Urteil des VG Göttingen vom 03.01.2014

VG Göttingen: verordnung, bundesamt, kommission der eg, asylbewerber, asylverfahren, aufschiebende wirkung, genfer flüchtlingskonvention, russische föderation, anhörung, abschiebung

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Dublin-II-Verfahren - Abschiebungsanordnung Polen
1. An die Begründung der Ermessensentscheidung des Bundesamtes zu
Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung sind bei Fehlen individueller
Besonderheiten des Einzelfalls keine hohen Anforderungen zu stellen.
2. Russische Staatsangehörige, die gegenüber den polnischen
Grenzschutzbehörden ein Asylgesuch nur zu dem Zweck äußern, sich
hierdurch eine Weiterreisemöglichkeit nach Deutschland zu verschaffen
und der Weisung zur unverzüglichen Meldung in der zugewiesenen
Aufnahmeeinrichtung nicht Folge leisten, können sich auf systemische
Mängel der Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für Flüchtlinge in
Polen generell nicht berufen.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 03.01.2014, 2 B 763/13
§ 34a AsylVfG, § 27a AsylVfG, Art 16 Abs 1d EGV 343/2003, Art 2f EGV 343/2003,
Art 3 Abs 2 EGV 343/2003, § 39 Abs 1 S 3 VwVfG
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind russische Staatsangehörige tschetschenischer
Volkszugehörigkeit. Sie reisten eigenen Angaben zufolge am 11. Mai 2013
zusammen mit anderen tschetschenischen Flüchtlingen von Tschetschenien
kommend über I. und die weißrussische Stadt J. mit der Bahn in das Gebiet
der Europäischen Union ein und beantragten bei der polnischen
Grenzschutzbehörde der Stadt K. (Polen) Asyl. Zu den Einreisemodalitäten
führten sie weiter aus, die weißrussische Grenzstadt J. ohne jegliche
Kontrollen durch die weißrussischen Grenzschutzbehörden erreicht zu haben;
auch in dem Personenzug von J. nach K. hätten keine Kontrollen
stattgefunden. In K. hätten sie gegenüber der polnischen Grenzschutzbehörde
ein Asylgesuch geäußert, sonst wäre ihnen die Einreise nach Polen verweigert
worden. Der Antragsteller zu 1.) führte gegenüber dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge im Rahmen seiner persönlichen Befragung am 23.
Mai 2013 hierzu weiter aus, die polnischen Grenzschützer hätten ihnen - den
Antragstellern - ihre Unterlagen (Reisepässe und sonstige
Personaldokumente) abgenommen; sie hätten danach polnische Papiere
unterschreiben müssen. Zudem sei ihnen gesagt worden, wenn sie sich nicht
innerhalb von zwei Tagen zu der angegebenen Aufnahmeeinrichtung
begeben würden, gelte ihr Asylantrag automatisch als zurückgenommen. Im
Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 28. Mai 2013
ergänzte der Antragsteller zu 1.), er habe seinen Asylantrag in Polen nur
gestellt, um Papiere zu bekommen, damit er nach Deutschland weiterreisen
könne. Er habe von Anfang an nur nach Deutschland kommen wollen. Hierzu
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führten die Antragsteller im vorliegenden Verfahren weiter aus, sie hätten sich
weniger als 24 Stunden auf dem Territorium Polens aufgehalten. Sie seien
unmittelbar nach Dokumentation ihres Asylgesuchs in K. mit einem Taxi nach
Deutschland weitergereist und hätten die deutsch-polnische Grenze am 12.
Mai 2013 überschritten. Sie hätten sich sodann unverzüglich in der
Aufnahmeeinrichtung des Bundesamtes in L. als Asylbewerber gemeldet. Von
einer Meldung in der zugewiesenen polnischen Aufnahmeeinrichtung hätten
sie abgesehen, da ihnen die aus ihrer Sicht mangelnde Situation der
tschetschenischen Flüchtlinge in polnischen Aufnahmeeinrichtungen bekannt
gewesen sei und sie im Übrigen in Polen keine Sicherheit vor Übergriffen von
Verwandten und anderen Tschetschenen zu erwarten gehabt hätten.
Nach der persönlichen Anhörung der Antragsteller zu 1.) und 2.) am 28. Mai
2013, die auch die Gründe des individuell geltend gemachten
Verfolgungsschicksals umfasste, gab die Außenstelle M. des Bundesamtes
das Verfahren an das Referat 431 des Bundesamtes in N. zum Zwecke der
Stellung eines Übernahmeersuchens an den zuständigen Mitgliedsstaat ab.
Auf das am 3. Juli 2013 gestellte Übernahmeersuchen des Bundesamtes
erklärte das Office for Foreigners of the Republic of Poland - Department for
Refugee Procedures - mit Schreiben vom 5. Juli 2013 seine Zuständigkeit für
die Wiederaufnahme der Antragsteller gem. Artikel 16 Abs. 1 d) der Dublin-II-
Verordnung. Daraufhin entschied das Bundesamt mit angefochtenem
Bescheid vom 15. Juli 2013, den Antragstellern am 1. August 2013 zugestellt,
dass die Asylanträge der Antragsteller unzulässig sind (Ziffer 1) und ihre
Abschiebung nach Polen angeordnet werde (Ziffer 2). Zur Begründung
verweist das Bundesamt im Wesentlichen auf die von Polen gem. Artikel 16
Abs. 1 d) der Dublin-II-Verordnung erklärte Zuständigkeit für die Asylanträge
der Antragsteller. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die
Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnte, ihr Selbsteintrittsrecht gem.
Artikel 3 der Dublin-II-Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Hiergegen haben die Antragsteller am 6. August 2013 die beim erkennenden
Gericht unter dem Aktenzeichen 2 A 762/13 anhängige Klage erhoben und
zeitgleich um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes
nachgesucht. Zur Begründung ihrer Klage und ihres Antrags tragen sie im
Wesentlichen vor, das Bundesamt habe sein Selbsteintrittsrecht durch die
umfassende Anhörung zu dem persönlichen Verfolgungsschicksal im Rahmen
der Anhörungen vom 28. Mai 2013 konkludent ausgeübt. Das polnische
Asylsystem genüge nicht europäischen Mindeststandards, insbesondere
seien die Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für Asylbewerber sowie
deren sozialer Schutz und der Zugang zu medizinischer Versorgung nicht
zureichend. Deshalb verstoße die angefochtene Entscheidung gegen Artikel 3
EMRK und Artikel 18 der EU-Grundrechtscharta. Sie müssten damit rechnen,
nach ihrer Überstellung in Polen inhaftiert zu werden, da sie während eines
laufenden Asylverfahrens Polen illegal verlassen hätten. Sie würden getrennt
nach Männern und Frauen in ein bewachtes Verwahrungszentrum verbracht
werden. Dort würden sie solange inhaftiert, bis sie ihre Wiederaufnahme des
Asylverfahrens beantragen würden. Eine tatsächliche Wiederaufnahme ihres
Asylverfahrens sei wegen der sprachlichen Barriere und der mangelnden
rechtlichen Unterstützung jedoch nicht gewährleistet. Aufgrund der historisch
bedingten Vorbehalte der Polen gegenüber Russen, insbesondere aber der
Vorbehalte gegenüber Tschetschenen nicht zuletzt aufgrund des im Frühjahr
2013 erfolgten Attentats von Tschetschenen in Boston (USA) zeichne sich ab,
dass sie bei ihrer Wiederaufnahme in Polen kein faires Asylverfahren zu
erwarten hätten. Sie würden wohl als Wirtschaftsflüchtlinge ohne Prüfung des
Einzelfalls nach Russland abgeschoben werden. Jedenfalls drohe ihnen bis
zur Entscheidung der polnischen Behörden über ihr Asylbegehren
Obdachlosigkeit. Daneben habe das Bundesamt die Gründe für die negative
Ermessensentscheidung in dem angefochtenen Bescheid nicht
wiedergegeben. Zudem seien die Änderungen des sog. Dublin-Verfahrens
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durch die bereits in Kraft getretene Dublin-III-Verordnung im vorliegenden
Verfahren zu beachten. Schließlich verstoße die Abschiebungsanordnung des
Bundesamtes gegen Artikel 7 der Verordnung (EG) 1560/2003.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage - 2 A 762/13 - gegen die in dem
Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juli
2013 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid des
Bundesamtes und trägt unter Heranziehung neuerer Rechtsprechung und
verschiedener englischsprachiger Erkenntnismittel ergänzend vor, es gebe
keinen Grund für die Annahme systemischer Mängel im polnischen
Asylverfahren. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Schriftsatz des
Bundesamtes vom 8. August 2013 verwiesen.
II.
Die Kammer entscheidet über den am 6. August 2013 anhängig gemachten
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am selben Tage
erhobenen Klage - 2 A 762/13 - der Antragsteller gegen die
Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in
dem Bescheid vom 15. Juli 2013, der ihnen offenbar am 1. August 2013 in der
Erstaufnahmeeinrichtung in M. persönlich ausgehändigt wurde, nach dem zum
Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Prozessrecht.
Gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG in der hier anzuwendenden Fassung des Art. 1
Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (sog.
Qualifikationsrichtlinie) vom 28. August 2013 (BGBl. I Nr. 54 vom 5. September
2013, S. 3474), die nach Art. 7 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der
Verkündung - somit dem 6. September 2013 - in Kraft getreten ist, ordnet das
Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG)
oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§
27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an,
sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der
Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften
der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der
Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen
Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Absatz 2 der geänderten
Fassung des § 34a AsylVfG sind Anträge nach § 80 Absatz 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei
rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig.
Hinsichtlich der am 6. September 2013 - mithin während der Anhängigkeit des
vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - in Kraft getretenen
Änderung des § 34a Abs. 2 AsylVfG fehlt es im Gesetz zur Umsetzung der
Richtlinie 2011/95/EU (a.a.O.) an einer Übergangsvorschrift für die zu diesem
Zeitpunkt bei den Verwaltungsgerichten bereits anhängigen einstweiligen
Rechtsschutzverfahren. Dies hat nach dem allgemein anerkannten Grundsatz
des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des gerichtlichen
Verfahrensrechts auch alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen
Verfahren erfasst und der Bürger nicht darauf vertrauen kann, dass das
Prozessrecht unverändert bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2
BvR 1631/90 und 1728/90 -, BVerfGE 87, S. 48 ff., zit. nach juris Rn. 39 f., 43
und 46; BVerwG, Beschluss vom 24. September 1997 - 3 B 136/97 -, Buchholz
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310 § 124 VwGO Nr. 28, zit. nach juris Rn. 7, jew.m.w.N.), hier die Anwendung
der Neufassung des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zur Folge, womit die
Antragsteller gegenüber der alten Rechtslage deutlich besser gestellt werden
(vgl. die Stellungnahme des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren vom 3.
Mai 2013, BR-Drs. 218/13, zu Nr. 1). Die Anwendung der Neufassung des §
34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ist daneben gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2
AsylVfG geboten, wonach in Streitigkeiten nach dem AsylVfG das Gericht auf
die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt abstellt, in dem die Entscheidung
gefällt wird (vgl. zur sofortigen Anwendbarkeit von Gesetzesneufassungen in
anhängigen Asylverfahren: BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43/07 -,
BVerwGE 131, S. 198 ff., zit. nach juris Rn. 10 m.w.N.). Der Antrag der
Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist somit
statthaft geworden.
Die in der Hauptsache anhängige Klage ist auch innerhalb der 2-wöchigen
Frist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG erhoben worden, sodass das
Rechtschutzbedürfnis für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung besteht; ob eine Verkürzung der Klagefrist auf eine Woche gem. § 74
Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG seit Inkrafttreten der Änderung des § 34a Abs. 2
AsylVfG mit Wirkung vom 6. September 2013 erfolgt ist, kann die erkennende
Kammer im vorliegenden Verfahren offen lassen. Das Bundesamt gibt seinen
Außenstellen für die Rechtsbehelfsbelehrung ersichtlich eine zweiwöchige
Klagefrist vor (vgl. Rundschreiben des Bundesamtes an alle Innenministerien
der Bundesländer vom 17. Juli 2013 - 430-93604-01/13-05 - zur Änderung der
Verfahrenspraxis des Bundesamtes im Rahmen des Dublinverfahrens im
Hinblick auf § 34a AsylVfG n.F.); die Rechtsbehelfsbelehrung des
angefochtenen Bescheides verhält sich dementsprechend. Wäre dagegen
eine einwöchige Klagefrist zugrunde zu legen, was nach dem Wortlaut des §
74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylVfG jedenfalls nicht von vorn herein auszuschließen ist,
wäre diese vorliegend auch gewahrt worden.
Das erkennende Gericht folgt der bislang zu § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F.
ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an
der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes
erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrages als
unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Das VG Trier hat hierzu in seinem
Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, zit. nach juris,
eingehend dargelegt, dass eine derartige Einschränkung der gerichtlichen
Entscheidungsbefugnis in Anlehnung an § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG gerade
nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach; eine entsprechende Initiative
zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine
Mehrheit (a.a.O., Rn. 7 ff.). Dementsprechend ist vorliegend eine reine
Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem
privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller vorzunehmen, die sich
maßgeblich - aber nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der
Hauptsache orientiert, soweit diese sich bei summarischer Prüfung im
vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschätzen lassen.
Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten der Antragsteller aus,
denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Antragsteller haben im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch das
Bundesamt und im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
unumwunden eingeräumt, bereits am 11. Mai 2013 in K. (Republik Polen)
einen Asylantrag gestellt zu haben. Hiermit korrespondiert die Erklärung der
polnischen Behörden vom 5. Juli 2013 gegenüber dem Bundesamt, die
Antragsteller gem. Art. 16 Abs. 1 d) VO (EG) 343/2003 des Rates vom 18.
Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und des Verfahrens zur
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Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist
(ABl. EU L 50 vom 25. Februar 2003, S. 1) - sog. Dublin-II-Verordnung -,
geändert durch VO (EG) 1103/2008 vom 22. Oktober 2008 (ABl. EU L 304
vom 14. November 2008, S. 80), nach Maßgabe des Artikels 20 dieser
Verordnung wiederaufzunehmen, weil es sich bei den Antragstellern um
Asylbewerber handelt, die ihren Antrag auf Asyl während der Antragsprüfung
zurückgezogen und danach einen weiteren Asylantrag in einem anderen
Mitgliedsstaat gestellt haben. Gemäß Art. 2 f) der Dublin-II-Verordnung gilt als
„Rücknahme des Asylantrags“ die vom Antragsteller im Einklang mit dem
einzelstaatlichen Recht ausdrücklich oder stillschweigend unternommenen
Schritte zur Beendigung des Verfahrens, das aufgrund des von ihm
eingereichten Asylantrags eingeleitet wurde. Die Zuständigkeit Polens für die
Antragsteller nach Maßgabe der Dublin-II-Verordnung kann somit nicht
ernstlich in Zweifel gezogen werden.
Die Einwände der Antragsteller gegen die Entscheidung des Bundesamtes,
dementsprechend ihre Abschiebung nach Polen gem. § 27 a i.V.m. § 34a Abs.
1 AsylVfG anzuordnen, greifen nicht durch.
Soweit die Antragsteller in formeller Hinsicht geltend machen, das Bundesamt
habe in dem angefochtenen Bescheid seine Ermessensentscheidung im
Hinblick auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Antragsgegnerin schon
nicht in einer den Anforderungen des § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG
entsprechenden Weise begründet, folgt die erkennende Kammer diesem
Einwand nicht.
Die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sind in der
Dublin-II- Verordnung nicht ausdrücklich geregelt und bleiben daher dem
innerstaatlichen Recht überlassen (vgl. Filzwieser/Sprung, Kommentar zur
Dublin II-Verordnung, 3. Auflage, K 8 zu Art. 3). Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-
Verordnung wird i.V.m. Art. 15 der Dublin-II- Verordnung als eine
Generalklausel für die Zuständigkeitsübernahme in Fällen angesehen, in
denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte
Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Wertordnung der Grundrechte einen
Selbsteintritt erfordern (vgl. etwa Nds. OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB
163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383 ff., zit. nach juris Rn. 42 ff. m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist die Ermessensentscheidung des Bundesamtes in
dem angefochtenen Bescheid nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat dort
ausgeführt, dass außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die
Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs.
2 Dublin-II-VO auszuüben, nicht ersichtlich seien. Diese pauschalen
Ausführungen sind angesichts fehlender individueller Besonderheiten des
vorliegenden Einzelfalls ausreichend, um einerseits dem
Begründungserfordernis des § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG gerecht zu werden,
andererseits erlauben sie der erkennenden Kammer eine Überprüfung der
getroffenen Entscheidung nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO mit dem
Ergebnis, dass ein Ermessensausfall oder sonstige Ermessensfehler nicht
ersichtlich sind.
Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin gem. Art. 3 Abs. 2 EGV 343/2003
besteht nicht; das Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin hat sich nicht zu
einer Selbsteintrittspflicht verdichtet.
Soweit die Antragsteller einwenden, die Antragsgegnerin habe ihr
Selbsteintrittsrecht ausgeübt, indem das Bundesamt sie - die Antragsteller - am
28. Mai 2013 persönlich zu ihren Asylgründen insgesamt und nicht nur zu
ihrem Reiseweg angehört habe und damit in eine sachliche Prüfung des
(weiteren) Asylantrags vom 23. Mai 2013 eingetreten sei, hat die Kammer zu
dieser Frage in ihrem Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 A 652/12 -, zit. nach juris Rn.
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26, im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen VGH (Beschluss
vom 3. März 2010 - 15 ZB 10.30005 -, InfAuslR 2010, S. 467 f.) bereits
entschieden, dass eine - wie im vorliegenden Fall - bloß routinemäßige, an die
Befragung zu Herkunft und Modalitäten der Einreise sowie die Erforschung
des Reisewegs sich nahtlos unmittelbar anschließende Anhörung des
Asylbewerbers zu den Gründen der Verfolgungsfurcht für sich genommen
regelmäßig nicht hinreichend zum Ausdruck bringe, die Bundesrepublik
Deutschland habe bereits den Entschluss gefasst, von ihrem Recht Gebrauch
zu machen, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner
"Gesamtheit" in eigener Verantwortung durchzuführen. Dies gelte
insbesondere in den Fällen, in denen das Bundesamt den Vorgang im
Anschluss an die Anhörung nicht sachlich weiter bearbeite, sondern
unmittelbar intern zur Bestimmung des nach der Dublin-II-Verordnung
zuständigen Mitgliedstaates weiterleite (Bay. VGH, a.a.O., zit. nach juris Rn. 5
m.w.N.). Demzufolge blieb aus Sicht der Antragsteller nach ihrer persönlichen
Anhörung zunächst offen, ob ihr (weiterer) Asylantrag vom Bundesamt
inhaltlich geprüft und entschieden wird. Die vorläufige - aus ihrer Sicht negative
- Beantwortung dieser Frage erfolgte erst mit dem Schreiben des
Bundesamtes vom 3. Juli 2013, in dem ihnen mitgeteilt wurde, die weitere
Bearbeitung ihres Asylantrages erfolge nunmehr im Referat 431 - Dublin-
Referat - in N.. Hieran ist auch in Ansehung der von den Antragstellern zitierten
gegenläufigen, ohnehin älteren Rechtsprechung einzelner
Verwaltungsgerichte weiter festzuhalten (so schon der dem
Prozessbevollmächtigten der Antragsteller und der Antragsgegnerin bekannte
Beschluss der Kammer vom 11. Oktober 2013 - 2 B 806/13 -, zit. nach juris Rn.
8).
Soweit die Antragsteller unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH
(Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, InfAuslR 2012, S.
108 ff., zit. nach juris) und unter Vorlage diverser Erkenntnismittel zur Situation
tschetschenischer Flüchtlinge in Polen (u.a. UNHCR Briefing Notes vom 7.
Juni 2013; Asylum Information Database (AIDA), National Country Report
Poland vom 15. April 2013; Witold/Rusikowicz, Migration is not a Crime, 1.
Auflage 2013, hrsg. Helsinki Foundation for Human Rights Warschau;
Bota/Wahba, Grenzen der Barmherzigkeit, in: Zeit Online vom 14. Juni 2013;
Simon, Gespenster gehen um in Europa, in: Le Monde Paris Online vom 18.
Januar 2011; Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Situation tschetschenischer
Flüchtlinge in Polen, Stand Januar 2011; Bericht in www.faz.net „Jede Woche
kommt ein Dorf“; ECRE-Studie zur Dublin II-Praxis vom März 2006, Bericht des
Diakonischen Werkes und der Evangelischen Kirche über die 14. Europäische
Asylkonferenz in Warschau; kleine Anfrage vom 6. Dezember 2004, BT-Drs.
15/4465) einwenden, dass in Polen systemische Mängel des Asylverfahrens
und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen und daher die
Annahme gerechtfertigt sei, sie liefen tatsächlich Gefahr, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4
EUGrdRCh ausgesetzt zu werden, können die Antragsteller aufgrund der von
ihnen geschilderten Einreisemodalitäten mit diesem Einwand generell nicht
durchdringen. Sie haben angegeben, sich weniger als 24 Stunden auf dem
Territorium der Republik Polen aufgehalten zu haben, nachdem sie gegenüber
der polnischen Grenzschutzbehörde in K. ihr Asylgesuch angebracht hatten.
Insbesondere sind sie durch eine freie und autonome Willensentscheidung
nicht der wohlverstandenen Aufforderung der polnischen Grenzschutzbehörde
gefolgt, sich binnen 2 Tagen in der ihnen zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung
zu melden. Den Hinweis, andernfalls gelte ihr Asylgesuch als zurückgezogen,
haben sie ebenfalls verstanden. Die Antragsteller haben sich danach ohne
aktuelle und gesicherte Erkenntnisse der Aufnahme- und
Unterbringungsbedingungen tschetschenischer Flüchtlinge in Polen
entschieden, sofort nach Deutschland weiterzureisen und dort ein weiteres
Asylgesuch anzubringen. Sie haben damit bewusst das gegenüber der
polnischen Grenzschutzbehörde in K. geäußerte Asylgesuch dazu
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missbraucht, sich eine Transitmöglichkeit über polnisches Territorium in die
Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. Dieser Missbrauch des Rechts
zur Stellung eines Asylgesuchs an einer EU-Außengrenze kann den
Antragstellern im vorliegenden Verfahren nicht auch noch dazu verhelfen, die
Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen für tschetschenische
Asylbewerber in Polen generell als mit systemischen Mängeln behaftet
einzuwenden, obwohl sie diese nicht aus eigener Anschauung erfahren
haben. Diese Art der Rechtsverfolgung liefe der Sache nach auf eine
Popularklage hinaus, die in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht vorgesehen
ist. Die Antragsteller verkennen bzw. haben zum Zeitpunkt ihrer sofortigen
Weiterreise nach Deutschland verkannt, dass ihnen das Unionsrecht keine
Wahlmöglichkeit einräumt, in einem ihnen angenehmen Mitgliedsstaat der
Europäischen Union ihr Asylverfahren zu betreiben. Die unionsrechtlichen
Vorgaben der Dublin-II-Verordnung über die Zuständigkeit eines bestimmten
Mitgliedsstaates für die Bearbeitung ihres Asylgesuchs sind auch für sie
bindend. Der Versuch der Antragsteller, sich der Zuständigkeit der Republik
Polen eigenmächtig und ohne Not, d.h. ohne unmenschliche oder
erniedrigende Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen selbst erfahren zu
haben, zu entziehen, kann daher von vorn herein keine Verpflichtung der
Antragsgegnerin zum Selbsteintritt gem. Art. 3 Abs. 2 EGV 343/2003 auslösen.
Die Antragsteller sind nach den Maßstäben des polnischen Flüchtlingsrechts
gegenwärtig vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, denn ihr am 11. Mai
2013 in K.
geäußertes Asylgesuch gilt als zurückgenommen, wie die auf Art. 16 Abs. 1 d) EGV
343/2003 gestützte Übernahmeerklärung des Office for Foreigners of the
Republic of Poland - Department for Refugee Procedures - mit Schreiben vom
5. Juli 2013 belegt. Dass ihr Asylverfahren in Polen aufgrund der
Obliegenheitsverletzung, sich nicht binnen 2 Tagen in der zugewiesenen
Aufnahmeeinrichtung zu melden, sondern stattdessen nach Deutschland
unerlaubt weiterzureisen, derzeit eingestellt ist, kann weder nach deutschen
noch nach unionsrechtlichen Maßstäben beanstandet werden. Gemäß § 20
Abs. 2 AsylVfG gelten für einen später gestellten Asylantrag eines Ausländers,
der seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung in der zuständigen oder
nächstgelegenen Aufnahmeeinrichtung gem. § 18 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1
nicht nachgekommen ist, die Regelungen über den Asylfolgeantrag gem. § 71
AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG. Die von einer Rücknahmefiktion i.S.d. Art. 16 Abs.
1 d) i.V.m. Art. 2 f) der Dublin-II-Verordnung betroffenen Antragsteller haben
nach Angaben des Bundesamtes unter Bezugnahme auf entsprechende
Auskünfte seiner Liaisonbeamten in Warschau, die in vergleichbaren, bei der
erkennenden Kammer anhängigen Verfahren eingeführt wurden, gemäß dem
polnischen Flüchtlingsschutzgesetz vom 13. März 2003 die Möglichkeit,
unmittelbar nach ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedsstaat Polen
entweder ein Wideraufnahmeantrag nach Art. 42 oder einen Folgeantrag zu
stellen. Ein Wideraufnahmeantrag könne innerhalb einer Frist von 2 Jahren
nach Verfahrenseinstellung gegenüber den polnischen Grenzschutzbehörden
gestellt werden. Ob ein betroffener Asylbewerber nach entsprechender
Stellung eines Wideraufnahme- oder Folgeantrags in einer geschlossenen
Aufnahmeeinrichtung untergebracht werde, entscheide ein zuständiges
Gericht in Polen. Durchgreifende unionsrechtliche Bedenken gegen diese
nationalstaatlichen Asylverfahrensbestimmungen Polens, die nach der
Überstellung der Antragsteller in den zuständigen Mitgliedsstaat offenbar Platz
greifen, vermag die erkennende Kammer derzeit nicht zu erblicken. Das
Unionsrecht, namentlich Art. 18 der EU-Grundrechtscharta, Art. 6 EMRK und
die Genfer Flüchtlingskonvention, schließt es nur aus, dass ein Asylbewerber,
der den zuständigen Mitgliedsstaat nach Asylantragstellung illegal verlassen
hat, ehe der Antrag inhaltlich geprüft wurde, später aber dorthin überstellt wird,
aufgrund einer zwischenzeitlich nach nationalem Asylverfahrensrecht des
zuständigen Mitgliedsstaats eingetretenen Rücknahmefiktion keine Möglichkeit
mehr hat, das fiktiv zurückgewiesene bzw. eingestellte Asylverfahren
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fortzusetzen oder stattdessen einen neuen Asylantrag zu stellen, um im
Ergebnis eine inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens durch den
zuständigen Mitgliedsstaat zu erreichen. Nur in diesem Fall liefe der betroffene
Drittstaatsangehörige tatsächlich Gefahr, ohne jedwede inhaltliche Prüfung
seines Asylantrags in den Herkunfts- oder gar Verfolgerstaat zurückkehren zu
müssen (vgl. Filzwieser/Sprung, Kommentar zur Dublin II-Verordnung, 3.
Auflage, K 14 zu Art. 2 m.w.N., unter Hinweis auf das von der Kommission der
EG gegen Griechenland beim EuGH am 31. März 2008 anhängig gemachte
Vertragsverletzungsverfahren C-130/08; Mitteilung vom 31. März 2008
abrufbar in juris).
Soweit die Antragsteller insoweit die Verschlechterung ihres
asylverfahrensrechtlichen Status nach ihrer Überstellung im Hinblick auf ihre
künftigen Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen einwenden, rechtfertigt
dieser Umstand ebenfalls nicht die Annahme systemischer Mängel des
polnischen Asylsystems im Sinne der o.g. EUGH- Rechtsprechung. Die
Antragsteller müssen sich aufgrund ihres eigenen Willensentschlusses, illegal
nach Deutschland weiterzureisen, die vermeintliche Verschlechterung ihres
Status bei der Weiterverfolgung ihres Asylbegehrens in Polen zurechnen
lassen. Im Ergebnis schließt sich die erkennende Kammer insoweit den
Ausführungen des
Verwaltungsgerichts Potsdam im Beschluss vom 30. September 2013 -
VG 6 L 484/13.A - (BA S. 3 f.; abrufbar unter www.asyl.net) an, das
Folgendes ausgeführt hat:
„Das dortige Asylverfahren gilt indessen mit Untertauchen bzw. Weiterreise
nach Deutschland regelmäßig als beendet oder zurückgenommen, so dass
der Asylbewerber sein Asylbegehren nur unter erschwerten Umständen (wohl
vergleichbar mit einem Wideraufnahmeverfahren nach § 51 VwVfG) in Polen
weiterverfolgen kann. Ist aber ein in Polen erstmalig registrierter Asylbewerber
entgegen der behördlichen Weisung, eine bestimmte Asylunterkunft zu seiner
Unterbringung aufzusuchen, nach Deutschland weitergereist, hat er zugleich
auch einen Verstoß im Sinne von Art. 16 Abs. 1
Buchstabe a der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31 vom
6.2.2003, S. 18) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von
Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten - Aufnahmerichtlinie - begangen. In
diesem Fall ist der Mitgliedsstaat berechtigt, die an sich nach Art. 7 Abs. 1 zu
gewährende Bewegungsfreiheit des Asylbewerbers entsprechend Art. 16 Abs.
1 und 4 der Aufnahmerichtlinie einzuschränken. Die Rücknahme des
Asylbewerbers durch Abschiebung nach Polen kann daher auch einen
schlechteren Unterbringungsstatus nach sich ziehen, der jedenfalls teilweise
mit demjenigen vergleichbar ist, der untergetauchte und vollziehbar
ausreisepflichtige Asylbewerber in Deutschland trifft
(Abschiebungsgewahrsam). Freilich haben sich solchermaßen weiterreisende
Drittstaatsangehörige diesen schlechteren Status bei der Verfolgung ihres
Asylbegehrens und Unterbringung in Polen selbst zuzuschreiben, denn es hat
sie niemand gezwungen, nach Deutschland weiterzureisen. Nach alledem
kann nicht erkannt werden, das hierin ein systemischer Mangel oder eine
erniedrigende Behandlung liegt, zumal überwiegend diese Einrichtungen eine
angemessene Gesundheitsversorgung und familiengerechte Unterbringung
gewährleisten (zu den Einzelheiten, s.o. Witold u.a., a.a.O., S. 23 ff.; so schon
VG Potsdam, B. vom 23. September 2013 - VG 6 L 514/13.A).“
Dieser Befund wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH zur
Anwendbarkeit der sog. Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des
Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008, ABl. L
348, S. 98) auf bestimmte Gruppen von Asylbewerbern bestätigt. Der EuGH
hat in seinem Urteil vom 30. Mai 2013 (C-534/11 -, InfAuslR 2013, S. 285 ff., zit.
nach juris) unter anderem ausgeführt, dass den Regelungen der
Aufnahmerichtlinie nicht entgegensteht, dass die Inhaftierung eines
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Drittstaatsangehörigen, der im Sinne der Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG um
internationalen Schutz ersucht hat, nachdem er gemäß Art. 15 der
Rückführungsrichtlinie in Haft genommen worden war, auf der Grundlage einer
nationalen Rechtsvorschrift aufrecht erhalten wird, wenn sich nach einer
fallspezifischen Beurteilung sämtlicher relevanter Umstände herausstellt, dass
dieser Antrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der
Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden, und es objektiv
erforderlich ist, die Haftmaßnahme aufrecht zu erhalten, um zu verhindern,
dass sich der Betroffene endgültig seiner Rückführung entzieht (Tenor Nr. 2.
des e.g. Urteils, zit. nach juris, Rn. 63). Mit anderen Worten wäre es
unionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Antragsteller nach ihrer
Überstellung an Polen ggf. auch nach Stellung eines Wideraufnahme- oder
Folgeantrags gemäß den o.g. Regelungen des polnischen
Flüchtlingsschutzgesetzes zunächst in Gewahrsam genommen werden bzw.
dort verbleiben und zunächst ein polnisches Gericht über die Fortdauer des
Gewahrsams bzw. der Inhaftierung entscheiden muss. Das Unionsrecht
gebietet es jedenfalls nicht, dass die Stellung eines Asyl- bzw.
Asylfolgeantrags automatisch zu einer Beendigung der Inhaftierung bzw. des
Gewahrsams des betroffenen Drittstaatsangehörigen führt (vgl. dazu auch
Hörich in ZAR 2013, S. 295 ff., Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 30. Mai
2013, a.a.O.).
Nicht nachvollziehbar ist der weitere Einwand der Antragsteller, eine
tatsächliche Wiederaufnahme ihres Asylverfahrens in Polen stehe aufgrund
sprachlicher Barrieren und mangelnder rechtlicher Unterstützung nicht zu
erwarten. Diese Behauptungen sind nicht substantiiert, insbesondere geben
die von den Antragstellern geschilderten Abläufe bei ihrer Einreise in die
Republik Polen sowie die von ihnen vorgelegten Erkenntnismittel nichts her.
Verständigungsschwierigkeiten hat es offenbar bei der Asylantragstellung am
11. Mai 2013 in K. nicht gegeben, zumal die Antragsteller auch den Hinweis
auf ihre gesetzliche Obliegenheit zur unverzüglichen Weiterreise in die
zugewiesene Aufnahmeeinrichtung verstanden haben. Zudem wird das Recht
der Antragsteller, in Polen in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise
vorausgesetzt werden kann, über den Verlauf des Verfahrens und über ihre
Rechte und Pflichten während des Verfahrens sowie darüber informiert zu
werden, welche Folgen es haben kann, wenn sie ihren Pflichten nicht
nachkommen und nicht mit den Behörden zusammenarbeiten, durch Art. 10
Abs. 1 a) der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.
Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur
Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, ABl. L 326, S. 13)
unionsrechtlich garantiert; erforderlichenfalls wird gem. Art. 10 Abs. 1 b) der
Verfahrensrichtlinie ein Dolmetscher hinzugezogen. Einen Anspruch auf
Rechtsberatung und -vertretung im Asylverfahren verschafft Art. 15 der
Verfahrensrichtlinie.
Substanzlos ist auch der Einwand der Antragsteller, die zuständigen
polnischen Behörden gewährleisteten aufgrund historisch bedingter Vorurteile
gegen russische Staatsangehörige, insbesondere aber vor dem Hintergrund
der Anschläge von Boston gegenüber tschetschenischen Volkszugehörigen
kein faires Asylverfahren. Für diese pauschale Behauptung haben die
Antragsteller keine belastbaren Erkenntnisse in das vorliegende Verfahren
eingeführt.
Die Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Antragsgegnerin
gem. Art. 3 Abs. 2 EGV 343/2003 lässt sich auch nicht darauf stützen, dass
den Antragstellern in Polen während des Asylverfahrens Obdachlosigkeit oder
der Ausschluss von Sozialleistungen drohe. Die Mindeststandards zur
Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern sind in der
Aufnahmerichtlinie unionsrechtlich verbürgt. Sollten diese Mindeststandards
ggf. nicht eingehalten werden, müssen sich die Antragsteller darauf verweisen
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lassen, ihre Ansprüche vor polnischen Gerichten durchzusetzen (vgl. VG Trier,
Beschluss vom 22. März 2011 - 5 L 392/11.TR -, zit. nach juris Rn. 4).
Soweit die Antragsteller schließlich einwenden, die Änderungen des sog.
Dublin- Verfahrens durch die bereits in Kraft getretene Dublin-III-Verordnung
seien im vorliegenden Verfahren bereits zu beachten, hat die erkennende
Kammer bereits entschieden, dass eine andere rechtliche Beurteilung des
Sachverhaltes nicht dadurch geboten
ist, dass die Nachfolgeverordnung zur Dublin-II-
Verordnung, die Verordnung (EU) 604/2013 des europäischen Parlaments
und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180 vom 29. Juni 2013, Seite 31)
- sog. Dublin-III-Verordnung -, die ausweislich ihres Artikels 49 Abs. 1 bereits
am 19. Juli 2013 in Kraft und damit die Dublin-II-Verordnung außer Kraft
getreten ist. Gemäß Art. 49 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung ist diese erst auf
Anträge auf internationalen Schutz bzw. Gesuche um Aufnahme oder
Wiederaufnahme von Antragstellern anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014
gestellt werden. Bis dahin bleiben die Bestimmungen der Dublin-II-Verordnung
anwendbar. Aus künftigen Verbesserungen bzw. Straffungen des sog. Dublin-
Verfahrens können somit die Antragsteller derzeit nichts für sich herleiten (vgl.
Beschluss der Kammer vom 11. Oktober 2013 - 2 B 806/13 -, zit. nach juris Rn.
13).
Letztlich ist die gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG erlassene
Abschiebungsanordnung im vorliegenden Fall nicht etwa deshalb aufzuheben
bzw. zu suspendieren, weil Art. 7 Abs. 1 VO (EG) 1560/2003 der Kommission
vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur VO (EG)
343/2003 (ABl. EU L 222 vom 5. September 2003, S. 3) verschiedene
Modalitäten der Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen
Mitgliedsstaat vorsieht, darunter gem. Art. 7 Abs. 1 a) der
Durchführungsverordnung eine freiwillige - unbegleitete - Ausreise aus dem
Mitgliedsstaat innerhalb einer vorgegebenen Frist. Zwar werden insoweit
Bedenken an der Unionsrechtskonformität des § 34a Abs. 1 AsylVfG geltend
gemacht (hierzu näher: Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a Rn. 4 und § 34a Rn. 51 ff.
m.w.N.). Diese Bedenken greifen auf den vorliegenden Sachverhalt jedoch
nicht durch, denn die Antragsteller haben weder im verwaltungsbehördlichen
noch gerichtlichen Verfahren glaubhaft geltend gemacht bzw. zu erkennen
gegeben, dass sie bereit sind, sich freiwillig innerhalb kürzester Zeit nach der
Feststellung des Bundesamtes, dass ihr (weiterer) Asylantrag gem. § 27a
AsylVfG unzulässig ist, wieder nach Polen oder in ihr Heimatland (Russische
Föderation) zu begeben (zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung in einem
solchen Fall vgl. Beschluss der Kammer vom 21. Oktober 2012 - 2 B 828/13 -,
zit. nach juris Rn. 8). Unter diesen Umständen erscheint es verhältnismäßig,
wenn das Bundesamt - dem vom nationalen Gesetzgeber vorgegebenen
Regelfall folgend - gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung der
Antragsteller nach Polen angeordnet hat und somit auf eine begleitete
Rückführung derselben in den zuständigen Mitgliedsstaat setzt (vgl. Beschluss
der Kammer vom 11. Oktober 2013, a.a.O., Rn. 12).