Urteil des VG Göttingen vom 21.01.2015

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Zulassung zum Studium der Humanmedizin Wintersemester
2012/2013
Antrag auf Zulassung der Berufung
1. Die Annahmen des Verwaltungsgerichts, die ZZ VO 2012/2013 sei mangels
hinreichender Bestimmtheit unwirksam, die Aufnahmekapazität sei bei einer
unwirksamen Festsetzung der Zulassungszahl nicht ausschließlich nach Maßgabe der
KapVO zu berechnen und die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom
erstinstanzlichen Gericht ausgeloste Rangliste für Nachrücker für freie Studienplätze
bleibe auch für ein nachfolgendes Klageverfahren verbindlich, unterliegen ernstlichen
Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
2. Zum Darlegungserfordernis bei offensichtlichen Fehlern der erstinstanzlichen
Entscheidung.
OVG Lüneburg 2. Senat, Beschluss vom 21.01.2015, 2 LA 307/14
§ 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 124 Abs 2 S 1 VwGO
Tenor
Auf die Anträge der Beteiligten wird die Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 1. Oktober 2014
zugelassen, soweit die Klägerin die Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester des
Studiengangs Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters
2012/13 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Voll- und hilfsweise
auf einem Teilstudienplatz begehrt.
Der weitergehende Zulassungsantrag der Klägerin wird abgelehnt.
Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen
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geführt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Anträge haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, soweit er auf die
Vergabe eines Studienplatzes innerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen (sogen.
innerkapazitärer Anspruch) gerichtet ist.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil konsequenterweise über beide
nur hilfsweise gestellten Anträge der Klägerin auf innerkapazitäre Zulassung
entschieden, da es dem Hauptantrag auf Zulassung auf einem außerkapazitären
Vollstudienplatz nicht und dem weiteren Hilfsantrag auf Zulassung auf einem
außerkapazitären Teilstudienplatz „nur zum Teil“ stattgegeben, dem Begehren der
Klägerin auf Zulassung zum Studium damit aber tatsächlich wohl nur in kaum
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Klägerin auf Zulassung zum Studium damit aber tatsächlich wohl nur in kaum
realisierbarer Form entsprochen hat. Bei den Hilfsanträgen auf innerkapazitäre Zulassung
handelt es sich im Vergleich zu den auf außerkapazitäre Zulassung gerichteten Anträgen
um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, da die
Klägerin hier den Anspruch auf Zulassung zum Studium aus einem anderen Sachverhalt
herleitet. Denn es geht - anders als dort - nicht um die Prüfung, ob der Hochschule mehr
Kapazitäten zur Verfügung stehen, als in der jeweiligen ZZ-VO festgesetzt sind. Im
Zentrum der Argumentation zu innerkapazitären Zulassungsansprüchen der jeweiligen
Antragsteller in den vom Senat entschiedenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
stand und steht vielmehr die Behauptung, die Hochschule habe die ihr nach der ZZ-VO
zur Verfügung stehenden Studienplätze nicht ordnungsgemäß besetzt und es bestünden
deshalb verdeckte Kapazitäten (vgl. im Einzelnen Senatsbeschl. v. 18.11.2014 - 2 NB
391/13 -, juris Rdnrn. 4 ff.).
Zu diesem tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs hätte die
Klägerin eigene Zulassungsgründe vortragen müssen. Daran fehlt es. Das
Verwaltungsgericht hat die Hilfsanträge auf innerkapazitäre Zulassung als bereits
unzulässig abgelehnt. Hierzu verhält sich die Begründung des Zulassungsantrags - das
gilt auch für die Ausführungen zur Belegung der Vollstudienplätze, was überdies nur im
Zusammenhang mit der Vergabe außerkapazitärer Studienplätze thematisiert wird (vgl.
insbesondere S. 7 u.14 der Antragsbegründung) - mit keinem Wort. Damit genügt die
Klägerin insoweit nicht dem Darlegungsgebot des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO, so
dass bezogen auf diese Anträge eine Zulassung der Berufung ausscheidet (vgl. zur nur
teilweisen Zulassung auch Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 4. Auflage, §
124 a Rdnr. 277 m.w.N.).
Eine Zulassung der Berufung kommt bezogen auf die innerkapazitären Hilfsanträge
auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass die Argumentation des
Verwaltungsgerichts zur Zulässigkeit innerkapazitärer Anträge „offensichtlich“ in
Widerspruch zu den Ausführungen im Senatsbeschluss vom 18. November 2014 - 2
NB 391/13 -, juris, stehen könnte. Unabhängig davon, ob man die Auffassung teilt,
dass bei offensichtlich fehlerhaften Entscheidungen auch bei mangelnder Darlegung
eines Zulassungsgrundes die Zulassung der Berufung in Betracht kommt, ist es aus
Sicht des Senats nicht geboten, die Klägerin nur mit Blick auf diesen Widerspruch von
jeglicher Darlegungslast zu entbinden (vgl. hierzu auch Bader/Funke-
Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Auflage, § 124a Rdnr. 79). Die Klägerin
hätte zumindest die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den innerkapazitären
Zulassungsanspruch, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass dieser einen tatsächlich
und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs bildet für den schon die
Zulässigkeit verneint wurde, ausdrücklich in ihrem Zulassungsantrag aufgreifen und zu
erkennen geben müssen, dass sie die erstinstanzliche Entscheidung auch insoweit für
unrichtig hält (vgl. auch Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO
Kommentar, Band 2, Loseblatt, Stand: März 2014, § 124a Rdnr. 100, und wohl ebenso
Happ in: Eyermann, VwGO Kommentar, 14. Auflage, § 124a Rdnr. 83). Dass die
Klägerin (allein) im Betreff ihrer Schriftsätze die innerkapazitären Ansprüche
ausdrücklich aufgeführt hat, reicht hierfür nicht aus. Ebenso wenig genügt es, dass in
einem aus anderem Anlass (vgl. S. 6 der Antragsbegründung) als Anlage zur
Zulassungsbegründung überreichten Schriftsatz (auch) die Vergabe innerkapazitärer
Studienplätze thematisiert wird.
II. Soweit die Klägerin die Zulassung zum Studium im 1. Fachsemester des
Studiengangs Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters
2012/13 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Voll- und hilfsweise
auf einem Teilstudienplatz begehrt, haben die u.a. auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
gestützten Zulassungsanträge der Beteiligten Erfolg, weil insoweit ernstliche Zweifel an
der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen. Diese liegen nicht erst vor,
wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, sondern
bereits dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden
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Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden
(BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, 634; Beschl. d. 2. K. v.
20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546; Senat, Beschl. v. 2.8.2014 - 2 LA
118/14 -, juris, vgl. Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.).
Diese Anforderungen erfüllen die Begründungen beider Zulassungsanträge.
Sie richten sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ZZ-VO 2012/13 sei
(insgesamt) unwirksam, und sind dem mit schlüssigen Gegenargumenten unter Verweis
auf die bisherige Senatsrechtsprechung entgegen getreten.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die ZZ-VO 2012/13 sei (insgesamt)
unwirksam, weil sie wegen ihrer unklaren Anwendungsbereiche im Verhältnis zu den
vorher geltenden und nachfolgenden Zulassungszahlenverordnungen gegen den
Bestimmtheitsgrundsatz und gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße. Die
bisherige Rechtsprechung des Senats stützt indessen die gegenteilige Argumentation,
dass derartige Bedenken gegen die ZZ-VO 2012/13 nicht bestehen (vgl.
zusammenfassend Senatsbeschluss vom 16. April 2014 - 2 NB 145/13 -, juris). In dem
vorgenannten Beschluss hat sich der Senat auch ausdrücklich mit der Frage des
Anwendungsbereichs der ZZ-VO 2012/2013 befasst und diesen nicht für unklar oder
unbestimmt gehalten. Wie die nunmehr darüber hinausgehenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil, insbesondere dessen Ausführungen
zum Inhalt einer „Regelung der Gültigkeit der ZZ-VO 2012/13“ zu bewerten sind,
bleibt einer Beurteilung im Berufungsverfahren vorbehalten.
Die Beteiligten haben darüber hinaus auch die - aus der Annahme der Unwirksamkeit
der ZZ-VO 2012/13 folgende - durch das Verwaltungsgericht vorgenommene
Ermittlung der Studienplatzkapazität für Teilstudienplätze für das Wintersemester
2012/13 beiderseits mit nachvollziehbaren Argumenten in Frage gestellt. Sie haben
insbesondere ernstliche Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt,
wonach für die Aufnahmekapazität bei (unterstellter) Nichtigkeit der ZZ-VO 2012/13
nicht abschließend eine auf den Regelungen der Kapazitätsverordnung beruhende
Berechnung maßgeblich sein soll, sondern eine weitere vom Verwaltungsgericht
unabhängig davon an selbst gewählten Maßgaben ausgerichtete Berechnung.
Wenngleich eine nähere Prüfung auch hier (ggf.) dem Berufungsverfahren vorbehalten
bleiben muss, kann der Senat diesen Schritt des Verwaltungsgerichts zumindest aus
derzeitiger Sicht nicht nachvollziehen: Wenn in einem Klageverfahren offenbar wegen
in der Vergangenheit durch die Hochschule vorgenommener Überbuchungen Verdacht
geschöpft wird - ob zurecht, kann hier offenbleiben; allerdings hat der Senat bislang für
eine solche Annahme keine Anhaltspunkte gesehen -, dass bei der Hochschule verdeckte
Kapazitäten vorliegen, dürfte diesem Umstand jedenfalls zuvorderst und weitest möglich
durch intensive Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der verordnungsrechtlich
vorgeschriebenen Berechnung der Aufnahmekapazitäten Rechnung zu tragen sein, nicht
aber durch eine Art „Sicherheitszuschlag“.
Die endgültige Klärung der Frage, ob im streitgegenständlichen Semester freie
Studienplätze vorliegen, muss mangels einer durch das Verwaltungsgericht nach
Maßgabe der Kapazitätsverordnung vorgenommenen Berechnung im
Berufungsverfahren erfolgen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin in ihrer Zulassungsbegründung
auch die von ihr beanstandete Tenorierung - Zulassung mit der Maßgabe, dass die
Klägerin bis zum Ablauf eines Monats nach dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils
durch die Vorlage schriftlicher Verzichtserklärungen der Personen, welche bei der
Verlosung der Rangfolge für Teilstudienplätze des 1. vorklinischen Semesters zum
Wintersemester 2012/13 (im zugehörigen Eilverfahren) durch die Kammer besser als die
Klägerin platziert worden sind, oder andere Urkunden gegenüber der Beklagten
nachweist, dass sie die nächste Nachrückerin für die Besetzung eines freien
Teilstudienplatzes ist - mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hat, so dass auch
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Teilstudienplatzes ist - mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt hat, so dass auch
insoweit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung
dargelegt sind. Der Senat hat nach derzeitiger Einschätzung erhebliche Zweifel, ob der
anlässlich der Eilverfahren erstellten Losliste die vom Verwaltungsgericht beigemessene
Bedeutung tatsächlich zukommt.
Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer
Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb
eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht,
Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg,
einzureichen. Die Begründung ist schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe
der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz
einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag
von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten
Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung
(Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung
unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).