Urteil des VG Göttingen vom 18.03.2014

VG Göttingen: grobes verschulden, grundstück, grundsteuer, gebäude, zusammenarbeit, beweismittel, vollstreckung, verfügung, bekanntgabe, genehmigung

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Bauschäden erheblichen Umfangs, die zu einer vorübergehenden
Unbenutzbarkeit eines Grundstücks führen, rechtfertigen einen
Grundsteuererlass nicht.
VG Göttingen 2. Kammer, Urteil vom 18.03.2014, 2 A 308/13
§ 22 BewG, § 82 Abs 1 Nr 2 BewG, § 87 BewG, § 33 Abs 5 GrStG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der
vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom 17. Dezember 2010 von
der Klinik- und Rehabilitationszentrum D. E. GmbH (vormals firmierend unter
Kurklinik D. E. GmbH) das Grundstück H. x in D. E.. Bei diesem Grundstück
handelt es sich um die ehemalige Kurklinik von D. E.. Die Beklagte war 100 %-
ige Anteilseignerin der GmbH. Nutzungen und Lasten sollten nach § 3 des
notariellen Kaufvertrages zum 1. Januar 2011 übergehen.
Bei einer Besichtigung am 28. Dezember 2010 bemerkte der Kläger in den
Gebäuden der ehemaligen Kurklinik umfangreiche Frostschäden; Eiszapfen
hingen von der Decke und Heizkörper waren verbogen. Von diesen Schäden
machte der Kläger sowohl der Beklagten wie auch der Öffentlichen
Versicherung Braunschweig, deren Versicherungsnehmer die Beklagte ist,
umgehend Meldung. Die Beklagte bevollmächtigte den Kläger unter dem 15.
Juli 2011 gegenüber der Öffentlichen Versicherung Verhandlungen zu führen;
am 22. Dezember 2011 trat sie ihre Ansprüche aus dem
Versicherungsverhältnis an den Kläger ab. Seitdem versucht der Kläger in
Zusammenarbeit mit einem Sachverständigen der Öffentlichen Versicherung
und seit Februar 2013 auch in Zusammenarbeit mit einem Architekten, dem
Zeugen I., den entstandenen Schaden zunächst einmal überhaupt
festzustellen. Nach einer Schätzung des Sachverständigen J. der Öffentlichen
Versicherung beträgt der Schaden allein für das Bettenhaus der ehemaligen
Kurklinik ca. 1,5 Millionen Euro. Die Gesamtschadenssumme dürfte deutlich
höher liegen.
Mit bestandskräftigem Grundsteuermessbescheid vom 8. März 2012 setzte
das Finanzamt D. E. im Wege der Nachveranlagung auf den 1. Januar 2011
den Grundsteuermessbetrag auf 4.212,17 € fest. Daraufhin setzte die Beklagte
mit Bescheid vom 15. Mai 2012 die Grundsteuer für das Jahr 2011 auf
17.269,90 € und für das Jahr 2012 auf 17.985,907 € fest. Mit bei der Beklagten
am 3. Juli 2012 eingegangenen Antrag vom 25. Mai 2012 beantragte der
Kläger, ihm die hälftige Grundsteuer zu erlassen. Diesen Antrag lehnte die
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Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 2013 mit der Begründung ab, der
Kläger habe keine Nachweise darüber erbracht, sich um Erträge aus dem
Grundstück bemüht zu haben; er habe auch keine Bemühungen gezeigt, eine
Fortschreibung des Einheitswerts beim Finanzamt D. E. zu erreichen.
Hiergegen hat der Kläger am 11. März 2013 Klage erhoben.
Zu deren Begründung trägt er vor, er habe am 28. Dezember 2010 einen
erheblichen Wasserschaden festgestellt, der den gesamten Gebäudekomplex
erfasse. Dies sei der Beklagten bekannt. Bis heute sei der Gebäudekomplex
nicht nutzbar. Es erfolge nach wie vor eine umfangreichen
Schadensermittlung, von der die Beklagte volle Kenntnis habe. Er habe das
Grundstück seinerzeit erworben, um einerseits selbst ein Senioren- und
Pflegeheim dort zu betreiben und andererseits bestimmte Teile der Gebäude
an Jungunternehmer im Pflegebereich verpachten zu können. Er habe eine
Grundsanierung bis September 2011 beabsichtigt, was infolge der
umfangreichen Frostschäden nicht zu realisieren gewesen sei. Er habe ab 1.
Januar 2011 laufende Pachtverträge abgeschlossen, die jedoch infolge dieser
Schäden jedoch nicht umgesetzt worden seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 11.
Februar 2013 zu verpflichten, dem Kläger für das Grundstück H. x, D. E.
für die Steuerjahre 2011 und 2012 die Grundsteuer in Höhe von 50 %,
mithin für 2011 in Höhe von 8.634,95 € und für 2012 in Höhe von
8.992,99 €, zu erlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt zur Begründung vor, sie könne Aussagen zum Umfang der
Bauschäden nicht treffen. Sie sei nicht die Verkäuferin des Grundstücks und
wisse auch sonst nichts zum Umfang der Bauschäden. Ebenso wenig könne
sie etwas dazu sagen, was der Kläger zur Schadensbeseitigung getan habe.
Sie habe das Grundstück auch erst seit Februar 2010 bis zum Verkauf an den
Kläger in Besitz gehabt; zuvor habe das Grundstück von 2004 bis 2010 der
Insolvenzverwaltung unterlegen. Sie müsse daher mit Nichtwissen bestreiten,
dass das Gebäude 2011 und 2012 unbenutzbar gewesen sei. Sie könne sich
auch nicht vorstellen, dass allein die Schadensfeststellung mehr als zwei
Jahre dauern solle.
Das Gericht hat über die Art und den Umfang des in dem Gebäude H. x in D.
E. entstandenen Schadens Beweis erhoben durch Vernehmung der Herren K.,
I. und L. als Zeugen. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen, wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die
Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen
sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erlass
der Grundsteuer gegen die Beklagte nicht, so dass der Bescheid der
Beklagten vom 11. Februar 2013 rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg, weil dem klägerischen Erlassbegehren die
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Regelung in § 33 Abs. 5 Grundsteuergesetz –GrStG- entgegensteht. Nach
dieser Vorschrift ist eine Ertragsminderung kein Erlassgrund, wenn sie für den
Erlasszeitraum durch Fortschreibung des Einheitswerts berücksichtigt werden
kann oder bei rechtzeitiger Stellung des Antrags auf Fortbeschreibung hätte
berücksichtigt werden können. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser
Vorschrift liegen vor. Der Wortlaut des § 33 Abs. 5 GrStG ist insofern ungenau,
als eine Ertragsminderung zwar ein Erlassgrund ist, niemals aber unmittelbar
auch zu einer Wertfortschreibung führen kann, denn die spätere
Mietentwicklung ist für die Einheitsbewertung ohne Bedeutung. Allenfalls, und
so auch hier, kann eine Beeinträchtigung oder der Wegfall von Bausubstanz
sowohl Grund für eine Wertfortschreibung als auch Grund für eine
Mietminderung sein (vgl. Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 10. Auflage, § 33,
Rn. 28). Zeigen sich Bauschäden und Baumängel, die im bisherigen
Einheitswert noch nicht berücksichtigt wurden, so kann das Grund für eine
Wertfortschreibung sein. Behebbare Baumängel können im
Ertragswertverfahren nach § 82 Abs. 1 Nr. 2 Bewertungsgesetz –BewG- bzw.
im Sachwertverfahren nach § 87 BewG berücksichtigt werden. Nicht
behebbare Baumängel werden berücksichtigt, indem von einer kürzeren
Lebensdauer des Gebäudes ausgegangen wird (vgl. Troll/Eisele, a.a.O., § 13,
Rn. 9). Ertragsminderungen, die ihre Ursache in der Beschaffenheit eines
Grundstücks haben, führen also nicht zur Anwendbarkeit des § 33 GrStG;
ihnen muss vielmehr auf der Bewertungsebene Rechnung getragen werden
(OVG Lüneburg, Beschluss vom 03.12.2003 - 13 LA 213/03 -, zitiert nach
juris).
Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass das streitbefangene Objekt, die
ehemalige Kurklinik in D. E., in all ihren Gebäudeteilen durch einen
Frostschaden erheblich geschädigt ist. Da die Schädigung die
Heizungsanlage und die Wasserversorgung des Gebäudes betrifft, ist sie
allumfassend. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur
Überzeugung des Gerichts darüber hinaus fest, dass es sich nicht um einen
Bagatellschaden handelt, bei dem von vornherein ausgeschlossen erscheint,
dass er den Einheitswert beeinflusst. Allein die Schadenssumme, die von der
Öffentlichen Versicherung und deren Sachverständigen für das Bettenhaus
festgestellt worden ist, erreicht mit 1,5 Millionen einen Umfang, der nach den
genannten Vorschriften des Bewertungsgesetzes Berücksichtigung bei der
Bewertung des Grundstückswertes finden muss. Eine Wertfortschreibung im
Sinne von § 22 Abs. 1 BewG liegt daher nahe. Dies umso mehr, als der
festgestellte Schaden voraussichtlich einen noch viel höheren Umfang
erreichen wird und möglicherweise sogar die 3-Millionen-Euro-Grenze
übersteigen wird.
Hiergegen wendet der Kläger zu Unrecht ein, er habe eine derartige
Fortschreibung nicht beantragen können, weil ihm die hierfür erforderlichen
tatsächlichen Angaben für das Finanzamt nicht zur Verfügung gestanden
hätten und er auch keine konkrete Angabe zum Umfang des Schadens habe
machen können. Gemäß § 22 Abs. 4 BewG ist eine Fortschreibung
vorzunehmen, wenn dem Finanzamt bekannt wird, dass die Voraussetzungen
für sie vorliegen. Hieraus folgt, dass es eines expliziten Antrags auf
Wertfortschreibung nicht bedarf; der Kläger muss lediglich Tatsachen bekannt
geben, die eine Fortschreibung rechtfertigen könnten; hierzu hätte schon der
bereits im November 2011 ausweislich des Gesprächsvermerks vom 17.
November 2011 bekannte Schadensumfang ausgereicht. Es wäre gemäß §
88 AO sodann Aufgabe der Finanzbehörde gewesen, den Sachverhalt im
Einzelnen von Amts wegen zu ermitteln.
Selbst wenn bezogen auf die Vergangenheit konkrete Angaben zur Art und vor
allem zum Umfang des Schadens nicht gemacht werden konnten, so ist dem
Kläger auch heute der Weg zu einer Wertfortschreibung nach § 22 BewG nicht
versperrt. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben
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oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt
werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein
grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst
nachträglich bekannt werden. Da die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben
hat, dass der tatsächliche Schadensumfang erst nach und nach feststellbar
war und diese Feststellung erst in der Gegenwart abgeschlossen sein wird und
ebenso feststeht, dass den Kläger hieran eine persönliche Schuld nicht trifft,
dürften die Voraussetzungen für eine Aufhebung des
Grundsteuermessbescheides wegen Vorliegens neuer Tatsachen ohne
weiteres vorliegen. Damit steht fest, dass die vorhandene Ertragsminderung für
den Erlasszeitraum 2011 bis 2012 durch Fortschreibung des Einheitswertes
berücksichtigt werden kann oder jedenfalls bei rechtzeitiger Stellung des
Antrags auf Fortschreibung, bzw. Bekanntgabe der Fortschreibungstatsachen
hätte berücksichtigt werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167
VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.