Urteil des VG Göttingen vom 25.02.2014

VG Göttingen: fahrzeug, gemeingebrauch, verkehr, satzung, radfahrer, widmung, sondernutzungsgebühr, vollstreckbarkeit, befreiung, niedersachsen

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Parken in einer Fußgängerzone, Bewohner frei
Mit dem Zusatzschild Bewohner frei zu dem Verkehrszeichen 242.1 der
Anlage 2 zur StVO Beginn einer Fußgängerzone werden die Bewohner der
Fußgängerzone uneingeschränkt von den Verkehrsänderungen für den
Kraftfahrzeugverkehr in einer Fußgängerzone befreit.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 25.02.2014, 1 A 267/12
§ 14 StrG ND, § 18 StrG ND, § 21 StrG ND, § 39 StVO, Anl 2 Zeichen 242.1 StVO
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Gebührenbescheid der Beklagten.
Sie ist Halterin des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XX XXX.
Das Fahrzeug wird überwiegend von ihrem Sohn F. C. genutzt, der sie auch im
vorliegenden Verfahren vertritt. Bereits 2011 stellte die Beklagte fest, dass das
Fahrzeug regelmäßig in der Fußgängerzone von E. in den Straßen K. /L.
geparkt wurde, wo die Klägerin auch wohnt (D.). Der Beginn der
Fußgängerzone ist mit dem Verkehrszeichen 242.1 der Anlage 2 zur
Straßenverkehrsordnung - Beginn einer Fußgängerzone - und einem
Zusatzschild mit der Aufschrift “Radfahrer frei, Bewohner frei, Lieferverkehr frei“
beschildert. Die Klägerin verfügt für ihr Fahrzeug weder über eine
Ausnahmegenehmigung zum Parken in der Fußgängerzone nach der
Straßenverkehrsordnung noch über eine straßenrechtliche
Sondernutzungserlaubnis, die ihr das Parken dort gestatten würde. Mit
Schreiben vom 23.11.2011 forderte die Beklagte den Sohn der Klägerin zum
wiederholten Mal vergeblich auf, für das Fahrzeug eine
Ausnahmegenehmigung vom Parkverbot in der Fußgängerzone vorzulegen.
Mit Schreiben vom 20.03.2012 wies sie die Klägerin darauf hin, dass ihr
Fahrzeug seit längerer Zeit in der Straße K. im Fußgängerbereich von E.
geparkt sei. Eine hierfür notwendige Ausnahmegenehmigung zum Parken im
Fußgängerbereich sei bis heute nicht vorgelegt worden. Aufgrund des
unberechtigten Parkens liege nicht nur ein Verstoß gegen das
Straßenverkehrsrecht vor, sondern auch eine gebührenpflichtige
Sondernutzung nach §§ 18 Abs. 1, 21 Niedersächsisches Straßengesetz. Da
die Klägerin über keine Sondernutzungserlaubnis verfüge, werde sie
aufgefordert, ihr Fahrzeug unverzüglich aus dem Fußgängerbereich K. zu
entfernen. Mit Bescheid vom 12.10.2012 setzte die Beklagte gegenüber der
Klägerin für 46 Tage, an denen ihr Fahrzeug unerlaubt im Fußgängerbereich
K. abgestellt gewesen sei, eine Sondernutzungsgebühr von insgesamt 368,00
Euro (8 Euro pro Tag) fest.
Hiergegen hat die Klägerin am 06.11.2012 Klage erhoben.
Sie ist der Ansicht, das Parken in der Fußgängerzone sei ihr als Anwohnerin
nach der Straßenverkehrsordnung gestattet. Das Verkehrszeichen 242.1
verbiete anderen Verkehrsteilnehmern als Fußgängern nur dann die
Benutzung der Fußgängerzone, wenn durch Zusatzzeichen nicht etwas
anderes geregelt sei. Im vorliegenden Fall regle das Zusatzzeichen Radfahrer,
Lieferverkehr und Bewohner frei, dass Bewohner der Fußgängerzone diese
befahren und dort parken dürften. Da das Parken nach der
Straßenverkehrsordnung zulässig sei, dürfe keine Sondernutzungsgebühr
erhoben werden.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin gestatte das Zusatzschild „Bewohner frei“
am Beginn des streitbefangenen Fußgängerbereichs den Bewohnern dieser
Zone nicht das unbegrenzte Parken dort, sondern lediglich einen gesteigerten
Anliegergebrauch. Dieser erstrecke sich auf die notwendige Verbindung des
Grundstücks mit dem öffentlichen Straßennetz und umfasse das Befahren und
Halten, aber nicht das dauerhafte Parken. Rechtsgrundlage für die
festgesetzte Gebühr sei die Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten
vom 15.03.1994 in der aktuellen Fassung. Nach § 5 Absatz 1 2. Halbsatz der
Satzung entstehe die Gebührenschuld für die ausgeübte Sondernutzung vor
Erlaubniserteilung mit deren Beginn.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen
Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten; er ist deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Die Beklagte stützt die angefochtene Gebührenfestsetzung auf §§ 21,
18 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Straßengesetz – NStrG – und ihre
Sondernutzungsgebührensatzung in der maßgeblichen Fassung. Nach § 18
Abs.1 Satz 1 NStrG ist die Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch
hinaus Sondernutzung. Nach § 21 Satz 1 NStrG können für Sondernutzungen
Sondernutzungsgebühren erhoben werden. Nach Satz 4 können die
Landkreise und Gemeinden die Gebühren durch Satzung regeln, soweit ihnen
die Sondernutzungsgebühren zustehen. Die Beklagte darf demnach nur dann
Sondernutzungsgebühren von der Klägerin erheben, wenn das Parken von
Bewohnern der Straßen K. /L. in diesen Straßen nicht zum Gemeingebrauch
zählt, sondern Sondernutzung ist. Dies ist nicht der Fall.
§ 14 Abs. 1 NStrG definiert den Gemeingebrauch an einer Straße. Nach Satz 1
umfasst der Gemeingebrauch den Gebrauch der Straße für jedermann im
Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften zum Verkehr. Nach Satz
3 liegt kein Gemeingebrauch vor, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend
zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt. Unter Verkehr im
engeren Sinne ist jede Straßenbenutzung in der Absicht der Ortsveränderung
durch Gehen, Fahren oder Reiten zu verstehen, wobei das Gesetz den
ruhenden Verkehr einschließt (Wendrich, Niedersächsisches Straßengesetz,
4. Auflage, § 14 Rn. 2). Die Straßen K. /L., in denen das Fahrzeug der Klägerin
regelmäßig geparkt ist, sind von der Beklagten als Fußgängerzone gewidmet,
sodass – wie durch das Verkehrszeichen 242.1 geregelt – anderer als
Fußgängerverkehr die Fußgängerzone nicht benutzen darf, es sei denn, die
Benutzung der Fußgängerzone ist für eine andere Verkehrsart durch
Zusatzzeichen erlaubt (s. Erläuterung zu Zeichen 242.1, lfd. Nr. 21 der Anlage
2 zur StVO). Letzteres ist hier der Fall. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer
Widmung die Bewohner der Fußgängerzone von den
Verkehrsbeschränkungen in einer Fußgängerzone befreit, was durch das
Zusatzschild (§ 39 Abs. 3 StVO) „Bewohner frei“ straßenverkehrsrechtlich
dementsprechend geregelt ist. Soweit die Beklagte die Bewohner der
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Fußgängerzone lediglich vom Verbot des fließenden und nicht auch vom
Verbot des ruhenden Kraftfahrzeugverkehrs in einer Fußgängerzone befreien
wollte, kommt dies in der Formulierung „Bewohner frei“ nicht zum Ausdruck,
denn nach deren Wortlaut gilt die Befreiung uneingeschränkt. Demzufolge
umfasst der Gemeingebrauch an den Straßen K. /L. für die Bewohner dieser
Straßen nicht nur den unbeschränkten Fußgänger-, sondern auch den
unbeschränkten Kraftfahrzeugverkehr. Da der Kraftfahrzeugverkehr den
ruhenden Verkehr einschließt, dürfen die Bewohner der Straßen K. /L. auch
dort parken. Es handelt sich deshalb um keine Sondernutzung im Sinne des §
18 Abs. 1 Satz 1 NStrG, wenn die Klägerin ihr Fahrzeug in der Fußgängerzone
parkt. Die Beklagte durfte deshalb auch keine Sondernutzungsgebühren von
der Klägerin erheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.