618 -,
juris; VG Leipzig, Beschl. v. 28.02.2014, juris; in diese Richtung auch: VG
Göttingen, Beschl. v. 28.11.2013 - 2 B 887/13 -, juris).
Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO sieht vor, dass die Überstellung des
Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in
den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des
ersteren Mitgliedstaates nach Abstimmung zwischen den beteiligten
Mitgliedstaaten erfolgt, sobald dies materiell möglich ist und spätestens
innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf
Wiederaufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser
aufschiebende Wirkung hat.
Wie der EuGH in der Entscheidung Petrosian u.a. klargestellt hat, ist die Frist
angesichts des damit verfolgten Ziels so zu bestimmen, dass die
Mitgliedstaaten über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem
Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der
Überstellung nutzen sollen (Urt. v. 29.01.2009 - C -19/08 -, juris). Dies ist nur
gewährleistet, wenn die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn kein
innerstaatlicher Rechtsbehelf, der Suspensivwirkung entfaltet und damit einer
Durchführung der Abschiebung entgegensteht, mehr anhängig ist. Bei der
Auslegung der Norm ist zu beachten, dass der unionsrechtliche Begriff der
aufschiebenden Wirkung schon wegen der völlig unterschiedlichen
Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts, in das die Vorschrift hinein
verweist, nicht deckungsgleich mit dem Begriff der aufschiebenden Wirkung
nach § 80 Abs. 1 VwGO ist; vielmehr ist ein Vollstreckungshindernis im
weiteren Sinne gemeint (Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: November
2013, § 27 a AsylVfG, Rn. 228).
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Das deutsche Recht sieht nach Änderung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG zum
06.09.2013 die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz gegen die
Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beantragen,
ausdrücklich vor und ordnet in § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG an, dass bei
rechtzeitiger Antragstellung eine Abschiebung vor der gerichtlichen
Entscheidung nicht zulässig ist. Insoweit tritt bereits durch die rechtzeitige
Antragstellung bei Gericht eine Suspensivwirkung ein, die die Antragsgegnerin
hindert, die Abschiebung durchzuführen. Lehnt ein Verwaltungsgericht den
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab, entfällt die gesetzlich angeordnete
Suspensivwirkung.
Für die Einzelrichterin spricht unter Zugrundelegung eines europarechtlich
geprägten, nicht an der Dogmatik der VwGO haftenden Begriffsverständnisses
Überwiegendes dafür, dass der Begriff eines Rechtsbehelfs mit
aufschiebender Wirkung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO, nach
Inkrafttreten der Neufassung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG auch einen rechtzeitig
gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag, der nach § 34 a Abs. 2 Satz 2
AsylVfG n.F. Suspensivwirkung entfaltet, erfasst.
Der Antragsteller trägt als Unterlegener die Kosten gem. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylVfG).