Urteil des VG Gießen vom 09.03.2011

VG Gießen: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, pflegeheim, satzung, hauptwohnung, zweitwohnung, konsum, aufwand, begriff, hmg, stadt

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 K 48/10.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 105 Abs 2a S 1 GG
Erhebung einer Zweitwohnungssteuer bei in Pflegeheimen
wohnenden Menschen
Leitsatz
Eine Wohnung kann nicht Gegenstand der Festsetzung von Zweitwohnungssteuer sein,
wenn der Inhaber dieser Wohnung gezwungenermaßen in ein Pflegeheim umziehen
musste und diese Wohnung lediglich eine bescheidene Lebensführung ermöglicht.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 30.07.2009 und der Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 15.12.2009 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe
der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines
Zweitwohnungssteuerbescheides.
Die Klägerin bewohnte bis zu ihrem Umzug in ein Alten- und Pflegeheim eine in
ihrem Eigentum stehende Wohnung in der F-Straße, A-Stadt. Hierbei handelt es
sich um ein 25 m
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großes Appartement. Das Alten- und Pflegeheim befindet sich
in der A-Straße, A-Stadt. In diesem lebt die Klägerin seit dem 10.02.2004. Die
Inanspruchnahme des Pflegeheims durch die Klägerin erfolgte allein aus
therapeutischen Gründen.
Mit Bescheid vom 30.07.2009 veranlagte die Beklagte die Klägerin zu einer
Zweitwohnungssteuer hinsichtlich des Objekts F- Straße, A-Stadt für den Zeitraum
vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2009. Bei einer Bemessensgrundlage für die
Wohnung in Höhe von 1.450,-- EUR wurde die Steuer auf 290,-- EUR festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 20.08.2009,
eingegangen bei der Beklagten am 24.08.2009, Widerspruch ein. Zur Begründung
führte sie aus, die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer sei in ihrem Fall
rechtswidrig, da sie in der Wohnung wegen eines Schlaganfalls nicht mehr allein
leben könne. Die Erhebung der Steuer sei zudem ein Verstoß gegen
verfassungsmäßige Rechte.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15.12.2009 zurück. Zur
Begründung führte sie aus, der Heranziehungsbescheid entspreche den steuer-
und abgabenrechtlichen Bestimmungen und ihrer, der Beklagten,
Zweitwohnungssteuersatzung. Auch ein Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot sei nicht ersichtlich.
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Der Widerspruchsbescheid wurde der Vertreterin der Klägerin am 16.12.2009
zugestellt.
Die Klägerin hat am 14.01.2010 Klage erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem
Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, die Erhebung der
Zweitwohnungssteuer stehe nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und dem dort
verankerten Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Die ihr verbliebene Wohnung
stelle kein die Erhebung einer Aufwandsteuer rechtfertigendes Konsumverhalten
dar. Sie besitze in dem Pflegeheim schon keine Hauptwohnung im Sinne der
Satzung, so dass es sich bei der Eigentumswohnung nicht um eine Zweitwohnung
handele. Der Fall, dass eine Person ihre Hauptwohnung verlasse und sich in eine
therapeutische Einrichtung begeben müsse, sei als Ausnahmetatbestand
anerkannt und regelmäßig auch in die entsprechenden Satzungen aufgenommen
worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.07.2009 und den Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 15.12.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, nur weil das Appartement auf Grund des Umzuges der Klägerin
in das Pflegeheim leer stehe, begründet dies noch keinen Ausschluss von der
Zweitwohnungssteuerpflicht. Die Wohnung stehe der Klägerin weiterhin zur
Verfügung und werde gerade auf ihren Wunsch hin anscheinend nicht vermietet.
Eine Zweitwohnungssteuerpflicht bestehe auch dann, wenn der Steuerpflichtige die
Wohnung zwar rechtlich nutzen könne, dies aber tatsächlich nicht tue. Eine
tatsächliche Nichtnutzung der Wohnung sei nämlich grundsätzlich unerheblich.
Auch bei einer leerstehenden Wohnung könne davon ausgegangen werden, dass
der Wohnungsinhaber einen finanziellen Aufwand betreibe, der Ausdruck der
besonderen finanziellen Leistungsfähigkeit sei. Der angefochtene Bescheid sei
somit ordnungsgemäß ergangen und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.07.2009 und der Widerspruchsbescheid vom
15.12.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113
Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Rechtsgrundlage für die Erhebung der Zweitwohnungssteuer folgt aus § 2 der
Satzung der Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer (im
Folgenden: Satzung), die am 15.09.2005 von der Stadtverordnetenversammlung
beschlossen wurde. Nach § 2 Abs. 1 der Satzung ist Gegenstand der Steuer das
Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet der Beklagten. Eine Zweitwohnung
ist gemäß § 2 Abs. 2 der Satzung jede Wohnung, die jemand neben seiner
Hauptwohnung für seinen persönlichen Lebensbedarf oder den persönlichen
Lebensbedarf seiner Familienmitglieder innehat. Eine Wohnung verliert die
Eigenschaft einer Zweitwohnung zudem nicht dadurch, dass sie vorübergehend
anders genutzt wird (vgl. § 2 Abs. 2 S. 2 der Satzung).
Durch diese satzungsrechtlichen Regelungen verstößt die Beklagte nicht gegen
Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG. Nach dieser Vorschrift haben die Länder die Befugnis zur
Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und
soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. An dieser
grundsätzlichen Zulässigkeit der Erhebung einer Zweitwohnungssteuer als
Aufwandsteuer bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es
entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. B. v.
06.12.1983 - 2 BvR 1275/79 -, BVerfGE 65, 325, 345 f.) sowie des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U. v. 29.01.2003 - 9 C 3.02 -, BVerwGE
117, 345, 347), dass eine Zweitwohnungssteuer als örtliche Aufwandsteuer im
Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG erhoben werden kann. Es handelt sich hierbei um
eine Steuer auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die in der Verwendung des
Einkommens für den persönlichen Lebensbedarf sichtbar wird. Örtliche
Aufwandsteuern erfassen den besonderen, über die Befriedigung des allgemeinen
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Aufwandsteuern erfassen den besonderen, über die Befriedigung des allgemeinen
Lebensbedarfs hinausgehenden Aufwand für die persönliche Lebensführung. Sie
besteuern die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf
zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Das Innehaben einer
weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf, also einer Zweitwohnung,
neben der Hauptwohnung, ist ein besonderer Aufwand, der gewöhnlich die
Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Dabei kommt es schon aus Gründen der
Praktikabilität nicht darauf an, dass diese Leistungsfähigkeit in jedem Einzelfall
konkret festgestellt wird. Ausschlaggebendes Merkmal ist vielmehr der Konsum in
Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel eingesetzt
werden (vgl. BVerfG, a. a. O.).
Die Ausgestaltung der Zweitwohnungssteuerpflicht in der Satzung der Beklagten
verstößt auch nicht gegen § 1 Abs. 1 KAG. Nach dieser Vorschrift sind die
Gemeinden und Landkreise berechtigt, nach Maßgabe dieses Gesetzes
kommunale Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) zu erheben, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Begriff der kommunalen Abgaben ist
hier so zu verstehen wie der bundesrechtliche Begriff der örtlichen Aufwandsteuern
im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG. Hierzu kann auf die obigen Ausführungen
verwiesen werden.
Die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer ist vorliegend aber gleichwohl
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn vom Sinn und Zweck
der Zweitwohnungssteuer, nämlich der Erhebung einer Steuer vor dem
Hintergrund einer entsprechenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, werden Fälle
wie der dieser Entscheidung zugrundeliegende gerade nicht erfasst.
Eine Zweitwohnung ist ausweislich der Satzung der Beklagten nur dann gegeben,
wenn jemand neben seiner Hauptwohnung eine weitere Wohnung für den
persönlichen Lebensbedarf innehat (vgl. § 2 Abs. 2 der Satzung). Die Satzung
knüpft damit zwar nicht an ein zeitweises, tatsächliches Bewohnen an, sondern an
das Innehaben der Wohnung, ohne diesen Begriff zu definieren. Das Innehaben
setzt die alleinige oder gemeinschaftliche Verfügungsmacht und rechtliche
Verfügungsbefugnis an der Wohnung für einen bestimmten Zeitraum voraus (Bay.
VGH, U. v. 14.02.2007 - 4 N 06.367 -, BayVBl. 2007, 530, 531 f.). Für das
Innehaben einer Zweitwohnung reicht auch die Möglichkeit der Selbstnutzung aus
(BVerwG, U. v. 26.09.2001 - 9 C 1/01 -, NVwZ 2002, 728, 729). Die Klägerin hat
insoweit die rechtliche Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Selbstnutzung
der Wohnung. Insoweit ist es aus Rechtsgründen irrelevant, dass sie wegen ihrer
erheblichen Pflegebedürftigkeit nicht in der Lage ist, die Wohnung zu bewohnen, da
es nur auf die grundsätzlich bestehende Nutzungsmöglichkeit ankommt. Das
Pflegeheim, welches die Klägerin seit dem Jahre 2004 bewohnt, kann grundsätzlich
auch als eine Hauptwohnung verstanden werden. Hat eine Einwohnerin oder ein
Einwohner mehrere Wohnungen im Inland, so ist eine dieser Wohnungen die
Hauptwohnung (vgl. § 16 Abs. 1 HMG). Dies ist nach § 16 Abs. 2 S. 1 HMG die
vorwiegend benutzte Wohnung. Maßgeblich hierbei ist die zeitliche Nutzungsdauer.
Da die Unterkunft im Pflegeheim bereits seit dem Jahre 2004 die überwiegend
genutzte Wohnung der Klägerin ist, steht dem auch nicht entgegen, dass es sich
hierbei nicht um eine „gewöhnliche“ Wohnung, sondern um ein Pflegeheim
handelt. Denn jedenfalls handelt es sich hierbei um einen umschlossenen Raum,
der zum Wohnen und Schlafen benutzt wird und unter den Begriff der Wohnung
nach § 15 S. 1 HMG zu fassen ist.
Eine Wohnung kann aber dann nicht von einer Zweitwohnungssteuerpflicht erfasst
werden, wenn der ehemalige Bewohner dieser Wohnung gezwungenermaßen in ein
Pflegeheim umziehen musste und diese Wohnung zudem lediglich eine
bescheidene Lebensführung - wie hier das Appartement der Klägerin - ermöglicht.
Insoweit bedarf die satzungsrechtliche Ermächtigung zur Festsetzung einer
Zweitwohnungssteuer einer sog. teleologischen Reduktion. Denn die
Zweitwohnungssteuer ist als Aufwandsteuer eine Steuer auf die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit, die in der Verwendung des Einkommens für den persönlichen
Lebensbedarf sichtbar wird (vgl. BVerfG, B. v. 06.12.1983 - 2 BvR 1275/79 -,
BVerfGE 65, 325, 346). Das Innehaben einer weiteren Wohnung für den
persönlichen Bedarf neben der Hauptwohnung ist ein besonderer Aufwand, der
gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Der Anknüpfungspunkt für
die Steuer liegt in dem Innehaben einer Zweitwohnung und in dem zum Ausdruck
kommenden Konsum für den persönlichen Lebensbedarf (vgl. BVerwG, U. v.
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kommenden Konsum für den persönlichen Lebensbedarf (vgl. BVerwG, U. v.
12.04.2000 - 11 C 12.99 -, BVerwGE 111, 122; 125). Dieser Konsum wird deutlich in
Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel verwendet
werden (vgl. BVerwG, B. v. 17.08.2000 - 11 B 43/00 -, NVwZ-RR, 2001, 682, 683).
Im Konsum äußert sich in der Regel die Leistungsfähigkeit.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da dem Innehaben der Wohnung
durch die Klägerin keine Verwendung im Sinne des oben beschriebenen Konsums
beigemessen werden kann. Im Fall der Klägerin wird durch den notwendigen
Umzug in das Pflegeheim und die dadurch frei werdende bescheidende Wohnung
eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerade nicht dokumentiert. Dies ist aber mit
der Erhebung der Zweitwohnungssteuer untrennbar verbunden. Vorliegend war die
Klägerin im Jahre 2004 vor dem Hintergrund ihres Alters nachgerade gezwungen,
in das Pflegeheim umzuziehen. Eine derart notwendige Gegebenheit kann nicht
unter den Sinn und Zweck der Zweitwohnungssteuerpflicht subsumiert werden.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist (vgl. §
154 Abs. 1 VwGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
zuzulassen, da die Frage der Erhebung einer Zweitwohnungssteuer bei in
Pflegeheimen wohnenden Menschen von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 290,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 GKG. Das Gericht hat den Streitwert in
Höhe der Forderung aus dem angefochtenen Bescheid vom 30.07.2009
festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.