Urteil des VG Gießen vom 07.11.2002

VG Gießen: nicht störender gewerbebetrieb, nutzungsänderung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, gebäude, stadt, stand der technik, vollziehung

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Gericht:
VG Gießen 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 G 4082/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 6 BauNVO, § 63 Abs 3 S 1 Nr
2 BauO HE, § 62 Abs 1 BauO
HE, § 29 Abs 1 BauGB, § 1 Abs
5 S 2 Nr 4 BauGB
(Zulässigkeit einer Mobilfunksendeanlage; Nutzungsänderung;
Genehmigungsfreiheit)
Leitsatz
Das Anbringen einer Mobilfunksendeanlage ist nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HBO
genehmigungsfrei; es stellt keine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar.
Zur Nichtigkeit einer gemeindlichen Gestaltungssatzung über die Dachgestaltung, die
keine Mobilfunksendeanlagen über 5 m über Erdgleiche für das gesamte
Gemeindegebiete zulässt.
Zur Frage, ob eine Mobilfunksendeanlage ein Vorhaben nach § 29 Abs 1 BauGB ist.
Zum Sich-Einfügen einer Mobilfunksendeanlage nach § 34 BauGB.
Zu den immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an eine Mobilfunksendeanlage.
Zur Rechtswidrigkeit eines Nutzungsverbots mit Sofortvollzug für eine
Mobilfunksendeanlage.
Gründe
I.
Die Antragstellerin betreibt seit Dezember 2001 eine Mobilfunksendeanlage auf
dem 17,85 m hohen Dachaufbau eines fünfgeschossigen Hotelgebäudes ("S.-H.")
auf dem Grundstück Flur ..., Flurstück ... (F.) in der Gemarkung B.. Die Anlage
besteht aus einer an sechs bis zu 4,80 m hohen Antennenträgern befestigten
Antennenkonfiguration. Die zugehörigen Versorgungseinheiten befinden sich im
Innern des Gebäudes. Die Mobilfunksendeanlage dient der Versorgung des
Gebietes "B.".
Das Baugrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Die
nähere Umgebung ist aufgrund eigener Ortskenntnis des Gerichts durch ein
Nebeneinander von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung geprägt, wobei die
gewerbliche Nutzung einhergehend mit einer Vielzahl von Werbeanlagen entlang
der F. Straße überwiegt, während die Wohnnutzung überwiegend in deren
Seitenstraßen vorzufinden ist.
Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich der am 29.08.2000 beschlossenen
Gestaltungssatzung der Stadt B.. Nach § 2 dieser Satzung i.V.m. Anlage 1
"Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2 und Nr. 7 ist für das gesamte bebaute Gebiet der
Stadt B. folgende Festsetzung getroffen: "Einzelne Antennen oder
Antennenanlagen für Mobilfunk o.ä. sind ab einer Höhe von 5 m über Erdgleiche
unzulässig. Ausnahmen von dieser Regelung außerhalb von "Reinen und
Allgemeinen Wohngebieten" sind zulässig." Mit Bescheid vom 06.12.2001 gab der
Antragsgegner der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und
Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 DM auf, bis zum 01.02.2002
für die vorgenannte Mobilfunksendeanlage einen vollständigen Bauantrag
vorzulegen.
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Unter dem 02.02.2002 stellte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin unter
Vorlage der unter dem 30.11.2001 ihr von der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post - Außenstelle Fulda - erteilten Standortbescheinigung
einen Bauantrag für diese Mobilfunksendeanlage.
Das Regierungspräsidium Darmstadt - Abteilung Staatliches Umweltamt Frankfurt
-, dem der Betrieb der Mobilfunksendeanlage durch die Antragstellerin nach § 7
26. BImSchV unter Vorlage dieser Standortbescheinigung angezeigt worden war,
teilte dem Antragsgegner unter dem 18.04.2002 mit, dass das Bauvorhaben
ausgeführt werden könne.
Die Stadt B. versagte unter dem 14.05.2002 ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 1
BauGB. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Mobilfunksendeanlage gegen
§ 12 Abs. 2 Satz 1 HBO 1993 verstoße und sich wegen ihrer Ausformung und
Anbringungshöhe nicht nach § 34 BauGB einfüge. Zudem verstoße sie gegen die
Gestaltungssatzung; eine Ausnahme könne nicht zugelassen werden, da sie von
einem Mischgebiet aus in ein zu schützendes Wohngebiet wirke.
Mit der Antragstellerin am 28.08.2002 zugestelltem Bescheid vom 23.08.2002
lehnte der Antragsgegner den Bauantrag ab (Punkt 1.), ordnete die Entfernung der
Mobilfunksendeanlage innerhalb von zwei Monaten ab Bestandskraft des
Bescheides an (Punkt 2.), verhängte ein "vorläufiges Nutzungsverbot"; der Betrieb
der Mobilfunksendeanlage soll bis zum 15.11.2002 eingestellt werden (Punkt 3.),
ordnete nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des
Nutzungsverbotes an (Punkt 4.), drohte für den Fall der Nicht- oder nicht
fristgemäßen Beachtung des Nutzungsverbots ab dem 15.11.2002 nach den §§ 2,
68, 69 und 76 HVwVG ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,00 DM an (Punkt 5.) und
setzte die Gebühr für den Bescheid auf 110,00 DM fest. Zur Begründung führte
der Antragsgegner aus, das Vorhaben sei nach § 62 Abs. 1 HBO
baugenehmigungspflichtig. Es sei nach den §§ 29, 34 Abs. 1 BauGB nicht
genehmigungsfähig, da es sich nicht in die nähere Umgebung einfüge, denn es sei
auf dem höchsten Gebäude der näheren Umgebung errichtet, überrage diese und
wirke aufgrund der Anordnung der Antennenträger auf einer Fläche von 24 qm wie
ein Fremdkörper. Zudem hindere das versagte gemeindliche Einvernehmen - es
seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass dieses rechtswidrig verweigert worden
sei - eine stattgebende Entscheidung. Beim Verstoß von baulichen Anlagen gegen
baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über Errichtung,
Änderung, Instandhaltung oder Nutzung dieser Anlagen könne die Nutzung
untersagt werden (§ 78 HBO). Die sofortige Vollziehung des Nutzungsverbots sei
geboten, damit sich der Schwarzbauer nicht zumindest einen zeitlichen Vorteil
verschaffen könne.
Gegen den Bescheid vom 23.08.2002 legte die Antragstellerin mit Schreiben vom
02.09.2002 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - bisher nicht
entschieden worden ist.
Mit Schreiben vom 11.10.2002, auf das Bezug genommen wird, hat die
Antragstellerin um Eilrechtsschutz nachgesucht und ist der von dem
Antragsgegner und der Stadt B... vorgenommenen rechtlichen Würdigung
umfassend entgegengetreten.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 02.09.2002 gegen die
Nutzungsuntersagung in dem Bescheid des Antragsgegners vom 23.08.2002
wieder herzustellen.
Der Antragsgegner beantragt unter Hinweis auf seinen Bescheid,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vorgelegten und auf gerichtliche Anforderung ergänzte
Behördenakte des Antragsgegners (ein Hefter) Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf Wiederherstellung der aufschiebenden
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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen das mit dem Bescheid vom 23.08.2002 verfügte
und für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsverbot ist zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt (§ 35
Satz 1 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz - HVwVfG -, § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 VwGO) auf Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen.
Dieses Antragsverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren gegen eine behördliche
Entscheidung; vielmehr trifft das Gericht eine eigene selbständige Entscheidung.
Ein solcher Antrag ist begründet, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Privatinteresse des
Antragstellers, die Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf
hinauszuschieben, nicht überwiegt. Das ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt
offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines
rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse
bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung
eilbedürftig ist. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung
des Sachverhalts eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten
Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. z.B. Hess. VGH, Beschluss vom
29.05.1985 3 TH 815/85 ).
Nach diesen Grundsätzen ist der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.
Dies ergibt jedenfalls eine Interessenabwägung, wonach - wie hier - bei fehlender
formeller und materieller Illegalität und zudem fehlerhafter Ermessensbetätigung
keine Eilbedürftigkeit für ein Nutzungsverbot gegeben sein kann. Dies ergibt sich
zudem aus folgendem: Führt der Antragsgegner (Bauaufsichtsbehörde) - wie hier -
den Verstoß gegen die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ins Feld, so
stützt er das Nutzungsverbot auf formelle und materielle Illegalität. Dies war
zudem deshalb angezeigt, da der Antragsgegner der nach seiner Auffassung
durch die Antragstellerin unbeachtet gebliebenen Baugenehmigungspflicht mit
seinem Bescheid vom 06.12.2001 begegnet ist, mit dem er der Antragstellerin die
Stellung eines Bauantrages aufgegeben hatte. Folglich hatte der Antragsgegner
sein Ermessen dahingehend betätigt, dass er alleine wegen formeller Illegalität
kein Nutzungsverbot verhängen wollte (vgl. Jäde, Bauaufsichtliche Maßnahmen, 2.
Aufl. 2001, Rn. 245 m.w.N.).
Ermächtigungsgrundlage (Befugnisnorm) für das bauaufsichtliche Nutzungsverbot
war zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung § 78 Abs. 1 Hessische
Bauordnung vom 20.12.1993 (GVBl. I S. 655) in der Fassung vom 17.12.1998
(GVBl. I S. 562) - HBO 1993 -, der der allgemeinen Befugnisnorm des § 61 Abs. 2
Satz 1 HBO 1993 vorgeht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30.01.1997 - 4 TG 73/97
-, BRS 59 Nr. 214; Beschluss vom 20.12.1999 - 4 TG 4637/98 -, HessVGRspr. 2000,
67).
Nichts anderes gilt seit dem 01.10.2002 nach den §§ 72 Abs. 1 Satz 2, 53 Abs. 2
Satz 2 Hessische Bauordnung vom 25.06.2002 (GVBl. I S. 274) - HBO 2002 -.
Nach § 78 Abs. 1 1. Alt. HBO 1993 und nach § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO 2002 kann die
Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen, wenn bauliche Anlagen oder andere
Anlagen oder Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO oder Teile von ihnen
gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über
Errichtung, Änderung, Instandhaltung oder Nutzung dieser Anlagen und
Einrichtungen verstoßen. Zwar rechtfertigt danach grundsätzlich bereits die
formelle Illegalität einer baulichen Anlage den Erlass eines Nutzungsverbotes (vgl.
z.B. Hess. VGH, Beschluss vom 20.06.1991 - 4 TH 2607/90 -, BauR 1992, 68
m.w.N. ; Beschluss vom 10.11.1994, - 4 TH 1864/94 -), da dieses die betroffene
Person nur in die durch die §§ 62 Abs. 1, 70 Abs. 5 HBO gesetzten Schranken
weist, nämlich kein baugenehmigungspflichtiges Vorhaben vor Zustellung der
Baugenehmigung zu realisieren und zu nutzen. Die Bauaufsichtsbehörde kann das
Nutzungsverbot jedoch auch oder zugleich auf die materielle Illegalität stützen. Bei
nicht genehmigungspflichtigen Vorhaben kann das Nutzungsverbot hingegen nur
bei materieller Illegalität verhängt werden.
Nach § 78 Abs. 1 HBO 2002 ist das vor dem In-Kraft-Treten der Hessischen
Bauordnung 2002 am 01.10.2002 eingeleitete Verfahren nach den bisherigen
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Bauordnung 2002 am 01.10.2002 eingeleitete Verfahren nach den bisherigen
Verfahrensvorschriften der Hessischen Bauordnung 1993 weiterzuführen. Deshalb
beurteilt sich die formelle Illegalität nach wie vor nach den §§ 62, 63 HBO 1993.
Die Mobilfunksendeanlage ist nicht formell illegal, da für sie nach § 62 Abs. 1 HBO
1993 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a) HBO 1993 keine Baugenehmigungspflicht
besteht. Nach § 62 Abs. 1 HBO 1993 bedürfen die Errichtung, Aufstellung,
Anbringung und Änderung, die Nutzungsänderung, der Abbruch und die
Beseitigung von baulichen Anlagen oder von Teilen baulicher Anlagen sowie von
anderen Anlagen und Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HBO 1993 der
Baugenehmigung. Dies gilt nicht für die in der Vorschrift aufgeführten Ausnahmen
wie die in § 63 HBO 1993 aufgeführten baugenehmigungsfreien Vorhaben.
Einschlägig ist hier § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a) HBO 1993. Danach bedarf keiner
Baugenehmigung die Errichtung, Aufstellung, Anbringung, Änderung oder
Beseitigung von Antennenanlagen über 5 m bis 12 m Höhe; bei einer
Gesamtabstrahlleistung von mehr als 10 W (EIRP), wenn die gesundheitliche
Unbedenklichkeit durch eine Genehmigung, Zulassung oder amtliche
Bescheinigung festgestellt wird. Die etwa 5 m hohe Mobilfunksendeanlage ist hier
auf dem fünfstöckigen Hotel-Gebäude in etwa 18 m Höhe angebracht worden. Die
gesundheitliche Unbedenklichkeit der Mobilfunksendeanlage ist durch die
Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
- Außenstelle Fulda - vom 30.11.2001 festgestellt worden (s.u.).
Das Gericht folgt nicht der vom Hess. VGH erstmals in seinem Beschluss vom
19.12.2000 - 4 TG 3629/00 - vertretenen Auffassung, wonach die Anbringung einer
Mobilfunksendeanlage an einem Gebäude eine nicht von der Freistellungsvorschrift
des § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a) HBO 1993 erfasste Nutzungsänderung darstelle
und es bei der Genehmigungspflicht nach § 62 Abs. 1 HBO 1993 bleibe. Denn das
Anbringen einer Mobilfunksendeanlage an einem Gebäude ist keine
Nutzungsänderung i.S.v. § 62 Abs. 1 HBO 1993 (vgl. VG Gießen, Beschluss vom
18.06.2002 - 1 G 1689/02 -).
Die vorgenannte Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
verkennt die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe "Anbringung" und "
Nutzungsänderung" in § 62 Abs. 1 HBO 1993. Die Anbringung ist entgegen dieser
Rechtsprechung kein Fall der Nutzungsänderung, da sie anderenfalls ein
überflüssiger, die Genehmigungspflichtigkeit auslösender Tatbestand wäre.
"Anbringung" ist vielmehr ein Unterfall der "Errichtung", und zwar der nicht
vollständig neuen Errichtung und Nutzung einer Anlage, sondern der Verbindung
einer neuen Anlage mit einer bestehenden Anlage, ohne dass deren Substanz und
Nutzung im bisherigen Umfang verändert werden (vgl. Müller, Das Baurecht in
Hessen, § 62 Anm. 2.1.1.; Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische
Bauordnung, 5. Aufl. 1992, § 2 Rn. 48; Gädtke/Böckenförde, Landesbauordnung
Nordrhein-Westfalen, 8. Aufl. 1989, § 3 Rn. 17).
Hingegen ist die Nutzungsänderung eine Änderung der Benutzung der
vorhandenen Anlage, wobei die Substanz nicht oder allenfalls geringfügig im
Hinblick auf die neue Nutzung geändert wird. Sie ist also die Umnutzung einer
baulichen Anlage, die nicht mit einer baulichen Maßnahme einhergeht (vgl.
Degenhart/Krüger, Sächsische Bauordnung, § 62 Rn. 7). Typischer Fall ist die
Aufnahme von Büronutzung in Wohnräumen, d.h. die Änderung von Wohnnutzung
in gewerbliche Nutzung (zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei
Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 29 Rn. 20). Bleibt aber die
vorhandene Anlage in ihrer Substanz und in ihrer Nutzung durch die Anbringung
einer weiteren Anlage und deren Nutzung unverändert, so liegt keine
Nutzungsänderung vor. Neben die bisherige Anlage und ihre Nutzung tritt eine
weitere, wenn auch bautechnisch verbundene Anlage mit einer weiteren Nutzung.
Ebenso wenig wie die Errichtung eines zweiten Wohngebäudes auf einem
Grundstück eine Nutzungsänderung des vorhandenen ersten Wohngebäudes ist,
ist die Anbringung einer Werbeanlage der Fremdwerbung an einem vorhandenen
Gebäude eine Nutzungsänderung dieses Gebäudes, sondern ein Hinzutreten einer
neuen Anlage.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteil vom 03.12.1992 - 4 C 27.91 -, BVerwGE 91, 234 = NVwZ 1993, 983; Urteil
vom 03.12.1992 - 4 C 26.91 -, NVwZ 1993, 985; zustimmend Schlichter in Berliner
Kommentar zum BauGB, 2. Auflage 1995, § 29 Rn. 8; Battis/Krautzberger/Löhr,
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Kommentar zum BauGB, 2. Auflage 1995, § 29 Rn. 8; Battis/Krautzberger/Löhr,
a.a.O., § 29 Rn. 13) zur Anbringung von Werbeanlagen der Fremdwerbung am
Giebel eines Anwesens. Es ist nicht ersichtlich, dass der Hessische
Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsprechung nicht teilt. Das
Bundesverwaltungsgericht führt dazu aus, dass die Werbeanlage den Charakter als
bauplanungsrechtlich selbständig zu beurteilende Hauptnutzung nicht dadurch
verliert, dass sie mit einer anderen Anlage verbunden ist und damit bautechnisch
zu einer "Nebenanlage" wird. Diese bautechnische Verbindung ändere den
Charakter der Nutzung als gewerbliche nicht. Vielmehr blieben beide Nutzungen
Hauptnutzungen. Jede dieser beiden Hauptnutzungen besitze unabhängig von der
konkreten bautechnischen Gestaltung ihre eigene städtebauliche Bedeutung und
sei daher bauplanungsrechtlich selbständig zu beurteilen.
Gleiches muss aber für die Anbringung einer Mobilfunksendeanlage gelten, denn
mit ihr tritt zu der bisherigen Nutzung wie bei der Werbeanlage der Fremdwerbung
eine neue Hauptnutzung hinzu; die bisherige Nutzung bleibt unverändert (ebenso
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 08.05.2002 - 10 L 680/02 -).
Es ist kein nachvollziehbarer Grund dafür ersichtlich, dass dem
bauplanungsrechtlichen Begriff der Nutzungsänderung i.S.v. § 29 Abs. 1
Baugesetzbuch - BauGB - ein anderer Inhalt zukommt als dem
bauordnungsrechtlichen Begriff der Nutzungsänderung in § 62 Abs. 1 HBO. Die
vorgenannte Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs erkennt
diese Problematik nicht und setzt sich folglich mit ihr auch nicht auseinander.
Die vorgenannte Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist
auch nicht aus bauordnungsrechtlicher Sicht geboten. Die Hauptaufgabe des
bauordnungsrechtlichen Verfahrensrechts liegt in der Gewährleistung der
Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beim Bauen. Sie kann aber mit
unterschiedlichen Mitteln erreicht werden, nämlich einerseits durch die präventive
Kontrolle durch das Genehmigungsverfahren und andererseits durch die
repressive Kontrolle mittels nachträgliche Eingriffsmaß nahmen. Insoweit hat der
Landesgesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Diese Gewichtung
bauaufsichtlicher Kontrollbefugnisse hat sich seit dem Inkrafttreten der HBO 1957
vielfach geändert; so ist seitdem der Katalog der genehmigungsfreien Vorhaben
vielfach geändert worden und ist mit der Hessischen Bauordnung vom 20.12.1993
(GVBl. I S. 665) - HBO 1993 - das Anzeigeverfahren abgeschafft worden. Eine
weitere Deregulierung ist mit der zum 01.10.2002 in Kraft getretenen Hessischen
Bauordnung vom 18.06.2002 (GVBl. I S. 274) - HBO 2002 - erfolgt (vgl. die §§ 55,
56 HBO 2002). Mobilfunksendeanlagen sind nach Maßgabe von § 55 HBO 2002
i.V.m. Anlage 2 Abschnitt I Nr. 5.1 und Abschnitt II Nr. 3 baugenehmigungsfrei.
Die Freistellung von der Baugenehmigungspflicht begegnet auch keinen
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der auch in früherer
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 26.09.1990 -
4 UE 3721/87 -, NuR 1992, 432) entwickelte Gedanke, dass der
Landesgesetzgeber bodenrechtlich bedeutsame Vorhaben nicht der Anwendung
und Prüfung der bundesrechtlichen bauplanungsrechtlichen
Zulässigkeitsvorschriften in einem Genehmigungs- bzw. Anzeigeverfahren
entziehen dürfe, führt nicht zu einer Anwendungsschranke (vgl. Simon/Taft,
Bayerische Bauordnung, Art. 64 Rn. 1).
Denn nach § 63 Abs. 5 HBO 1993 entbindet die Freistellung von der
Genehmigungspflicht für derartige Mobilfunksendeanlagen nicht von der
Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche
Vorschriften an die baulichen und anderen Anlagen und Einrichtungen gestellt
sind. Das Problem ist aber auch dadurch entschärft, dass der Bundesgesetzgeber
mit der Novelle des Baugesetzbuches - BauGB - vom 18.08.1997 (BGBl. I S. 2081)
den Vorhabenbegriff in § 29 BauGB vom Erfordernis einer bauaufsichtlichen
Zustimmung oder Genehmigung gelöst hat und bei der Anwendbarkeit der §§ 29
ff. BauGB nur noch auf den bundesrechtlichen Vorhabenbegriff selbst abhebt (vgl.
dazu BVerwG, Urteil vom 07.05.2001 - 6 C 18/00 -, NVwZ 2001, 3206). Zudem
greift die Freistellung nach § 63 Abs. 3 Nr. 2 a) HBO 1993 für derartige
Mobilfunksendeanlagen nur, wenn bei einer Gesamtabstrahlleistung von mehr als
10 W (EIRP) die gesundheitliche Unbedenklichkeit durch eine Genehmigung,
Zulassung oder amtliche Bescheinigung festgestellt wird, d.h. gesundheitlich nicht
für unbedenklich erklärte Mobilfunksendeanlagen unterfallen der
Genehmigungspflicht.
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Die hier vorgenommene Unterscheidung (Abgrenzung) zwischen "Anbringung" und
"Nutzungsänderung" erschließt sich auch aus § 70 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 HBO 1993
sowie aus § 64 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 3 HBO 1993 i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1
Bauvorlagenverordnung - BauVorlVO -. Nach den letztgenannten Vorschriften sind
dem Antrag auf Baugenehmigung (Bauantrag) alle für die Beurteilung des
Vorhabens erforderlichen Unterlagen beizufügen, wozu auch die Baubeschreibung
mit der Erläuterung der Nutzung des Vorhabens gehört. Ohne diese Angaben kann
keine Prüfung stattfinden, ob das Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften
entspricht, und nach § 70 Abs. 1 Satz 1 HBO 1993 die Baugenehmigung zu
erteilen ist. Der Zugang der Baugenehmigung ist nach § 70 Abs. 5 HBO 1993
Voraussetzung für die Ausführung. Die Baugenehmigung vermittelt dem
verwirklichten Vorhaben somit formelle Legalität, die sich einerseits auf die
errichtete Bausubstanz und andererseits auf die genehmigte Nutzung bezieht,
d.h. das Vorhaben darf entsprechend der Baugenehmigung errichtet und benutzt
werden. Grund für die Aufnahme der Nutzungsänderung als die
Genehmigungspflicht auslösender Tatbestand ist der Umstand, dass die
Baugenehmigung nicht nur die Zulässigkeit des Vorhabens in seiner physischen
Existenz feststellt, sondern zugleich eine Benutzungsgenehmigung darstellt (st.
Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 15.11.1974 - IV C 32.71 -, BVerwGE 47, 185;
Degenhart/Krüger, a.a.O., § 62 Rn. 7). Nur wenn diese Nutzung verändert wird,
stellt sich die Frage, ob dies noch von der Baugenehmigung gedeckt ist oder
erneut eine Genehmigungspflicht auslöst. Dies zeigt, dass der Begriff
"Nutzungsänderung" an eine Veränderung der vorhandenen Nutzung anknüpft und
nicht an eine neu hinzutretende Nutzung.
Dies wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des Begriffs
"Nutzungsänderung". Er taucht im hessischen Bauordnungsrecht erstmals in § 87
Abs. 1 Hessische Bauordnung vom 16.12.1977 (GVBl. 1978 I S. 1) - HBO 1977 -
über die genehmigungsbedürftigen Vorhaben auf. In der Vorläufervorschrift des §
62 Abs. 1 Nr. 3 Hessische Bauordnung vom 06.07.1957 (GVBl. S. 101) - HBO 1957
- ist noch von der "Veränderung der Benutzungsart der Bauwerke" als zur
Genehmigungspflicht führenden Tatbestand die Rede. Dieser Begriff erhellt, dass
ein neu hinzutretendes, evtl. bautechnisch verbundenes Bauwerk gerade nicht
erfaßt wird. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem grundlegenden
Urteil vom 08.11.1979 - IV OE 51/75 - (BRS 35 Nr. 51) zur Nutzungsänderung aus,
dass durch die Neufassung von 1977 keine Veränderung gegenüber dem früheren
Recht eingetreten ist. Auch damit befasst sich der Hessische
Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 19.12.2000 - 4 TG 3629/00 -
nicht. Vielmehr setzt er sich - wiewohl er es zitiert - in Widerspruch zu diesem
Urteil.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die streitbefangene
Mobilfunksendeanlage baugenehmigungsfrei und somit nicht formell illegal ist.
Die streitbefangene Mobilfunksendeanlage ist auch nicht materiell illegal. Sie
entspricht vielmehr den öffentlich-rechtlichen Vorschriften i.S.v. § 70 Abs. 1 HBO
1993. Deshalb ist die Ablehnung des mit Bescheid des Antragsgegners vom
06.12.2001 von der Antragstellerin geforderten Bauantrages - selbst wenn man
ihn abweichend von dem Vorstehenden für erforderlich hielte - mit dem Bescheid
vom 23.08.2002 rechtswidrig. Insbesondere lag kein Grund zur Versagung des
gemeindlichen Einvernehmens vor.
Die Mobilfunksendeanlage entspricht den einschlägigen
immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen.
Beim Sendebetrieb mittels dieser Mobilfunksendeanlage (im D1-Netz) des
Mobilfunks entstehen Immissionen und Emissionen im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3
Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG - (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom
11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119) . § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist
nicht einschlägig. Bei der Mobilfunksendeanlage handelt es sich um eine nicht
nach den §§ 4 ff. BImSchG genehmigungspflichtige Anlage. Die Pflichten der
Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen sind in § 22 BImSchG geregelt.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige
Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen
verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Nach § 3
Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer
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Immissionsschutzgesetzes Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer
geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile - darunter sind vor allem
Vermögenseinbußen, die auf physischen Einwirkungen beruhen, zu verstehen (vgl.
Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - oder erhebliche
Belästigungen - dies sind unzumutbare Beeinträchtigungen des körperlichen und
seelischen Wohlbefindens unterhalb der Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung
(vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.1993 - 10 S 1735/91 -, VBlBW
1994, 239; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - für die
Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Derartige Einwirkungen sind
den davon Betroffenen grundsätzlich unzumutbar (vgl. BVerwG, Urteil vom
25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; Hess. VGH, Beschluss vom
30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -). Die §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind
aufgrund der Einbeziehung der Nachbarschaft nachbarschützend (vgl. BVerwG,
Urteil vom 04.07.1986 - 4 C 31.84 -, BVerwGE 74, 315; Urteil vom 03.04.1987 - 4 C
41.84 -, NVwZ 1987, 884; Hess. VGH, Urteil vom 04.07.1985 - 3 OE 22/82 -, UPR
1986, 354; Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119;
Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -).
Die streitbefangene Mobilfunksendeanlage hielt und hält nach § 2 Nr. 1 26.
BImSchV (Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996, BGBl. I S.
1966) sowohl die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Anhang 1
der 26. BImSchV bestimmten Grenzwerte als auch nach § 2 Nr. 2 26. BImSchV
zusätzlich den im hier vorliegenden Fall der Verursachung von gepulsten
elektromagnetischen Feldern maßgeblichen Spitzenwert ein. Dies ergibt sich aus
der vorgenannten Standortbescheinigung vom 30.11.2001, auf die Bezug
genommen wird.
Die 26. BImSchV konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Maß
dessen, was an Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BImSchG für die Nachbarschaft zumutbar ist.
Nach der seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung ergangenen
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung können bei Einhaltung dieser
Verordnung keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Sendeanlagen für den
Mobilfunk oder vergleichbare Anlagen festgestellt werden; eine Unterschreitung
der sich nach der 26. BImSchV ergebenden Sicherheitsabstände wurde in keinem
Fall verlangt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 08.07.1997 - 14 B 93.3102 -, NVwZ
1998, 419; VG Schleswig, Urteil vom 22.08.1997 - 12 A 77/93 -, NVwZ 1998, 434;
Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.1997 - 1 S 746/96 -, DÖV 1998, 431; VGH
Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.1997 - 10 S 4/96 -, NVwZ 1998, 416
; Hess. VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG
2118/99 -; VG Gießen, Beschluss vom 29.08.2000 - 1 G 2224/00 -). Nach dem
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.1997 - 1 BvR 1658/96 - (NJW
1997, 2509 = NuR 1997, 394) ist die 26. BImSchV eine geeignete Maßnahme zur
Abwehr von Gesundheitsgefahren aus elektromagnetischen Feldern. Als normative
Festlegung dieser Zumutbarkeitsschwelle schließt die 26. BImSchV grundsätzlich
die tatrichterliche Beurteilung aus, dass Immissionen der
Funkübertragungsanlage, die die Immissionsrichtwerte nach der 26. BImSchV
unterschreiten, im Einzelfall gleichwohl als erheblich i.S.d. vorgenannten
Vorschriften eingestuft werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.11.1994 -
7 B 73.94 -, NVwZ 1995, 993, zur vergleichbaren Problematik nach der 18.
BImSchV ). Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 - ist durch die 26.
BImSchV den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ergebenden
Anforderungen an den staatlichen Schutz der menschlichen Gesundheit genügt
und kann eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte erst
dann erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die
Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche
anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt
werden kann.
Auch aus § 50 BImSchG ergibt sich nichts anderes. Danach sind bei
raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung
vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche
Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen
dienenden Gebiete soweit wie möglich vermieden werden (sog.
immissionsschutzrechtliche Optimierungsgebot).
§ 50 BImSchG findet im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens keine
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§ 50 BImSchG findet im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens keine
Anwendung. Der immissionsrechtliche Schutz des Nachbarn richtet sich nach § 22
BImSchG. § 50 BImschG wendet sich nicht an die Bauaufsichtsbehörde, sondern
richtet sich an alle, die im Bereich des öffentlichen Rechts mit raumbezogenen
Planungen und Maßnahmen befasst sind. Es handelt sich - dies zeigt auch die
Überschrift "Planung" - um eine raumbezogene Planungsvorschrift mit einer in das
Planungsstadium vorverlagerten Umweltverträglichkeitsprüfung (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 10.09.1981 - 4 B 114.81 -, NJW 1982, 348; Urteil vom 04.05.1988 -
4 C 2.85 -, NVwZ 1989, 151; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand April
1999, Band I § 50 Anm. 2 u. 3; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 4. Aufl.
1999, § 50 Rn. 1 u. 2).
Dementsprechend sah auch das Regierungspräsidium Darmstadt - Abteilung
Staatliches Umweltamt Frankfurt -, dem der Betrieb der Mobilfunksendeanlage
nach § 7 26. BImSchV unter Vorlage dieser Standortbescheinigung durch die
Antragstellerin angezeigt worden war, ausweislich seiner Mitteilung vom
18.04.2002 an den Antragsgegner keinen Grund, dass das Bauvorhaben nicht
ausgeführt werden kann.
Das Vorhaben ist auch bauordnungsrechtlich zulässig.
Dem Vorhaben kann nicht die bauordnungsrechtliche Bestimmung des § 2 i.V.m.
Anlage 1 "Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2, Nr. 7 Satz 1 der Gestaltungssatzung der
Stadt B... vom 29.08.2000 - GestaltS - mit Erfolg entgegen gehalten werden.
Danach sind einzelne Antennen oder Antennenanlagen für Mobilfunk o.ä. ab einer
Höhe von 5 m über Erdgleiche unzulässig.
§ 2 i.V.m. Anlage 1 "Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2, Nr. 7 Satz 1 GestaltS ist nichtig.
Da diese Bestimmung ausweislich der Überschrift "Dachgestaltung" der Anlage 1
eine Regelung über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen treffen will, kommt
von der in der Satzung in Bezug genommenen Ermächtigungsnorm § 87 Abs. 1
und 2 HBO 1993 nur der zur Regelung der äußeren Gestaltung baulicher Anlagen
durch Satzung ermächtigende § 87 Abs. 1 Nr. 1 HBO 1993 als Ermächtigung in
Betracht.
§ 87 Abs. 1 Nr. 1 HBO 1993 ermächtigt die Gemeinden, die äußere Gestaltung
baulicher Anlagen zur Durchführung baugestalterischer Absichten in bestimmten,
genau abgegrenzten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebietes
durch Satzung zu regeln. Solchermaßen ermächtigt können die Gemeinden über
die allgemeinen bauordnungsrechtlichen Gestaltungsvorschriften (§§ 12, 13 HBO
1993, § 9 HBO 2002) hinausgehendes materielles Bauordnungsrecht im
übertragenen Wirkungskreis, d.h. nicht als bauplanungsrechtliche Festsetzung,
sondern im Rahmen übertragener bauordnungsrechtlicher Befugnisse, schaffen
(vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.08.1993 - 1 A 11772/92 -, NVwZ-RR
1994, 429 = BRS 55 Nr. 130; Müller, Das Baurecht in Hessen, § 87 Rn. 1.2.2).
Gegen diese Ermächtigung bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken, da sie
den Geltungsbereich der Satzung ("bestimmte, genau abgegrenzte bebaute oder
unbebaute Teile des Gemeindegebietes"), den Zweck der Satzung ("Durchführung
baugestalterischer Absichten") und den Regelungstatbestand ("äußere Gestaltung
baulicher Anlagen" ) umschreibt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 15.09.1994 - 4 UE
4184/88 -, NVwZ-RR 1995, 250 ). Solchermaßen können Inhalt und
Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in zulässiger
Weise bestimmt werden (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 22.02.1980 - 4 C 44.76 -,
BRS 36 Nr. 149).
§ 87 Abs. 1 Nr. 1 HBO 1993 bildet mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20,
28 GG) folgenden Gebot der Normenklarheit und dem Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung den Prüfungsmaßstab für untergesetzliches, auf
diese Ermächtigungsnorm gestütztes Gestaltungssatzungsrecht (grdl. OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.02.1992 - 11 A 2232/89 -, BRS 54 Nr. 112
m.w.N.). Dies bedeutet, dass mit einer auf diese Ermächtigungsnorm gestützten
Gestaltungssatzung mehr bezweckt werden muss, als die unterschiedslose
Erhaltung der Gestaltung des gesamten Ortsbildes, d.h. Gestaltungsziele, die
gleichermaßen für alle Ortsteile verfolgt werden könnten, können eine
Gestaltungssatzung nicht rechtfertigen. Vielmehr müssen mit dieser
Gestaltungssatzung gebietsspezifische gestalterische Absichten verfolgt werden,
die dem von der Gestaltungssatzung erfaßten Gebiet ein besonderes Gepräge
geben sollen (vgl. z.B. Hess. VGH, Urteil vom 15.09.1994 - 4 UE 4184/88 -, NVwZ-
RR 1995, 250 ;, VG Darmstadt, Urteil vom 16.07.1998 - 2 E 1527/96 -,
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RR 1995, 250 ;, VG Darmstadt, Urteil vom 16.07.1998 - 2 E 1527/96 -,
NVwZ-RR 1999, 165; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.09.1988 - 1 A 82/86 -,
BauR 1989, 68; Bayerischer VGH, Urteil vom 25.06.1990 - 15 N 88.629 -, BRS 50
Nr. 133). Dagegen verstößt § 2 i.V.m. Anlage 1 "Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2, Nr.
7 Satz 1 GestaltS. Diese Bestimmung bedeutet, da Anlage 1 GestaltS nur die
Dachgestaltung regelt, dass das Anbringen von Mobilfunksendeanlagen auf einem
Dach ab einer Höhe von 5 m über Erdgleiche unzulässig ist. Sie führte, da in
geringerer Höhe angebrachte Mobilfunksendeanlagen die für die erfolgreiche
Sendetätigkeit erforderliche Höhe nicht aufweisen, faktisch zu einem Verbot der
Anbringung von Mobilfunksendeanlage im gesamten bebauten Stadtgebiet von
B...
Es ist offenkundig, dass mit dieser Bestimmung keine gestalterische Absicht
verfolgt sein kann. § 2 i.V.m. Anlage 1 "Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2, Nr. 7 Satz 1
GestaltS ist nichtig.
Selbst wenn man dem Antragsgegner (Bauaufsichtsbehörde) keine
Verwerfungskompetenz im Hinblick auf diese Bestimmung der GestaltS zubilligt
(zum Stand der Diskussion zu dieser Frage vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2001 - 6
CN 2.00 -, NVwZ 2001, 1035), hätte er von der in § 2 i.V.m. Anlage 1
"Dachgestaltung" Nr. 1 Satz 2, Nr. 7 Satz 2 GestaltS eröffneten Möglichkeit der
Ausnahme - vorliegend handelt es sich um kein Reines oder Allgemeines
Wohngebiet, sondern nach der insoweit zutreffenden Beurteilung der Stadt B... in
ihrer Einvernehmenserklärung um ein "faktisches" Mischgebiet (s.u.) - nach § 3
GestaltS Gebrauch machen müssen, denn öffentliche Belange stehen dem nicht
nur nicht entgegen, sondern gebieten die Ausnahme. Denn die Antragstellerin
kommt mit der Errichtung und dem Betrieb der streitbefangenen
Mobilfunksendeanlage, die funkplanerisch für die Versorgung des Gebietes "B...."
unabdingbar ist, ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18
Telekommunikationsgesetz - TKG - nach und muss zur flächendeckenden
Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von Mobilfunksendeanlagen
unterhalten. Die entgegenstehende Auffassung der Stadt B.... ist greift nicht
durch, da sie von § 3 GestaltS nicht gedeckt ist. Werden Ausnahmen zugelassen,
so beschränkt sich der Anspruch der Gemeinde darauf, dass sie entsprechend der
satzungsmäßigen Ermächtigung ermessensfehlerfrei erteilt werden (vgl. Hess.
VGH, Beschluss vom 15.01 1964 - DÖV 1964, 783; Müller, Das Baurecht in
Hessen, § 87 Anm. 1.2.2). Dies hätte geschehen müssen.
§ 12 Abs. 2 Satz 1 HBO 1993, den die Stadt B... ausweislich ihrer
Einvernehmenserklärung, die der Antragsgegner für unbedenklich hält, verletzt
sieht, ist nicht verletzt. Danach sind bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung derart
in Einklang zu bringen, dass sie das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht
verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht beeinträchtigen.
Eine solche Verunstaltung liegt nicht bereits bei bloßer Unschönheit oder Störung
der architektonischen Harmonie vor, sondern erst dann, wenn ein häßlicher
Zustand geschaffen worden ist, der das ästhetische Empfinden eines fachlich nicht
vorgebildeten, für ästhetische Eindrücke jedoch aufgeschlossenen
Durchschnittsbetrachters verletzt und als verletzend oder unlusterregend
empfunden wird (st. Rspr., vgl. z.B. Hess. VGH, Urteil vom 24.11.1995 - 4 UE
1290/92 -, BRS 57 Nr. 289; VG Gießen, Urteil vom 20.09.1994 - 1 E 229/94 -;
ebenso Müller, Das Baurecht in Hessen, § 12 Anm. 1a). Dies ist nicht der Fall.
Das Landschaftsbild kann offensichtlich in keiner Weise beeinträchtigt sein, da sich
die streitbefangene Mobilfunksendeanlage mitten in der Stadt B. befindet. Zu
Orts- und Straßenbild gelten die Ausführungen zu der Gestaltungssatzung
entsprechend. Nichts anderes ergibt sich aus dem seit dem 01.10.2002 geltenden
inhaltsgleichen § 9 Abs. 2 HBO 2002 (vgl. auch § 78 Abs. 2 Satz 1 HBO 2002).
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners in dem den Bauantrag der
Antragstellerin ablehnenden Bescheid vom 23.08.2002 und entgegen der
Auffassung der Stadt B.... in ihrer Einvernehmenserklärung ist die streitbefangene
Mobilfunksendeanlage bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zulässig.
§ 29 Abs. 1 BauGB bestimmt, dass für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung
oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, die §§ 30 bis 37
BauGB gelten. Das Vorhaben nach § 29 Abs. 1 BauGB ist also durch das
verhältnismäßig weite Merkmal des Bauens und zusätzlich und zwingend durch
das Element möglicher bodenrechtlicher Relevanz gekennzeichnet.
Bodenrechtliche Relevanz ist gegeben, wenn in das einzelne Objekt
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Bodenrechtliche Relevanz ist gegeben, wenn in das einzelne Objekt
verallgemeinernder Betrachtungsweise die in § 1 Abs. 5 BauGB genannten
Belange in einer Weise berührt werden, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer
ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 31.08.1973 - 4 C 33.71 -, BVerwGE 44, 59; Urteil vom
03.12.1992 - 4 C 27.91 -, BVerwGE 91, 234 = BauR 1993, 315; Urteil vom
16.12.1993 - 4 C 22.92 -, Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 52; Urteil vom
07.05.2001 - 6 C 18.00 -, NVwZ 2001, 1046). Da die Erscheinungsformen der
Sendeanlagen des Mobilfunks nach Größe und konkreter Ausgestaltung vielfältig
sind und zudem der jeweilige Standort in die Beurteilung einzubeziehen ist, muss
die Frage der städtebaulichen Relevanz in jedem einzelnen Fall gesondert geprüft
werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Standort exponiert oder
weniger exponiert ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.06.1999 - CE
98.3374 -) oder ob die Anlage die städtebauliche Ordnung durch Störung des
Ortbildes beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.1992 - 4 C 27.91 -,
BVerwGE 91, 234 = BauR 1993, 315; Stellungnahme des Hessischen Städtetages
in INF.HSTT 3/2001, S. 60). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es
sich bei der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage um ein bauplanungsrechtlich
relevantes Vorhaben nach § 29 Abs. 1 BauGB.
Der öffentliche Belang der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und
Arbeitsverhältnisse und der Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung nach § 1
Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB ist durch die streitbefangene Mobilfunksendeanlage
nicht in einer Weise berührt, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer insoweit ihre
Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen (vgl. VG
Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Mit dieser Planungsleitlinie
soll erreicht werden, dass bei der Bauleitplanung keine städtebaulich bedenklichen
Spannungen zwischen Wohnen und Gewerbe auftreten bzw. vorhandene Konflikte
entschärft werden (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 1 Rn. 61;
Hoppenberg/Stüer, a.a.O., Kapitel B Rn. 635; BVerwG, Beschluss ; vom 23.06.1989
- 4 B 100.89 -, NVwZ 1990, 263). Dieser Belang ist hier nicht im Sinne des
Vorstehenden berührt, da ausweislich der vorgenannten Standortbescheinigung
vom 30.11.2001 die gesundheitliche Unbedenklichkeit festgestellt ist (s.o.).
Daran ändert § 50 BImschG nichts, der sich als objektivrechtliches Gebot an die für
die Planungsentscheidung zuständigen Stellen wendet, den Bewohnern der
geschützten Gebiete aber keine subjektiven öffentlichen Rechte (Abwehrrechte)
verleiht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.06.1974 - IV C 14.74 -, Buchholz 11 Art. 14 GG
Nr. 148; Beschluss vom 10.09.1981 - 4 B 114.81 -, NJW 1982, 348; Urteil vom
30.09.1983 - 4 C 74.78 -, NVwZ 1984, 509; Hess. VGH, Beschluss vom 31.05.1990
- 8 R 3118/89 -, NVwZ 1991, 88; VG Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G
1689/02 -). Zudem greift § 50 BImSchG deshalb nicht, da diese Vorschrift nur
einen Planungsgrundsatz in der Form eines Optimierungsgebotes enthält (vgl. z.B.
BVerwG, Urteil vom 04.05.1988 - 4 C 2.85 -, NVwZ 1989, 151; VG Gießen,
Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -), weshalb dem zu optimierenden
öffentlichen Belang - schädliche Umwelteinwirkungen so weit wie möglich zu
vermeiden - ein besonderes Gewicht verliehen wird, dem bei der Abwägung
Rechnung zu tragen ist, sich aber keine weitergehende Rechtsbindung aus ihm
ergibt (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 22.03.1985 - 4 C 73.82 -, BVerwGE 71, 163; VG
Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Wie die Formulierung "so weit
wie möglich" in § 50 BImSchG zeigt, ist bei der Abwägung diesem Belang
hinreichend Rechnung getragen, wenn die das Maß der zulässigen
Umwelteinwirkung regelnden Norm - hier der 26. BImSchV - genüge getan wird.
Dies ist hier - wie gezeigt - der Fall.
Regelmäßig bei Sendeanlagen des Mobilfunks zu prüfender öffentlicher Belang ist
der der Gestaltung des Ortsbildes (§ 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BauGB). Die
unmittelbare Baugestaltung obliegt jedoch nicht dem Bauplanungsrecht, sondern
dem landesgesetzlichen Bauordnungsrecht (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., §
1 Rn. 61); der hessische Landesgesetzgeber hatte die unmittelbare Baugestaltung
in den §§ 12, 13 HBO 1993 und hat sie in § 9 HBO 2002 geregelt.
Der Belang lenkt den Blick vor allem auf die Stadtgestalt. Als bauplanerische
Festsetzungen zur Gestaltung des Ortsbildes kommen die Bauweise, die
überbaubaren Grundstücksflächen, die Stellung der baulichen Anlagen, sowie
Festsetzungen i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 2, 3, 10, 15, 20 oder 25 BauGB in Betracht (vgl.
Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 1 Rn. 61; Hoppenberg/Stüer, Handbuch des
öffentlichen Baurechts, Kapitel B Rn. 638). Sendeanlagen des Mobilfunks können
grundsätzlich insoweit Gegenstand bauplanerischer Festsetzungen sein.
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Voraussetzung für eine Auswirkung auf das Ortsbild ist aber, dass die
Mobilfunksendeanlagen in Bezug auf das Ortsbild auffallend wirken (vgl. BVerwG,
Urteil vom 03.12.1992 - 4 C 27.91 -, BVerwGE 91, 234 = BauR 1993, 315). Dies ist
bei der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage - sie besteht aus sechs knapp 5 m
hohen Antennenträgern mit länglichen Sendern auf dem knapp 18 m hohen
Dachaufbau auf einem die umliegenden Gebäude um zumindest ein Geschoss
überragenden fünfgeschossigen Gebäude - der Fall, da sie bereits eine
eigenständige Wirkung auf das Ortsbild hat.
Die streitbefangene Mobilfunksendeanlage ist nach § 34 BauGB zulässig. Gemäß §
34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten
Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der
Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der
näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nach § 34 Abs. 2
BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit, wenn die nähere Umgebung einem der in
der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete entspricht, nach seiner Art
allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet
allgemein zulässig ist.
Die nähere Umgebung ist aufgrund eigener Ortskenntnis der Gerichts und nach
der in der Einvernehmenserklärung der Stadt B.. vorgenommenen, insoweit
zutreffenden Beurteilung als Mischgebiet (MI) nach § 6 Abs. 1 und 2 BauNVO zu
qualifizieren. Denn die nähere Umgebung ist durch ein Nebeneinander von
Wohnnutzung und Gewerbe geprägt, wobei in der nächsten Umgebung (F. Straße)
die gewerbliche Nutzung überwiegt.
Im Mischgebiet ist die Mobilfunksendeanlage nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6
Abs. 1 und 2 Nr. 4 BauNVO als sonstiger Gewerbebetrieb zulässig (vgl. VG Gießen,
Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Da keine funktionale Zu- und
Unterordnung der Mobilfunksendeanlage zu dem Nutzungszweck einzelner
Grundstücke in der näheren Umgebung gegeben ist, ist sie keine Nebenanlage
i.S.v. § 14 Abs. 1 BauNVO. Auch § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO betrifft die
Mobilfunksendeanlage nicht. Sie ist somit keine Nebenanlage, sondern eine
Hauptanlage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.11.1999 - 4 B 3.99 -, UPR 2000, 225;
Hess. VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -, NVwZ 2000, 694; VG
Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -).
§ 34 Abs. 2 BauGB verdrängt - ausgenommen das Erfordernis der gesicherten
Erschließung - § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauGB (vgl. BVerwG, Beschluss vom
12.02.1990 - 4 B 40,89 -, NVwZ 1990, 157) mit der Folge, dass die Anforderungen
an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt und das Ortsbild nicht
beeinträchtigt ist, d.h. § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB genügt ist.
Selbst wenn man die nähere Umgebung als nicht einem Baugebiet im Sinne der
Baunutzungsverordnung zurechenbar ansieht und deshalb auf § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB abstellte, wären dessen Voraussetzungen des Sich-Einfügens aus den
vorgenannten und den nachgenannten Gründen erfüllt. Auch bestünden keine
Bedenken im Hinblick auf § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB.
Die nähere Umgebung ist durch gewerbliche Nutzung und durch Wohnnutzung
geprägt. Nach der Art der Nutzung fügt sich in diese die streitbefangene
Mobilfunksendeanlage als nicht störender Gewerbebetrieb ein. Nach § 4 Abs. 2 Nr.
3 BauNVO sind nicht störende Gewerbebetriebe solche, die nach Art und Umfang
gebietstypisch sind und der allgemeinen Zweckbestimmung des Gebiets nach § 4
Abs. 1 BauNVO, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht gefährden (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 02.07.1991 - 4 B 1.91 -, NVwZ 1991, 982). Dies ist bei der
Mobilfunksendeanlage, die die Größe einer Nebenanlage aufweist und keinen Zu-
und Abgangsverkehr hat, der Fall. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die
Antragstellerin mit der Errichtung und dem Betrieb der Mobilfunksendeanlage
ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18 TKG nachkommt und
zur flächendeckenden Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von
Mobilfunksendeanlagen unterhalten muss (s.o.). Selbst in den Fällen, in denen die
nähere Umgebung als Allgemeines Wohngebiet zu qualifizieren ist, ist eine
Mobilfunksendeanlage regelmäßig nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO sowie i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB als nicht störender Gewerbebetrieb
ausnahmsweise zulässig (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G
1689/02 -).
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Der Umstand, dass der Standort der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage etwa
um die Höhe eines Geschosses höher liegt als die Oberkante der obersten
Geschosse der Gebäude in der näheren Umgebung, führt nicht zum Nichteinfügen
i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Denn bei einer Einfügung im Sinne dieser
Vorschrift geht es weniger um Einheitlichkeit als um Harmonie. Daraus, dass ein
Vorhaben in seiner Umgebung überhaupt oder doch in dieser oder jener
Beziehung ohne Vorbild ist, folgt noch nicht, dass es ihm an der harmonischen
Einfügung fehlt. Das Einfügensgebot soll nicht als starre Festlegung über den
gegebenen Rahmen allen individuellen Ideenreichtum blockieren, d.h. es zwingt
nicht zur Uniformität. Es hindert also nicht schlechthin daran, den vorgegebenen
Rahmen zu überschreiten, wohl aber daran, dies in einer Weise zu tun, die - sei es
schon selbst oder sei es infolge der Vorbildwirkung - geeignet ist, bodenrechtlich
beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder
die vorhandenen Spannungen zu erhöhen (grdl. BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 -
4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 269 = DVBl. 1978, 815; st. Rspr.).
Derartige Spannungen ruft die streitbefangene Mobilfunksendeanlage nicht hervor,
denn sie ist und bleibt in ihrer näheren Umgebung einzigartig. Die Gebäude der
näheren Umgebung sind niedriger als das Hotel-Gebäude, auf dem die
Mobilfunksendeanlage angebracht ist, d.h. es können keine vergleichbaren Höhen
durch andere Mobilfunksendeanlagen entstehen (ebenso Hess. VGH, Urteil vom
28.04.1988 - 4 OE 1089/85 -, BRS 48 Nr. 53 zu einer Windenergieanlage auf dem
Dach eines fünfgeschossigen Gebäudes, das die Gebäude in der näheren
Umgebung überragt). Die streitbefangene Mobilfunksendeanlage dient der
Versorgung des gesamten Südens von B... durch die Antragstellerin, d.h. in
diesem Bereich ist keine derartige Mobilfunksendeanlage der Antragstellerin mehr
erforderlich.
Dafür, dass andere Mobilfunkbetreiber dieses Gebiet nicht bereits versorgen, ist
nichts ersichtlich, d.h. es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine der
streitbefangenen Mobilfunksendeanlage vergleichbare Mobilfunksendeanlage in
der näheren Umgebung erforderlich werden wird. Kleinere Sender mit deutlich
geringerer Leistung und Reichweite als der der streitbefangenen
Mobilfunksendeanlage sind nicht vergleichbar. Bei ihnen stellt sich zudem die
Frage, ob sie überhaupt bauplanungsrechtliche Relevanz haben können und ein
Vorhaben i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB sind (s.o.).
Die streitbefangene Mobilfunksendeanlage beeinträchtigt auch nicht nach § 34
Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BauGB das Ortsbild. Die Frage der Beeinträchtigung des
Ortsbildes durch ein bestimmtes Vorhaben lässt sich nur mit Blick auf die konkrete
Situation der Umgebung beantworten. Bei einer deutlich negativen Vorprägung
des Ortsbildes scheidet eine Beeinträchtigung regelmäßig aus (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 16.07.1990 - 4 B 106.90 -, NVwZ 1991, 59). Aufgrund eigener
Ortskenntnis des Gerichts und bestätigt durch das von der Antragstellerin
vorgelegte Anlagenkonvolut 10 stellt sich das Ortsbild im Bereich der
streitbefangenen Mobilfunksendeanlage im wesentlichen folgendermaßen dar: Der
Bereich der sehr stark befahrenen F... Straße - über sie läuft maßgeblich der
Nahverkehr von und nach F... - ist durch eine unorganische Mischung aus älteren
Gebäuden und neueren Gebäuden aus den 70-er Jahren wie dem Gebäude des
S...-Hotels, auf dem die streitbefangene Mobilfunksendeanlage errichtet ist,
geprägt. An den Gebäuden sind fast ausnahmslos großflächige Werbeanlagen
angebracht. Zahlreiche Gebäude der näheren Umgebung sind mit privaten
Antennenanlagen (Satellitenschüsseln) bestückt, die teilweise in ihrer Massivität
die streitbefangene Mobilfunksendeanlage übertreffen. Insgesamt stellt sich das
Ortsbild der näherem Umgebung als nachhaltig negativ geprägt dar. Zudem fällt
das Gelände im Bereich der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage deutlich in
Richtung Innenstadt B.... ab; dadurch und durch die weitgehend geschlossene
Bauweise entlang der F... Straße ist der Blick auf die streitbefangene
Mobilfunksendeanlage eingeschränkt. Unter den im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz
2 2. Halbs. BauGB nur zu berücksichtigenden städtebaulichen Gesichtspunkten
(vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 34 Rn. 25) stellt die
Antragstellerin zu Recht die Frage, wo eine Mobilfunksendeanlage wenn nicht an
dieser Stelle besser errichtet werden kann.
Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 1
Satz 2 1. Halbs. BauGB bleiben gewahrt. Dazu wird auf die vorstehenden
Ausführungen zu § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB verwiesen.
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Angesichts dieser bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Mobilfunksendeanlage
wäre der Antragsgegner gehalten gewesen, das versagte gemeindliche
Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB zu ersetzen. Die Entscheidung, das
gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, ist ausweislich der Formulierung "kann"
in § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB in das Ermessen der nach Landesrecht zuständigen
Behörde gestellt (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Söfker, Baugesetzbuch, Band II,
Stand 01.05.2001, § 36 Rn. 41; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 15.10.1999 - 1
M 3614/99 -, NVwZ 2000, 1061). Dies ist nach § 19 Abs. 2a Verordnung zur
Durchführung des Baugesetzbuches in der Fassung vom 21.02.1990 (GVBl. I S.
49), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.1998 (GVBl. I S. 562) - BauGB-DVO
- die untere Bauaufsichtsbehörde, d.h. hier der Antragsgegner. Die Ersetzung des
gemeindlichen Einvernehmens kommt nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur in
Betracht, wenn es von der Gemeinde rechtswidrig versagt worden ist (vgl.
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Söfker, a.a.O., § 36 Rn. 41). Eine Verpflichtung zur
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens kommt daher nur im Falle einer
Ermessensreduzierung auf Null in Betracht (allg. Auffassung, vgl. z.B. BVerwG,
Urteil vom 18.08.1960 - I C 42.59 -, BVerwGE 11, 95; Hornmann, Hessisches
Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung < Kommentar>, § 5 Rn. 28).
Diese ist gegeben, wenn das gemeindliche Einvernehmen ohne weiteres
erkennbar rechtswidrig versagt wurde (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom
03.09.2000 - 3 E 1383/00 (1) -, NVwZ-RR 2001, 371). Dies ist nach den
vorstehenden Ausführungen zum Bauplanungsrecht der Fall, denn die Stadt B....
und der Antragsgegner haben offensichtlich immissionsschutzrechtliche
Befürchtungen, wie sie von einer Bürgerinitiative formuliert wurden, auf die
bauplanungsrechtliche Ebene projiziert, um in unzulässiger Weise strengere
Anforderungen als nach der 26. BImSchV vorgeschrieben zu verlangen.
Zusammenfassend ergibt sich - andere Versagungsgründe i.S.v. § 70 Abs. 1 HBO
1993 sind nicht ersichtlich und dargetan - dass der Antragsgegner unzutreffend
von einer materiellen Illegalität der Mobilfunksendeanlage ausgegangen ist.
Da somit weder formelle noch materielle Illegalität gegeben sind, liegen die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 HBO 1993 bzw. des § 72 Abs. 1
Satz 2 HBO 2002 für den Erlass des Nutzungsverbots nicht vor.
Zudem ist keine ermessensfehlerfreie Ermessensbetätigung erfolgt.
Die Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörde - dazu zählt auch der Erlass eines
Nutzungsverbots - sind nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 3, 5 Abs. 1 Hessisches Gesetz
über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - HSOG - nach pflichtgemäßem
Ermessen zu treffen. Nach § 40 HVwVfG hat die Behörde, wenn sie ermächtigt ist,
nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
einzuhalten.
Eine ermessensfehlerfreie Ermessensausübung entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung ist hier nicht erfolgt. Das Nutzungsverbot ist jedenfalls deshalb
rechtswidrig, da die Voraussetzungen der zum Zeitpunkt der behördlichen
Entscheidung einschlägigen Befugnisnorm des § 78 Abs. 1 1. Alt. HBO 1993 - jetzt
gilt der inhaltsgleiche § 72 Abs. 1 Satz 2 HBO 2002 - nicht vorliegen.
Deshalb kann das Ermessen nicht fehlerfrei im Sinne des Vorstehenden ausgeübt
worden sein.
Das mit dem Bescheid vom 23.08.2002 verfügte Nutzungsverbot ist zudem
deshalb ermessensfehlerhaft, weil in ihm keine Ermessensbetätigung
vorgenommen wurde.
In die nach § 40 HVwVfG erforderliche Ermessensbetätigung hätten die
nachstehenden Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit einfließen müssen.
Das Nutzungsverbot vom 23.08.2002 ist nach § 4 Abs. 2 HSOG unverhältnismäßig.
Nach dieser nach § 3 Abs. 1 Satz 3 HSOG auch von den Bauaufsichtsbehörden zu
beachtenden Vorschrift darf eine Maßnahme nicht zu einem Nachteil führen, der
zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
Der Antragsgegner hätte deshalb berücksichtigen müssen, dass die
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Der Antragsgegner hätte deshalb berücksichtigen müssen, dass die
Antragstellerin mit der Errichtung und dem Betrieb der Mobilfunksendeanlage
ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18 TKG nachkommt und
zur flächendeckenden Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von
Mobilfunksendeanlagen unterhalten muss und dies mit hohem Investitionsaufwand
getan hat.
Schließlich hätte der Antragsgegner nicht außer Acht lassen dürfen, dass
ausweislich der ihm vorliegenden vorgenannten Standortbescheinigung vom
30.11.2001 die gesundheitliche Unbedenklichkeit festgestellt ist (s.o.).
Die erforderliche Ermessensbetätigung hätte bei genügender Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zudem den Erlass des Hessischen Ministeriums
für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung "Baugenehmigungsfreiheit für
Mobilfunksende- und empfangsanlagen" vom 12.03.2001 - VI 3-64 b 12/13-1/2001
- (INF.HStT 4-5/2001, S. 79) berücksichtigen müssen. Darin führt die oberste
Bauaufsichtsbehörde (§ 60 Abs. 3 Satz 3 HBO) in Bezug auf den Beschluss des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.12.2000 - 4 TG 3629/00 - aus, dass
kein dringendes Bedürfnis, gegen bestehende ungenehmigte Antennenanlagen
bauaufsichtlich einzuschreiten, bestehe. Dieser Erlass hält, selbst wenn man ihn
nicht als Weisung versteht, die untere Bauaufsichtsbehörde jedenfalls zu einer
sorgfältigen, den Gegebenheiten des Einzelfalles und dem generellen
Versorgungsauftrag, den beträchtlichen Investitionen in den Standort sowie der
durch eine Standortbescheinigung bestätigten gesundheitlichen Unbedenklichkeit
Rechnung tragenden Ermessensbetätigung an. Dazu ist sie nach § 40 HVwVfG
ohnehin verpflichtet. Die Bedeutung dieses Erlasses erhellt die mit § 2 der
Verordnung zur Erweiterung der Freistellung von der Baugenehmigungspflicht
(Freistellungsverordnung - FreistellVO) vom 11.06.2002 (GVBl. I S. 247) nach § 86
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 HBO 1993 in Bezug auf Anlagen nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
a) HBO 1993 vorgenommene erweiterte Freistellung derartiger Anlagen.
Gleiches gilt für die Genehmigungsfreistellung nach Maßgabe des § 55 HBO 1993
i.V.m. Anlage 2 Abschnitt I Nr. 5.1 und Abschnitt III Nr. 3. Zum Zeitpunkt der
Verhängung des Nutzungsverbots war die Freistellungsverordnung bereits in Kraft
und war die Hessische Bauordnung 2002 bereits durch den Landtag beschlossen
und im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet. Dies zeigt, dass das
"Herunterspielen" dieses Erlasses durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof
mit Beschluss vom 02.04.2002 - 4 TG 575/02 - wohl kaum haltbar sein dürfte.
Darauf kommt es nach dem Vorstehenden jedoch nicht entscheidungserheblich
an.
Aufgrund des Vorstehenden lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der
sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht vor. Auch insoweit
hätten die vorgenannten Überlegungen zur sachgemäßen Ermessensbetätigung
auch bei der Frage der Eilbedürftigkeit berücksichtigt werden müssen.
Nach alledem erweist sich die Nutzungsuntersagung als rechtswidrig und sie ist
nicht eilbedürftig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3
Gerichtskostengesetz - GKG -.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.