Urteil des VG Gießen vom 29.01.2007

VG Gießen: aufschiebende wirkung, aufwand, bemessungsgrundlage, steuerrecht, spiel, apparat, eigentümer, veranstalter, öffentlich, steuerfestsetzung

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Gericht:
VG Gießen 8.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 G 2486/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 3 GG
Rechtmäßigkeit der Bemessungsgrundlage bei der
Erhebung einer Spielautomatensteuer.
Gründe
Der am 29.09.2006 bei Gericht eingegangene Antrag, über den auf Grund der
Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts Gießen für das Jahr 2007 nunmehr
die 8. Kammer zu entscheiden hat und der sinngemäß dahingehend zu verstehen
ist,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 15.08.2006 gegen den
Bescheid vom 10.07.2006 - Eingang 17.07.2006 - anzuordnen,
ist zulässig und begründet.
In Abgabesachen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines
Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage nur dann in Betracht, wenn auf Grund
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Widerspruchs oder
der Klage wahrscheinlicher als ein Misserfolg ist. Dies folgt aus der Wertung des
Gesetzgebers, der mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von
Widerspruch und Klage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben gem. § 80
Abs. 2 Nr. 1 VwGO zum Ausdruck gebracht hat, dass Abgaben im Zweifel zunächst
zu erbringen sind, und dass das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in
Vorleistung treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft. Dementsprechend ist
ein Aussetzungsantrag gem. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, der vorliegend entsprechend
anzuwenden ist, nur dann erfolgreich, wenn der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides ernstliche Zweifel begegnen oder die Vollziehung für
den Antragsteller eine nicht durch überwiegende öffentliche Interesse gebotene
Härte zur Folge hat.
Vorliegend überwiegt das Aufschubinteresse der Antragstellerin das
Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Denn der Bescheid, mit dem die
Antragstellerin zur Spielapparatesteuer für das zweite Kalendervierteljahr 2006
herangezogen wird, ist offensichtlich rechtswidrig. Der dem Bescheid zugrunde
liegende Berechnungsmaßstab ist unwirksam, weil er gegen höherrangiges Recht
verstößt.
Rechtsgrundlage für die Steuerfestsetzung ist die Spielapparatesteuersatzung
(Steuersatzung) der Antragsgegnerin vom 30.11.1993. Gegenstand der Steuer ist
unter anderem der Aufwand für die Benutzung von Spiel- und
Geschicklichkeitsapparaten, soweit sie öffentlich zugänglich sind (§ 2 a der
Steuersatzung). Steuerschuldner ist nach § 5 der Steuersatzung der Veranstalter,
im Falle von Spiel- und Geschicklichkeitsapparaten derjenige, dem der Apparat
vom Eigentümer zur Nutzung überlassen wurde. Nach § 7 Abs. 2 der
Steuersatzung ist der Steuerschuldner verpflichtet, die Steuer selbst zu errechnen
und der Antragsgegnerin eine entsprechende Erklärung abzugeben. Gemäß § 3
der Steuersatzung ist Bemessungsgrundlage im Falle des § 2 a die Zahl der
Apparate, für die unterschiedliche Steuersätze nach § 4 der Steuersatzung
erhoben werden. Für Apparate mit Gewinnmöglichkeit beträgt die Steuer je
Kalendermonat und Gerät 155,-- Euro; für solche ohne Gewinnmöglichkeit 50,--
Euro.
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Die satzungsrechtliche Bestimmung der Bemessungsgrundlage ist in materiell-
rechtlicher Hinsicht fehlerhaft, weil insoweit der in § 3 a der Steuersatzung
zugrunde gelegte sogenannte Stückzahlmaßstab gegen den aus dem
Gleichheitsprinzip des Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der
Steuergerechtigkeit verstößt. Der Stückzahlmaßstab ist ein pauschalierender
Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auf den bei der Bemessung der Spielapparatesteuer
nicht zurückgegriffen werden darf, weil nur ein Wirklichkeitsmaßstab der
Steuergerechtigkeit entspricht.
Zwar wurde herkömmlicherweise bei der Erhebung der Spielapparatesteuer auch
ein pauschaler Maßstab als sachgerecht angesehen, solange die Erfassung des
Vergnügungsaufwandes wenigstens wahrscheinlich blieb (vgl. BVerwGE 110, 237,
240). Das Bundesverwaltungsgericht verweist darauf, dass die
Spielapparatesteuer historisch als eine am Maßstab der Apparatestückzahl
orientierte Pauschalsteuer entstanden sei, wobei von jeher ein sogenannter
lockerer Bezug zwischen dem Steuermaßstab und dem Vergnügungsaufwand als
ausreichend und der Steuergerechtigkeit entsprechend angesehen wurde (vgl.
BVerwGE 110, 237, 241).
Seit dem 01.01.1997 ist aber der Stückzahlmaßstab als Pauschalmaßstab
problematisch geworden, weil die Gewinnspielautomaten seit diesem Zeitpunkt
mit manipulationssicheren Zählwerken ausgestattet sind und dadurch die
Möglichkeit besteht, die jeweiligen Spieleinsätze bzw. Einspielergebnisse genau
festzustellen (vgl. hierzu BVerwGE 123, 208, 222 ff.). Kann damit grundsätzlich die
Bemessung der Spielapparatesteuer nach tatsächlich investierten Spieleinsätzen
oder Einspielergebnissen und folglich nach einem Wirklichkeitsmaßstab
vorgenommen werden, muss dieser auch herangezogen und gegenüber einem
Wahrscheinlichkeitsmaßstab bevorzugt werden. Die Spielapparatesteuer ist
nämlich eine Aufwandsteuer, die an den zur Erlangung eines subjektiv
empfundenen Vergnügens investierten Aufwand anknüpft. Dieser Aufwand drückt
sich in bestimmten Geldbeträgen aus, die durch das Zählwerk des Spielapparates
präzise erfasst werden können. Damit ist der in das Vergnügen investierte
Aufwand - wenngleich nicht bezogen auf den einzelnen Spieler -, exakt messbar.
Eine wirklichkeitsnahe Besteuerung erfordert deshalb - auch mit Blick auf die im
Steuerrecht geltende sogenannte Typengerechtigkeit – diesen Maßstab
satzungsrechtlich zu bestimmen. Der Stückzahlmaßstab kann daher grundsätzlich
nicht mehr als tauglich angesehen werden. Sieht eine Spielapparatesteuersatzung
diesen Maßstab dennoch vor, bedarf er einer besonderen Rechtfertigung, die darin
besteht, dass die Einspielergebnisse von Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit
nicht mehr als 50 % von dem Durchschnitt der Einspielergebnisse dieser
Automaten im Satzungsgebiet abweichen (vgl. BVerwGE 128, 218 Ls.). Dann
lassen es Gründe der Praktikabilität zu, an die Stückzahl anzuknüpfen.
Solche Gründe sind hier nicht vorgetragen und ersichtlich. Insbesondere kann die
Antragsgegnerin die Verwendung des Stückzahlenmaßstabes nicht auf
Praktikabilitätserwägungen stützen. Wie sich den Verwaltungsvorgängen
entnehmen lässt, hat die Antragsgegnerin solche Erwägungen in keiner Weise
angestellt. Aus den Verwaltungsvorgängen ergibt sich vielmehr, dass die
Antragsgegnerin unter dem 30.05.2006 die Halter von Spielapparaten in ihrem
Hoheitsgebiet angeschrieben hat, um festzustellen, wie hoch die
Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der Spielapparate ist. Eine Feststellung
dahingehend, dass deutliche Unterschiede in den Einspielergebnissen nicht zu
verzeichnen seien, hat die Antragsgegnerin zu keiner Zeit getroffen. Sie war aber
gehalten, spätestens seit Ergehen der Normenkontrollentscheidung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12.08.2004 - 5 N 4228/98 - (HSGZ 2004,
362 ff.), die eine Spielapparatesteuersatzung mit Stückzahlmaßstab betraf, sich
zu überzeugen, ob Praktikabilitätsgesichtspunkte diesen Maßstab noch zu
rechtfertigen vermögen. Denn die Antragsgegnerin als die für ihren Hoheitsbereich
zuständige, die Steuer erhebende, Gemeinde trägt bei Weiterverwendung des
Stückzahlmaßstabs die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein einer
nur geringfügigen Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der Spielapparate
(vgl. Hess. VGH, a. a. O., Ls. 3; OVG Schleswig, KStZ 2004, 95, 99 l. Sp.).
Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die Steuerveranlagung aus
weiteren Gründen rechtswidrig erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Der Betrag der streitigen Abgabe ist
beruht auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Der Betrag der streitigen Abgabe ist
im abgabenrechtlichen Eilverfahren auf ein Viertel zu reduzieren.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.