Urteil des VG Gießen vom 15.12.2010

VG Gießen: stadt, widerspruchsverfahren, grundstück, holz, vollstreckung, dienstleistung, rechtswidrigkeit, satzung, tarif, eltern

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 K 1954/09.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Kalkulation von Gebühren
Leitsatz
Ein Kläger, der die Kalkulation von (Abfall-) Gebühren angreift, ist gehalten, substantiiert
und konkret Tatsachen zu benennen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit der
Gebührenfestsetzung ableiten lässt. Ein Bestreiten mit Nichtwissen genügt insoweit
nicht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe
der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks A-Straße 10 in der Stadt A-Stadt,
der Beklagten. Das Grundstück ist an die Abfallentsorgung der Beklagten
angeschlossen.
Für dieses Grundstück wurden folgende Müllgefäße bereitgestellt: eine 120 l-
Restmülltonne (14-tägliche Leerung), eine 240 l-Biotonne (wöchentliche Leerung)
und eine 240 l-Altpapiertonne (vierwöchentliche Leerung). Die Jahresgebühren
betrugen 158,40 EUR. Durch die 9. Satzung zur Änderung der Abfallsatzung der
Beklagten vom 19.06.2008, in Kraft getreten zum 01.07.2008, wurde das
Abfallgebührenrecht der Beklagten geändert.
Mit Bescheid vom 10.10.2008 setzte die Beklagte die Abfallgebühren des Klägers
ab 01.07.2008 auf eine Jahresgebühr von insgesamt 258,-- EUR fest. Der Tarif für
die Restmülltonne (120 l, 14-tägliche Leerung) wurde auf 240,-- EUR pro Jahr
bestimmt. Die Mehrkosten für die Biotonne (240 l, wöchentliche Leerung) wurden
mit 18,-- EUR jährlich festgesetzt.
Unter dem 28.10.2008, eingegangen am 10.11.2008, erhob der Kläger
Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.10.2008. Zur Begründung führte er aus,
die Biotonne teile er mit seinen Eltern, die in dem Gebiet der Beklagten, A-Straße
5, wohnten. Im Übrigen sei eine Gebührenerhöhung von über 50 % bei gleicher
Dienstleistung rechtlich nicht in Ordnung.
Durch Bescheid vom 10.08.2009 wurde dem Widerspruch des Klägers hinsichtlich
der Mehrkosten für die größere Biotonne rückwirkend ab 01.07.2008 abgeholfen
und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen. Ferner setzte die Beklagte die ihr
vom Kläger zu erstattenden Kosten des Widerspruchsverfahrens auf 75,50 EUR
fest. Zur Begründung des Widerspruchsbescheides wurde von der Beklagten
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fest. Zur Begründung des Widerspruchsbescheides wurde von der Beklagten
angegeben, es existiere keine gesetzliche Regelung, die eine Gebührenerhöhung
von über 50 % bei gleicher Dienstleistung verbiete. Vielmehr seien die
tatsächlichen Kosten auf die Gebührenpflichtigen umzulegen. Der Landkreis A-
Stadt habe zum 01.01.2008 ein neues Gebührensystem eingeführt. Dies habe
erhebliche Auswirkungen auf sie, die Beklagte, die mehr als die Hälfte ihrer
Abfallgebühren an den Landkreis abführe. Neben einer neuen Grundgebühr pro
Einwohner fordere der Landkreis eine gewichtabhängige Gebühr für Restmüll,
Bioabfall und Holz. Insbesondere die Gebühren für Restmüll seien kostenintensiv
(zurzeit 165,01 EUR/t).
Aufgrund der Satzungsänderung des Landkreises habe sie, die Beklagte, reagieren
müssen und zum 01.07.2008 ihre Abfallsatzung angepasst. Dafür seien detaillierte
Kostenrechnungen angestellt worden. Hierdurch habe sich das Servicepaket „120
l-Restmülltonne, 14-tägliche Leerung“ drastisch verändert. Im Ergebnis gebe sie,
die Beklagte, nur die durch die Satzungsänderungen beim Landkreis erhöhten
Kosten entsprechend an die Gebührenschuldner weiter.
Am 09.09.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, hinsichtlich der nach
wie vor in Streit befindlichen höheren Gebühren für die Entsorgung des Restmülls
solle den Ausführungen der Beklagten hinsichtlich der Zulässigkeit einer
Gebührenfestsetzung durch Änderung der zugrundeliegenden Abgabensatzung
nicht widersprochen werden. Nicht nachvollziehbar sei allerdings, aufgrund welcher
Überlegungen die Beklagte zu der erheblichen Gebührenerhöhung gelange. Die
von der Beklagten angeführten „detaillierten Kostenrechnungen“ seien ihm, dem
Kläger, aber nicht erläutert worden. Er, der Kläger, könne nur mit Nichtwissen
bestreiten, dass die Beklagte bei der Festsetzung der neuen Abfallgebühren die
Anforderungen an eine rechtlich einwandfreie Gebührenbemessung beachtet
habe. Mit Schriftsatz vom 26.11.2009 trägt er vor, eine für ihn nachvollziehbare
Gebührenkalkulation, die eine Erhöhung der Gebühren um 60 % rechtfertige, sei
für ihn nicht erkennbar.
Der Kläger beantragt,
1. den Grundbesitzabgabenbescheid der Beklagten vom 10.10.2008 und den
Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 insoweit aufzuheben, als mit diesem
Bescheid die Abfallgebühren des Klägers neu mit einer Jahresgebühr von 258,00
Euro gegenüber einer bis dahin geltenden Jahresgebühr von 158,40 Euro
festgesetzt werden,
2. die Beklagte zu verpflichten, die vom Kläger gezahlten Kosten für das
Widerspruchsverfahren in Höhe von 75,50 Euro zurückzuerstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, ihre Bescheide seien rechtmäßig. Sie bezieht sich zur
Begründung auf den Widerspruchsbescheid und korrigiert ihren Vortrag
dahingehend, bei den Abfallgebühren des Landkreises handele es sich nicht um
eine „gewichtsabhängige Grundgebühr“. Zutreffend sei bereits im
Widerspruchsbescheid darauf verwiesen worden, dass der Landkreis A-Stadt ab
dem 01.01.2008 ein neues Gebührensystem eingeführt habe, welches eine neue
Grundgebühr je Einwohner sowie gewichtsabhängige Gebühren für Restmüll,
Bioabfall und Holz vorsehe. Bis zum 31.12.2007 habe der Landkreis zur
Berechnung der Abfallgebühren auf so genannte Einwohnergleichwerte abgestellt.
Hinsichtlich der detaillierten Kostenrechnung werde auf die Kostenrechnung für das
Servicepaket „120 l-Restmülltonne“ bei vier- und zweiwöchentlicher Leerung in der
Anlage zum Schriftsatz vom 17.11.2009 verwiesen. Hieraus seien die einzelnen
zugrundegelegten Teilkomponenten der Gebührenberechnung zu entnehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Behördenakte der Beklagten, die
sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Grundbesitzabgabenbescheid der Beklagten vom 10.10.2008
sowie der Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 sind rechtmäßig und verletzen
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sowie der Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 sind rechtmäßig und verletzen
den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO [im
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Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 75,50 Euro erstattet zu
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und der Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 sind rechtmäßig. Das Gericht
nimmt insoweit Bezug auf die angefochtenen Bescheide vom 10.10.2008 und vom
10.08.2009 und sieht von einer weiteren Begründung ab (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
Lediglich ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn der Kläger – wie hier - mit
Nichtwissen bestreitet, dass die Beklagte bei der Festsetzung der neuen
Abfallgebühren die Anforderungen an eine rechtlich einwandfreie
Gebührenbemessung beachtet habe. Insoweit wäre der Kläger vielmehr gehalten
gewesen, substantiiert und konkret Tatsachen zu benennen, aus denen sich die
Rechtswidrigkeit der Gebührenfestsetzung ableiten ließe. Entsprechende
Anhaltspunkte sind für das Gericht auch nicht erkennbar.
Ein Gericht ist aufgrund eines detaillierten Vortrags zur Kostenkalkulation auch
nicht verpflichtet, von einer rechtswidrigen Gebührenfestsetzung auszugehen (vgl.
OVG Saarl., Urt. v. 25.05.2009 – 1 A 325/08 -, Rdnr. 191, juris). Insoweit genügt es
nicht, wenn der Kläger die Rechtmäßigkeit einer Gebührenfestsetzung mit
Nichtwissen bestreitet. Solchen Rügen muss das Gericht auch unter
Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht weiter nachgehen. Zwar
sind Verwaltungsgerichte in der Regel verpflichtet, jede mögliche Aufklärung des
Sachverhalts bis an die Grenze des Zumutbaren zu erreichen, sofern die
Aufklärung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist.
Aufklärungsmaßnahmen in Bezug auf die Überprüfung von Kalkulationen sind aber
nur insoweit angezeigt, als sich dem Gericht insbesondere Widersprüche nach dem
Sachvortrag oder den beigezogenen Akten aufdrängen. Lässt es die Klägerseite
insoweit an substantiiertem Sachvortrag fehlen und begnügt sich vielmehr mit
schlichtem Bestreiten der jeweiligen Kostenansätze oder Spekulationen und ergibt
sich auch aus den beigezogenen Unterlagen kein hinreichender Anhaltspunkt für
einen fehlerhaften Kostenansatz, findet die Untersuchungsmaxime ihre Grenze
(vgl. VG Düsseldorf, Urt. v. 12.12.2007 – 5 K 1171/06 -, Rdnrn. 83 ff., juris; OVG
NW, Urt. v. 01.06.2007 – 9 A 372/06 -, Rdnr. 66, juris).
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ihm gezahlten Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 75,50 Euro
zurückzuerstatten. Die Festsetzung dieser Kostenforderung der Beklagten im
Widerspruchsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insofern nimmt das
Gericht Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009,
insbesondere auf S. 5 (Bl. 13 d. A.). Auch diesbezüglich ist weder ersichtlich noch
substantiiert vorgetragen, dass diese Kostenfestsetzung rechtswidrig wäre und
dem Kläger ein entsprechender Erstattungsanspruch zustünde.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, da er unterlegen ist (vgl. §
154 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (vgl. § 124a Abs. 1
S. 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies betrifft insbesondere die
Problematik, welche Anforderungen an einen Kläger hinsichtlich des Angreifens
einer Gebührenbemessung zu stellen sind und ob insoweit das Bestreiten mit
Nichtwissen ausreicht.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 175,10 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG. Dabei hat das Gericht die Differenz
der neu festgesetzten Jahresgebühr von 258,00 Euro gegenüber der bis dahin
geltenden Jahresgebühr von 158,40 Euro berücksichtigt. Hierzu addiert wurden die
geltenden Jahresgebühr von 158,40 Euro berücksichtigt. Hierzu addiert wurden die
vom Kläger angegriffenen Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von
75,50 Euro.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.