Urteil des VG Gießen vom 09.12.2008
VG Gießen: aufenthaltserlaubnis, lebensgemeinschaft, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, vollziehung, afghanistan, verfügung, abschiebung, verwaltungsakt, staatsangehörigkeit
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Gericht:
VG Gießen 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 L 1814/08.GI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 2 S 1 AufenthG 2004,
§ 31 Abs 2 S 2 AufenthG 2004,
§ 31 Abs 1 AufenthG 2004
(Eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten; Kind)
Leitsatz
1. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfordert eine mindestens zweijährige
ununterbrochene Lebensgemeinschaft.
2. Im Rahmen des § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz AufenthG kommt es nur auf das Wohl
eines Kindes aus der aufgelösten ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft an (wie
OVG Sachsen-Anhalt, 15.08.2006 - 2 M 260/06 -), nicht auf das Wohl eines Kindes aus
einer neuen Verbindung, das keinen Bezug zur aufgelösten ehelichen
Lebensgemeinschaft aufweist.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500.- EUR festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage (VG Gießen 7 K 1815/08.GI) gegen die
Verfügung des Landrats des Wetteraukreises vom 15.07.2008 sowohl hinsichtlich
der Ablehnung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als auch
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung anzuordnen,
ist zulässig, insbesondere nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.
Ein auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines
Aufenthaltstitels gerichteter Antrag ist grundsätzlich nur zulässig, wenn durch die
Ablehnung dieses Antrages ein durch die Antragstellung bei der Behörde
begründetes fiktives Aufenthalts- oder Bleiberecht beendet wird, an das der
Antragsteller im Falle des Erfolges seines Antrages anknüpfen könnte (vgl. Hess.
VGH, B. v. 16.03.2005 - 12 TG 298/95 -, ESVGH 55, 210 = InfAuslR 2005, 304 =
NVwZ 2006, 111 m.w.Nn. zur vergleichbaren Rechtslage nach der
Vorgängervorschrift § 69 AuslG). Ein solches fiktives Aufenthalts- und Bleiberecht
kann sich unter anderem aus einem fiktiven Aufenthaltstitel oder der Fiktion des
Fortbestandes des Aufenthaltstitels gem. § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG ergeben. Im
vorliegenden Fall galt der bisherige Aufenthaltstitel gem. § 81 Abs. 4 AufenthG bis
zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, weil der Antragsteller
bei Stellung des Verlängerungsantrages am 03.04.2008 (Bl. 300 d. BA) im Besitz
einer ihm zuletzt am 07.04.2005 bis zum 06.04.2008 verlängerten
Aufenthaltserlaubnis war (Bl. 136 d. BA).
Soweit der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz die Vollziehbarkeit der mit der
Versagung der Aufenthaltserlaubnis verbundenen Abschiebungsandrohung betrifft,
ist er ebenfalls nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Insoweit wendet sich der
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ist er ebenfalls nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Insoweit wendet sich der
Antragsteller gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt, der gemäß § 80 Abs. 2
S. 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 16 HessAGVwGO als Maßnahme der
Verwaltungsvollstreckung von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Einem zulässigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO entspricht die Kammer, wenn eine
Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen des Antragstellers an einer
Aussetzung der Vollziehung einerseits und des öffentlichen Interesses an der
sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides andererseits ergibt, dass
dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von Vollzugsmaßnahmen verschont zu
bleiben, der Vorrang gebührt.
Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich der von ihm angefochtene Bescheid
schon nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der
Sachlage als offensichtlich rechtswidrig darstellt, weil an der Vollziehung
rechtswidriger Verwaltungsakte ein öffentliches Interesse nicht besteht.
Umgekehrt kann der Aussetzungsantrag keinen Erfolg haben, wenn die
summarische Prüfung ergibt, dass der beanstandete Verwaltungsakt offensichtlich
rechtmäßig ist und das öffentliche Interesse an seiner Vollziehung dringlich
erscheint. Ergibt die Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt weder
offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig ist, ist unter Abwägung
der sich gegenüberstehenden Belange darüber zu befinden, ob das
Aufschubinteresse des Antragstellers im Einzelfall das öffentliche
Vollzugsinteresse überwiegt.
Im vorliegenden Verfahren hat der Aussetzungsantrag keinen Erfolg, weil die
streitgegenständliche Verfügung des Landrats des Wetteraukreises vom
15.07.2008 sich nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung
sowohl hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als
auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung als offensichtlich rechtmäßig
darstellt und ihre Vollziehung im öffentlichen Interesse auch dringlich erscheint.
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die
umfassenden und überzeugenden Ausführungen im streitgegenständlichen
Bescheid vom 15.07.2008 und sieht entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO von einer
weiteren Darstellung der Gründe ab. Der dagegen gerichtete Vortrag des
Antragstellers führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis für den Antragsteller als Ehegatten einer Deutschen gem. §
28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 8 Abs. 1 AufenthG scheidet nach der am
29.03.2007 erfolgten Scheidung des Antragstellers (Bl. 250 d. BA) von der
deutschen Staatsangehörigen F. aus. Auch eine Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis als Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen gem. §
28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 8 Abs. 1 AufenthG zur Ausübung der
Personensorge im Hinblick auf seinen am 10.05.2003 geborenen deutschen Sohn
G. scheidet aus, weil der Antragsteller keine Personensorge ausübt, nicht einmal
das ihm mögliche betreute Umgangsrecht hinsichtlich dieses Kindes wahrnimmt
(Bl. 245, 269, 272, 304 d. BA). Der Vortrag des Antragstellers, er sei, um eine
Verschärfung der Situation gegenüber seiner früheren Ehefrau zu vermeiden,
hinsichtlich der Wahrnehmung des Umgangsrechts zurückhaltend (Bl. 10 d. A.),
ändert daran nichts. Der Antragsteller übt seit langem hinsichtlich dieses Kindes
keine Personensorge i.S.d. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG aus, so dass eine
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter diesem Gesichtspunkt nicht in
Betracht kommt. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die
Unterhaltszahlungen, auf die sich der Antragsteller beruft, auf
Unterhaltspfändungen beruhen (Bl. 295 bis 298 d. BA), wobei dem zu Grunde
liegen dürfte, dass der Antragsteller freiwillig keine Unterhaltszahlungen für dieses
Kind geleistet hat, ein Umstand, dem im Rahmen des § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
AufenthG durchaus Bedeutung zukommt.
Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers kommt auch nicht
auf der Grundlage des eigenständigen Aufenthaltsrechts des Ehegatten nach § 31
Abs. 1 S. 1 AufenthG in Betracht. Es fehlt an der Voraussetzung einer seit
mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestandenen ehelichen
Lebensgemeinschaft. Zum einen hat der Antragsgegner an Hand der in der
Behördenakte befindlichen Unterlagen zu Recht eine eheliche Lebensgemeinschaft
von nur 17 Monaten festgestellt. Soweit der Antragsteller die angesetzten Zeiten
unsubstantiiert bestreitet, kommt dem anhand der in der Behördenakte
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unsubstantiiert bestreitet, kommt dem anhand der in der Behördenakte
befindlichen, vom Antragsgegner ausgewerteten Unterlagen keine Bedeutung zu.
Zum anderen erfordert § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG eine mindestens
zweijährige ununterbrochene Lebensgemeinschaft (so wie die
Vorgängerbestimmung § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AuslG; vgl. insoweit Hess.VGH,
30.04.1998 - 12 TG 1756/98 -; VG Gießen, 14.09.1999 - 7 G 2418/99 - m.w.N.),
woran es vorliegend wegen der Trennung der Eheleute zwischen Dezember 2003
und Dezember 2004 (vgl. hierzu u. a. Bl. 51 bis 57 d. BA sowie den vom
Antragsteller ausgefüllten „Antrag auf Verlängerung einer
Aufenthaltsgenehmigung“ vom September 2004, in dem er seinen Familienstand
als „geschieden“ angegeben hat, Bl. 61 Nr. 14 d. BA), fehlt. Es kann nämlich nur
von gut 12 Monaten ehelicher Lebensgemeinschaft vor der letzten Trennung
ausgegangen werden (01.12.2004 - 10.12.2005).
Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers kommt auch nicht
nach § 31 Abs. 2 AufenthG in Betracht. Denn es ist nicht zur Vermeidung einer
besonderen Härte erforderlich, dem Antragsteller den weiteren Aufenthalt zu
ermöglichen. Insbesondere droht dem Antragsteller wegen der aus der Auflösung
der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung keine
erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange i.S.d. § 31 Abs. 2 S. 2
AufenthG. Ungeachtet der Fragen, ob der Vater des Antragstellers noch lebt,
wovon der Antragsgegner ausgeht, was der Antragsteller aber bestreitet, und sich
seine Mutter und seine drei Schwestern noch in Afghanistan (so der
Antragsgegner) oder bereits wieder in Pakistan (so der Antragsteller) aufhalten,
kann der Antragsteller auch als junger, alleinstehender arbeitsfähiger Mann sogar
ohne familiären oder sozialen Rückhalt nach Afghanistan zurückkehren, da in
seiner Person keine besonderen individuellen Risiken bestehen (vgl. im Einzelnen
Hess.VGH, 07.02.2008 - 8 UE 1913/06.A - zu § 60 Abs. 7 AufenthG und die
Stellungnahme des BAMF vom 20.05.2008, Bl. 332-337 BA). Dieser Einschätzung
der Lage in Afghanistan schließt sich die Kammer an. Auch sonst unterscheidet
sich die Situation des Antragstellers nicht grundlegend von der anderer
ausländischer Ehemänner deutscher Frauen, deren eheliche Lebensgemeinschaft
aufgelöst wurde. Der Antragsteller hat wegen der Auflösung der ehelichen
Lebensgemeinschaft nach Art und Schwere nicht so erhebliche Schwierigkeiten im
Zusammenhang mit der bestehenden Rückkehrverpflichtung nach Afghanistan zu
befürchten, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis als nicht vertretbar
erscheinen würde. Seine Lage unterscheidet sich nicht deutlich von der Lage
anderer Ausländer, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Soweit
schließlich der Antragsteller Ende Juni 2008, was dem Antragsgegner allerdings
erst nach Ergehen der streitgegenständlichen Verfügung vom 15.07.2008 bekannt
wurde, nach H. zu seiner neuen Lebensgefährtin afghanischer Staatsangehörigkeit
und dem gemeinsamen, am 27.05.2008 geborenen Kind gezogen ist, folgt auch
daraus nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 S. 2 2.Hs.
AufenthG.
Denn im Rahmen dieser Bestimmung kommt es nur auf das Wohl eines Kindes
aus der aufgelösten ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft an (OVG
Sachsen-Anhalt, 15.08.2006 - 2 M 260/06 -, zit. n. juris), nicht auf das Wohl eines
Kindes aus einer neuen Verbindung, das keinen Bezug zur aufgelösten ehelichen
Lebensgemeinschaft aufweist.
Sonstige rechtliche Grundlagen, auf Grund derer die Aufenthaltserlaubnis des
Antragstellers verlängert werden könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist
der Antragsteller mit seiner jetzigen Lebensgefährtin, der afghanischen
Staatsangehörigen I., nicht verheiratet und das gemeinsame Kind hat die
afghanische Staatsangehörigkeit, so dass Aufenthaltserlaubnis-
Verlängerungsmöglichkeiten nach §§ 27, 29, 30 AufenthG nicht bestehen. Im
Übrigen liegt auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung des Antragstellers wegen
Sachbeschädigung und Körperverletzung in drei Fällen - begangen an seiner
früheren Ehefrau - durch Urteil des AG Friedberg - Strafrichter - vom 07.08.2006
(J.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wurde (Bl. 224 bis 232 d. BA), ein Ausweisungsgrund (vgl. §
55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) vor, der der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis
gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel entgegensteht. Die Voraussetzungen
eines Ausnahmefalls sind insoweit vorliegend nicht gegeben. Vielmehr spricht
gerade die der Verurteilung insbesondere zu Grunde liegende dreimalige
Misshandlung seiner früheren Ehefrau dagegen, vorliegend einen Ausnahmefall
anzunehmen, gerade weil dem Antragsteller im Strafurteil diesbezüglich eine
„kulturell bedingte Uneinsichtigkeit“ (Bl. 226/225 d. BA) bescheinigt wird.
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Die in dem Bescheid des Landrates des Wetteraukreises vom 15.07.2008
enthaltene Abschiebungsandrohung ist ebenfalls offensichtlich rechtmäßig
ergangen. Da der Antragsteller gem. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 S. 2, 84 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist, konnte ihm gem. §§ 58, 59
AufenthG rechtmäßig die Abschiebung angedroht werden. In der
Abschiebungsandrohung ist auch gem. § 59 Abs. 2 AufenthG der Zielstaat der
beabsichtigten Abschiebung genannt. Ein Verbot der Abschiebung gem. § 60
AufenthG besteht nicht. Bezüglich Abs. 7 dieser Bestimmung wird auf die obigen
Ausführungen (S. 5) verwiesen. Auf die Bedeutung des § 59 Abs. 3 AufenthG im
Rahmen der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung kommt es daher nicht
an. Die Ausreisefrist von einem Monat nach Zustellung des Bescheides war auch
ausreichend bemessen.
Die Vollziehung des angefochtenen Bescheides vom 15.07.2008 erscheint im
öffentlichen Interesse auch als dringlich. Nach der Beendigung der
Lebensumstände, die ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers im Bundesgebiet
begründet hatten, bereits vor über einem Jahr ist die sofortige Beendigung seines
Aufenthalts im Hinblick auf die Verhinderung einer weiteren
Aufenthaltsverfestigung im Inland dringend geboten.
Da der Antragsteller insgesamt unterlegen ist, hat er die Kosten des Verfahrens zu
tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52, 53 Abs. 3 GKG. Mangels
anderweitiger Anhaltspunkte für das Interesse des Antragstellers am Verfahren
hat das Gericht den Auffangstreitwert gem. § 52 Abs. 2 GKG zu Grunde gelegt und
diesen im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung um
die Hälfte ermäßigt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.