Urteil des VG Gießen vom 15.05.2003

VG Gießen: aufschiebende wirkung, anerkennung, erlöschen, rücknahme, bundesamt, ausreise, eltern, bekanntgabe, abschiebung, vergleich

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 G 1706/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 72 Abs 1 AsylVfG 1992, § 71
Abs 1 AsylVfG 1992
Erlöschen einer Asylberechtigung und erneuter Asylantrag)
Gründe
Der am 01.01.1977 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste erstmals am 14.10.1994 in die
Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom
08.03.1995 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
zu Gunsten des Antragstellers das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG sowie von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 4 und Abs. 6 AuslG
hinsichtlich der Türkei fest. Den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter
lehnte das Bundesamt wegen einer Einreise des Antragstellers auf dem Landwege
ab.
1996 kehrte der Antragsteller auf eigenen Wunsch in die Türkei zurück.
Im Januar 2003 reiste der Antragsteller wieder in die Bundesrepublik Deutschland
ein und beantragte erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid
vom 28.04.2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest,
dass der Bescheid vom 08.03.1995, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 und 6
festgestellt worden war, nach § 72 Abs. 1 S. 1 AsylVfG erloschen sei, da der
Antragsteller 1996 freiwillig in die Türkei zurückgekehrt sei. Das Bundesamt
forderte den Antragsteller zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe
der Entscheidung auf und drohte ihm für den Fall der Nichteinhaltung der
Ausreisefrist die Abschiebung in die Türkei an. Die Zustellung des Bescheides an
den Antragsteller erfolgte am 03.05.2003.
Am 08.05.2003 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Er beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin
vom 28.04.2003 anzuordnen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erteilte
Abschiebungsandrohung war anzuordnen, weil ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
Der Antragsgegnerin ist es verwehrt, im vorliegenden Fall eine
Abschiebungsandrohung auf der Grundlage des § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1
AsylVfG zu erlassen. Der Antragsteller hat zwar mit seinem Begehren vom
23.01.2003 einen erneuten Asylantrag, aber keinen Folgeantrag i. S. d.
gesetzlichen Definition des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG gestellt. Nach dieser Vorschrift
ist nur der nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren
Asylantrages erneut gestellte Asylantrag ein Folgeantrag. Der Erstantrag des
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Asylantrages erneut gestellte Asylantrag ein Folgeantrag. Der Erstantrag des
Antragstellers wurde jedoch weder zurückgenommen noch unanfechtbar
abgelehnt; das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
erkannte dem Antragsteller vielmehr bestandskräftig den Status eines politischen
Flüchtlings nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 AuslG zu. Dieser dem Antragsteller
gewährte Rechtsstatus ist zwar durch die freiwillige Rückkehr des Antragstellers in
die Türkei und seinen dortigen mehrjährigen Aufenthalt kraft Gesetzes erloschen
(1.). Dies führt aber nicht dazu, dass der Antragsteller nunmehr auf Grund
erneuter Asylnachsuche (lediglich) die verfahrensrechtliche Stellung eines
Folgeantragstellers inne hat (2.).
1.
Die Zuerkennung des Status eines politischen Flüchtlings für den Antragsteller ist
nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erloschen. Indem der Antragsteller auf Bitte seiner
Eltern und somit "ohne Not" in die Türkei zurückkehrte, hat er sich freiwillig und
ohne Zwang wieder dem Schutz seines Heimatstaates unterstellt. Dass er - so
sein Vortrag - hiermit einer moralischen Verpflichtung gegenüber seinen Eltern
nachgekommen sei, schließt das Merkmal der Freiwilligkeit nicht aus, weil die
Möglichkeit zur freien Entscheidung für den Antragsteller hierdurch nicht
ausgeschlossen wurde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich
nach Rückkehr noch rund sechs Jahre in der Türkei aufgehalten hat, bevor er den
Entschluss zur erneuten Ausreise fasste.
Der Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 AsylVfG führt vorliegend nur zum
automatischen Erlöschen der Anerkennung als ausländischer Flüchtling. Das
Erlöschen betrifft nicht - worauf die Kammer aus gegebenem Anlass hinweist, ohne
dass dies für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren von Bedeutung wäre -
die im Bescheid vom 08.03.1995 getroffenen Feststellungen zum Vorliegen von
Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 4 und Abs. 6 AuslG. Die Rechts- und
Bindungswirkungen dieses feststellenden Verwaltungsaktes (vgl. § 42 AsylVfG)
können nur durch einen Widerruf des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG aufgehoben werden.
2.
Der erneute Asylantrag des Antragstellers ist wie ein Erstantrag zu behandeln (vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, InfAuslR 1990, 217, 219). Das Erlöschen der
Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG kann nicht der Ablehnung eines Asylantrages
gleichgestellt werden (so allerdings Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, § 71 AsylVfG,
Rdnr. 7). Die in der Literatur vertretene Auffassung, eine Gleichstellung des
Erlöschens mit der unanfechtbaren Ablehnung sei geboten, weil das Gesetz durch
Nennung von Ablehnung und Rücknahme in § 71 AsylVfG zumindest die Tendenz
erkennen lasse, jeder Ausländer solle nur einmal einen Erstantrag stellen können
(Bell/von Nieding, ZAR 1995, 119), widerspricht dem eindeutigen Gesetzeswortlaut
und ist deshalb abzulehnen (ebenso Marx, AsylVfG, 4. Aufl. 1999, § 71 Rdnr. 25).
Nach dem Wortlaut des Gesetzes führen nur die Rücknahme eines Asylantrages
bzw. dessen unanfechtbare Ablehnung zum Folgeverfahren bei einer erneuten
Antragstellung. Das Erlöschen des Rechtsstatus kann auch in
verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht dem Ablehnen eines Asylantrages
gleichgestellt werden. Die beim Erlöschen kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge
des Wegfalls des zuvor gewährten Rechtsstatus führt nicht dazu, dass hiermit
zugleich eine Rücknahme oder Ablehnung des Antrages fingiert werden. Schließlich
sind auch in materieller Hinsicht, d. h. mit Blick auf das Asylgrundrecht, keine
Gründe ersichtlich, die es gebieten, einem Antragsteller, dem früher bereits ein
Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, im Vergleich zu einem Erstantragsteller wegen
der erneuten Antragstellung "mindere" Verfahrensrechte zuzubilligen. Die dem
Erlöschenstatbestand zu Grunde liegende Annahme eines nachträglichen Fortfalls
der politischen Verfolgungssituation ist nämlich auch insoweit nicht mit dem in §
71 AsylVfG geregelten Sachverhalt einer durch Rücknahme im Erstverfahren selbst
verneinten bzw. durch Ablehnung des Asylbegehrens behördlicherseits verneinten
Verfolgungsgefahr gleichzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.