Urteil des VG Göttingen vom 11.10.2013

VG Göttingen: belgien, bundesamt, verordnung, russische föderation, asylbewerber, abschiebung, anhörung, ausreise, wiederaufnahme, überstellung

Dublin-II-Verfahren - Abschiebungsanordnung
Belgien
1. Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine
Abschiebungsandrohung ist nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in der ab 6.
September 2013 geltenden Fassung im Wege einer reinen
Interessenabwägung zu entscheiden.
2. Verlässt ein Asylbewerber innerhalb der gesetzten Ausreisefrist das
Gebiet eines zuständigen Mitgliedsstaates und reist in den benachbarten
Mitgliedsstaat unerlaubt ein, besteht die Wiederaufnahmepflicht des
zuständigen Mitgliedsstaates nach Art. 16 Abs. 1 e) EGV 343/2003 fort.
3. Aufgrund einer routinemäßigen persönlichen Anhörung des
Asylbewerbers zu den Gründen seiner Verfolgungsfurcht kann dieser
regelmäßig nicht davon ausgehen, das Bundesamt übe dadurch sein
Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 EGV 343/2003 aus.
4. Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens in Belgien
liegen nicht vor.
5. Für Wiederaufnahmegesuche nach Art. 16 Abs. 1 e) i.V.m. Art. 20 EGV
343/2003 gilt die Frist des Art. 17 Abs. 1 EGV 343/2003 nicht. Lediglich bei
unangemessen langer Verzögerung der Stellung des
Wiederaufnahmegesuchs kann sich das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs.
2 EGV 343/2003 zu einer Selbsteintrittspflicht verdichten.
6. Eine fehlende oder mangehafte Übersetzung von Entscheidungsformel
oder Rechtsbehelfsbelehnung des Bescheides des Bundesamtes hat keine
Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.
7. Bei unerlaubter Einreise eines Asylbewerbers aus dem zuständigen
Mitgliedsstaat ist die Abschiebungsanordnung auch nach
unionsrechtlichen Maßstäben regelmäßig nicht zu beanstanden.
8. Aus künftigen Verbesserungen oder Straffungen des sog. Dublin-
Verfahrens gemäß der zwischenzeitlich in Kraft getretenen EGV 604/2013
können Asylbewerber für laufende Verfahren, die noch nach der EGV
343/2003 zu bearbeiten sind, keine rechtlichen Folgerungen herleiten.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 11.10.2013, 2 B 806/13
§ 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG, Art 7 Abs 1 EGV 1560/2003, Art 16 Abs 1 EGV
343/2003, Art 17 Abs 1 EGV 343/2003, Art 3 Abs 2 EGV 343/2003
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
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Gründe
Gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 1
Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (sog.
Qualifikationsrichtlinie) vom 28. August 2013 (BGBl. I Nr. 54 vom 5. September
2013, S. 3474), die nach Art. 7 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der
Verkündung - somit dem 6. September 2013 - in Kraft getreten ist, ordnet das
Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG)
oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§
27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an,
sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der
Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften
der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der
Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen
Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Absatz 2 der geänderten
Fassung des § 34a AsylVfG sind Anträge nach § 80 Absatz 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei
rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.
Das Bundesamt hat vorliegend mit Bescheid vom 20. Juni 2013, der den
Antragstellern ausweislich der zu den Akten befindlichen
Postzustellungsurkunde erst am 24. August 2013 zugestellt wurde,
entschieden, dass die von den Antragstellern in Deutschland am 24. Januar
2013 gestellten Asylanträge gem. § 27a AsylVfG unzulässig sind (Ziffer 1.) und
die Abschiebung der Antragsteller nach Belgien angeordnet wird (Ziffer 2.).
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer in der Hauptsache - 2 A
805/13 - anhängigen Klage, die am 6. September 2013 beim erkennenden
Gericht eingegangen ist. Zeitgleich haben sie um Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nachgesucht. Die Klage ist somit
innerhalb der 2-wöchigen Frist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG erhoben
worden; ob eine Verkürzung der Klagefrist auf eine Woche gem. § 74 Abs. 1
Halbs. 2 AsylVfG seit Inkrafttreten der Änderung des § 34a Abs. 2 AsylVfG mit
Wirkung vom 6. September 2013 erfolgt ist, kann im vorliegenden Verfahren
folglich offen bleiben. Da der angefochtene Bescheid den Antragstellern vor
diesem Datum bekanntgegeben wurde, waren sie auch noch nicht gehalten,
ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage binnen
einer Woche zu stellen. Bescheide, die vor Inkrafttreten der e.g.
Gesetzesänderung bekanntgegeben wurden, können von dieser naturgemäß
nicht erfasst werden. Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, würde
vorliegend zugunsten der Antragsteller die Jahresfrist gem. § 58 Abs. 2 VwGO
greifen, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes führt gemäß §
34a Abs. 2 AsylVfG a.F. noch aus, dass die Abschiebung in einen sicheren
Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden dürfe und eine
Klage binnen zwei Wochen zu erheben sei.
Das erkennende Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F.
ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an
der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes
erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrages als
unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Das VG Trier hat hierzu in seinem
Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, zit. nach juris,
eingehend dargelegt, dass eine derartige Einschränkung der gerichtlichen
Entscheidungsbefugnis in Anlehnung an § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG gerade
nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach; eine entsprechende Initiative
zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine
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Mehrheit (a.a.O., Rn. 7 ff.). Dementsprechend ist vorliegend eine reine
Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Beklagten mit dem privaten
Aussetzungsinteresse der Antragsteller vorzunehmen, die sich maßgeblich -
aber nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
orientiert, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen. Diese
Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten der Antragsteller aus, denn der
angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet keinen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
Die Antragsteller haben im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch das
Bundesamt und durch Vorlage belgischer Dokumente eingeräumt, bereits im
Juni / Juli 2012 in Belgien einen Asylantrag gestellt zu haben, der durch
Bescheid des Federale Overheidsdienst Binnenlandse Zaken vom 12.
Dezember 2012 abgelehnt wurde; sie seien darin zur Ausreise aus Belgien
binnen 30 Tagen aufgefordert worden. Hiermit korrespondiert die Erklärung der
belgischen Behörden vom 2. Mai 2013 gegenüber dem Bundesamt, die
Antragsteller gem. Art. 16 Abs. 1 e) VO (EG) 343/2003 des Rates vom 18.
Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und des Verfahrens zur
Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags
zuständig ist (ABl. EU L 50 vom 25. Februar 2003, S. 1) - sog. Dublin-II-
Verordnung -, geändert durch VO (EG) 1103/2008 vom 22. Oktober 2008 (ABl.
EU L 304 vom 14. November 2008, S. 80), nach Maßgabe des Artikels 20
dieser Verordnung wiederaufzunehmen, weil sich die Antragsteller nach
Ablehnung ihrer Asylanträge in Belgien unerlaubt im Bundesgebiet aufhalten
würden. Die Antragsteller haben im vorliegenden Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes ergänzend ausgeführt, ihr gerichtliches Verfahren gegen die
ablehnende Entscheidung der belgischen Asylbehörden hätte keinen Erfolg
gehabt, sodass sie unter Befolgung einer weiteren Ausreisefrist von 10 Tagen
am 14. Januar 2013 in das Bundesgebiet eingereist seien und hier am 24.
Januar 2013 einen weiteren Asylantrag gestellt hätten. Die Zuständigkeit
Belgiens für die Antragsteller nach Maßgabe der Dublin-II-Verordnung kann
somit nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden.
Dies gilt auch in Ansehung der von den Antragstellern herangezogenen
Vorschrift des Art. 16 Abs. 4 VO (EG) 343/2003. Danach erlöschen die
Verpflichtungen nach Art. 16 Abs. 1 Buchstaben d) und e) auch, wenn der für
die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedsstaat nach der Rücknahme oder
der Ablehnung des Antrags die notwendigen Vorkehrungen getroffen und
tatsächlich umgesetzt hat, damit der Drittstaatsangehörige in sein
Herkunftsland oder in ein anderes Land, in das er sich rechtmäßig begeben
kann, zurückkehrt. Daraus folgt - anders als die Antragsteller meinen - nicht,
dass die Verpflichtung Belgiens zur Wiederaufnahme der Antragsteller bereits
dadurch erloschen ist, dass diese in Erfüllung der ihnen gesetzten Ausreisefrist
freiwillig das Gebiet Belgiens verlassen und das Bundesgebiet - wie sie selbst
zugeben - unerlaubt betreten haben. In der bloßen Setzung einer Ausreisefrist
von 30 bzw. 10 Tagen liegt weder das Treffen der notwendigen Vorkehrungen
für eine Rückkehr der Antragsteller in ihr Heimatland, noch kann von einer
tatsächlichen Umsetzung der hierfür notwendigen Vorkehrungen gesprochen
werden. Der zuständige Mitgliedsstaat muss vielmehr auch im Falle einer
freiwilligen Ausreise des Asylbewerbers sicherstellen, dass dieser tatsächlich
im Zielstaat ankommt. Hierfür erscheint ausreichend, den Betroffenen mit einer
Grenzübertrittsbescheinigung auszustatten, wenn er nachweislich einen
Direktflug in sein Heimatland gebucht hat und hierdurch dokumentiert, dass er
das Flugzeug auch tatsächlich besteigen wird. An notwendigen Vorkehrungen
fehlt es hingegen, wenn der Betroffene - wie hier die Antragsteller - lediglich
das Gebiet des zuständigen Mitgliedsstaates auf dem Landweg durch
Überschreiten der Landesgrenze verlässt, indem er sich unerlaubt in einen
benachbarten Mitgliedsstaat begibt (vgl. Funke-Kaiser in:
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Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Loseblatt, Stand 97. Erg.lfg. Februar
2013, § 27a Rn. 268).
Die Einwände der Antragsteller gegen die Entscheidung des Bundesamtes,
dementsprechend ihre Abschiebung nach Belgien gem. § 27 a i.V.m. § 34a
Abs. 1 AsylVfG anzuordnen, greifen nicht durch.
Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin gem. Art. 3 Abs. 2 VO(EG) 343/2003
besteht nicht; das Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin hat sich nicht zu
einer Selbsteintrittspflicht verdichtet.
Soweit die Antragsteller einwenden, die Antragsgegnerin habe ihr
Selbsteintrittsrecht ausgeübt, indem das Bundesamt sie - die Antragsteller - am
6. Februar 2013 persönlich zu ihren Asylgründen insgesamt und nicht nur zu
ihrem Reiseweg angehört habe und damit in eine sachliche Prüfung des
Asylantrags vom 24. Januar 2013 eingetreten sei, hat die Kammer zu dieser
Frage in ihrem Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 A 652/12 -, zit. nach juris Rn. 26, im
Anschluss an die Rechtsprechung des Bay. VGH (Beschluss vom 3. März
2010 - 15 ZB 10.30005 -, InfAuslR 2010, S. 467 f.) bereits entschieden, dass
eine - wie im vorliegenden Fall - bloß routinemäßige, an die Befragung zu
Herkunft und Modalitäten der Einreise sowie die Erforschung des Reisewegs
sich nahtlos unmittelbar anschließende Anhörung des Asylbewerbers zu den
Gründen der Verfolgungsfurcht für sich genommen regelmäßig nicht
hinreichend zum Ausdruck bringe, die Bundesrepublik Deutschland habe
bereits den Entschluss gefasst, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, das
Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner "Gesamtheit" in eigener
Verantwortung durchzuführen. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen
das Bundesamt den Vorgang im Anschluss an die Anhörung nicht sachlich
weiter bearbeite, sondern unmittelbar intern zur Bestimmung des nach der
Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaates weiterleite (Bay. VGH,
a.a.O., zit. nach juris Rn. 5 m.w.N.). Demzufolge blieb aus Sicht der
Antragsteller nach ihrer persönlichen Anhörung zunächst offen, ob ihr
(weiterer) Asylantrag vom Bundesamt inhaltlich geprüft und entschieden wird.
Die vorläufige - aus ihrer Sicht negative - Beantwortung dieser Frage erfolgte
erst mit dem Schreiben des Bundesamtes vom 24. April 2013, in dem ihnen
mitgeteilt wurde, die weitere Bearbeitung ihres Asylantrages erfolge nunmehr
im Referat 431 - Dublin-Referat - in Dortmund. Hieran ist auch in Ansehung der
von den Antragstellern zitierten gegenläufigen, ohnehin älteren
Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte weiter festzuhalten.
Soweit die Antragsteller unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH
(Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, InfAuslR 2012, S.
108 ff., zit. nach juris) und unter Vorlage des National Country Report Belgium
der Asylum Information Database (aida) - Stand 30. April 2013 - weiter
einwenden, dass in Belgien - speziell im flämischen Teil dieses Landes -
systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für
Asylbewerber bestehen und daher die Annahme gerechtfertigt sei, sie liefen
tatsächlich Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im
Sinne des Art. 4 EUGrdRCh ausgesetzt zu werden, vermag das erkennende
Gericht dieser Einschätzung nicht zu folgen. Es liegen dem erkennenden
Gericht keinerlei Erkenntnismittel vor, die den Schluss der Antragsteller
rechtfertigen, Belgien halte die in der Grundrechtscharta der EU, der EMRK
oder der GFK verbrieften Rechte der Asylbewerber nicht ein. Allein aus der
Tatsache, dass der Bericht aus aida auf Seite 6 eine Entscheidungsstatistik
enthält, der sich für das Jahr 2012 entnehmen lässt, dass von 1.470
Gesuchen russischer Asylbewerber lediglich 198 zur Zuerkennung des
Flüchtlingsstatus geführt haben und subsidiärer Schutz in keinem dieser Fälle
gewährt worden sei, lässt sich kein belastbares Indiz herleiten, die belgischen
Behörden verweigerten unionsrechtswidrig russischen Asylbewerbern generell
den subsidiären Schutz. Die Behauptung der Antragsteller, ihnen sei aber
zwingend subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen, ist daher nicht
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ansatzweise geeignet, systemische Mängel in Belgien zu belegen. Denn ob ihr
Asylgesuch in Deutschland zumindest teilweise, d.h. im Hinblick auf
subsidiären Schutz, erfolgreich wäre, erscheint nach Aktenlage derzeit fraglich
und hängt maßgeblich von der Einstufung ihres bisherigen Vorbringens als
glaubhaft durch die zur inhaltlichen Entscheidung berufenen Personen ab.
Auch die Behauptung, die flämischen Kammern entschieden nach den
Ausführungen des Berichtes aus aida generell deutlich strenger als die
französischen, sodass bereits fraglich sei, ob die Entscheidungen flämischer
Kammern rechtsstaatlichen Normen entsprächen, ist nicht ansatzweise
geeignet, systemische Mängel des belgischen Asylverfahrens darzutun. In
jedem Mitgliedsstaat der EU - auch in Deutschland - werden sich regionale
Unterschiede im Hinblick auf die Erfolgsquote behördlicher oder gerichtlicher
Entscheidungen über Asylgesuche ausmachen lassen, ohne dass den
Verwaltungsbehörden und den Gerichten mit geringerer Erfolgsquote
berechtigterweise der Vorwurf mangelnden rechtsstaatlichen Verhaltens
gemacht werden könnte. Das erkennende Gericht ist in diesem
Zusammenhang nicht dazu berufen, dem Vorwurf der Antragsteller
nachzugehen, sie hätten in Belgien kein faires behördliches und gerichtliches
Asylverfahren bekommen, weil ihre Asylgesuche nicht ernsthaft geprüft
worden seien. Hierbei handelt es sich um bloße Behauptungen ohne jedwede
Substanz. Ob die Antragsteller bei ihrer Rücküberstellung nach Belgien in Haft
genommen werden, erweist sich derzeit ebenfalls als rein spekulativ.
Anhaltspunkte für die Annahme, die Erkrankungen der Antragsteller (u.a.
Hepatitis C, depressive Störungen und Tumorerkrankung) würden nach ihrer
Überstellung nach Belgien trotz entsprechenden Verlangens nicht adäquat
weiterbehandelt, bestehen ebenfalls nicht; insoweit greift das sog. System der
normativen Vergewisserung.
Die Antragsgegnerin ist auch nicht deshalb für die inhaltliche Prüfung des
Asylantrags der Antragsteller vom 24. Januar 2013 zuständig geworden, weil
das Bundesamt nach Auffassung der Antragsteller die 3-Monats-Frist des Art.
17 Abs. 1 VO (EG) 343/2003 versäumt habe, indem es erst am 24. April 2013
um 14:23 Uhr gegenüber den belgischen Stellen das
Wiederaufnahmeersuchen angebracht habe. Abgesehen davon, dass die Frist
des Art. 17 Abs. 1 VO (EG) 343/2003 im vorliegenden Sachverhalt nach
allgemeinen Grundsätzen zur Fristberechnung bei Ereignissen erst am 24.
April 2013 um 24:00 Uhr abgelaufen wäre (vgl. § 188 Abs. 2 i.V.m. § 187 Abs.
1 BGB), das Bundesamt somit am letzten Tag der 3-Monats-Frist - mithin noch
rechtzeitig - gehandelt hätte, verkennen die Antragsteller schon im Ansatz,
dass für sie als in Belgien abgelehnte Asylbewerber die dortige
Wiederaufnahme nach Art. 16 Abs. 1 e) i.V.m. Art. 20 VO (EG) 343/2003
erfolgt; für das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 VO (EG) 343/2003
existieren indes keine festen Ausschlussfristen, in denen das
Wiederaufnahmegesuch bei dem anderen Mitgliedsstaat anzubringen ist (vgl.
Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a Rn. 242). Die Kammer hat hierzu in ihrem Urteil
vom 25. Juli 2013 (a.a.O., zit. nach juris Rn. 26 ff.) bereits ausgeführt, dass die
3-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 VO (EG) 343/2003 lediglich Aufnahmen
gemäß Art. 16 Abs. 1 a) VO (EG) 343/2003 betrifft, die aus den in den Kapiteln
III und IV der Dublin-II-Verordnung genannten Zuständigkeitskriterien erfolgen.
Die Kammer hat allerdings auch entschieden (a.a.O.), dass das Bundesamt
die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 20 VO (EG) 343/2003
nicht unangemessen lange verzögern dürfe und eine unzumutbare
Verzögerung mit der Folge einer Selbsteintrittspflicht gem. Art. 3 Abs. 2 VO
(EG) 343/2003 angenommen, wenn der Zeitraum von der Stellung des
Asylantrags beim Bundesamt bis zur Stellung des Wiederaufnahmegesuchs
den 3-Monats-Zeitraum aus Art. 17 Abs. 1 UA 2 VO (EG) 343/2003 um ein
Vierfaches überschreitet. Ein solcher Sachverhalt liegt hier ersichtlich nicht vor.
Schließlich ist die Antragsgegnerin auch nicht deshalb für die Prüfung des
(weiteren) Asylantrags der Antragsteller zuständig geworden, weil die
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Entscheidungsformel und die Rechtsbehelfsbelehnung des angefochtenen
Bescheides des Bundesamtes vom 20. Juni 2013 - so jedenfalls der Vortrag
der Antragsteller - unter Verletzung des § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nur
fehlerhaft bzw. unvollständig in die russische Sprache übersetzt worden ist. Ein
solcher Fehler führt nicht schon zur formellen Rechtswidrigkeit des
angefochtenen Bescheides etwa im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des
§ 37 Abs. 1 VwVfG oder das Begründungserfordernis des § 39 Abs. 1 VwVfG,
denn die insoweit verbindliche Urschrift des Bescheides in deutscher Sprache
weist derartige formelle Mängel ersichtlich nicht auf. Die fehlende oder nur
mangelhafte Übersetzung von Entscheidungsformel und/oder
Rechtsbehelfsbelehrung führen lediglich dazu, dass dem betroffenen
Asylbewerber eine etwaige Versäumung der gesetzlichen Klagefrist gem. § 74
Abs. 1 AsylVfG oder der Antragsfrist des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. - die
vorliegend aus den eingangs genannten Gründen ohnehin nicht in Rede steht
- nicht als schuldhaft anzulasten ist, mit der Folge, dass ein
Wiedereinsetzungsgesuch des betroffenen Asylbewerbers gem. § 60 VwGO
begründet wäre (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 17. Mai 2011 - A 4 K 634/11
-, InfAuslR 2011, S. 311 ff., zit. nach juris Rn. 4). Im Hinblick auf die
Entscheidungsbefugnis des Bundesamtes gem. Art. 3 Abs. 2 VO (EG)
343/2003 sind hieraus ebenfalls keine Weiterungen zu ziehen.
Die Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist im vorliegenden
Fall nicht aufzuheben bzw. zu suspendieren, weil Art. 7 Abs. 1 VO (EG)
1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit
Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) 343/2003 (ABl. EU L 222 vom 5.
September 2003, S. 3) verschiedene Modalitäten der Überstellung eines
Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat vorsieht, darunter gem. Art.
7 Abs. 1 a) der Durchführungsverordnung eine freiwillige - unbegleitete -
Ausreise aus dem Mitgliedsstaat innerhalb einer vorgegebenen Frist. Zwar
werden insoweit Bedenken an der Unionsrechtskonformität des § 34a Abs. 1
AsylVfG geltend gemacht (hierzu näher: Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a Rn. 4 und
§ 34a Rn. 51 ff. m.w.N.). Diese Bedenken greifen auf den vorliegenden
Sachverhalt jedoch nicht durch, denn die Antragsteller haben weder im
verwaltungsbehördlichen noch gerichtlichen Verfahren glaubhaft geltend
gemacht bzw. zu erkennen gegeben, dass sie bereit sind, sich freiwillig
innerhalb kürzester Zeit nach Feststellung des Bundesamtes, dass ihr
(weiterer) Asylantrag gem. § 27a AsylVfG unzulässig ist, wieder nach Belgien
oder - was näher liegt, da der dortige Asylantrag offenbar schon rechtskräftig
abgelehnt wurde - in ihr Heimatland (Russische Föderation) zu begeben. Der
Antragsteller zu 1.) hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung beim
Bundesamt u.a. zugegeben, er habe im November (gemeint wohl Dezember)
2012 ein Schreiben der belgischen Behörden bekommen, in dem gestanden
habe, er solle das Land verlassen. Daraufhin sei er nach Deutschland mit dem
Auto gefahren. Aus den von den Antragstellern hier vorgelegten belgischen
Dokumenten ergibt sich indes weiter, dass die Antragsteller u.a. auch darüber
belehrt worden sind, dass sich ihre Ausreispflicht auch auf die Gebiete anderer
Mitgliedsstaaten der EU, namentlich Deutschland, erstreckt (vgl. Seite 3 des
Bescheids des Federale Overheidsdienst Binnenlandse Zaken vom 12.
Dezember 2012: „evenals het grondgebied van Duitsland …“). Es liegt damit
auf der Hand, dass die Antragsteller nicht bereit sind, jedenfalls freiwillig das
Gebiet der Mitgliedsstaaten der EU zu verlassen, sondern sich - wie
geschehen - unter Umständen durch ein sog. „Hopping“ von Mitgliedsstaat zu
Mitgliedsstaat begeben, um der Vollstreckung ihrer Ausreisepflicht zu
entgehen. Unter diesen Umständen erscheint es verhältnismäßig, wenn das
Bundesamt - der national-gesetzlichen Vorgabe folgend - gemäß § 34a Abs. 1
AsylVfG die Abschiebung der Antragsteller angeordnet hat und somit auf eine
begleitete Rückführung derselben nach Belgien setzt.
Eine andere rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ergibt sich
auch nicht aus dem Umstand, dass die Nachfolgeverordnung zur Dublin-II-
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Verordnung, die Verordnung (EU) 604/2013 des europäischen Parlaments und
des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180 vom 29. Juni 2013, Seite 31) -
sog. Dublin-III-Verordnung -, ausweislich ihres Artikels 49 Abs. 1 bereits am 19.
Juli 2013 in Kraft und damit die Dublin-II-Verordnung außer Kraft getreten ist,
denn gemäß Art. 49 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung ist diese erst auf Anträge
auf internationalen Schutz bzw. Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme
von Antragstellern anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Bis
dahin bleiben die Bestimmungen der Dublin-II-Verordnung anwendbar. Aus
künftigen Verbesserungen bzw. Straffungen des sog. Dublin-Verfahrens
können somit die Antragsteller derzeit nichts für sich herleiten.
Da die (weiteren) Asylanträge der Antragsteller gem. § 27a AsylVfG unzulässig
sind, können sie eine Sachprüfung durch das Bundesamt mit dem Ziel der
Zuerkennung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
nicht beanspruchen und damit auch nicht im vorliegenden gerichtlichen
Verfahren erstreiten. Sie sind vielmehr darauf zu verweisen, im Zuge ihrer
Überstellung an die belgischen Behörden gegenüber denselben ggf. einen
Asylfolgeantrag mit dem Ziel der Zuerkennung subsidiären Schutzes zu
stellen.
Gemäß §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu
gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn der Antrag der Antragsteller
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer in der Hauptsache
anhängigen Klage hat aus den vorstehenden Gründen keine hinreichenden
Erfolgsaussichten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden
gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).