Urteil des VG Gießen vom 08.12.2010

VG Gießen: grundstück, öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, anschluss, vollziehung, entwässerung, verwaltungsakt, eigentümer, kläranlage, belastung

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 L 2124/10.GI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
KAG HE
Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der
Abwassereinrichtung
Leitsatz
Stellt eine Kommune ihre Abwassereinrichtung ganz oder teilweise auf das sog.
Trennsystem um, ist der Anschlussnehmer verpflichtet, sich an die geänderte Anlage -
durch Trennung der anfallenden Abwässer auf seinem Grundstück - anzuschließen.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks in der Gemarkung B-Stadt, Flur
.., Flurstück …, B-Straße, B-Stadt.
Durch Bescheid vom 16.12.2009 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf,
das auf seinem Grundstück anfallende Niederschlagswasser an den bereits
vorhandenen Regenwasserkanal sowie das auf dem Grundstück anfallende
Schmutzwasser an die neu errichtete Anschlussleitung und somit an den neu
errichteten Schmutzwasserkanal anzuschließen. Zur Begründung gab der
Antragsgegner an, bei einer Befahrung der Sammelleitung durch eine Kamera sei
festgestellt worden, dass das Grundstück nicht ordnungsgemäß im Trennsystem
entwässere. Die Entwässerung der Grundstücke im Trennsystem sei aber
vorgesehen. Entsprechende Schmutzwasser- bzw. Regenwasserkanäle seien
vorhanden. Nach dem Satzungsrecht des Antragsgegners habe jeder Eigentümer
eines Grundstücks, auf dem Abwasser anfalle, die Pflicht, dieses Grundstück an die
Abwasseranlage anzuschließen, wenn es durch eine betriebsfertige Sammelleitung
erschlossen und eine Anschlussleitung an das Grundstück herangeführt sei. Das
auf dem Grundstück des Antragstellers anfallende Niederschlagswasser sei an den
bereits vorhandenen Regenwasserkanal anzuschließen. Die Einleitung von
Schmutzwasser in diesen Kanal sei nicht zulässig. Das auf dem Grundstück des
Antragstellers anfallende Schmutzwasser sei an die neu errichtete
Anschlussleitung und damit an den neu errichteten Schmutzwasserkanal
anzuschließen. Hierzu sei es erforderlich, das auf dem Grundstück des
Antragstellers anfallende Schmutz- und Regenwasser zu trennen. Der
Antragsgegner forderte den Antragsteller auf, bis zum 28.06.2010 die
notwendigen Änderungen an der Entwässerung vorzunehmen.
Über seinen Bevollmächtigten erhob der Antragsteller unter dem 13.01.2010
Widerspruch gegen diese Verfügung.
Mit Bescheid vom 21.05.2010 wies der Antragsgegner den Widerspruch des
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Mit Bescheid vom 21.05.2010 wies der Antragsgegner den Widerspruch des
Antragstellers zurück. Zur Begründung wurde angegeben, wie aus dem dem
Antragsteller übersandten Kanalbestandsplan zu ersehen sei, sei die
Entwässerung der Grundstücke der Anlieger von Anfang an im Trennsystem
vorgesehen gewesen. Die entsprechenden Schmutzwasserkanäle und
Regenwasserkanäle seien vorhanden. Sämtliche anliegenden Gebäude würden
auch im Trennsystem entwässert. In dem entsprechenden Bereich sei bereits seit
Jahrzehnten für die Abwasserentsorgung ein Trennsystem eingerichtet gewesen.
Bei einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass das auf dem Grundstück des
Antragstellers anfallende Schmutzwasser in den Regenwasserkanal eingeleitet
werde. Dieser Anschluss sei ohne Zustimmung des Antragsgegners durch den
Grundstückseigentümer an den Regenwasserkanal vorgenommen worden. Ein
solcher Fehlanschluss sei nicht zulässig. Um diesen Fehlanschluss zu ändern, sei
an den neu errichteten Schmutzwasserkanal eine Anschlussleitung für das
Grundstück des Antragstellers gelegt worden. Der Antragsteller sei aufgefordert
worden, die notwendigen Änderungen an der Entwässerung vorzunehmen.
Am 24.06.2010 erhob der Antragsteller Klage gegen den Heranziehungsbescheid
vom 16.12.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 21.05.2010.
Mit Verfügung vom 12.07.2010 ordnete der Antragsgegner die sofortige
Vollziehung des Bescheides vom 16.12.2009 an, da ein besonderes öffentliches
Interesse hieran bestehe. Eine Inbetriebnahme des Trennsystems sei nicht
möglich, da das Schmutzwasser des Grundstücks des Antragstellers in den
Regenwasserkanal eingeleitet werde. Hierdurch käme es zu einer unzulässigen
Gewässerverunreinigung des Gewässers „E.-Bach“, weshalb derzeit das im
Bereich des Trennsystems anfallende Niederschlagswasser in die
Mischwasserkanalisation eingeleitet werde und die Kläranlage belaste. Dies
widerspreche den Regelungen des Wasserrechts, wonach das Niederschlagswasser
ortsnah versickern, verrieseln oder direkt über eine Kanalisation ohne
Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet werden solle. Bereits
in dem Bescheid vom 16.12.2009 sei ausführlich dargelegt worden, dass das auf
dem Grundstück des Antragstellers anfallende Schmutz- und Regenwasser zu
trennen und entsprechend an den Schmutzwasser- bzw. Regenwasserkanal
anzuschließen sei. Der Antragsteller werde daher aufgefordert, bis zum
10.08.2010 die notwendigen Änderungen an der Entwässerung vorzunehmen.
Am 02.08.2010 hat der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtsschutz
nachgesucht. Er trägt vor, an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage
angefochtenen Heranziehungsbescheides bestünden ernstliche Zweifel. Soweit
der Antragsgegner darauf verweise, eine Einleitung des Regenwassers aus dem
Trennsystem in das Gewässer „E.-Bach“ habe noch nicht erfolgen können, weil das
Grundstück des Antragstellers noch Schmutzwasser in den Regenwasserkanal
einleite, bleibe unberücksichtigt, dass diese Art der Kanalisierung bereits im Jahre
1962 vorgenommen worden und bis zu dem Bescheid des Antragsgegners vom
16.12.2009 nicht beanstandet worden sei. Die von dem Antragsgegner
herangezogene Begründung, die Nichtinbetriebnahme des Trennsystems führe zu
einer Belastung der Mischwasserkanalisation und der Kläranlage, überzeuge nicht.
So könne die Belastung nicht größer sein, als diese vor Errichtung des
Trennsystems gewesen sei. Anhaltspunkte dafür, eine Beeinträchtigung des
Klärbetriebes aufgrund der angefallenen Wassermengen sei eingetreten, sei nicht
dargetan. Die im Bereich des Antragstellers angesiedelten Bebauungen seien
durchweg Einfamilienhäuser mit relativ großen Grundstücks- und insbesondere
Grünflächen. Der weitaus größte Teil des Wassers versickere damit zum einen auf
den Grundstücksflächen selbst, zum anderen sei das Grundstück des
Antragstellers mit drei Zisternen ausgerüstet, die bereits einen Großteil des
anfallenden Regenwassers auffingen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der am 24.06.2010 erhobenen Klage (Az.: 8 K
1868/10.GI) gegen den Heranziehungsbescheid des Antragsgegners vom
16.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2010
wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er ist der Ansicht, die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Der Antragsteller
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Er ist der Ansicht, die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Der Antragsteller
blockiere mit seiner fehlerhaften Anschlussnahme des Grundstücks das gesamte
Trennsystem im Bereich des entsprechenden Gebietes. Im Rahmen von
Sanierungsmaßnahmen im Gebiet des Antragsgegners seien in dem hier strittigen
Bereich Schmutzwasserkanäle erneuert und ein Regenwasserkanal zur Ableitung
des vorhandenen Trennsystems neu gebaut worden. Dieses neue System könne
allein aufgrund des Fehlanschlusses des Grundstücks des Antragstellers nicht in
Betrieb gehen.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Akten 8 L 2124/10.GI, 8 K 1868/10.GI und der beigezogenen Behördenakten
des Antragsgegners (2 Hefter) Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der
Beratung gewesen sind.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Die von dem Antragsgegner getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit
ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der in dem vorliegenden Eilverfahren
gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegen die
Interessen des Antragstellers nicht gegenüber dem öffentlichen Interesse an der
sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides vom 16.12.2009 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2010. Diese Verfügungen sind
offensichtlich rechtmäßig und ihr Vollzug ist eilbedürftig.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt auf
Antrag eines Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen. Ein solcher Antrag
ist begründet, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, die
Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hinauszuschieben,
nicht überwiegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig ist. Denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen
Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen.
Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung eilbedürftig ist.
Rechtsgrundlage für den verfügten Anschluss- und Benutzungszwang ist § 3 Abs. 1
der Entwässerungssatzung des Antragsgegners (EWS). Nach dieser Norm hat
jeder Eigentümer eines Grundstücks, auf dem Abwasser anfällt, die Pflicht, dieses
Grundstück an die Abwasseranlage anzuschließen, wenn es durch eine
betriebsfertige Sammelleitung erschlossen und eine Anschlussleitung an das
Grundstück herangeführt ist. Hat der Verband mehrere Anschlussleitungen zu
einem Grundstück verlegt, ist das Grundstück entsprechend den Vorgaben des
Verbandes anzuschließen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind nach summarischer Prüfung
vorliegend erfüllt. So hat der Antragsgegner im Einzelnen dargetan, dass die auf
dem Grundstück des Antragstellers anfallenden Abwässer in einen
Regenwasserkanal eingeleitet würden. Dies sei bei einer Überprüfung festgestellt
worden. Dieser Anschluss sei ohne Zustimmung des Antragsgegners durch den
Grundstückseigentümer an den Regenwasserkanal vorgenommen worden. Es
treffe ferner nicht zu, dass der Antragsteller über einen voll funktionsfähigen
„Mischwasserkanal“ verfüge, über den er sowohl das Abwasser als auch das
Regenwasser- und Niederschlagswasser entwässern könne. Vielmehr sei das
Grundstück des Antragstellers in unzulässiger Weise an einen Regenwasserkanal
angeschlossen worden (vgl. insb. Seite 2 des Widerspruchsbescheides vom
21.05.2010).
Diesen Ausführungen des Antragsgegners ist der Antragsteller nicht substantiiert
entgegengetreten. Insbesondere reicht es im Rahmen der hier maßgeblichen
summarischen Prüfung nicht aus, lediglich vorzutragen, er, der Antragsteller,
verfüge über einen voll funktionsfähigen „Mischwasserkanal“, über den er sowohl
das Abwasser als auch das Regen- und Niederschlagswasser entwässern könne.
Der Antragsteller kann nicht damit gehört werden, die Nichtinbetriebnahme des
Trennsystems führe zu keiner größeren Belastung der Mischwasserkanalisation
und der Kläranlage als vor Errichtung des Trennsystems. Auch ist seiner
Argumentation nicht zu folgen, der Antragsgegner habe eine Beeinträchtigung des
Klärbetriebs aufgrund der angefallenen Wassermengen nicht dargetan. Dies gilt
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Klärbetriebs aufgrund der angefallenen Wassermengen nicht dargetan. Dies gilt
auch für den Vortrag des Antragstellers, der weitaus größte Teil des Wassers
versickere auf den Grundstücksflächen der durch Einfamilienhäuser
gekennzeichneten Bebauung. Außerdem sei das Grundstück des Antragstellers
mit drei Zisternen ausgerüstet, die bereits einen Großteil des anfallenden
Regenwassers auffingen.
Der Antragsteller ist nämlich aufgrund der genannten satzungsrechtlichen
Vorschrift über den Anschluss- und Benutzungszwang gehalten, sein Grundstück
an die geänderten Entwässerungsleitungen anzuschließen. Die entsprechenden
Maßnahmen hinsichtlich der Veränderung der Anschlussleitungen sind in das
weite, gerichtlich nur beschränkt überprüfbare, Organisationsermessen des
Antragsgegners gestellt (vgl. hierzu: OVG NW, B. v. 28.09.2009 - 4 K 356/08 -, juris,
Rdnr. 20; VG Dresden, U. v. 22.09.2009 - 2 K 1838/07 -, juris, Rdnr. 26; Klausing, in:
Driehaus, KAG, Stand: 2010, § 8 Rdnr. 960a; Blomenkamp, in: Driehaus, KAG,
a.a.O., § 8 Rdnr. 1441). Eine Änderung der Anschlussleitungen bedingt auch die
Anpassung der Grundstücksleitungen an die jeweils neu verlegten
Anschlussleitungen.
Dies folgt daraus, dass sich der Anschluss- und Benutzungszwang auch auf die
geänderte Einrichtung bezieht. Soweit daher eine Kommune ihre
Abwassereinrichtung ganz oder teilweise auf das Trennsystem umstellt, ist der
Anschlussnehmer verpflichtet, sich an die geänderte Anlage - durch Trennung der
anfallenden Abwässer auf seinem Grundstück - anzuschließen. Der
Anschlusszwang erschöpft sich nämlich nicht in einem einmaligen Anschluss an
die öffentliche Entwässerungsanlage, sondern enthält zugleich die Verpflichtung,
die Grundstücksanschlussleitung fortgesetzt in einem gebrauchsfähigen Zustand
zu erhalten, sodass der Grundstückeigentümer verpflichtet ist, seine Anlage
anzupassen (vgl. OVG Nds., U. v. 23.11.1994 - 9 C 1458/93 -, juris, Rdnr. 35; U. v.
22.11.1984 - 3 A 33/83 -, KStZ 1985, 33, 34). Im vorliegenden Fall gelten diese
Erwägungen entsprechend.
Anhaltspunkte dafür, dass die geforderten Maßnahmen des Anschluss- und
Benutzungszwangs den Antragsteller unzumutbar belasten, hat die Kammer nicht.
Nach der Rechtsprechung kann ein dem Anschluss- und Benutzungszwang
unterliegender Anschlussnehmer einen Anspruch auf Befreiung vom Anschluss-
und Benutzungszwang wegen Unverhältnismäßigkeit des Anschlusses jedenfalls
nicht geltend machen, wenn die Anschlusskosten einen Betrag von 25.000 Euro
nicht überschreiten (vgl. VG Minden, B. v. 02.05.2005 - 11 K 3677/04 -, juris, Rdnr.
16, m.w.N.). Entsprechende Aspekte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen, da er unterlegen ist
(vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in den §§ 52, 53 GKG. Das Gericht
geht hierbei von dem Auffangstreitwert in Höhe 5.000,-- EUR aus. Im Hinblick auf
die Vorläufigkeit der erstrebten Regelung wurde dieser Wert auf die Hälfte
reduziert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.