Urteil des VG Göttingen vom 25.07.2014

VG Göttingen: winterdienst, grundstück, dingliches recht, öffentliche aufgabe, vergleich, allgemeininteresse, fahrbahn, schnee, gegenleistung, gemeinde

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Zur hinreichenden Bestimmtheit von
Gebührentatbestand und Gebührenmaßstab bei
Straßenreinigungsgebühren
VG Göttingen 3. Kammer, Urteil vom 25.07.2014, 3 A 68/13
§ 2 Abs 1 S 2 KAG ND, § 5 Abs 3 KAG ND
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zur
Straßenreinigungsgebühr für das Jahr 2013 und das Grundstück "E. -Straße
8a" im Ortsteil N. der Beklagten. Mit Bescheid der Beklagten vom 24.01.2013
wurden sie für dieses Grundstück zu einer Straßenreinigungsgebühr -
Winterdienst Priorität 1 - für das Jahr 2013 in Höhe von 89,63 € für eine
Frontlänge von 29,1 m bei einem Gebührensatz von 3,08 €/m herangezogen.
Am 14.02.2013 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie im
Wesentlichen ausführen:
Die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren für den Winterdienst verstoße
gegen den 1962 geschlossenen Eingemeindungsvertrag zwischen N. und F.,
nach dessen § 3 Abs. 2 es hinsichtlich der Straßenreinigung bis zu einem
abweichenden Ratsbeschluss bei dem bisher in der Gemeinde N.
bestehenden Recht verbleiben sollte. Zusagen aus einem
Eingemeindungsvertrag dürften nicht aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder
Wirtschaftlichkeit einseitig gestrichen werden. Sie könnten auch nicht durch
eine rein tatsächliche Durchführung des Winterdienstes geändert werden. Ein
entsprechender Ratsbeschluss sei nicht gefasst, der Vertrag nicht wirksam
gekündigt worden. Die Gebührenpflichtigen müssten sich auf die ihnen
günstigen Vereinbarungen des Eingemeindungsvertrages berufen können,
weil der Vertrag ansonsten der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde. Die
Kläger hätten auch schon vor dem Jahr 2013 Grundbesitzabgaben an die
Beklagte gezahlt und damit eine Gegenleistung für den Winterdienst erbracht.
In die Kalkulation der Gebührensätze seien Kosten einbezogen worden,
welche nicht umlagefähig seien, weil die Beklagte Winterdienst auch auf
Verkehrsflächen außerhalb der geschlossenen Ortslagen leiste.
Jahresbezogene Fixkosten würden zu Unrecht in die Winterdienstgebühr
einbezogen. Städtische Grundstücke seien bei der Kostenträgermenge
unberücksichtigt geblieben, dies gelte insbesondere für den O. Friedhof mit ca.
200 Metern Frontlänge. Die Kostenträgermenge (555.828 Meter) sei im
Vergleich zu derjenigen der Sommerreinigung (645.000) zu gering. Die
Einteilung der Reinigungsklassen sei nicht nachvollziehbar und die Einstufung
der meisten Straßen im Vergleich zu den Vorschlägen des Ortsrats nicht
plausibel. Die Reinigungspläne der Beklagten würden bisweilen nicht
eingehalten. Gegen das Äquivalenzprinzip verstoße, dass der Vorteil der
Gebührenschuldner ausschließlich aus der Beziehung zwischen dem
Grundstück und der es unmittelbar erschließenden Straße hergeleitet werde;
auch die Grundstücke an reinen Anliegerstraßen seien auf geräumte
Hauptverkehrsstraßen angewiesen. Der Anteil des öffentlichen Interesses sei
mit 25 % zu niedrig angesetzt.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid über Grundbesitzabgaben der Beklagten vom
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24.01.2013 - Kassenzeichen 33702.11.00028392 - aufzuheben,
soweit darin eine Straßenreinigungsgebühr in Höhe von 89,63 €
festgesetzt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und trägt vor:
Weil bis einschließlich des Jahres 2012 in der Vergangenheit eine einheitliche
Straßenreinigungsgebühr für Sommer- und Winterdienst erhoben und in den
eingemeindeten Ortsteilen der Sommerdienst auf die Anlieger übertragen
worden sei, habe die Beklagte dort trotz erbrachter Winterdienstleistungen
keine Straßenreinigungsgebühren festgesetzt. Diese Abweichung vom Prinzip
„Leistung und Gegenleistung“ sei nunmehr beseitigt worden, ohne dass sich
an der Verteilung der Reinigungspflichten etwas geändert habe. Der
Eingemeindungsvertrag stehe der Erhebung der Straßenreinigungsgebühr in
N. nicht entgegen. Bereits vor der Eingemeindung habe es Verordnungen des
Landkreises über Art und Umfang der Straßenreinigung in den
kreisangehörigen Orten gegeben. Seit Dezember 1967 sei die
Straßenreinigung in N. durch Verordnungen der Beklagten geregelt worden,
die zwar inhaltlich dem vor der Eingemeindung üblichen Winterdienst
entsprochen hätten, jedoch eigenständige Beschlüsse des Rates der
Beklagten in Sinne des § 3 Abs. 2 des Eingemeindungsvertrages seien.
Außerhalb der geschlossenen Ortslage werde in N. allenfalls vor einem
Grundstück gereinigt; diese Kosten seien durch den Anteil des öffentlichen
Interesses gedeckt oder wenigstens im Rahmen der 5%-Klausel des § 2 Abs.
1 Satz 3 NKAG unwesentlich. Zumindest die meisten städtischen Grundstücke
in N. würden zur Zahlung der Straßenreinigungsgebühren herangezogen. Das
Friedhofsgrundstück sei bisher zu Unrecht als Außenbereichsgrundstück
angesehen worden; eine Nachveranlagung sei beabsichtigt. Die ungewichtete
Kostenträgermenge des Winterdienstes (555.828 m) sei deutlich höher als
diejenige des Sommerdienstes (456.511 m). Die Straßen in N. seien zutreffend
den Prioritätsklassen zugeordnet worden. Die Einteilung der
Winterdienstklassen sei nicht zu beanstanden und richte sich grundsätzlich
nach der Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit der Straßen; daneben
spielten auch die Höhenlage, Steigung und Neigung der Straße, die
Tourenplanung sowie die Erfahrungswerte eine Rolle. Die unterschiedlichen
Einsatzhäufigkeiten in den Winterdienstklassen führten zu unterschiedlichen
Leistungen nach den Prioritätsklassen und damit zu unterschiedlichen
Gebührensätzen. Die dynamische Verweisung in § 2 der
Straßenreinigungsgebührensatzung auf die Straßenreinigungsverordnung sei
rechtlich unbedenklich, da der Vorschriftengeber identisch sei und beide
Regelungen im Internet allgemein zugänglich seien. Die Aufgaben des
Winterdienstes seien hinreichend bestimmt geregelt, die Prioritätsklassen
erklärten sich aufgrund der unterschiedlichen Wichtigkeiten von selbst. Die
Straßen in den eingemeindeten Ortsteilen seien nicht zum 01.01.2013 neu in
das Straßenverzeichnis aufgenommen worden, weil in den Jahren zuvor
bereits die Ortsteile bezeichnet gewesen seien. § 7 der
Straßenreinigungsgebührensatzung enthalte eine vollständige Regelung für
alle im Erhebungsgebiet vorhandenen Grundstückszuschnitte. Es gebe
lediglich acht atypisch geschnittene Grundstücke mit zusammen 130,5
Frontmetern, die nicht von § 7 Abs. 3 der Satzung erfasst und deshalb nur mit
ihren anliegenden Frontmetern veranlagt würden. Diese Verfahrensweise
entspreche dem Grundsatz der Typengerechtigkeit und verletzte nicht den
Gleichbehandlungsgrundsatz. In der Kalkulation sei eine Unterdeckung aus
dem Jahr 2010, die sich aus der Betriebsabrechnung ergeben habe, in Höhe
von ca. 18.400 € berücksichtigt und im Verhältnis der Kosten von
Sommerreinigung und Winterdienst aufgeteilt worden. Das Nds. MI habe in
einer Stellungnahme vom 03.04. 2014 die Rechtsauffassung der Beklagten
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zur Regelung der Straßenreinigung durch die Eingemeindungsverträge
bestätigt.
Wegen der Einzelheiten des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid über Grundbesitzabgaben
der Beklagten vom 24.01.2013 ist hinsichtlich der Straßenreinigungsgebühr
rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO.
Die Straßenreinigungsgebührensatzung (SRGS) der Beklagten vom
14.12.2012, die zum 01.01.2013 in Kraft gesetzt wurde, bietet keine wirksame
Rechtsgrundlage für die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren für den
Winterdienst.
Wie der Beklagten aus der Erhebung ihrer Abfallbeseitigungsgebühren
bekannt ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 19.08.2008 - 9 LA 406/06 -, juris,
Rn 14ff, m.w.N.), dürfen nach § 2 Abs. 1 NKAG Benutzungsgebühren nur
aufgrund einer Satzung erhoben werden, die u. a. den Maßstab und Satz der
Gebühr regelt. Unter dem Gebührenmaßstab ist die Bemessungsgrundlage zu
verstehen, mittels derer der jeweilige Umfang der Inanspruchnahme der
öffentlichen Einrichtung erfasst und der einrichtungsbezogene Aufwand auf die
Benutzer der Einrichtung verteilt wird und die es ermöglicht, bei Anwendung
des Gebührensatzes die konkrete Höhe der einzelnen Gebühr zu errechnen.
Der Gebührensatz bezeichnet den durch die Gebührenkalkulation ermittelten
und für die einzelne Maßstabseinheit zu zahlenden Geldbetrag. Das
rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 GG) fordert, dass die Festlegung
von Gebührenmaßstab und Gebührensatz hinreichend bestimmt ist. Der
Gebührenpflichtige muss dem Wortlaut der Gebührensatzung zweifelsfrei
entnehmen können, welcher Maßstab gelten soll, auf welche Weise die
Gebühr berechnet wird und wie hoch die auf ihn entfallende Gebühr sein wird.
Unvollständig und in der Folge unwirksam ist eine Gebührensatzung, die den
Maßstab oder Elemente des Maßstabs nicht für jeden Anwendungsfall konkret
festlegt, sondern insoweit nur eine von der Verwaltung auszufüllende
Rahmenregelung oder teilweise Regelung enthält. Lediglich die
Berechnungsgrundlagen, aus denen der Gebührensatz ermittelt wird,
brauchen aus der Satzung nicht hervorzugehen (zu den Anforderungen an
den Gebührenmaßstab vgl. auch Thür. OVG, Urteil vom 11.06.2001 - 4 N
47/96 -, juris, Rn 65; VG Göttingen, Urteil vom 23.06.2005 - 3 A 183/03 -, juris,
Rn 18).
Die diesbezüglichen Regelungen im Satzungsrecht der Beklagten genügen
diesen Anforderungen nicht.
§ 7 Abs. 1 SRGS benennt für Anliegergrundstücke die auf volle 10 cm
abgerundete Frontmeterlänge als Bemessungsgrundlage der Gebühren und
definiert sie als „die Grundstücksseite, mit der das Grundstück an der zu
reinigenden Straße anliegt“. Dass tatsächlich nicht die Grundstücksseite
selbst, sondern deren Länge gemeint ist, mag noch durch Auslegung der
Definition zu erkennen sein. Die Frontmeterlänge als die Strecke des
gesamten Verlaufs der gemeinsamen Flurstücksgrenze von
Anliegergrundstück und Verkehrsfläche ist damit für alle Anliegergrundstücke
sowohl Grundlage des Gebührenmaßstabs als auch wesentlicher
Berechnungsbestandteil der Gebührenhöhe. § 7 Abs. 2 SRGS befasst sich
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ausschließlich mit Anliegergrundstücken, die mehreren zu reinigenden
Straßen zuzuordnen sind; die Regelung begegnet keinen rechtlichen
Bedenken. § 7 Abs. 3 SRGS bestimmt, dass bei jedem Anliegergrundstück,
das nicht mit der gesamten der (zu reinigenden) Straße zugewandten
Grundstücksseite an diese Straße angrenzt, die weitere – fiktive – Frontlänge
einer Grundstücksgrenze hinzugerechnet werden muss, nämlich diejenige der
nicht anliegenden Strecke einer „zugewandten“ Grundstücksseite (im Sinne
einer Grundstücksgrenze). Mangels einer Regelung im Satzungsrecht der
Beklagten (vgl. Driehaus-Lichtenfeld, Kommunalabgabenrecht, Stand: 03/14, §
6 Rn 762a) kann dieses Merkmal von einer Grundstücksgrenze jedenfalls nur
erfüllt werden, wenn sie in einem Winkel von weniger als 45 Grad zur
Straßengrenze verläuft (OVG Lüneburg, Urteil vom 19.07.1990 - 14 A 227/88 -,
juris, Rn 5; VG Göttingen, Urteil vom 17.04.2012 - 3 A 389/10 -, S. 4; Driehaus-
Brüning, aaO., § 6 Rn 475 und 479; vgl. auch OVG Rh-Pf, Urteil vom
15.03.2011 - 6 C 10959/10 -, juris, Rn 46f).
Dass keine zusätzlichen fiktiven Frontlängen eingerechnet werden, wenn alle
weiteren Grundstücksgrenzen nicht oder nur teilweise der Straße „zugewandt“
sind, macht den Gebührenmaßstab für Anliegergrundstücke nicht als Verstoß
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz rechtswidrig. Denn der Grundsatz
der Typengerechtigkeit gestattet dem Satzungsgeber, bei der Gestaltung
abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu
pauschalieren, dass an Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und
abweichende Fälle sowie die nicht zum Regeltyp passenden Umstände des
Einzelfalles außer Acht gelassen werden, solange dies nur wenige
Ausnahmen von den Regelfällen betrifft (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.08.1986 -
8 C 112/84 - NVwZ 1987, 231; Urteil vom 19.09.1993 - 8 N 1/83 - KStZ 1984,
9; Beschluss vom 28.03.1995 - 8 N 3/93 - NVwZ-RR 1995, 594) und die
Vernachlässigung der unterschiedlichen Vorteilslage unter dem Gesichtspunkt
der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität sachlich
gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.08.2008 - 9 B 40/08 - NVwZ
2009, 255; Nds. OVG, Beschluss vom 11.05.2000 - 9 L 2479/99 -, juris, Rn 16;
Thür. OVG, Beschluss vom 10.01.2014 - 4 EO 678/11 - juris). Er gestattet es
somit, für einzelne Fallgruppen von einer speziellen Regelung abzusehen und
sie einem allgemeineren Typus unterzuordnen, sofern die Anzahl der
betroffenen Fälle weniger als 10 % ausmacht (Nds. OVG, Urteil vom
27.06.2011 - 9 LB 168/09 -, juris, Rn 32; Urteil vom 23.03.2009 - 9 LC 257/07 -,
juris, Rn 41).
Die Kammer hat anhand der Katasterpläne vom Stadtgebiet der Beklagten und
ihrem Vorbringen, entsprechende Grundstückszuschnitte lägen nur in 8 Fällen
vor, keinen Anlass anzunehmen, dass dieser Grenzwert von atypisch
geschnittenen Anliegergrundstücken auch nur annähernd erreicht werden
könnte.
§ 7 Abs. 4 SRGS regelt den Gebührenmaßstab für Hinterliegergrundstücke:
Bei Hinterliegergrundstücken ist die der zu reinigenden Straße
zugewandte Grundstücksbreite die maßgebliche Berechnungsgrundlage
zur Festsetzung der Straßenreinigungsgebühr. Ist das Grundstück von
der Straße her betrachtet unterschiedlich breit, so wird der
Gebührenberechnung die geringste Grundstücksbreite, projiziert auf die
zu reinigende Straße, zugrunde gelegt. Ergibt sich aus der Lage des
Grundstücks keine der zu reinigenden Straße zugewandte Seite, so
werden die Frontlängen zugrunde gelegt, die bei einer gedachten
Verlängerung der Straße in gerader Linie zugewandt wären. Wird ein
Hinterliegergrundstück durch mehrere Straßen erschlossen, so ist die
größte der einer zu reinigenden Straße zugewandten Grundstücksbreiten
maßgeblich.
Die günstigere Behandlung mehrfach erschlossener Hinterliegergrundstücke
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im Vergleich zu Anliegergrundstücken mag ebenfalls vom Grundsatz der
Typengerechtigkeit gedeckt sein. Eine Abrundungsvorschrift wie bei
Anliegergrundstücken besteht für Hinterliegergrundstücke nicht; dennoch
rundet die Beklagte in ihrer Verwaltungspraxis für die Gebührenfestsetzung
offenbar auch bei diesen Fällen ab. An die Stelle von Grundstücksgrenzen tritt
nach dem Wortlaut des Satzes 1 der Norm beim Gebührenmaßstab für
Hinterliegergrundstücke eine der zu reinigenden Straße zugewandte
Grundstücksbreite, also eine gedachte Strecke durch die Grundstücksfläche
zwischen zwei Punkten gegenüber liegender Grundstücks-Seitengrenzen.
Wird das Merkmal „zugewandt“ vom Satzungsgeber in gleicher Weise wie in §
7 Abs. 1 SRGS gebraucht, so mangelt es § 7 Abs. 4 SRGS bereits an einer
hinreichenden Bestimmtheit, weil die Grundstücksbreite je nach dem
angelegten Winkel von 1 bis 45 Grad zur „Straße“ (Flurstücksgrenze oder
Mittellinie) unterschiedliche Längen erreicht.
Vom Sinn und Zweck der Regelung her könnte allerdings die
„Grundstücksbreite“ auch als Synonym für die zugewandte
„Grundstücksgrenze“ gebraucht werden; gemeint wäre dann die der
Straßenmittellinie - oder der grundstücksseitigen Grenze der Verkehrsfläche -
nächst gelegene, in einem Winkel von höchstens 45 Grad zu ihr verlaufende
Grundstücksgrenze. In diesem Fall bestände jedoch ein offensichtlicher
Widerspruch zu Satz 2 der vorstehend wiedergegebenen Vorschrift. Er
unterscheidet zwischen Hinterliegergrundstücken, von deren Grenzen zwei
exakt parallel zur „Straße“ verlaufen, welche zusammen mit den anderen
beiden Grenzen ein Rechteck oder ein Parallelogramm bilden, und allen
übrigen Hinterliegergrundstücken, welche diese Voraussetzungen nicht
erfüllen und die deshalb „von der Straße her betrachtet unterschiedlich breit“
sind. Beim erstgenannten Grundstückstyp könnte als Grundstücksbreite die
zugewandte Grundstücksgrenze anzusehen sein. Für Hinterliegergrundstücke
des letztgenannten Typs, die insbesondere im Hinblick auf Kurven der
„Straßen“ nach Einschätzung der Kammer deutlich überwiegen dürften,
schreibt die Norm dagegen eine Projektion der geringsten Grundstücksbreite
vor; eine Grundstücksgrenze kann damit keinesfalls gemeint sein.
Verlaufen die Flurstücksgrenzen einer Straße nicht exakt parallel, so hängt die
Beantwortung der Frage, ob ein Hinterliegergrundstück „von der Straße her
betrachtet unterschiedlich breit“ ist, zunächst maßgeblich davon ab, ob die
grundstücksnähere Grenze der Verkehrsfläche oder die - fiktive -
Straßenmittellinie Ausgangspunkt der Betrachtung ist. Da § 7 Abs. 4 Satz 2
SRGS ein Projektionsverfahren zur Ermittlung der fiktiven Frontlänge des
Hinterliegergrundstücks vorschreibt, dieses jedoch nicht erläutert oder
beschreibt, können im Wege der Auslegung die weithin anerkannten Kriterien
dieses Verfahrens herangezogen werden. Nach dem zum rheinland-
pfälzischen Straßenreinigungsgebührenrecht entwickelten
Projektionsverfahren gilt als für die Gebührenfestsetzung maßgebliche
Straßenlänge bei Grundstücken, deren Seitengrenzen nicht senkrecht zur
Straßenmittellinie verlaufen oder deren längste parallel zur Straßenmittellinie
verlaufende Ausdehnung länger als die gemeinsame Grenze von Grundstück
und Straße ist, und bei Hinterliegergrundstücken als Straßenlänge die Länge
der Straßengrenze zwischen zwei Senkrechten, die von den äußeren Punkten
der Grundstücksseite oder -seiten, die der zu reinigenden Straße zugekehrt
sind, auf der Straßenmittellinie errichtet werden (Bitterwolf, KStZ 2002, 194; vgl.
auch BVerwG, Beschluss vom 15.03.2002 - 9 B 16/02 -, juris; OVG Rh-Pf,
Urteil vom 15.03.2011 - 6 C 10959/10 -, juris, Rn 45-47; OVG Lüneburg, Urteil
vom 19.07.1990 - 14 A 227/88 -, juris, Rn 5; Sächs. OVG, Urteil vom
27.07.2011 - 5 A 540/08 -, juris, Rn 22; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
28.01.2009 - OVG 9 A 1.07 -, juris, Rn 37; VG Greifswald, Urteil vom
06.06.2012 - 3 A 1539/10 -, juris, Rn 19; VG Gelsenkirchen, Urteil vom
10.05.2012 - 13 K 629/11 -, juris, Rn 26; VG Koblenz, Urteil vom 15.12.2008 - 4
K 73/08.KO -, juris, Rn 27; VG Minden, Urteil vom 14.01.2005 - 5 K 567/04 -,
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juris, Rn 21ff).
Diese Form der Projektion wendet die Beklagte allerdings nicht an, wie sich
aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Vielmehr werden die fiktiven
Frontlängen der Hinterliegergrundstücke ermittelt, indem die Längen aller der
zu reinigenden Straße zugewandten Grundstücksgrenzen gemessen und die
kürzeste Grenzlänge als Multiplikator des Gebührensatzes - und für die
Berechnung der Kostenträgermenge in der Kalkulation - ausgewählt wird.
Besitzt ein Grundstück keine zugewandte Grundstücksgrenze, weil es
beispielsweise hinter dem Ende einer Stichstraße liegt oder asymmetrisch
geschnitten ist, führt die Beklagte – ungefähr – eine Parallelverschiebung der
Grenze des Straßengrundstücks in die Grundstücksfläche durch und nimmt
die längstmögliche Strecke innerhalb der Grundstücksgrenzen als fiktive
Frontmeterlänge an. Mit der Satzungsvorschrift, die projizierte „geringste
Grundstücksbreite“ heranzuziehen, ist diese Vorgehensweise nicht zu
vereinbaren. Unter diesen Umständen sind jedenfalls die Eigentümer von
Hinterliegergrundstücken des zweiten, häufig vorkommenden Typs nicht in der
Lage, anhand von § 7 Abs. 4 SRGS die Höhe der auf ihren Grundstücken
ruhenden Straßenreinigungsgebühr zu ermitteln, so dass die
Maßstabsregelung rechtswidrig und unwirksam ist.
Darüber hinaus ist auch der Gebührentatbestand unzureichend geregelt; die
Gebührenpflichtigen können entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 NKAG anhand des
derzeit geltenden Satzungs- und Verordnungsrechts der Beklagten nicht
erkennen, wie die Leistung der öffentlichen Einrichtung zur Straßenreinigung
beschaffen sein muss, für die sie eine Winterdienstgebühr bezahlen sollen.
Gemäß § 2 SRGS richten sich Art, Umfang und Häufigkeit der
Straßenreinigung – die in § 1 Abs. 1 SRGS als Sommer- und Winterdienst
definiert ist – nach der Straßenreinigungsverordnung (SRV) der Beklagten in
der jeweils gültigen Fassung. Die zum 01.01.2013 in Kraft getretene
Neufassung der SRV vom 28.12.2012 (Amtsbl. S. 189) beschreibt den
Sommerdienst ausführlich in § 1 Abs. 2 Satz 2 (zu den Gehbahnen in § 1 Abs.
3 SRV vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 27.03.2014 - 7 KN 85/11 -, juris, Rn
61ff), § 2, § 4 Abs. 2 und 3 sowie § 5 SRV; zwar ist die Länge der Kehrstrecke
bei der Übertragung der Straßenreinigungspflicht auf die Eigentümer der
Anliegergrundstücke nicht geregelt, dies ist jedoch für den Sommerdienst der
öffentlichen Einrichtung nicht von Belang. Da die Beklagte den Eigentümern
der erschlossenen Grundstücke die Reinigungspflicht nur in dem Umfang
übertragen konnte, die ihr selbst oblegen hat und die sie ansonsten durch ihre
öffentliche Einrichtung ausführen lässt, ermöglichen die genannten
Vorschriften jedenfalls den Gebührenpflichtigen die Bewertung, ob die
öffentliche Einrichtung den Sommerdienst ordnungsgemäß durchgeführt hat,
oder ob dem Gebührenanspruch Einwendungen wegen Nicht- oder
Schlechterfüllung aufgrund erheblicher Reinigungsmängel (vgl. Nds. OVG,
Beschluss vom 13.01.2010 - 9 LA 205/08 -, juris, Rn 7; Sächs. OVG, Urteil vom
27.07.2011 - 5 A 540/08 -, juris, Rn 7) entgegengehalten werden können.
Beim Sommerdienst ist der Reinigungsumfang für alle Straßen und deren
Teileinrichtungen im Wesentlichen identisch geregelt. Lediglich die
Reinigungshäufigkeit variiert, wobei die Art und Weise, in der eine Gemeinde
der Verkehrsbedeutung einer Straße und ihrem erfahrungsgemäßen Grad der
Verschmutzung durch Einteilung in Reinigungsklassen Rechnung trägt, in
ihrem weiten ortsgesetzgeberischen Ermessen steht (vgl. VG Hannover, Urteil
vom 05.06.2009 - 1 A 2303/08 -, juris, Rn 56, m.w.N.). Sachgerechte Kriterien
für die Einordnung einer Straße in eine bestimmte
Reinigungs(häufigkeits)klasse sind in erster Linie ihre Verkehrsbelastung und
der Verschmutzungsgrad, was allerdings aus dem Gesamtzusammenhang
von SRGS und SRV allenfalls noch ansatzweise erkennbar ist; in welcher
Ausprägung die beiden Kriterien erfüllt sein müssen, um zur Einordnung einer
Straße in eine bestimmte Reinigungsklasse zu führen, und welche weiteren
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Kriterien (z.B. der Eindruck auf Besucher der Stadt, die Tourenplanung der
Reinigungsfahrzeuge) daneben noch berücksichtigt werden dürfen, ist dem
Ortsrecht allerdings nicht mehr zu entnehmen.
Der Winterdienst beinhaltet gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 SRV insbesondere das
Schneeräumen sowie das Bestreuen an gefährlichen Stellen der
verkehrswichtigen Straßen bei Schnee- und Eisglätte (vgl. ebenso § 7 Abs. 1
Satz 1 SRGS). § 2 Abs. 1b SRV legt fest, dass die Straßenreinigungspflicht im
Winterdienst insbesondere die Beseitigung von Schnee und Eis von den
Gehwegen und deren Abstreuen bei Glätte umfasst, was auch für gefährliche
Fahrbahn- und Radwegstellen mit nicht unbedeutendem Verkehr gilt. Glätte
durch Eis oder Schnee als wichtigste wintertypische Beeinträchtigung des
Verkehrs ist jedoch für die unterschiedlichen Arten von Verkehrsteilnehmern
unabhängig von der Straßenkategorie weitgehend gleich gefährlich und daher
als Abgrenzungskriterium untauglich. Welche Straßen verkehrswichtig sind,
was an deren übrigen Stellen zu veranlassen ist, ob die Verkehrswichtigkeit
einer Straße hinsichtlich Fahrbahn, Geh- und Radweg auseinander fallen
kann, und welche Winterdienstarbeiten an den anderen Straßen auszuführen
sind, ist anhand des Ortsrechts der Beklagten nicht zu erkennen.
In § 6 SRV ist hinreichend bestimmt geregelt, unter welchen Voraussetzungen,
in welchem Umfang und in welcher Häufigkeit Räumen und Streuen durch die
reinigungspflichtigen Grundstückseigentümer zu erfolgen hat. Welche Arbeiten
aber durch die öffentliche Einrichtung auszuführen sind, ist dagegen nicht
normiert. Eine entsprechende Anwendbarkeit von § 6 SRV auf die Leistungen
der öffentlichen Einrichtung ist offensichtlich ausgeschlossen, weil zum einen
der Einsatz der Räum- und Streumittel durch die Einrichtung nicht einheitlich
für das gesamte Straßennetz erfolgt und zum anderen Streumittel auch
vorbeugend eingesetzt werden, was § 6 SRV nicht vorsieht. Auch die von der
Einrichtung punktuell an Bushaltestellen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 SRGS),
Fußgängerüberwegen oder Kreuzungs- und Einmündungsbereichen
durchgeführte Räum- und Streutätigkeit kann aus § 6 SRV nicht hergeleitet
werden. Die Bewertung, ob die öffentliche Einrichtung den Winterdienst in einer
bestimmten Straße ordnungsgemäß durchgeführt hat, ob und welche
Streumittel sie einsetzen muss, ob bzw. unter welchen Umständen sie Schnee
und Eis von den ihrer Zuständigkeit unterfallenden Verkehrsflächen vollständig
beseitigen muss, ist den Gebührenpflichtigen daher nicht möglich. Für welchen
Erfolg sie eine Winterdienstgebühr bezahlen müssen, kann anhand des
Ortsrechts der Beklagten nicht festgestellt werden.
Hinzu kommt, dass weder der SRV noch der SRGS Merkmale zu entnehmen
sind, nach denen eine Einstufung der Straßen in die vier Winterdienstklassen
der §§ 3 Abs. 1 b SRGS, 3 b SRV zu erfolgen hat. Die Darstellung auf Seite 16
der Vorlage EB 75/207/12, dass sich die Einteilung der Straßen grundsätzlich
nach der Verkehrswichtigkeit und Gefährlichkeit einer Straße richtet, vermag
die Mangelhaftigkeit des Gebührentatbestands in dieser Hinsicht nicht zu
beheben (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 19.08.2008 - 9 LA 406/06 -, juris, Rn
19), zumal aus den dortigen Beschreibungen der vier Prioritätsklassen nicht zu
erkennen ist, wie die Masse der Straßen einzustufen ist, die weder
Hauptverkehrsstraßen, noch besonders gefährlich, noch solche mit geringem
Verkehrsaufkommen sind, und welche weiteren Kriterien für die Einstufung
einer Straße Bedeutung erlangen können.
Nach alledem ist der Gebührentatbestand für den Winterdienst unbestimmt
und unwirksam.
Einen weiteren – versteckten – Verstoß gegen höherrangiges Recht enthält §
3 Abs. 7 SRGS. Nach dieser Vorschrift wird die Straßenreinigungspflicht nicht
auf die Eigentümerin von Anliegergrundstücken übertragen, wenn dies die
Beklagte selbst ist oder wenn ihr ein dingliches Recht an dem
Anliegergrundstück zusteht. In diesen Fällen bleibt die
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Straßenreinigungspflicht der Beklagten gemäß § 52 NStrG als öffentliche
Aufgabe bestehen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die
Beklagte innerhalb der geschlossenen Ortslage (§ 52 Abs. 1 Satz 1 NStrG)
Eigentümerin von ca. 1.180 Grundstücken mit Frontlängen von insgesamt ca.
33.100 Metern im Sommerdienst und ca. 35.900 Metern im Winterdienst. Zwar
wird die Beklagte von ihrer Einrichtung für diese Grundstücke zu
Straßenreinigungsgebühren herangezogen; nicht beachtet wird dabei aber,
dass der satzungsrechtlich vorgesehene Umfang von Sommer- und
Winterdienst im Vergleich zu den Frontlängen vor den übrigen
Anliegergrundstücken erheblich höher ist, weil den Eigentümern der
letztgenannten die Reinigung der fahrbahnbegleitenden Nebenflächen
übertragen ist, diese jedoch vor städtischen Grundstücken von der Einrichtung
durchgeführt werden soll. Denn der Einrichtung hat die Beklagte gemäß § 1
Abs. 1 SRGS die Reinigungspflicht insgesamt übertragen, soweit nicht eine
Übertragung auf die Grundstückseigentümer erfolgt ist. Ob die Arbeiten
tatsächlich durch Personal und Material der Einrichtung – oder durch
Hausmeister bzw. den städtischen Bauhof – durchgeführt werden, ist für die
Zuständigkeit der Einrichtung nicht von Belang. Demzufolge hat in diesen
Fällen nach dem bestehenden Satzungsrecht die Kehrmaschine mindestens
die doppelte Reinigungsstrecke zu erbringen wie vor Grundstücken, bei denen
Nebeneinrichtungen der Straße auf die Anlieger übertragen wurden; auch
beim Winterdienst ist neben der Bearbeitung der Fahrbahn ein erheblicher
Zusatzaufwand zu bewältigen. Auf diese Weise sichert sich die Beklagte
satzungsrechtlich eine ungerechtfertigte "Quersubventionierung" zu Lasten der
übrigen Gebührenpflichtigen. Der im gesamten Benutzungsgebührenrecht
geltende Grundsatz der Leistungsproportionalität besagt, dass Kosten, die
durch eine Leistung verursacht werden, welche von einem abgrenzbaren
Nutzerkreis abgerufen wird, oder Kosten, die nach speziellen Maßstäben
verteilt werden, grundsätzlich nicht Kostenstellen zugeordnet werden dürfen,
die diese Voraussetzungen nicht erfüllen (OVG Schleswig, Urteil vom
13.02.2008 - 2 KN 3/06 -, NordÖR 2008, 235, 238). Eine
"Quersubventionierung" dagegen, die bewirkt, dass die einzige
Gebührenpflichtige, für die „Reinigung und Winterdienst aller Teileinrichtungen
der Straße“ erfolgt, auf Kosten aller übrigen Einrichtungsbenutzer entlastet
wird, für die lediglich die Fahrbahn gereinigt, geräumt und/oder gestreut wird,
verstößt nicht nur gegen den Grundsatz der Leistungsproportionalität, sondern
wird außerdem teilweise als Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsgebot,
teilweise als Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip verworfen (vgl. Driehaus-
Schulte/Wiesemann, aaO., § 6 Rn 331 m.w.N.; VG Göttingen, Urt.
v.17.12.2008 - 3 A 108/07 -, juris, Rn 17).
In der vorgelegten Kalkulation der Gebührensätze für 2013 (Anlage 2) sind
Unterdeckungen aus Vorjahren in Höhe von ca. 18.400 € (Sommerdienst) und
ca. 6.700 € (Winterdienst) eingestellt worden. Sollen Unterdeckungen aus den
Vorjahren in die Kalkulation für 2013 eingestellt werden, so müssen sie durch
eine rechtsfehlerfreie, ggf. nachträgliche Kalkulation für die Jahre, in denen
Unterdeckungen entstanden sein sollen, nachgewiesen werden, was wohl nur
durch eine ordnungsgemäße Neukalkulation möglich sein wird (VG Göttingen,
Urteil vom 16.12.2009 - 3 A 70/08 -, juris, Rn 21). Denn der Einzelrichter der
Kammer hat durch Urteil vom 17.04.2012 (- 3 A 389/10 -) eine
Nachveranlagung zu Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2006 bis 2010
aufgehoben und die Entscheidung tragend auch auf die Rechtswidrigkeit eines
einheitlichen Gebührensatzes für Sommer- und Winterdienst gestützt, so dass
die diesen Gebührensätzen zu Grunde liegenden, methodisch falschen
Kalkulationen nicht zur Begründung einer unbeabsichtigten
Gebührenunterdeckung dienen können.
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist die streitbefangene
Heranziehung der Kläger zur Winterdienstgebühr für das 1. Quartal 2013 auch
deshalb rechtswidrig, weil sie gegen §§ 6 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Satz 3 SRGS
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verstößt. Nach den genannten Vorschriften entstehen die Gebührenpflicht und
die Gebührenschuld für Anlieger von Straßen, die neu in das
Straßenverzeichnis der SRV aufgenommen werden, mit dem Beginn des auf
die Aufnahme folgenden Quartals. In dem Straßenbestandsverzeichnis der
Straßenreinigungsverordnung der Beklagten vom 05.07.1985 in der Fassung
der 17. Änderung vom 16.03.2012, die bis zum Ablauf des 31.12.2012 galt
(vgl. § 11 Satz 1 SRV), waren die Straßen der Ortsteile P., Q., R., S., N., T., U.,
V., W. und X. nicht enthalten; sie wurden erstmals zum 01.01.2013 mit der
Neufassung der SRV in das Straßenverzeichnis aufgenommen. Obwohl nach
den genannten Normen die Gebührenpflicht und –schuld erst zum 01.04.2013
entstehen sollen, wurden die Anlieger dieser Straßen – soweit ersichtlich – für
das gesamte Kalenderjahr 2013 veranlagt. Das klägerische Grundstück gehört
als Hinterlieger der E. -Straße zu diesem Kreis. Einen Hinweis, wie die
Gebührensätze nach § 4 in derartigen Fällen zu reduzieren sind, enthält die
SRGS nicht. Nicht zu erkennen ist ferner, dass die erst gegen Ende des
Winters 2012/13 wirksame Einbeziehung der Straßen in den Winterdienst der
Ortsteile in der Kalkulation für 2013 angemessen berücksichtigt worden wäre;
vielmehr werden diese Straßen in der Kalkulation behandelt, als würden im
gesamten Winter 2012/13 gebührenfähige Aufwendungen nach den
Erfahrungswerten mit dem übrigen Straßennetz der Beklagten und den bis
einschließlich 2012 aus allgemeinen Deckungsmitteln getragenen
Winterdienst in den vorgenannten Ortsteilen entstehen.
Im Hinblick auf das klägerische Vorbringen diesem und rechtlich gleich
gelagerten Verfahren sieht die Kammer Anlass zu folgenden Ausführungen:
Soweit einige Kläger fordern, dass bei der Festlegung des Allgemeininteresses
die Verkehrsbedeutung der unterschiedlichen Straßentypen stärker
berücksichtigt werden müsste, können sie damit nicht durchdringen. Nach § 4
Abs. 4 Satz 2 SRGS beträgt der auf das Allgemeininteresse entfallende Anteil
an den Gesamtkosten der städtischen Straßenreinigung 25 %. Die Beklagte
hat sich nicht für die - rechtlich ebenfalls zulässige - Lösung entschieden, den
Kostenanteil für das Allgemeininteresse etwa differenziert für Straßen gemäß
ihrer Verkehrsbedeutung festzulegen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom
07.04.1989 - 8 C 90.87 -, KStZ 1989, 192, 193). Im letzteren Falle wäre für
Straßen mit deutlich überwiegendem Durchgangsverkehr in der Tat ein
Kostenanteil für die Allgemeininteresse von nur 25 % nicht angemessen. Ob
die kommunale Körperschaft einen einheitlichen, das Allgemeininteresse
ausdrückenden Kostenanteil für die gesamte öffentliche Einrichtung der
Straßenreinigung bei abgestuften Gebührensätzen festlegt oder derartige
Kostenanteile differenziert nach Gruppen von Straßen gemäß ihrer
Verkehrsbedeutung ansetzt, steht in ihrem Ermessen (BVerwG, Urteil vom
07.04.1989 aaO.; Nds. OVG, Urteil vom 14.10.1997 - 9 L 3432/96 -, juris, Rn
29). Die Beklagte hat sich hier ermessensfehlerfrei für einen einheitlichen
Kostenanteil entschieden (vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 30.11.2009 - 9 LB
415/07 -, juris, Rn 31; VG Augsburg, Urteil vom 27.02.2012 – Au 6 K 12.127 –,
juris, Rn 19-21 m.w.N.).
Die Straßenreinigungsgebühr ist nicht das Entgelt für die Durchführung der
Reinigung einer bestimmten Straßenstrecke vor dem jeweiligen einzelnen
Grundstück, für die dann auch die Gebührenpflicht des einzelnen
Grundstückseigentümers entsteht. Vielmehr wird durch die Gebühr der
besondere Vorteil abgegolten, der dem Grundstückseigentümer dadurch
erwächst, dass die sein Grundstück erschließende Straße in ihrer gesamten
Länge durch die Gemeinde in einen sauberen bzw. gefahrlos benutzbaren
Zustand versetzt wird. Dieser besondere Vorteil kommt nicht nur dem
Eigentümer des an die zu reinigende Straße angrenzenden Grundstücks zu,
sondern auch den Eigentümern der sog. Hinterliegergrundstücke. Anliegende
und sonst erschlossene Grundstücke werden zulässiger Weise also insoweit
gleich behandelt (Nds. OVG, Beschluss vom 11.05.2000 - 9 L 2479/99 -, juris).
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Im Niedersächsischen Straßengesetz ist keine Verpflichtung vorgesehen, die
Verkehrsbedeutung einer Straße im Hinblick auf die Anteile des
Anliegerverkehrs bei der Gebührenbemessung zu berücksichtigen; lediglich in
besonders gelagerten Einzelfällen kann das Ermessen der Gemeinde
eingeschränkt sein, ob sie eine Differenzierung nach der Verkehrsbedeutung
der Straßen vornehmen will (vgl. Driehaus-Brüning, Kommunalabgabenrecht,
Stand: 03/14, § 6 Rn 457 m.w.N.).
Soweit die Kläger in diesem und in anderen Verfahren die Auffassung
vertreten, die zwischen der Beklagten und 10 ehemals selbständigen
kreisangehörigen Gemeinden zwischen 1962 und 1972 geschlossenen
Eingemeindungsverträge enthielten in der einen oder anderen Formulierung
Klauseln, die die Erhebung von Winterdienstgebühren jedenfalls ohne einen
vorherigen ausdrücklichen Ratsbeschluss verhinderten, vermag die Kammer
dem nicht zu folgen.
Gemeinden sind befugt, Rechts- und Verwaltungsfragen in
Eingemeindungsverträgen zu regeln. Aus solchen Vereinbarungen lassen sich
aber grundsätzlich keine subjektiven Rechtsansprüche einzelner
Gemeindebürger ableiten. Ihnen bleibt allenfalls die Möglichkeit, im Wege der
Aufsichtsbeschwerde die Rechtsaufsicht zu veranlassen, Maßnahmen zu
ergreifen. Allerdings besteht auf das Tätigwerden der Rechtsaufsichtsbehörde
wiederum kein Anspruch, was dessen gerichtliche Durchsetzbarkeit
ausschließt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 08.10.1998 - 23 ZB 98.1363 -,
juris, Rn 4). Von daher besteht bereits kein Rechtsanspruch des einzelnen
Klägers, den er aus einer Regelung des seinen Ortsteil betreffenden
Eingemeindungsvertrags ableiten könnte.
Darüber hinaus erfassen nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30.01.1968 - IV C 60.66 -, Buchholz
406.11 § 133 BBauG Nr. 20, S. 84) vertragliche Abreden, wonach eine
bestimmte Abgabe nicht erhoben werde, grundsätzlich nur die zum Zeitpunkt
der entsprechenden Vereinbarung eingeführten Abgaben. Ungeachtet dessen,
dass sehr zweifelhaft ist, ob in den Eingliederungsverträgen überhaupt
(konkludent) eine vertragliche Abrede über die Erhebung einer
Straßenreinigungsgebühr für den Winterdienst in den Ortsteilen enthalten ist,
wurden der Kammer trotz eines entsprechenden rechtlichen Hinweises in den
drei exemplarisch geförderten Verfahren keine Anhaltspunkte dafür vorgelegt,
dass in einem der eingemeindeten Ortsteile vor dessen Eingliederung bereits
eine Winterdienstgebühr eingeführt gewesen wäre.
Im Übrigen ist zwar in der Rechtsprechung umstritten, ob „unwirtschaftliche“
Bestimmungen von Eingliederungsverträgen generell einzuhalten (vgl. Sächs.
OVG, Beschluss vom 25.07. 2013 - 4 A 218/13 -, juris, Rn 23), generell
unzulässig (vgl. Saarl. OVG, Beschluss vom 16.02.2005 - 1 Q 1/05 -, juris, Rn
10 m.w.N.) sind, oder ob ihre Gültigkeit unter dem Vorbehalt einer
angemessenen Gegenleistung zugunsten des Einrichtungsträgers steht (vgl.
Bay. VGH, Beschluss vom 25.10.2011 - 8 ZB 11.186 -, juris, Rn 19; Hess.
VGH, Urteil vom 03.02.1999 - 5 UE 2492/92 -, juris; OVG NRW, Beschluss
vom 18.11.2013 - 15 A 2302/12 -, juris, Rn 21f). In Bezug auf eine
Gegenleistung der Kläger oder eines Dritten für die Durchführung des
Winterdienstes vor dem Beginn des Jahres 2013 liegen bisher keine
Anhaltspunkte vor. Jedenfalls in den letzten 10 Jahren wurde an der Art und
Weise, wie der Winterdienst in den betreffenden Ortsteilen der Beklagten
durchgeführt wurde, nichts Wesentliches geändert. Neu eingeführt wurde
lediglich ab 2013, dass für die Arbeiten der öffentlichen Einrichtung eine
Gebühr erhoben wird. Selbst wenn also aus den Eingemeindungsverträgen
ursprünglich eine verbindliche Festlegung zu entnehmen sein sollte, dass die
Winterdienstarbeiten in den eingemeindeten Ortsteilen insgesamt den
Anliegern der Straßen übertragen worden wären, so wäre dies längst im
offenkundigen Einvernehmen mit den An- und Hinterliegern der betroffenen
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Straßen geändert worden; eine Vereinbarung des Inhalts, dass auch bei einer
Übernahme der Winterdienstarbeiten in den eingemeindeten Ortsteilen durch
eine Einrichtung der Beklagten diese Leistung dauerhaft gebührenfrei sein
sollte, vermag die Kammer den Eingemeindungsverträgen nicht zu
entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.