Urteil des VG Göttingen vom 12.08.2013

VG Göttingen: psychotherapeutische behandlung, versetzung, wiederherstellung, verfügung, erfüllung, nbg, grundversorgung, beamtenrecht, hausarzt, verfassung

1
2
3
Beamtenrecht; Zwangspensionierungsverfahren;
amtsbezogene Dienstunfähigkeit
Prüfungsmaßstab für die Dienstunfähigkeit eines Beamten ist grundsätzlich
das innegehabte abstrakt-funktionelle Amt.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 12.08.2013, 1 A 274/12
§ 26 Abs 1 BeamtStG, § 26 Abs 2 BeamtStG, § 26 Abs 3 BeamtStG
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich mit seiner Klage gegen seine Versetzung in den
Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.
Er ist am XX.XX.XXXX geboren und trat am 01.11.1982 zunächst im
Angestelltenverhältnis in den niedersächsischen Schuldienst ein. Am
01.02.1983 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum
Studienrat ernannt, zum 10.01.1985 zum Beamten auf Lebenszeit, zum
15.06.1988 zum N., zum 17.07.1990 zum A.. Mit Verfügung vom 23.05.1990
wurde ihm vom O. P. das Amt eines A. zur Koordinierung schulfachlicher
Aufgaben an der Q. R. in S. (T. S.) übertragen. Mit Verfügung der
Bezirksregierung K. vom 30.09.1990 wurde sein Aufgabenbereich als
schulfachlicher Koordinator näher bestimmt und ihm wurden elf im Einzelnen
genannte Aufgaben übertragen, die insbesondere den Fachbereich
Agrarwirtschaft der T. S. betrafen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Verfügung vom 30.09.1990 Bezug genommen. Der Kläger war seit dem
Schuljahr 1990/91 an der T. S. als schulfachlicher Koordinator für den
Fachbereich Agrarwirtschaft tätig. Am 15.12.2010 beschloss der
Kreisausschuss des Landkreises S., zum Schuljahr 2011/2012 (Beginn
01.08.2011) die gesamte Abteilung Agrarwirtschaft der T. S. an die Q. U. V. (T.
V.) zu verlegen. Mit Bescheid vom 08.03.2011 versetzte die Beklagte den Kläger
mit Wirkung vom 01.08.2011 aus dienstlichen Gründen als Koordinator der
Agrarabteilung an die Q. U. V., da es seit der Verlagerung der Abteilung
Agrarwirtschaft von der T. S. an die T. V. für den Kläger an der T. S. keine
weitere Verwendungsmöglichkeit als Koordinator gebe. Hiergegen erhob der
Kläger Klage und stellte einen Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes beim erkennenden Gericht. Den Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Gericht mit rechtskräftigem Beschluss vom
23.06.2011 (3 B 131/11) ab. Die Klage (1 A 26/12) nahm der Kläger am
29.04.2013 zurück.
Der Kläger ist seit dem 16.06.2011 durchgehend dienstunfähig erkrankt und hat
seinen Dienst bei der T. V. nie angetreten. Am 10.11.2011 wurde er amtsärztlich
auf seine Dienstfähigkeit untersucht. Die Amtsärzte Dr. W. und Dr. X. gelangten
in ihrem Gutachten vom 19.01.2012 unter Berücksichtigung des psychiatrischen
Zusatzgutachtens von Frau Dr. Y. vom 09.01.2012 zu der Feststellung, dass der
Kläger an einer somatoformen, autonomen Funktionsstörung mit
Konzentrations- und Schlafstörungen, Vergesslichkeit und Unruhezuständen
leide. Diese Störung habe Krankheitswert. Die Symptomatik sei durch seine
Versetzung an die T. V. ausgelöst worden. Die Versetzung habe zu einer
erheblichen psychosozialen Belastungssituation geführt. Der Kläger befinde sich
seit August 2011 in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Bei einer
Fortsetzung der Behandlung sei von einer guten Prognose auszugehen, sodass
die amtserfüllende Dienstfähigkeit des Klägers in vier Monaten wiederhergestellt
4
5
sein sollte. Eine Intensivierung der aktuellen Therapie werde für sinnvoll
erachtet. Nach telefonischer Rückfrage erklärte Frau Dr. X. gegenüber der
Beklagten, sie könne nicht ausschließen, dass beim Kläger im Falle seines
Dienstantritts an der T. V. die Funktionsstörungen, die durch die
Versetzungsentscheidung ausgelöst worden seien, erneut auftreten würden. Mit
Schreiben vom 02.02.2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, alles zu
unternehmen, um seine Dienstfähigkeit wieder herzustellen, insbesondere seine
Therapie zu intensivieren. Am 05.06.2012 wurde der Kläger erneut amtsärztlich
untersucht; am 10.07.2012 erfolgte eine ergänzende fachpsychiatrische
Begutachtung durch Frau Dr. Y.. Laut Gutachten der Amtsärzte Dr. W. und Dr. X.
vom 18.07.2012 hat der Kläger diesen gegenüber angegeben, er habe seine
Psychotherapie zunächst nicht intensivieren können, weil sein Therapeut nicht
bereit gewesen sei, ein hierfür notwendiges Gutachten für die Beihilfestelle zu
erstellen. Er habe schließlich zwei- bis dreimal wöchentlich Gespräche mit
seinem Hausarzt im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung geführt.
Außerdem habe er vermehrt physiotherapeutische Maßnahmen sowie
Entspannungsübungen durchgeführt, die dazu geführt hätten, dass sich seine
Anspannung etwas gelöst und der Blutdruck gebessert habe. Ergänzend habe
er noch gelegentlich Termine bei seinem Therapeuten Dr. Z. gehabt. Seine
bisherige Symptomatik bestehe unverändert fort. Die Amtsärzte kamen unter
Berücksichtigung des fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens von Dr. Y. vom
16.07.2012 zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine Behandlungsmöglichkeiten
bisher nicht ausgeschöpft habe und wegen der unveränderten Symptomatik
deshalb weiterhin als dienstunfähig anzusehen sei. Es werde erneut eine
Intensivierung der psychotherapeutischen Behandlung, ggf. eine stationäre
psychotherapeutische Behandlung empfohlen.
Mit Schreiben vom 02.08.2012 forderte die Beklagte den Kläger auf, seine
ambulante psychotherapeutische Behandlung durch eine stationäre
psychotherapeutische Behandlung, z.B. in der Abteilung Psychokardiologie der
Universitätsmedizin S. zu intensivieren. Sollte der Kläger dieser Aufforderung
nicht bis zum 15.08.2012 nachkommen, müsste eine Versetzung in den
Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit erfolgen. Mit Schreiben vom 10.08.2012
teilte der Kläger mit, dass er selbstverständlich bereit sei, seine
psychotherapeutische Behandlung zu intensivieren. Er habe dies auch bereits
mit seinen behandelnden Therapeuten/Ärzten erörtert und sich wegen der Frage
der Beihilfefähigkeit an seine Beihilfestelle gewandt. Die Beihilfestelle sei jedoch
nicht bereit, die Kosten insoweit zu übernehmen. Auf Bitte der Beklagten, einen
entsprechenden Ablehnungsbescheid der Beihilfestelle vorzulegen, übersandte
der Kläger ein Schreiben der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom
02.04.2012, das allgemeine Informationen zur Beihilfefähigkeit von stationären
psychotherapeutischen Therapien und den Hinweis enthielt, dass eine
Kostenübernahme der vorherigen Anerkennung durch die Beihilfestelle bedürfe.
Dem Schreiben waren die erforderlichen Antragsvordrucke beigefügt. Mit
Schreiben vom 22.08.2012 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er
bisher keinen Ablehnungsbescheid für eine beantragte psychotherapeutische
Behandlung vorgelegt habe, ebenso wenig einen Nachweis, dass er einen
entsprechenden Antrag gestellt und somit alles zur Wiederherstellung seiner
Dienstfähigkeit getan habe. Dem Kläger wurde nochmals eine Frist bis zum
05.09.2012 gesetzt, innerhalb derer er nachweisen sollte, dass er eine
stationäre psychotherapeutische Behandlung beginnen werde. Daraufhin
übersandte der Kläger ein Attest seines Hausarztes AA. AB. vom 03.09.2012,
wonach der Kläger seit Juni 2011 bei seinem Hausarzt regelmäßig eine
psychosomatische Therapie durchführt. Herr AB. gab an, die Fachkunde
psychosomatische Grundversorgung zu besitzen.
Mit Schreiben vom 10.09.2012 hörte die Beklagte den Kläger zu seiner
beabsichtigten Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit an.
Hierauf reagierte der Kläger mit Schreiben vom 25.09.2012. Weder die ihn
behandelnden Ärzte noch die Amtsärzte des Gesundheitsamtes seien zu der
6
7
8
9
10
11
12
Aussage gelangt, dass in den kommenden sechs Monaten nicht mit einer
Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit zu rechnen sei. Alle Ärzte hätten
ausdrücklich den Zusammenhang zwischen der ausstehenden Entscheidung in
dem Gerichtsverfahren 1 A 26/12 über die Rechtmäßigkeit seiner Versetzung an
die Q. U. V. und seiner dienstlichen Beeinträchtigung festgestellt. Es sei davon
auszugehen, dass nach Klärung der rechtlichen Situation eine Besserung
seines psychischen und physischen Zustandes eintreten werde. Entgegen der
Auffassung der Beklagten habe der Kläger seine psychotherapeutische
Therapie auch intensiviert.
Mit Bescheid vom 23.10.2012 versetzte die Beklagte den Kläger wegen
Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Zur Begründung bezog sie sich auf die
vorliegenden amtsärztlichen Gutachten und führte weiter aus: Der Kläger sei seit
dem 15.06.2011 und damit seit 16 Monaten dienstunfähig erkrankt und habe
während dieser Zeit keine der empfohlenen, intensiven psychotherapeutischen
Maßnahmen durchgeführt, um wieder dienstfähig zu werden. Seine Versorgung
durch einen Allgemein- und Sportmediziner mit einem Fachkundenachweis in
psychosomatischer Grundversorgung sei insoweit nicht ausreichend. Der Kläger
werde seine amtserfüllende Dienstfähigkeit ohne sein Mitwirken nicht erreichen
können. Was die noch ausstehende Entscheidung im Klageverfahren über die
Rechtmäßigkeit seiner Versetzung an die T. V. betreffe, so sei im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren die Versetzung für rechtmäßig befunden worden. Sollte
im Hauptsacheverfahren die Entscheidung bestätigt werden, sei voraussichtlich
weiterhin von einer Dienstunfähigkeit des Klägers auszugehen. So habe der
Kläger gegenüber dem Amtsarzt bei der Untersuchung am 10.11.2011
angegeben, er könne eine Versetzung nach V. körperlich und psychisch nicht
bewältigen.
Der Kläger hat am 19.11.2012 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein
Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Entgegen der Auffassung der
Beklagten könne seine Dienstfähigkeit nicht allein durch eine stationäre
psychotherapeutische Behandlung wieder hergestellt werden. Die Beklagte sei
nach § 29 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz verpflichtet gewesen, vor seiner
Versetzung in den Ruhestand ihm konkret aufzugeben, welchen Maßnahmen er
sich zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit zu unterziehen habe. Die
Beklagte habe ihn nie konkret angewiesen, eine stationäre
psychotherapeutische Behandlung durchzuführen, sondern dies lediglich als
eine Möglichkeit zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit gesehen. Seine
Versetzung in den Ruhestand sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte
nicht entsprechend ihrer Verpflichtung nach § 26 Abs. 1 Satz 3
Beamtenstatusgesetz ausreichend nach einer anderweitigen
Verwendungsmöglichkeit für ihn gesucht habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf den angefochtenen
Bescheid. Eine anderweitige Verwendung des Klägers sei nicht in Betracht
gekommen, denn dies setze voraus, dass der Beamte dienstfähig sei.
Ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens vom 16.07.2012 sehe der Kläger
sich nicht in der Lage, sich innerhalb des ihm verbleibenden Zeitraums bis zum
Beginn seines regulären Ruhestands am 31.01.2014 in komplexe neue
Aufgabenbereiche einzuarbeiten. Im Rahmen einer anderweitigen Verwendung
wäre aber genau dies von ihm zu leisten. Hieraus könne nur der Schluss
gezogen werden, dass er in keinem Fall die gesundheitlichen Anforderungen an
eine anderweitige Verwendung erfüllen werde, solange er nicht bereit sei, die
13
14
15
16
17
entsprechenden – erfolgversprechenden – therapeutischen Maßnahmen
durchzuführen. Zudem seien für den Kläger in Betracht kommende Stellen in S.
nicht verfügbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vom Gericht beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Zurruhesetzungsverfügung vom 23.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie war deshalb
aufzuheben.
Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) sind
Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu
versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus
gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig
(dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer
infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei
Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass die
Dienstfähigkeit innerhalb einer Frist von sechs Monaten wieder voll hergestellt ist
(§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG i. V. m. § 43 Abs. 2 des Nds. Beamtengesetzes -
NBG -). Die Dienstunfähigkeit ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 NBG aufgrund einer
ärztlichen Untersuchung (§ 45 Abs. 1 NBG) festzustellen. Nach § 26 Abs. 1 Satz
3 BeamtStG soll von der Versetzung in den Ruhestand abgesehen werden,
wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist; dies ist der Fall, wenn der
Beamtin oder dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen
Laufbahn übertragen werden kann (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG). Nach § 26
Abs. 3 BeamtStG kann zur Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand der
Beamtin oder dem Beamten unter Beibehaltung des übertragenen Amtes ohne
Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit im Bereich desselben
Dienstherrn übertragen werden, wenn eine anderweitige Verwendung nichts
möglich ist und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter Berücksichtigung
der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist. § 27 Abs. 1 BeamtStG regelt, dass von der
Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden soll,
wenn die Beamtin oder der Beamte unter Beibehaltung des übertragenen Amtes
die Dienstpflichten noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen
Arbeitszeit erfüllen kann (begrenzte Dienstfähigkeit).
§ 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begrenzt den Kreis der möglichen Ursachen der
Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten auf den körperlichen Zustand des
Beamten sowie auf gesundheitliche Gründe. Diese Tatbestandsmerkmale
überschneiden sich und sind daher nicht isoliert, sondern als Einheit zu prüfen.
Sie erfassen Erkrankungen aller Art sowie Ausfälle von Körperfunktionen wie z.
B. Erblindung oder den Verlust von Gliedmaßen. Zu den Erkrankungen zählen
auch solche psychischer Natur, also Geisteskrankheiten im engeren Sinn sowie
Geistesschwäche und jede psychische Verfassung, die die geistige
Leistungsfähigkeit des Beamten beeinträchtigt. Hierzu gehören nervliche und
seelische Beeinträchtigungen und damit jede psychische Erkrankung oder
Fehlveranlagung, Gemütsverstimmungen oder sonstige seelischen Zustände, in
deren Folge der Beamte zumindest in besonderen Lagen außerstande ist, seine
Dienstpflichten zu erkennen oder einsichtsgemäß zu handeln (vgl. Nds.
Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 24.09.2002 - 5 LB 19/02 -; Kümmel,
Beamtenrecht, Stand: Juni 2012, § 26 BeamtStG Rn. 6 ff.; Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand: Juni 2012, § 26 BeamtStG
Rn. 25 ff.). Zur Erfüllung des Begriffs der Dienstunfähigkeit reicht es aus, wenn
18
19
20
die geistig-seelische Verfassung des Beamten mit Blick auf die Erfüllung seiner
amtsgemäßen Dienstgeschäfte bedeutende und dauernde Abweichungen vom
Normalbild eines in dieser Hinsicht tauglichen Beamten aufweist. Dabei ist diese
Abweichung nicht an dem Normalbild eines im medizinischen Sinn gesunden
Menschen zu messen, sondern an der Verfassung eines vergleichbaren und
durchschnittlichen, zur Erfüllung seiner amtsgemäßen Dienstgeschäfte
tauglichen Amtsinhabers. Es ist daher maßgebend, ob der Beamte aufgrund
seiner gesamten Konstitution und seines Verhaltens, ohne dass eine
Erkrankung im engeren Sinne vorliegen muss, zur Erfüllung seiner
Dienstpflichten dauernd unfähig ist (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 06.09.2007 - 5 ME 236/07 -, juris; VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 03.02.2005 - 4 S 2398/04 -, NVwZ-RR 2006, 200).
Bei der Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. Urteil vom 27.02.1992 -
2 C 45/89 -, DVBl 1992, 912) nicht allein auf die Person des Beamten
abzustellen, sondern sind die Auswirkungen seiner körperlichen
Beeinträchtigungen auf seine Fähigkeit, die ihm in seinem konkreten Amt
obliegenden Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf
den Dienstbetrieb entscheidend. Es kommt nicht allein und ausschlaggebend
auf Art und Ausmaß der einzelnen körperlichen Beeinträchtigungen, den
objektiven ärztlichen Befund und dessen medizinische Qualifikation als solche
an, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte aufgrund seiner gesamten
Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Aus diesem
Grund stellt die ärztliche Begutachtung nicht das einzige und allein
ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Frage der Dienstfähigkeit
dar (BVerwG, Urteil vom 27.02.1992, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Dabei ist
für die Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht erforderlich, dass dem Beamten
die Fähigkeit zur Dienstleistung vollständig verloren gegangen ist. Er ist auch
dann dienstunfähig, wenn er seinen Dienstpflichten infolge der gesundheitlichen
Mängel nur unter Umständen nachkommen kann, die mit den dienstlichen
Anforderungen nicht vereinbar sind, und hierdurch der ordnungsgemäße Ablauf
der Dienstgeschäfte unzumutbar erschwert wird (OVG für das Land Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 11.03.2009 - 6 A 2615/05 -, ZBR 2009, 347 m.w.N.). Eine
zur Dienstunfähigkeit im jeweiligen Amt führende Beeinträchtigung kann deshalb
beispielsweise bereits vorliegen, wenn der Beamte wegen seiner geistig-
seelischen Konstitution schon unterhalb der Schwelle einer psychischen
Erkrankung nicht mehr imstande ist, seine Pflicht zur harmonischen
Zusammenarbeit mit den übrigen Bediensteten oder seinen Vorgesetzen zu
erfüllen, und dadurch den Verwaltungsablauf erheblich beeinträchtigt.
Prüfungsmaßstab der vom Dienstherrn zu stellenden Prognose sind nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Anforderungen des dem
Beamten zuletzt übertragenen Amts im abstrakt-funktionellen Sinn. Nicht
entscheidend sei, dass der Beamte die Aufgaben bewältigen könne, die ihm das
konkret-funktionelle Amt, d. h. der Dienstposten, stelle (ständige
Rechtsprechung des BVerwG, vgl. etwa Urteil vom 23.09.2004 - 2 C 27/03 -,
juris, m.w.N.). Mit der Übertragung des Statusamtes an den Beamten stehe im
Allgemeinen zwar fest, welche Aufgaben der Beamte zu erfüllen habe, etwa –
wie hier – die Aufgaben eines Beamten des höheren Dienstes, nicht
entschieden sei aber, welches abstrakt-funktionelle Amt der Beamte inne haben
solle. Das abstrakt-funktionelle Amt werde dem Beamten vielmehr durch einen
weiteren Einzelakt des Dienstherrn übertragen. Die Übertragungsverfügung
benenne das übertragene, einer bestimmten Behörde zugeordnete Amt. Die
Zuordnung dieses Amtes zu dieser Behörde liege – unbeschadet gesetzlicher
Regelungen – im Organisationsermessen des Dienstherrn und erfolge durch
Organisationsentscheidung der hierfür zuständigen Stelle (BVerwG, Urteil vom
23.09.2004, a.a.O., Rn. 13).
Dem Kläger war zuletzt das abstrakt-funktionelle Amt eines A. zur Koordinierung
21
22
23
schulfachlicher Aufgaben an der T. V. übertragen. Mit der Versetzungsverfügung
vom 08.03.2011 wurde die Verfügung des O. P. vom 23.05.1990, mit welcher
dem Kläger das abstrakt-funktionelle Amt eines schulfachlichen Koordinators an
der T. S. übertragen worden war, aufgehoben und dem Kläger wurde das (neue)
abstrakt-funktionelle Amt eines Koordinators an der T. V. übertragen. Dass dem
Kläger ein abstrakt-funktionelles Amt bei der T. V. und nicht im landesweiten
Geschäftsbereich der Beklagten übertragen wurde (vgl. zur Frage des abstrakt-
funktionellen Amts im Fall der Beschäftigung bei einer landesweit tätigen
Behörde BVerwG, Urteil vom 28.06.1990 - 2 C 18/89 -, ZBR 1990, 352), ergibt
sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Versetzungsverfügung wo es heißt, „…
aufgrund dessen werden Sie als Koordinator der Agrarabteilung an die T. V.
versetzt, da keine weitere Verwendungsmöglichkeit als Koordinator an den T.
AC. besteht“. Die Formulierung könnte sogar so verstanden werden, dass dem
Kläger als abstrakt-funktionelles Amt nicht nur das Amt eines Koordinators an
der T. V., sondern sogar ausschließlich das abstrakt-funktionelle Amt als
Koordinator der Agrarabteilung an der T. V. übertragen wurde. Dagegen spricht
allerdings der nachfolgende Satz „an den T. V. sollen Sie wieder als Koordinator
der AD. eingesetzt werden“. Dieser Satz legt nahe, dass dem Kläger mit der
Versetzungsverfügung vom 08.03.2011 nicht nur sein neues abstrakt-
funktionelles Amt eines Koordinators an der T. V., sondern zugleich auch sein
konkret-funktionelles Amt als Koordinator der Agrarabteilung übertragen werden
sollte. Im Gegensatz zu der Ämterzuweisung im Jahr 1990, wo dem Kläger
durch zwei Verfügungen zum einen sein abstrakt-funktionelles Amt als
schulfachlicher Koordinator an der T. S. (Verfügung vom 23.05.1990) und zum
anderen sein konkret-funktionelles Amt als schulfachlicher Koordinator der
Abteilung Agrarwirtschaft (Verfügung vom 30.09.1990) übertragen worden
waren, erfolgte eine solche getrennte Ämterzuweisung für den Kläger im
Rahmen der Versetzungsentscheidung an die T. V. nicht.
In zeitlicher Hinsicht beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzung eines
Beamten danach, ob die zuständige Behörde im Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung nach den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnissen
annehmen durfte, dass der Betroffene dauernd dienstunfähig ist, sodass danach
eingetretene Veränderungen nicht zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urteil vom
16.10.1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267, m. w. N. zum inhaltsgleichen § 42
Abs. 1 Satz 1 BBG in der bis zum 11.02.2009 geltenden Fassung). Dauernde
Dienstunfähigkeit liegt vor, wenn die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des
Beamten nach den Erkenntnissen der Behörde in absehbarer Zeit
unwahrscheinlich ist. Hingegen ist nicht die Feststellung erforderlich, dass der
Beamte für alle Zukunft oder etwa jedenfalls bis zum Erreichen der Altersgrenze
dienstunfähig ist (Schütz/Maiwald, a.a.O., Rn. 36). Denn einer eventuell
günstigen Entwicklung wird durch die Reaktivierungsmöglichkeit des § 29
BeamtStG Rechnung getragen. Zur Beantwortung, was als „dauernd“ im Sinne
des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG anzusehen ist, können § 26 Abs. 1 Satz 2
BeamtStG i. V. m. § 43 Abs. 2 NBG herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil
vom 17.10.1966 - VI C 56.63 -, ZBR 1967, 148 zu § 42 BBG a. F.), sodass das
Tatbestandsmerkmal vorliegt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde
mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in den nächsten sechs Monaten
nicht zu rechnen ist (vgl. Kümmel, a.a.O., Rn. 14).
Nach diesen Vorgaben war der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses
des Zurruhesetzungsbescheids vom 23.10.2012 dauernd dienstunfähig.
Er war im Zeitpunkt des Erlasses der Zurruhesetzungsverfügung vom
23.10.2012 16 Monate, und damit innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten,
mehr als 3 Monate (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) dienstunfähig erkrankt und es
bestand keine Aussicht, dass innerhalb einer Frist von 6 Monaten seine
Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt sein würde (§ 26 Abs. 1 Satz 2, 2.
Halbsatz BeamtStG i.V.m. § 43 Abs. 2 NBG). Die Amtsärzte Dr. W. und Dr. X.
kamen in ihrem zweiten Gutachten vom 18.07.2012 unter Berücksichtigung des
24
fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens von Frau Dr. Y. vom 16.07.2012 zu dem
Ergebnis, dass beim Kläger die bereits im Gutachten vom 19.01.2012
festgestellte, somatoforme autonome Funktionsstörung bei psychosozialer
Belastungssituation fortbestehe. Die Symptomatik sei nach Angaben des
Klägers in unveränderter Ausprägung vorhanden, sodass dieser weiterhin
arbeitsunfähig krank und damit nicht dienstfähig sei. Da der Kläger die
empfohlene Intensivierung seiner psychotherapeutischen Behandlung nicht
umgesetzt habe, habe er seine Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft.
Zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit werde deshalb weiterhin eine
Intensivierung der psychotherapeutischen Behandlung, ggfs. eine stationäre
psychotherapeutische Behandlung, z.B. in der Abteilung für Psychokardiologie
der Universitätsmedizin S., empfohlen. Demnach war der Kläger zum Zeitpunkt
der Begutachtung dienstunfähig. Er war aber auch noch im Erlasszeitpunkt der
Zurruhesetzungsverfügung dienstunfähig, denn er ist der Empfehlung der
Gutachter, seine psychotherapeutische Behandlung zur Wiederherstellung
seiner Dienstfähigkeit zu intensivieren, nicht gefolgt. Er ist der schriftlichen
Aufforderung der Beklagten vom 02.08.2012, sich einer stationären
psychotherapeutischen Behandlung, z. B. in der Abteilung Psychokardiologie
der Universitätsmedizin S. zu unterziehen, nicht nachgekommen. Er hat noch
nicht einmal einen Antrag auf Kostenübernahme für eine (stationäre) Therapie
bei seiner Beihilfestelle gestellt. Er hat seine Gesunderhaltungspflicht auch nicht
durch die Behandlung bei seinem Hausarzt erfüllt, denn die Behandlung durch
einem Allgemein- und Sportmediziner mit einem Fachkundenachweis in
psychosomatischer Grundversorgung genügt nicht den Anforderungen einer
intensiven psychotherapeutischen Behandlung. Die Beklagte musste auch unter
Berücksichtigung des noch anhängigen Klageverfahrens 1 A 26/12 nicht davon
ausgehen, dass die Dienstfähigkeit des Klägers in 6 Monaten wiederhergestellt
sein könnte. So war im Entscheidungszeitpunkt der Beklagten zum einen nicht
absehbar, wann die gerichtliche Entscheidung ergehen wird. Zum anderen war
bei realistischer Einschätzung mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit
des Klägers nur im Fall einer für ihn positiven Entscheidung zu rechnen, wovon
unter Berücksichtigung der für ihn negativen Entscheidung im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren jedoch eher nicht auszugehen war.
Die Zurruhesetzungsverfügung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte
im Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine anderweitige Verwendung des Klägers
nach § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG nicht geprüft hat. Eine anderweitige
Verwendung ist möglich, wenn der Beamtin oder dem Beamten ein anderes Amt
derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann (§ 26 Abs. 2
Satz 1 BeamtStG). Die Weiterverwendung des in seinem bisherigen Amt
dienstunfähigen Beamten setzt voraus, dass ihm ein anderes Amt übertragen
werden kann. Dabei kommt grundsätzlich jedes andere dem Amt des Beamten
im abstrakt-funktionellen Sinne entsprechende Amt in Betracht, für das der
Beamte noch dienstfähig ist und die Befähigung im Sinne des Laufbahnrechts
besitzt oder jedenfalls erwerben kann (Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des
Bundes und der Länder, § 26 BeamtStG Rn. 87). Da der Kläger das abstrakt-
funktionelle Amt eines Koordinators an der T. V. inne hat, kam als anderes Amt
im Sinne des § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG nur eine andere Koordinatorenstelle
an der T. V. in Betracht. Ungeachtet der Frage, ob es an der T. V. überhaupt
eine freie Koordinatorenstelle gab, wäre der Kläger für eine solche
Koordinatorenstelle ebenfalls dienstunfähig gewesen. Denn auch in diesem Fall
hätte die psychosoziale Belastungssituation fortbestanden, die seine
Dienstunfähigkeit ausgelöst hat. Er hätte unverändert eine längere Anfahrtszeit
zu einem neuen Dienstort gehabt und er hätte sich zudem in einem weitaus
größeren Maße in ein neues Tätigkeitsfeld einarbeiten müssen, als dies bei
einer Tätigkeit als Koordinator des Bereichs Agrarwirtschaft der Fall gewesen
wäre. So hat der Kläger gegenüber Frau Dr. Y. selbst angegeben, er sehe sich
nicht in der Lage, sich innerhalb des ihm verbleibenden Jahres bis zum
regulären Ruhestand in komplexe neue Aufgabenbereiche einzuarbeiten.
Ferner traue er sich auch die erheblich weitere Fahrt nach V., z.B. im Winter mit
25
öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht zu. Sollte er nach V. versetzt werden, werde
er sich weiterhin von seinem Hausarzt krankschreiben lassen.
Die Zurruhesetzungsverfügung ist jedoch deshalb rechtswidrig, weil die
Beklagte es versäumt hat, eine Ermessensentscheidung nach § 26 Abs. 3
BeamtStG zu treffen. Danach kann zur Vermeidung der Versetzung in den
Ruhestand der Beamtin oder dem Beamten unter Beibehaltung des
übertragenen Amtes ohne Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit im
Bereich desselben Dienstherrn übertragen werden, wenn eine anderweitige
Verwendung nicht möglich ist und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter
Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist. Nach dieser Vorschrift
kann dem Beamten folglich eine Tätigkeit übertragen werden, die in ihrer
Wertigkeit nicht seinem abstrakt-funktionellen Amt entspricht; wobei er sein
abstrakt-funktionelles Amt trotzdem behält. Bei der Ermessensausübung ist
einerseits das öffentliche Interesse daran, den Beamten nicht vorzeitig in den
Ruhestand versetzen zu müssen und dadurch Versorgungsmittel einzusparen,
zu berücksichtigen. Andererseits sind aus Gründen der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn und im Hinblick darauf, dass dem Beamten die geringerwertige
Tätigkeit ohne seine Zustimmung übertragen werden kann, die schutzwürdigen
Belange des Beamten, z.B. in gesundheitlicher Hinsicht, zu beachten
(Schütz/Maiwald a.a.O., § 26 Rn.110). Demnach hätte die Beklagte z.B. prüfen
können, ob der Kläger weiterhin als Lehrer an der T. S., jedoch ohne
Koordinatorenfunktion, hätte beschäftigt werden können.