Urteil des VG Göttingen vom 08.05.2014

VG Göttingen: aufschiebende wirkung, spina bifida, abschiebung, bundesamt, wirksamer rechtsbehelf, wohl des kindes, verschlechterung des gesundheitszustandes, mitgliedstaat, anhörung, behinderung

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Keine systemischen Mängel im Asylverfahren Polens
1. Jedenfalls seit dem Inkrafttreten der Änderung des polnischen
Ausländergesetzes am 01.05.2014, nach welcher Asylbewerber bis zur
gerichtlichen Entscheidung über ihren Eilantrag gegen negative
Entscheidungen des Refugee Board zu ihrem Asylantrag nicht
abgeschoben werden dürfen, ist kein Raum für die Annahme, den
Betroffenen stehe im Asylverfahren Polens kein wirksamer Rechtsbehelf
i.S.d. Art. 47 EU-Grundrechtecharta zur Verfügung und es drohe ein Verstoß
gegen das Refoulement-Verbot während des gerichtlichen Eilverfahrens.
2. Liegt insoweit kein systemischer Mangel im Asylrechtsschutzsystem
Polens begründet, scheidet jedenfalls eine daraus resultierende Gefahr
einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung, wie sie von Art. 3
Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO vorausgesetzt wird, aus.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 08.05.2014, 2 B 145/14
§ 27a AsylVfG 1992, § 34a AsylVfG 1992, Art 47 EUGrdRCh, Art 17 Abs 1 EUV
604/2013, Art 18 Abs 1b EUV 604/2013, Art 23 EUV 604/2013, Art 3 Abs 2 EUV
604/2013
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden
nicht erhoben.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus J. wird
abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller - eine alleinerziehende Mutter mit drei minderjährigen Söhnen
- sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit.
Nach eigenen Angaben reisten sie mit dem Zug aus K. kommend über L. und
die weißrussische Stadt M. in das Gebiet der Europäischen Union ein. Am 14.
März 2014 beantragten sie in N./Republik Polen erstmalig internationalen
Schutz, und ihnen wurden Fingerabdrücke abgenommen. Befragt zu den
Einreisemodalitäten, hat die Antragstellerin zu 1. sich dahin gehend
eingelassen, sie seien von Polen aus mit dem PKW weitergefahren und bereits
am 15. März 2014 nach Deutschland eingereist. Hier suchten sie am 17. März
2014 in O. um Asyl nach und stellten am 20. März 2014 einen Asylantrag. In
ihrer am selben Tage durchgeführten Anhörung zur Bestimmung des
zuständigen Mitgliedstaats vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge -
Bundesamt - verneinte die Antragstellerin zu 1. auf Frage für sich und ihre
Kinder einen Unterstützungsbedarf. Nach Polen - wo sie am 14. März 2014
Asyl habe beantragen müssen - wolle sie mit ihren Kindern nicht rücküberstellt
werden, weil sie sich dort nicht sicher fühle. Recherchen des Bundesamts
ergaben bezogen auf die Antragsteller einen EURODAC-Treffer der Kategorie
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1 hinsichtlich Polens.
Auf das am 21. März 2014 gestellte Übernahmeersuchen des Bundesamts
erklärte das Office for Foreigners of the Republic of Poland - Department for
Refugee Procedures - mit Schreiben vom 24. März 2014 seine Zuständigkeit
für die Wiederaufnahme der Antragsteller gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) der
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-VO - (Abl. EU L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31).
Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 27. März 2014, der den
Antragstellern am 31. März 2014 persönlich zugestellt wurde, dass die
Asylanträge der Antragsteller unzulässig seien (Ziffer 1.) und ihre Abschiebung
nach Polen angeordnet werde (Ziffer 2.). Zur Begründung verwies das
Bundesamt im Wesentlichen auf die von Polen erklärte Zuständigkeit für die
Asylanträge der Antragsteller. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die
Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht
gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Systemische Mängel im polnischen Asylverfahren seien nicht gegeben. Soweit
die Antragstellerin zu 1. in ihrer Anhörung angegeben habe, sie fühle sich in
Polen nicht sicher, sei auf die Schutzbereitschaft und -fähigkeit der polnischen
Behörden zu verweisen.
Hiergegen haben die Antragsteller am 7. April 2014 die Klage 2 A 144/14
erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich haben sie um
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung
nachgesucht. Der Bescheid vom 27. März 2014 sei formell und materiell
rechtswidrig. Das Verfahren leide an Fehlern, weil sie - die Antragsteller - nicht
zu ihren Fluchtgründen angehört worden seien und keine Anhörung zum
Gesundheitszustand des Antragstellers zu 2., der schwerbehindert sei,
stattgefunden habe; dadurch sei ihnen die Möglichkeit genommen worden,
hierzu Stellung zu nehmen. Schließlich hätten sie eine unvollständige und
fehlerhafte Übersetzung des Bescheidtenors erhalten. Materiell-rechtlich habe
die Abschiebungsanordnung aus verschiedenen Gründen nicht ergehen
dürfen: Erstens weise das Asylverfahren in Polen entgegen der Auffassung
der Antragsgegnerin systemische Mängel auf, die sich aus dem dortigen
Rechtsschutzsystem ergäben. Dieses sehe die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen die
negative Entscheidung des polnischen Refugee Board (einer Art
Widerspruchsbehörde, die über Beschwerden gegen ablehnende
Entscheidungen des polnischen Office for Foreigners entscheide) nur auf
Antrag vor. Bis zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das
Verwaltungsgericht Warschau existiere kein gesetzlicher oder behördlicher
Vollstreckungsschutz. Die polnische Abschiebungspraxis gehe dahin, Dublin-
Antragsteller in diesem zeitlichen Korridor in ihr Herkunftsland abzuschieben.
Nach der Überstellung nach Polen drohe ihnen deshalb mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit, von dort nach Russland abgeschoben zu werden, bevor
sie beim Verwaltungsgericht Warschau die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines in Polen zu stellenden
Wiederaufnahmeantrags erlangen könnten. Dadurch drohten eine Verletzung
in ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Charta der
Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh) und ein Verstoß gegen den
Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Mit dieser Begründung
habe auch das niederländische Gericht von Den Haag mit Beschluss vom 18.
Juni 2013 - AWB 13/11314 - eine Rücküberstellung nach Polen ausgesetzt.
Zweitens leide der Bescheid an einem Ermessensausfall, soweit es um die
Ablehnung eines Selbsteintritts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO gehe.
Außergewöhnliche humanitäre Gründe im Sinne dieser Norm seien vom
Bundesamt zu Unrecht verneint worden. Der schwerbehinderte Antragsteller
zu 2. leide an den Folgen einer Spina bifida („offener Rücken“) im
Lumbosakralbereich (L5-S1) und eines Dolichosigma (pathologische
Verlängerung des Sigmadarms). Er müsse wegen einer daraus resultierenden
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Enkopresis (Einkotung) auch als Teenager ständig Windeln tragen und sei auf
eine ständige Diät (fettarme Ernährung) angewiesen. Hierzu reichen die
Antragsteller die Übersetzung eines bis zum 1. Dezember 2014 gültigen
russischen Behindertenausweises sowie russisch-sprachige Schriftstücke ein,
die ärztliche Atteste darstellen sollen. Wegen seiner Behinderung bedürfe der
Antragsteller zu 2. ständig der Betreuung durch andere Familienmitglieder,
insbesondere derjenigen der Antragstellerin zu 1. - Drittens stünden einer
Durchführung der Abschiebung rechtliche Hindernisse entgegen, die sich
wegen des zu beachtenden Grundsatzes der Familieneinheit auf sie alle
auswirkten. Zum einen liege ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis in
Gestalt einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 2. vor; angesichts der
Behinderung müsse dessen Reisefähigkeit positiv ärztlich festgestellt werden,
was bislang nicht geschehen sei. Zum anderen sei die
Weiterbehandlungsmöglichkeit bezogen auf diesen Antragsteller in Polen nicht
gesichert, so dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot bestehe.
Unabhängig davon, ob sie nach der Überstellung in geschlossenen
Gewahrsamszentren oder gewöhnlichen Aufnahmeeinrichtungen
untergebracht würden, werde die von ihm benötigte Diät mit Blick auf die dort
vorherrschende Qualität der Ernährung, die das Gericht aus anderen
Verfahren kenne, nicht verfügbar sein. Schließlich sei die Abschiebung vor
einer Zuweisung nach § 50 AsylVfG, die noch nicht erfolgt sei, nicht
durchführbar, weil die bis dahin für sie zuständige Landesaufnahmebehörde
Niedersachsen - LAB NI - keine Abschiebungen vornehme; dies geschehe
erst durch die für den Zuweisungsort zuständige lokale Ausländerbehörde.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
1. die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 2 A 144/14 gegen die im
Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. März
2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
2. ihnen für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus J. zu
bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Mit Bescheid vom 8. April 2014 hat die LAB NI die Antragsteller - gestützt auf §
50 AsylVfG - mit Wirkung vom 6. Mai 2014 dem Flecken P. im Landkreis Q.
zugewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Eilverfahrens und des
zugehörigen Klageverfahrens 2 A 144/14 sowie auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamts und der LAB NI Bezug genommen.
Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der gerichtlichen
Entscheidungsfindung gewesen.
II.
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Er
ist zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken. Die
Statthaftigkeit eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der
(auch) gegen die Abschiebungsanordnung (Ziffer 2. des
Bundesamtsbescheides vom 27. März 2014) gerichteten Anfechtungsklage 2
A 144/14 folgt aus § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in der seit dem 6. September
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2013 geltenden Fassung (n.F.) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO, weil
dieser Klage nach (arg. e) § 75 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt. Gemessen an den §§ 57 Abs.
2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 1. Alt. BGB ist der am 7.
April 2014 gestellte Eilantrag auch innerhalb der Wochenfrist (§ 34a Abs. 2
Satz 1 AsylVfG n.F.) nach Bekanntgabe des Bescheides vom 27. März 2014
bei Gericht eingegangen. Denn dieser Bescheid ist der Antragstellerin zu 1. am
31. März 2014 selbst (§§ 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG, 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG) - im
eigenen Namen und zugleich als gesetzlicher Vertreterin der Antragsteller zu
2. bis 4. - zugestellt worden. Weil zugleich die Klage 2 A 144/14 innerhalb der
Wochenfrist und damit jedenfalls rechtzeitig erhoben worden ist, bedarf die
Frage, ob sich aus § 74 Abs. 1, 2. HS. AsylVfG in der Gesamtschau mit § 34a
Abs. 2 Satz 1 AsylVfG n.F. nunmehr eine einwöchige Klagefrist ergibt oder es -
wie zuvor - bei der zweiwöchigen Klagefrist aus § 74 Abs. 1, 1. HS. AsylVfG
verbleibt (vgl. hierzu den Beschluss eines anderen Einzelrichters der Kammer
vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -, juris Rn. 2), unter dem Aspekt des
Eilrechtsschutzbedürfnisses keiner Entscheidung.
b) Jedoch hat der Eilantrag in der Sache keinen Erfolg. Der Maßstab der
Begründetheitsprüfung bei Anträgen nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG i.V.m.
§ 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO ist nach der Rechtsprechung der Kammer
(vgl. etwa den Beschluss eines anderen Einzelrichters vom 11. Oktober 2013 -
2 B 806/13 -, juris Rn. 3) nicht etwa dem § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG zu
entnehmen, der sich auf den Eilrechtsschutz gegen eine
Abschiebungsandrohung bei einer Ablehnung eines Asylantrags als
unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet bezieht und nach welchem die
Abschiebung nur ausgesetzt werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Vielmehr ist
eine reine Interessenabwägung vorzunehmen, die sich maßgeblich -
wenngleich nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache
orientiert. Diese Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem
privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller fällt vorliegend zu Lasten der
Antragsteller aus. Denn in der Hauptsache bestehen bei - im Eilverfahren nur
möglicher und gebotener - summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten,
denn der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 27. März 2014
begegnet in Ziffer 2. keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die darin enthaltene, auf die Republik Polen bezogene
Abschiebungsanordnung findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG
n.F. i.V.m. § 27a AsylVfG und der Dublin-III-VO, die nach ihrem Art. 49 Abs. 2
Satz 1 sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch bezüglich der
Zuständigkeitskriterien anwendbar ist, weil der (erste) Antrag auf
internationalen Schutz am 14. März 2014 und damit ab dem 1. Januar 2014
gestellt worden ist.
aa) Die Einwände der Antragsteller gegen die formelle Rechtmäßigkeit der
Abschiebungsanordnung, insbesondere gegen das Verfahren ihres
Zustandekommens, greifen nicht durch.
(1) Das gilt zunächst für die Rüge, eine Anhörung zu den Fluchtgründen sei
nicht erfolgt. Eine derart weitgehende inhaltliche Anhörung der Antragsteller
war nicht erforderlich. In sog. Dublin-Verfahren wie dem vorliegenden
beschränkt sich die Anhörungspflicht des Bundesamts auf die Angaben nach
§ 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylVfG, d.h. im Wesentlichen zu Wohnsitzen,
Reisewegen, Aufenthalten und Asylantragstellungen oder internationalen
Schutzverfahren in anderen Staaten oder im Bundesgebiet sowie zu sonstigen
Tatsachen und Umständen, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in
einen bestimmten Staat - hier den für zuständig erachteten anderen
Mitgliedstaat - entgegenstehen. Denn bereits mit diesen Angaben kann das
Bundesamt die Entscheidung über den zuständigen Mitgliedstaat bzw. die ggf.
zu unterlassende Abschiebung dorthin treffen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss
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vom 26. Februar 2014 – 13 L 171/14.A -, juris Rn. 11). In diesem
Verfahrensstadium bedarf es hingegen nicht der Kenntnis der von § 25 Abs. 1
Satz 1 n.F. AsylVfG genannten Tatsachen, die die Furcht des Asylbewerbers
vor politischer Verfolgung im Herkunftsland oder die Gefahr eines ihm dort
drohenden ernsthaften Schadens begründen. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Dublin-
III-VO, der nunmehr ausdrücklich ein „persönliches Gespräch“ der Behörden
des die Zuständigkeit prüfenden Staates mit dem Antragsteller vorsieht, folgt
nichts anderes. Dieses Gespräch dient ausweislich der Norm lediglich dazu,
das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu erleichtern
und (gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO) das Verständnis der dem
Antragsteller nach Art. 4 Dublin-III-VO bereitgestellten Informationen zu
ermöglichen. Es ist nicht ersichtlich, dass das Bundesamt in der zweiteiligen
Anhörung vom 20. März 2014 diesem Maßstab nicht gerecht geworden wäre.
(2) Nicht nachvollziehbar erscheint in diesem Zusammenhang das weitere
Monitum, eine Anhörung zu etwaigen gesundheitlichen Problemen des
Antragstellers zu 2. sei unterblieben, und dadurch sei den Antragstellern die
Möglichkeit zur Stellungnahme hierzu versagt worden. Gemäß §§ 25 Abs. 2,
15 AsylVfG oblag es der Antragstellerin zu 1., selbst die Tatsachen und
Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in
einen bestimmten Staat entgegenstehen. Soweit die Antragsteller der Ansicht
sind, aus der Behinderung des Antragstellers zu 2. folge dessen
Reiseunfähigkeit (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) oder die
Weiterbehandlungsunmöglichkeit behandlungsbedürftiger Krankheiten im
Zielstaat Polen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), hat die Anhörung vom 20.
März 2014 die Gelegenheit geboten, auf derartige Umstände hinzuweisen und
ggf. darauf bezogene Atteste vorzulegen. Dies ist nicht geschehen; nicht
einmal der Umstand der nunmehr im Eilverfahren vorgetragenen
Schwerbehinderung ist erwähnt worden. Dass die Antragstellerin zu 1.
gehindert worden wäre, derartige Angaben zu machen, ist nicht ersichtlich.
Vielmehr hat sie die seitens des Bundesamts gestellten Fragen, ob sie oder
ihre Kinder auf eine Unterstützung angewiesen seien, eindeutig verneint. Vor
diesem Hintergrund mangelnder Mitwirkung der Antragsteller kann der
Antragsgegnerin nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe diese Umstände
verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt.
(3) Jeglicher Substanz entbehrt die auf das Verfahren bezogene Rüge der
Antragsteller, sie hätten nur eine unvollständige und fehlerhafte
russischsprachige Übersetzung des Tenors des Bescheides vom 27. März
2014 erhalten. Sie machen nicht einmal ansatzweise deutlich, worin diese
Unvollständigkeiten und Fehler bestehen sollen. Der Einzelrichter kann
deshalb dahinstehen lassen, welche Konsequenzen sich bei der Bejahung
eines Übersetzungsfehlers ergäben (vgl. hierzu den Beschluss eines anderen
Einzelrichters der Kammer vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -, juris Rn. 5).
bb) In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Abschiebungsanordnung ebenfalls
nicht zu beanstanden. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG n.F. ordnet das
Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG)
oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§
27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an,
sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der
Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften
der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der
Entscheidung des Bundesamts zurückgenommen hat. Einer vorherigen
Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.
Diese Voraussetzungen sind hier im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
(§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. HS. AsylVfG) gegeben.
(1) Ein Fall des § 27a AsylVfG liegt vor, denn Polen ist der für die Durchführung
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des Asylverfahrens der Antragsteller zuständige andere Mitgliedstaat der
Europäischen Union. Zu Recht hat das Bundesamt deshalb in Ziffer 1. des
angegriffenen Bescheides vom 27. März 2014 die am 20. März 2014 in
Deutschland gestellten Asylanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt.
(a) Auch hinsichtlich der Zuständigkeitskriterien ist vorliegend - nach deren Art.
49 Abs. 2 Satz 1 - die Dublin-III-VO anwendbar, weil der (erste) Antrag auf
internationalen Schutz am 14. März 2014 und damit ab dem 1. Januar 2014
gestellt worden ist. Durch diese Antragstellung ist die Zuständigkeit der
Republik Polen nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin-III-VO
begründet worden. Den Umstand der Antragstellung hat bereits die
EURODAC-Abfrage ergeben, die einen Treffer der Kategorie 1 (=
Asylbewerber, vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des
Rates vom 28. Februar 2002 - EURODAC-DVO -, ABl. EG L 62 vom 5. März
2002, S. 1, zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung
(EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung
von „EURODAC“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der
effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens - EURODAC-VO -, ABl.
EG L 316 vom 15. Dezember 2000, S. 1) ausgewiesen hat. Die
Asylantragstellung in Polen ist von der Antragstellerin zu 1. in ihrer Anhörung
vor dem Bundesamt sowie im vorliegenden Verfahren vorgetragen worden.
Polen hat ferner in seiner Antwort vom 24. März 2014 auf das
Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 21. März 2014 erklärt, es halte
sich nach Art. 18 Abs. 1 lit. b) Dublin-III-VO (= offener Asylantrag in Polen) für
zuständig und verpflichtet, die Antragsteller wiederaufzunehmen.
(b) Die Zuständigkeit ist auch nicht gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO von
Polen auf die Beklagte übergegangen. Denn das Wiederaufnahmeersuchen
des Bundesamts gegenüber Polen ist bereits am 21. März 2014 und damit
jedenfalls innerhalb der (nunmehr in Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin-III-VO
vorgesehenen) Frist von zwei Monaten nach der EURODAC-Treffermeldung
i.S.d. Art. 9 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 - der neuen EURODAC-
VO - vom 26. Juni 2013, ABl. EU L 180 vom 29. Juni 2013, S. 1 (bzw., bis zu
deren Inkrafttreten am 20. Juli 2015, i.S.d. Art. 4 Abs. 5 EU- RODAC-VO; vgl.
Art. 49 Abs. 3, 1. Alt. Dublin-III-VO) gestellt worden.
(c) Schließlich ist kein Zuständigkeitswechsel hin zur Beklagten aufgrund von
Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin-III-VO eingetreten. Nach dieser Bestimmung wird,
wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als
zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe
für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen
für den Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen
aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden
Behandlung i.S.d. Art. 4 EUGRCh mit sich bringen (§ 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-
III-VO), der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen
Mitgliedstaat, wenn auch eine alternative Überstellung in einen weiteren
Mitgliedstaat anhand nachrangiger Zuständigkeitskriterien ausscheidet.
(aa) Auf von der Norm vorausgesetzte „systemische Schwachstellen“ oder
„systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in
Polen können sich die Antragsteller im vorliegenden Fall aufgrund der von der
Antragstellerin zu 1. geschilderten Einreisemodalitäten von vornherein nicht
berufen, denn einer Geltendmachung derartiger Umstände steht der Einwand
unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen. Nach den Angaben der
Antragstellerin zu 1. zum Ablauf und Reiseweg, die diese im Rahmen der
Anhörung vor dem Bundesamt gemacht hat, unterliegt es keinem vernünftigen
Zweifel, dass die Antragsteller nach Stellung ihres ersten Asylantrags in N.
(Grenzstadt im Südosten Polens) am 14. März 2014 umgehend nach
Deutschland weitergereist sind, ohne die für sie zuständige polnische
Erstaufnahmeeinrichtung auch nur aufzusuchen. In das Bundesgebiet sind sie
nach einer Reise mit dem PKW quer durch polnisches Staatsgebiet bereits am
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nächsten Tag (15. März 2014) eingereist, und Anhaltspunkte für eine
zwischenzeitlich erfolgte Meldung bei der Erstaufnahmeeinrichtung ergeben
sich weder aus ihrem Vortrag noch aus den Akten. Die Antragsteller haben
sich ohne aktuelle und gesicherte Erkenntnisse der Aufnahme-und
Unterbringungsbedingungen tschetschenischer Flüchtlinge in Polen
entschieden, sofort nach Deutschland weiterzureisen und hier einen weiteren
Asylantrag zu stellen. Damit haben sie bewusst das gegenüber den
polnischen Behörden in N. geäußerte Asylgesuch dazu missbraucht, sich eine
Transitmöglichkeit über polnisches Territorium in die Bundesrepublik zu
verschaffen. Dieser Missbrauch des Rechts zur Stellung eines Asylgesuchs an
einer EU-Außengrenze kann den Antragstellern im vorliegenden Verfahren
nicht auch noch dazu verhelfen, die Aufnahme- und
Unterbringungsbedingungen für tschetschenische Asylbewerber in Polen
generell als mit systemischen Mängeln behaftet einzuwenden, obwohl sie
diese nicht ansatzweise aus eigener Anschauung erfahren haben (vgl. im
Einzelnen Beschlüsse eines anderen Einzelrichters der Kammer vom 3.
Januar 2014 - 2 B 763/13 -, juris Rn. 21, und - 2 B 804/13 -, S. 10 des
Beschlussabdrucks).
(bb) Selbst wenn man dies anders sieht, so liegen derartige systemische
Schwachstellen oder Mängel in Bezug auf die Republik Polen nicht vor. Das
haben sowohl die Kammer (Beschluss eines anderen Einzelrichters vom 7.
März 2014 - 2 B 55/14 -, juris Rn. 13 ff., im Anschluss an VG Lüneburg,
Beschluss vom 18. November 2013 - 2 B 64/13 -, vgl. auch dessen Beschluss
vom 10. Oktober 2013 - 2 B 47/13 -, juris Rn. 14) sowie der 13. Senat des Nds.
OVG (Beschluss vom 1. April 2014 - 13 LA 22/14 -, juris Rn. 11) als auch
andere deutsche Gerichte (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. Februar 2014 -
A 3 S 698/13 -, juris Rn. 34; VG Düsseldorf, Beschluss vom 19. November
2013 - 25 L 2154/13.A -, juris Rn. 23; VG Schleswig, Beschluss vom 27.
August 2013 - 1 B 43/13 -, juris Rn. 9; VG Kassel, Beschluss vom 26. August
2013 - 4 L 984/13.KS.A -, juris Rn. 23) entschieden. Auf diese Beschlüsse und
die dort wiedergegebenen Erkenntnismittel kann zur Vermeidung von
Wiederholungen hinsichtlich der Durchführung der Asylverfahren, der
Verfahrensdauer, der grundsätzlichen Unterbringung, Verpflegung und
medizinischen Versorgung verwiesen werden, zumal die Antragsteller des
vorliegenden Verfahrens darauf bezogene generelle Monita nicht erheben.
Soweit sie konkrete Rügen formulieren, greifen diese nicht durch.
Der Befürchtung der Antragsteller, in Polen vor Übergriffen anderer
Tschetschenen nicht sicher zu sein, fehlt jegliche Glaubhaftmachung anhand
abweichender Erkenntnisse, dass eine Schutzunfähigkeit oder
Schutzunwilligkeit Polens gegeben wäre.
Der Vortrag, Rückzuüberstellende wie der Antragsteller zu 2. würden sowohl in
polnischen Gewahrsamszentren als auch in dortigen gewöhnlichen
Erstaufnahmeeinrichtungen eine aufgrund von Erkrankungen benötigte,
pauschal als „fettarm“ bezeichnete Ernährung nicht erhalten, erschöpft sich in
einer bloßen, durch nichts belegten Behauptung.
Schließlich machen die Antragsteller unter Verweis auf die Entscheidung des
niederländischen Gerichts von Den Haag - Nebenstelle Haarlem - vom 18.
Juni 2013 – AWB 13/11314 - geltend, Besonderheiten des polnischen
Asylrechtsschutzsystems begründeten für sie die Gefahr einer Verletzung in
ihrem europäischen Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes
aus Art. 47 (Satz 1) EUGRCh sowie einen drohenden Verstoß gegen das
Refoulement-Verbot. Diese Besonderheiten bestünden darin, dass in Polen
verwaltungsgerichtlichen Klagen gegen die durch das Refugee Board
bestätigte ablehnende Entscheidung des Office for Foreigners (anders als
nach § 75 Abs. 1 AsylVfG) keine aufschiebende Wirkung zukomme - sondern
diese Wirkung nur durch gerichtliche Entscheidung auf Antrag erzeugt werden
könne - und auch kein (mit §§ 36 Abs. 3 Satz 8, 71 Abs. 4 AsylVfG
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vergleichbares) gesetzliches Vollstreckungshindernis im Zeitraum zwischen
der Stellung eines darauf gerichteten Eilantrags und der gerichtlichen
Entscheidung hierüber bestehe. Daraus und aus der polnischen
Abschiebungspraxis ergebe sich, dass ihnen - den Antragstellern - in der
Zwischenzeit von der Bekanntgabe des negativen Bescheides des Refugee
Board bis zur gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren Abschiebungen in ihr
Herkunftsland Russland drohen. Auch diese Rüge hat keinen Erfolg, weil den
Antragstellern die behaupteten Gefahren in Polen bei einer Prognose im
maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Eilentscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1,
2. HS. AsylVfG) nicht drohen.
Dabei kann offenbleiben, wie die Situation in Polen in der Vergangenheit bis
einschließlich 30. April 2014 zu bewerten war, insbesondere ob es sich bei
den berichteten Abschiebungen vor einer gerichtlichen Entscheidung über
Eilanträge um bedauerliche, jedoch für Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO
unerhebliche Einzelfälle gehandelt hat oder aber ob sie echte Anzeichen für
systemische Mängel des polnischen Asylverfahrens geboten haben.
Dahinstehen kann ebenso, ob Letzterenfalls daraus gerade auch eine von Art.
3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO weiter vorausgesetzte Gefahr einer
unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 EUGRCh
bestanden hat. Denn jedenfalls ist am 1. Mai 2014 - offenbar (auch ) auf
Initiative der Helsinki Foundation for Human Rights (HFHR) - eine Änderung
des polnischen Ausländergesetzes in Kraft getreten, aufgrund welcher ein
Asylbewerber im Zeitraum von der Einreichung seiner Klage und seines
Eilantrags beim Verwaltungsgericht Warschau bis zu einer gerichtlichen
Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebungsanordnung (d.h. über
seinen Eilantrag) nicht abgeschoben werden darf. Damit ist ein wirksamer
Rechtsbehelf i.S.d Art. 47 EUGRCh gegeben; ferner wird ein Verstoß gegen
das Refoulement-Verbot während des gerichtlichen Eilverfahrens
ausgeschlossen. Dass eine derartige Gesetzesänderung in Polen geplant und
bereits vom polnischen Unterhaus (Sejm) am 8. November 2013
verabschiedet worden war und noch der Bestätigung durch das polnische
Oberhaus (Senat) bedurfte, tragen sogar die Antragsteller selbst vor. Denn sie
haben ihrer Antragsschrift vom 5. April 2014 eine (englischsprachige) Anlage
beigefügt, die einen Auszug aus dem National Country Report für Polen der
HFHR u.a. vom 25. November 2013, S. 14 f., darstellen soll. Der Einzelrichter,
der des Englischen hinreichend mächtig ist, hat die darin enthaltenen
Informationen über den Stand des betreffenden Gesetzgebungsverfahrens
zum Anlass genommen, auf der Homepage der HFHR im Internet
(http://humanrightshouse.org/Articles/20075.html) weitere Recherchen hierzu
auszuführen. Aus dem unter dieser URL erreichbaren Artikel vom 3. April 2014
lassen sich die erwähnten Informationen zu der Gesetz gewordenen Fassung
abrufen.
(d) Art. 16 Dublin-III-VO lässt sich im vorliegenden Fall kein
Zuständigkeitswechsel entnehmen. Selbst wenn - was im Eilverfahren
behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht worden ist und von der Antragstellerin
zu 1. in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt vom 20. März 2014 sogar verneint
wurde - der Antragsteller zu 2. als „Kind mit Behinderung“ auf die
Unterstützung insbesondere der Antragstellerin zu 1. angewiesen sein sollte,
so sollen doch alle Antragsteller gemeinsam nach Polen überstellt, d.h. nicht
voneinander getrennt werden.
(e) Auch aus Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin-III-VO folgt kein anderes Ergebnis.
Nach dieser Norm kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von
einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf
internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in der Dublin-III-VO
festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
(aa) Ein derartiger sog. Selbsteintritt, mit dem ein Zuständigkeitswechsel hin
zur Beklagten einherginge (vgl. Art. 17 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO), ist
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nicht erfolgt. In seinem Bescheid vom 27. März 2014 hat das Bundesamt einen
Selbsteintritt i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO vielmehr ausdrücklich abgelehnt.
Anhaltspunkte für einen zuvor bereits konkludent ausgeübten Selbsteintritt im
Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates sind weder
vorgetragen noch sonstwie ersichtlich. Insbesondere hat das Bundesamt nicht
durch eine Äußerung oder Mitteilung oder durch schlüssiges sonstiges
Verhalten bei den Antragstellern das Vertrauen erweckt, ihr in Deutschland
gestellter Asylantrag werde im nationalen Verfahren bearbeitet und
beschieden.
(bb) Entgegen der Annahme der Antragsteller ist die Ablehnung des
Selbsteintritts rechtlich nicht zu beanstanden.
Das Selbsteintrittsrecht hat sich nicht zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet.
Offenbleiben kann dabei, inwieweit angesichts der zu Art. 3 Abs. 2 der
Vorläuferverordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 -
Dublin-II-VO - (ABl. EG L 50 vom 25. Februar 2003, S. 1) ergangenen
Rechtsprechung des EuGH (vgl. insbesondere Urteile vom 21. Dezember
2011 - Rs. C-411/10 u. C-493/10 - [N.S.], vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11
- [Puid] und vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 - [Abdullahi]), die nunmehr
in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin-III-VO nachvollzogen wird, neben diesen
Vorschriften im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin-III-VO noch Raum
für eine Berücksichtigung drohender Grundrechtsverletzungen oder
Unterschreitungen von (etwa in Richtlinien vorgesehenen) Mindeststandards
im Asylverfahren oder bei den Aufnahmebedingungen im zuständigen
Mitgliedstaat bleibt. Insbesondere in der Entscheidung N.S. vom 21. Dezember
2011 (a.a.O, juris Rn. 82, 85) hat der EuGH betont, nicht jeder derartiger Vorfall
rechtfertige es, von den im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem
vorgesehenen Zuständigkeitskriterien abzugehen, wozu im Ergebnis auch
nach der Dublin-III-VO ein pflichtiger Selbsteintritt jedoch unweigerlich führen
müsste. Hier kann der Einzelrichter diese Fragen dahinstehen lassen, weil -
wie ausgeführt - entgegen der Ansicht der Antragsteller weder eine Verletzung
in deren Recht aus Art. 47 EUGRCh noch ein Verstoß gegen das
Refoulement-Verbot zu befürchten sind.
Außergewöhnliche humanitär e(auch familiäre oder krankheitsbedingte)
Gründe, die ausnahmsweise eine Ermessensreduktion auf Null zugunsten
eines Selbsteintritts erzeugen könnten, haben die Antragsteller im
vorliegenden Fall schon nicht substantiiert vorgetragen und erst recht nicht
glaubhaft gemacht. Soweit auf die Schwerbehinderung des dreizehnjährigen
Antragstellers zu 2. in Gestalt einer Spina bifida L5-S1 sowie eines
Dolichosigma verwiesen und lediglich vorgetragen wird, dieser müsse ständig
Windeln tragen und sei auf eine fettarme Diät angewiesen, ergeben sich
daraus - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 und 3 Dublin-III-VO, der
in allen Verfahren nach dieser Verordnung das Wohl des Kindes zur
vorrangigen Erwägung der Mitgliedstaaten erhebt, sowie von Art. 21 der
Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.
Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die
internationalen Schutz beantragen [neue Aufnahmerichtlinie], ABl. EU L 180
vom 29. Juni 2013, S. 96, der im mitgliedstaatlichen Recht eine
Berücksichtigung der Belange besonders schutzbedürftiger Personen wie
Behinderter verlangt - keine Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Antragsteller
zu 2. zwingend eine Durchführung seines Asylverfahrens im Bundesgebiet
naheläge oder erforderlich erschiene.
Mithin verblieb es bei dem durch Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin-III-VO
eingeräumten Selbsteintrittsermessen, welches das Bundesamt fehlerfrei
ausgeübt hat. Der von den Antragstellern gerügte Ermessensausfall liegt nicht
vor. Zwar hat das Bundesamt in dem angegriffenen Bescheid vom 27. März
2014 lediglich ausgeführt, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die
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Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs.
1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das erkennende Gericht hat
aber bereits entschieden, dass derartige pauschale Ausführungen bei - wie
hier gegebenem - Fehlen individueller Besonderheiten des vorliegenden
Einzelfalls ausreichend sind (vgl. den Beschluss eines anderen Einzelrichters
der Kammer vom 3. Januar 2014 - 2 B 763/13 -, juris Rn. 18).
(2) Entgegen der Ansicht der Antragsteller stehen der Abschiebung
(Überstellung) nach Polen auch keine tatsächlichen oder rechtlichen
Hindernisse i.S.d. § 34a Abs. 1 Satz 1 a.E. AsylVfG n.F.
(„Nichtdurchführbarkeit“ der Abschiebung) entgegen. Nach der
Rechtsprechung des Nds. OVG (Beschluss des 13. Senats vom 2. Mai 2012 –
13 MC 22/12 -, juris Rn. 27), der sich der Einzelrichter anschließt, hat das
Bundesamt insoweit nicht nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote,
sondern auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen. Hier
liegen jedoch keine derartigen Hindernisse vor.
(a) Eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 2. (tatsächliches inländisches
Vollstreckungshindernis i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) infolge seiner
Behinderung bzw. seiner Erkrankungen (Spina bifida und Dolichosigma mit
Enkopresis) ist nicht substantiiert vorgetragen und nicht glaubhaft gemacht. Es
ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass diesen Antragsteller die damit
verbundenen Einschränkungen (Windelntragen, fettarme Diät) an einer Reise
oder einem Transport in die Republik Polen hindern oder dass deswegen das
Risiko bestünde, dass sich sein Gesundheitszustand unmittelbar durch die
Ausreise oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder gar
lebensbedrohlich verschlechtern wird (vgl. zum Maßstab etwa OVG
Mecklenburg- Vorpommern, Beschluss vom 2. November 2011 - 2 M 164/11 -,
juris Rn. 7). Aus dem in deutscher Übersetzung vorgelegten, bis zum 1.
Dezember 2014 gültigen russischen Behindertenausweis ergibt sich nichts
Gegenteiliges. Dieser bestätigt lediglich pauschal, dass es sich bei dem
Antragsteller zu 2. um ein „Kind mit Behinderung“ handele, ohne nähere
Angaben zur Art und zum Ausmaß der mit dieser Behinderung
einhergehenden Funktionsstörungen zu machen. Die mit Schriftsatz vom 8.
April 2014 ausschließlich in russischer Sprache vorgelegten Schriftstücke, die
nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller ärztliche
Atteste darstellen sollen, kann und muss der Einzelrichter nicht verwerten, weil
die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO)
und der Einzelrichter des Russischen nicht hinreichend mächtig ist. Anlass,
eine Übersetzung dieser Schriftstücke ins Deutsche vornehmen zu lassen,
bietet sich dem Gericht schon deshalb nicht, weil seitens der Antragsteller nicht
einmal ansatzweise vorgetragen wird, welchen Inhalt die Schriftstücke im
Einzelnen haben und worüber sie konkreten Aufschluss geben sollen. Vor
diesem Hintergrund ist auch die Forderung der Antragsteller, die Beklagte
müsse nachweisen, dass der Antragsteller zu 2. trotz seiner Behinderung
reisefähig sei, unberechtigt.
(b) Desgleichen hat der Antragsteller zu 2. ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Polens
nicht glaubhaft gemacht. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung
eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für
diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. Eine derartige Gefahr kann sich auch aus einer im Einzelfall
bestehenden behandlungsbedürftigen Erkrankung ergeben, deren
medikamentöse oder therapeutische Weiterbehandlung im Zielstaat der
Abschiebung generell oder nicht für den individuell betroffenen Ausländer
verfügbar ist und bei welcher deshalb eine erhebliche Verschlimmerung dieser
Erkrankung und eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes
des Ausländers drohen.
Solche Anhaltspunkte sind nicht aufgrund des pauschalen Vortrags zu der
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Behinderung bzw. den Erkrankungen des Antragstellers zu 2. gegeben. Dass
in Polen, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, für diesen Antragsteller
zur Linderung seiner Einschränkung Windeln verfügbar sein werden, liegt auf
der Hand. Die Behauptung, sowohl in den Gewahrsamszentren als auch in
den gewöhnlichen Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber in Polen
werde die vom Antragsteller zu 2. benötigte fettarme Diät angesichts der
dortigen Qualität der Ernährung nicht zur Verfügung stehen, ist bereits deshalb
„ins Blaue hinein“ erhoben und damit substanzlos, weil nicht einmal mitgeteilt
wird, inwieweit diese Diät eine spezielle Zusammensetzung haben müsste;
ferner wird nicht glaubhaft gemacht, weshalb ein etwaiges spezielles
Ernährungsbedürfnis weder durch die in den polnischen Einrichtungen
ausgegebenen Mahlzeiten noch anderweitig gedeckt werden könnte.
Nach alledem ist im vorliegenden Fall auch das Postulat der Antragsteller, die
Beklagte habe eine Weiterbehandlungsmöglichkeit in Polen nachzuweisen,
verfehlt.
(c) Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 34a Abs. 1 Satz 1
a.E. AsylVfG ergibt sich auch nicht, wie die Antragsteller meinen, aus Gründen
einer fehlenden Zuständigkeit der LAB NI für die Einleitung von
Abschiebungen. Im nach § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. HS. AsylVfG maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung über den vorliegenden Eilantrag (8. Mai 2014) sind
die Antragsteller nämlich (und zwar bereits seit dem 6. Mai 2014) durch
Bescheid der LAB NI vom 8. April 2014 dem Flecken P. im Landkreis Q.
zugewiesen. Damit ist jedenfalls nunmehr die Ausländerbehörde dieses
Landkreises gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG für die Einleitung einer Überstellung
(Abschiebung) auf entsprechendes Ersuchen des Bundesamts hin zuständig.
Dies nehmen auch die Antragsteller nicht in Abrede. Der Umstand, dass sie bis
einschließlich 5. Mai 2014 noch nicht wirksam i.S.d. § 50 AsylVfG landesintern
verteilt waren und gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG weiterhin in der
Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen - hier der LAB NI,
Standort Grenzdurchgangslager Friedland - zu wohnen hatten, ist nicht
entscheidungserheblich. Ob die LAB NI vor der Verteilung als für die
Antragsteller in jenem Zeitraum zuständig gewesene Ausländerbehörde
ebenfalls eine Abschiebung hätte einleiten dürfen, kann daher offenbleiben,
wenngleich sich bei summarischer Prüfung anhand der einschlägigen
Beschlüsse der Nds. Landesregierung und Runderlasse des Nds.
Innenministeriums zu dieser Behörde und ihren Vorläuferbehörden (Zentrale
Aufnahme- und Ausländerbehörde [ZAAB] Niedersachsen [ZAAB NI]; GDL
Friedland; ZAAB Braunschweig/ZAAB Oldenburg) kein deutlicher Zweifel
hieran erhebt; mag eine solche Zuständigkeit in der Praxis auch nicht (immer)
ausgeübt worden sein.
Da die Antragsteller unterliegen, haben sie gemäß §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1
VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
2. Die für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begehrte
Prozesskostenhilfe kann den Antragstellern nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO
i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht bewilligt werden, weil es aus den unter
1. aufgeführten Gründen an der hinreichenden Erfolgsaussicht ihres Eilantrags
mangelt. Demzufolge ist auch für die beantragte Beiordnung ihres
Prozessbevollmächtigten nach § 121 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 166 Abs. 1 Satz 1
VwGO kein Raum.