Urteil des VG Gießen vom 04.08.1997

VG Gießen: politische verfolgung, unhcr, republik, abschiebung, aufschiebende wirkung, europäische konvention, innerstaatliches recht, anerkennung, registrierung, gefahr

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Gericht:
VG Gießen 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 G 31598/97
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 16a GG, § 51 Abs 1 AuslG
1990, § 53 AuslG 1990
(Abschiebung kroatischer Flüchtlinge nach Bosnien-
Herzegowina)
Gründe
Der am 09.07.1997 bei Gericht gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der
am 09.07.1997 erhobenen Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem
Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
30.06.1997, zugestellt am 03.07.1997, anzuordnen, ist zulässig, jedoch
unbegründet.
Die begehrte Aussetzung der Abschiebung kommt nicht in Betracht. Grundlage
der vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erlassenen
Abschiebungsandrohung sind die §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz -
AsylVfG -. Nach diesen Vorschriften erläßt das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des
Asylantrages unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche die
Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer keine Aufenthaltsgenehmigung
besitzt. Liegen Abschiebungshindernisse nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4
Ausländergesetz - AuslG - vor, ist nach § 50 Abs. 3 S. 2 AuslG in der
Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen, in den nicht abgeschoben
werden darf. Nach § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG darf die Aussetzung der Abschiebung
in Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages nur angeordnet
werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes bestehen. In dem für die rechtliche Beurteilung gem. § 77 Abs. 1
S. 1 2. Halbsatz AsylVfG maßgebenden Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
begegnet die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes indessen
keinen ernstlichen Zweifeln.
Der Antragsteller ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht im Besitz einer gem. § 34
Abs. 1 S. 1 AsylVfG dem Erlaß einer Abschiebungsandrohung entgegenstehenden
Aufenthaltsgenehmigung. Die ihm gesetzte Ausreisefrist von einer Woche ist gem.
§ 36 Abs. 1 AsylVfG zwingend vorgeschrieben.
Der Antragsteller hat auch keine Tatsachen vorgetragen, noch sind solche
gerichtsbekannt oder offenkundig, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Ablehnung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet aufkommen lassen.
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine
Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylVfG). Danach sind als offensichtlich
unbegründet abzulehnen solche Asylanträge, die sich eindeutig aussichtslos
darstellen, nachdem das Bundesamt eine umfassende Würdigung der ihm
vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter
Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel
vorgenommen hat (vgl. BVerwGE 67, 43 ff.). Dabei dürfen im maßgeblichen
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen
Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen, und es muß sich bei
einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die
Abweisung der Klage dem Gericht aufdrängen (vgl. BVerwGE 71, 276).
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Das Asylbegehren des Antragstellers ist eindeutig aussichtslos. Der Antragsteller,
der Staatsangehöriger von Bosnien - Herzegowina mit kroatischer
Volkszugehörigkeit ist, hat bei Rückkehr in sein Heimatland nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgungsgefahren zu befürchten.
Asylrecht als politisch Verfolgter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG genießt, wer bei einer
Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit
Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu
erwarten hat (zum zuvor geltenden und insoweit wortgleichen Art. 16 Abs. 2 Satz 2
GG: BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341). Eine Verfolgung
ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Nr. 2 GK als
politisch i.S.v. Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die
politische Überzeugung des Betroffenen zielt (vgl. BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR
478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit
gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten, wie etwa die Religionsausübung oder
die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche
Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die
Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des
Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen
haben (vgl. BVerfG, 01.07.1987, a.a.O.).
Die Entscheidung, ob einem Asylbewerber eine Rückkehr in seine Heimat
zuzumuten ist, hängt von einer alle Umstände seines Falles berücksichtigenden
Prognose ab. Hat der Asylbewerber seine Heimat als politisch Verfolgter verlassen,
so ist ihm eine Rückkehr nur zuzumuten, wenn die Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist
(vgl. BVerfG, 02.07.1980, a.a.O.). Ist hingegen ein Vorfluchttatbestand zu
verneinen, kann eine Anerkennung als Asylberechtigter nur erfolgen, wenn dem
Asylbewerber aufgrund eines asylrechtlich erheblichen Nachfluchttatbestandes
politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG,
27.06.1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171).
Der Antragsteller, der nach seinen eigenen Angaben 1990 oder 1991 in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hat zur Begründung seines erst im Juni
1997 gestellten Asylantrages vorgetragen, kurz vor Beginn des Krieges sein
Heimatland - er stammt aus Bugonjo in Zentralbosnien - verlassen zu haben und
heute keine Perspektive mehr zu sehen, dorthin zurückzukehren. Bei einer
behördlich genehmigten Reise in seine Heimat habe er gesehen, daß sein Haus
und sein Auto beschlagnahmt worden seien und er damit alles verloren habe. In
seinem Haus lebe jetzt eine moslemische Familie. Die Behörden hätten ihm
gesagt, es gäbe momentan keine Möglichkeit, sein Eigentum zurückzubekommen,
vielleicht gäbe es später eine Lösung. Seine Schwiegereltern seien während des
ganzen Krieges dort geblieben und ebenfalls aus ihrer Wohnung vertrieben worden.
Er bekomme dort keine Arbeit, und seine Nichtteilnahme am Krieg könne
Konsequenzen haben.
Damit hat der Antragsteller keine Gründe vorgetragen, die für eine staatliche
Vorverfolgung zum Zeitpunkt seiner Ausreise sprechen. Die Frage der
Vorverfolgung kann aber auch offenbleiben, denn auch bei Anwendung des
herabgestuften Prognosemaßstabes ist der Antragsteller bei heutiger Rückkehr
nach Bosnien-Herzegowina vor landesweiter politischer Verfolgung hinreichend
sicher. Dem Antragsteller ist eine Rückkehr in die muslimisch-kroatische
Föderation der Republik Bosnien und Herzegowina zumutbar, und zwar in die von
den Kroaten bewohnte Gebiete.
Die Lage in der Republik Bosnien-Herzegowina stellt sich unter Berücksichtigung
der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen wie folgt dar: Die Republik
Bosnien und Herzegowina existiert aufgrund des am 14.12.1995 in Paris
unterzeichneten Friedensabkommens von Dayton / Ohio bislang lediglich formal
juristisch. Tatsächlich zerfällt der Heimatstaat des Antragstellers in zwei derzeit
verselbständigte Entitäten, zum einen in die bereits vor der Unabhängigkeit
ausgerufene "Serbische Republik" (Republika Srpska) mit Verwaltungssitz in Pale,
zum anderen in die "muslimisch-kroatische Föderation" mit dem Verwaltungssitz in
Sarajevo. Innerhalb der Föderation leben zwei Volksgruppen, die muslimischen
Bosnier und die bosnischen Kroaten. Das Gebiet der Herzegowina wird dabei
mehrheitlich von bosnischen Kroaten, Mittel- und Nordbosnien mehrheitlich von
muslimischen Bosniern bewohnt. In Mittelbosnien gibt es zum Teil auch kroatische
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muslimischen Bosniern bewohnt. In Mittelbosnien gibt es zum Teil auch kroatische
Enklaven. Die Wahlen im September 1996 haben die nationalen Parteien (SDA,
HDZ und STS) erwartungsgemäß gewonnen; Alija Izetbegovic wurde in seinem
Amt als Präsident des Gesamtstaates bestätigt (vgl. zu Vorstehendem: AA,
Lageberichte v. 02.06.1997 u. 30.01.1997, UNHCR vom 10.12.1990 an VG
Würzburg). Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.06.1997 ist die
Rückkehr in die jeweiligen Mehrheitsgebiete für alle drei Ethnien (Serben, Kroaten,
Muslime) grundsätzlich möglich. Über Verfolgungen von Rückkehrern in Gebiete,
die von ihrer eigenen Volksgruppe kontrolliert werden, liegen dem Auswärtigen
Amt keine Informationen vor. Allerdings ist die Situation der jeweiligen
Minderheiten im ganzen Land schwierig. In der Serbischen Republik halten auch
gegenwärtig die Vertreibungen und Diskriminierungen von Nicht-Serben an. In den
bosniakisch kontrollierten Gebieten der Föderation kommt es vereinzelt zu
Übergriffen gegenüber Kroaten und Serben, wobei jedoch eine unmittelbare
staatliche und nichtstaatliche Verfolgung kaum noch stattfindet. Nach dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts (v. 06.08.1996 - 9 C 172/95 - NVwZ 1997, zur
Frage der Verfolgung von Muslimen) ist nicht anzunehmen, daß die bosnischen
Serben eine etwaige staatsähnliche Herrschaftsgewalt auf das gesamte
Staatsgebiet der Republik Bosnien-Herzegowina ausdehnen. Danach sind nicht nur
die Muslimen, sondern auch die Kroaten im Gebiet der Föderation vor Übergriffen
durch die Serben sicher (Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. v. 17.02.1997 - 6 B
8/97 -; VG Augsburg, Urt. v. 28.03.1996 - AU 7 K 94.31324 -).
Wenn demzufolge der Antragsteller als kroatischer Volkszugehöriger bei Rückkehr
nach Bosnien-Herzegowina in der Serbischen Republik und in seiner mittlerweile
den Moslems zugeschlagenen Heimatregion Bugonjo im Kanton 6 (UNHCR v.
10.12.1996 an VG Würzburg) Verfolgung durch die jeweilige Mehrheit zu befürchten
hätte, bzw. eine solche Verfolgung nicht hinreichend sicher auszuschließen ist, so
ist er nach dieser Auskunftslage aber in den anderen, mehrheitlich von den
Kroaten bewohnten Gebieten der Föderation vor unmittelbaren oder mittelbaren
staatlichen Verfolgungsgefahren hinreichend sicher. Die Nichtrückgängigmachung
der Beschlagnahme des Autos und des Hauses stellt nach Auffassung des
Gerichts keine asylerhebliche staatliche Verfolgungsmaßnahme dar. Wie das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in dem angefochtenen
Bescheid anführt, betreffen diese Maßnahmen nicht nur die Kroaten als Teil der
Gesamtbevölkerung, sondern im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem
Bürgerkrieg sämtliche Bewohner von Bosnien-Herzegowina . Eine gezielte
Maßnahme zum Zwecke, ihn aus der staatlichen Friedensordnung auszuschließen,
kann daher nicht angenommen werden. Im übrigen führt der Verlust des Autos
und die Unmöglichkeit, das eigene Haus zu bewohnen, nicht zu solchen
Beeinträchtigungen, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde
verletzen (siehe unten hierzu die Ausführungen zu Art. 53 Abs. 4 u. 6 AuslG).
Ohne Asylrelevanz ist auch die Tatsache, daß sich der Antragsteller nach seinem
Vortrag mit der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland dem Wehrdienst
entzogen hat. Das Parlament der Republik Bosnien-Herzegowina hat am
12.02.1996 ein Amnestiegesetz verkündet, wonach allen Personen Amnestie
gewährt wird, die im Hoheitsgebiet der Republik Bosnien-Herzegowina bis zum
14.12.1995 die Straftat der Nichtbefolgung des Einberufungsbescheides und
Wehrdienstentzuges durch Untauglichmachung oder Täuschung, eigenmächtiges
Fernbleiben von der Truppe und Fahnenflucht begangen haben. Das Parlament der
Föderation hat am 12.06.1996 ein entsprechendes Amnestiegesetz
verabschiedet. Nach der in der Föderation angewendeten Amnestieregelung sind
Wehrdienstverweigerung und Desertion danach nicht mehr von Strafverfolgung
bedroht; die Amnestieregelung wird in der Föderation auch angewendet (UNHCR v.
19.02.1997 an VG Göttingen).
Aus den vorstehenden Gründen sind auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG, der wie Art. 16 a Grundgesetz - GG - eine politische Verfolgung verlangt,
nicht erfüllt.
Die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet, begegnet keinen
Bedenken. Nach der Auskunftslage wird die Frage, ob kroatische Volkszugehörige
in kroatisch dominierte Gebiete der Föderation zurückkehren können, ohne
unmittelbarer bzw. mittelbarer staatlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein, eindeutig
bejaht. Neben dem Auswärtigen Amt (Lageberichte vom 30.01.1997 und
02.06.1997) sieht auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen
Verfolgungsgefahren nur für die Minderheiten in Gebieten, in denen andere
Ethnien die Mehrheit bilden (UNHCR v. 18.04.1997, 19.02.1997 u. 10.12.1996).
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Ethnien die Mehrheit bilden (UNHCR v. 18.04.1997, 19.02.1997 u. 10.12.1996).
Zwar liegt höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage der Gruppenverfolgung
von kroatischen Volkszugehörigen mit der Staatsangehörigkeit von Bosnien-
Herzegowina nicht vor. Aber das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage der
Gruppenverfolgung von bosniakischen Muslimen eine Gruppenverfolgung im
Föderationsgebiet verneint (so auch VG Chemnitz, Urt. v. 28.12.1996 , A 8 K
31187/92, VG Ansbach, Urt. v. 23.09.1996, AN 18 K 96.33953, VG Wiesbaden, Urt.
v. 23.07.1997, 9 E 30375/97, Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. v. 17.02.1997, 6 B
8/97). Die dort angeführten Gründe gelten gleichermaßen auch für die hier in Rede
stehenden kroatischen Volkszugehörigen. So hat das Schleswig-Holsteinische
Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17.02.1997 ( 6 B 8/97) eine Gruppenverfolgung
kroatischer Volkszugehöriger verneint (vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 28.03.1996,
a. a. O.). Da der Antragsteller auch offensichtlich keine individuellen
Verfolgungsgefahren anführen konnte, ist die Offensichtlichkeitsfeststellung des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht zu
beanstanden.
Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Abschiebungsandrohung im Hinblick auf das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 und 6 AuslG. Dem Antragsteller steht
ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG
nicht zu.
Dem Antragsteller droht bei einer jetzigen Rückkehr mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit nicht landesweit die Gefahr einer menschenrechtswidrigen oder
erniedrigenden Behandlung i. S. d. § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK.
Die konkret individuelle Gefahr einer menschenrechtswidrigen oder erniedrigenden
Behandlung bosnischer Kroaten durch staatliche Organe der "Föderation Bosnien
und Herzegowina" oder durch Dritte in einer dem Staat zuzurechnenden Weise ist
im Föderationsgebiet nicht gegeben. Die Europäische Konvention über den Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit ihren Protokollen ist laut der
Verfassung von Bosnien und Herzegowina unmittelbares innerstaatliches Recht
und hat Vorrang vor allen anderen Gesetzen; zusätzlich sollen die - im Anhang der
Verfassung aufgelisteten - wichtigsten Menschenrechtsabkommen angewendet
werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). Ebenso wie die
Verfassung des Gesamtstaates verleiht die Föderationsverfassung den Menschen-
und Minderheitenrechten eine herausgehobene Bedeutung; die
verfassungsrechtlich verankerte Institution der Ombudsleute hat die Funktion, die
Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte im Föderationsgebiet zu
überwachen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). Im "Dayton-
Abkommen" vom 14.12.1995 ist festgelegt, daß die Beachtung der
Menschenrechte durch eine Menschenrechtskommission für Bosnien und
Herzegowina überwacht wird, wobei diese durch die UN-Hochkommissarin für
Menschenrechte, den hohen Repräsentanten, die OSZE, die EU und den Europarat
unterstützt wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). Die
Menschenrechtslage ist zwar nach wie vor unbefriedigend, doch ist positiv zu
vermerken, daß die Vertreter internationaler Menschenrechtsorganisationen mehr
oder weniger unbehindert die Menschenrechtssituation im Land beobachten
können und daß im März/April 1997 Gerichte in Mehrheitsgebieten zugunsten von
Mitgliedern der jeweiligen Minderheit entschieden haben (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 02.06.1997).
Wie bereits erwähnt, ist die Rückkehr von Personen nach Bosnien und Herzegowina
jedenfalls in Gebiete möglich, in denen die Volksgruppe, der der Betreffende
angehört, die Mehrheit darstellt (UNHCR an Bayer. VG Würzburg vom 10.12.1996).
Dem Auswärtigen Amt ist bisher kein Fall bekannt, in dem abgeschobene
Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina nach Rückkehr in ihr Land
menschenrechtswidrig behandelt werden (Lagebericht vom 02.06.1997). Die
etwaigen zwischenmenschlichen Konflikte um Wohnraum, Arbeitsplätze und
sonstige Lebensgrundlage zwischen solchen Menschen, die in Kriegszeiten ihr
Heimatland nicht verlassen haben, und solchen, die im Ausland Zuflucht gesucht
haben und nunmehr zurückkehren, sind lediglich Ausdruck sozialer Spannungen
und kommen zudem nur regional vor; auch ist nichts für deren staatliche Duldung
oder Förderung erkennbar (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.03.1997 -
23 A 686/94.A -). Die angespannte Nachkriegssituation betrifft alle im
Föderationsgebiet lebenden oder dorthin zurückkehrenden kroatischen
Volkszugehörigen und stellt daher keine Behandlung i. S. eines geplanten
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Volkszugehörigen und stellt daher keine Behandlung i. S. eines geplanten
vorsätzlichen auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln dar (BVerwG, Urt. v.
17.10.1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 333 zu Afghanistan; zu Bosnien und
Herzegowina: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.0.1997 - 23 A 686/94.A - und
Hamburgisches OVG, Beschl. v. 08.04.1997 - Bs VI 129/96). Auch in einer etwaig
unzureichenden Versorgung mit Lebensmitteln und Wohnraum infolge mangelnder
Registrierung der Rückkehrer ist keine menschenrechtswidrige Behandlung durch
den bosnischen Staat zu sehen (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.04.1997,
11 S 102/97, NVwZ 1997, Beil. 6, S. 51). Denn sollten die Behörden die
Registrierung verweigern, die wiederum Voraussetzung für den Erhalt von
Hilfsleistungen ist, so geschieht dies nicht mutwillig oder willkürlich, sondern weil
bereits die Versorgung der vorhandenen Bevölkerung mit Hilfsgütern und
Wohnraum nicht gesichert ist (s. UNHCR v. 10.12.1996 an VG Würzburg).
Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.04.1997 an VG Ansbach erfolgt
die Registrierung im übrigen auch bei Aufnahme durch Verwandte oder Bekannte,
setzt also keinen eigenen Wohnraum voraus. Die Gefahr der Nichtregistrierung
besteht daher nur bei sog. spontanen Rückkehrern. Dem Auswärtigen Amt sind bei
20.000 Rückkehrern (Stand April 1997) aus der Bundesrepublik Deutschland nur
wenige Einzelfälle dieser Art bekannt (AA v. 21.04.1997 an VG Ansbach). Die
allgemeine Versorgungslage ist im übrigen in den kroatisch dominierten Gebieten
am besten; von Problemen bei der Registrierung berichtet der UNHCR hinsichtlich
der muslimisch dominierten Gebiete (Auskunft v. 10.12.1996 an VG Würzburg), in
die der Antragsteller nicht zurückkehren muß.
Der Antragsteller hat auch keine Abschiebungshindernisse i. S. d. § 53 Abs. 4 i. V.
m. Art. 8 EMRK vorgetragen. Wenn auch die Kinder des Antragstellers "schon
lange" hier zur Schule gehen, ist es ihnen dennoch zumutbar, die Bundesrepublik
Deutschland zu verlassen und mit ihrem Vater in der Föderation zu leben.
Der Abschiebung des Antragstellers nach Bosnien-Herzegowina steht auch nicht
das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG entgegen. Nach dieser
Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dazu zählen gemäß § 53 Abs. 6 S. 2
AuslG nach der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht Gefahren in
diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der
Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist - wie etwa typische
Bürgerkriegsgefahren -. Grundsätzlich wird in diesen Fällen Abschiebungsschutz
ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach §
54 AuslG gewährt. Allerdings ist § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG verfassungskonform
dahingehend auszulegen und anzuwenden, daß von der Abschiebung eines unter
diese Bestimmung fallenden Ausländers nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG abzusehen
ist, wenn das Verfassungsrecht dies gebietet (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C
15.95 -, NVwZ 1996, 476; Urteil vom 18.04.1996 - 9 C 77.95 -; VGH Baden-
Württemberg, Beschluß vom 17.03.1997 - 11 S 3301/96 -). Ein solcher Fall ist nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die oberste
Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden
einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer
Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hat, einen
generellen Abschiebestopp zu verfügen. Zu diesen extremen Gefahren für Leib
und Leben gehören auch Gefahren, die infolge völliger Unterversorgung der
Bevölkerung mit dem elementaren Bedarf des täglichen Lebens entstehen, denn
auch ein solcher extremer Mangel kann die Existenz der davon Betroffenen in
lebensbedrohlicher Weise gefährden (VGH Baden-Württemberg a.a.O.). Liegen die
genannten Voraussetzungen vor, gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer
Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 S. 2, 54 AuslG Abschiebungsschutz zu
gewähren. Dabei kommt es nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder
wodurch sie hervorgerufen wird (VGH Baden-Württemberg a.a.O.).
Angesichts der Lage im Föderationsgebiet besteht jedoch nicht landesweit (siehe
hierzu BVerwG, Urt. v. 19.11.1996 - 1 C.6.95 zu Angola) eine derart extreme
allgemeine Gefahrenlage, die jeden bosnischen Kroaten bei einer Abschiebung
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausliefern würde. Zwar ist Bosnien-Herzegowina nach Schätzung der Weltbank zu
50 bis 60% zerstört, die industrielle Produktion auf 8 bis 12% des Vorkriegsniveaus
gesunken, weit über die Hälfte (vermutlich 70%) der Bevölkerung arbeitslos und
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gesunken, weit über die Hälfte (vermutlich 70%) der Bevölkerung arbeitslos und
etwa 80% weitgehend von humanitärer Unterstützung abhängig (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 02.06.1997). Doch ist der regionale Zerstörungsgrad des
Wohnungsbestandes sehr unterschiedlich und so gibt es auch vom Krieg völlig
unzerstörte Gebiete (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997; OVG
Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Die Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere
Grundnahrungsmitteln, ist landesweit sichergestellt, und eine Verschlechterung
der Versorgungslage durch die Rückkehr von Flüchtlingen ist derzeit nicht zu
erwarten; im Januar 1997 haben noch ca. 1,9 Mio. Menschen kostenlose
Nahrungsmittelhilfe bezogen, Ende des Jahres soll diese Zahl nach Berechnungen
des Welternährungsprogramms WFP auf 1,1 Mio. Menschen sinken (AA,
Lagebericht vom 02.06.1997; UNHCR an VG Göttingen vom 19.02.1997). Die
direkten Lebensmittelhilfen sollen jedoch für Personengruppen aufrechterhalten
werden, für die es auch zukünftig schwierig sein wird, das Existenzminimum ohne
Hilfe Dritter zu erlangen, wozu auch Rückkehrer aus anderen Teilen Bosnien und
Herzegowinas oder aus anderen europäischen Staaten zählen (UNHCR an VG
Göttingen vom 19.02.1997). Aufgrund der internationalen Hilfe konnte es in den
beiden letzten Jahren weitgehend vermieden werden, daß Menschen über einen
längeren Zeitraum unterernährt waren oder sind (UNHCR an VG Göttingen vom
19.02.1997).
Schwierig gestaltet sich zwar wegen der Zerstörung und Vertreibung die
Wohnraumsituation, doch Erfahrungen vor Ort zeigen, daß teilweise höhere
Aufnahmekapazitäten für zurückkehrende Flüchtlinge bestehen als allgemein
angenommen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). Die Registrierung
zurückkehrender Bosnier in der Föderation stellt weiterhin immer wieder ein
Problem dar, doch nach offiziellen Aussagen bosnischer Regierungsvertreter
besteht die grundsätzliche Pflicht der Gemeinden, zurückkehrende Flüchtlinge zu
registrieren, was von manchen Gemeinden gelegentlich verweigert wird
(Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). Zahlreiche bilaterale und
multilaterale Geber sowie Nichtregierungsorganisation fördern die Rehabilitierung
von Wohnraum, wobei sich die Maßnahmen bislang zum überwiegenden Teil auf
das Föderationsgebiet konzentrieren (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom
02.06.1997).
Nach Auskunft der WHO und des UNHCR wird prinzipiell allen nach Bosnien und
Herzegowina zurückkehrenden Flüchtlingen das gleiche Recht des freien Zugangs
zum Gesundheitswesen eingeräumt wie den bereits dort lebenden Personen,
wobei alle Bürger in Bosnien und Herzegowina das Recht genießen, einen Arzt zu
konsultieren und eine kostenlose Behandlung in Krankenhäusern und Kliniken zu
erhalten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997). In der Praxis wird der
Zugang zum medizinischen Versorgungssystem und zu internationaler Hilfe von
der Registrierung der jeweiligen Personen abhängig gemacht (Auswärtiges Amt,
Lagebericht vom 02.06.1997; UNHCR an Bayer. VG Würzburg vom 10.12.1996).
Aus möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung folgt für den Einzelnen noch
nicht die hochgradige Wahrscheinlichkeit, wegen längerer Obdachlosigkeit oder
wegen fehlender Grundnahrungsmittel ernstliche Gesundheitsschäden zu erleiden
(VG Regensburg, Beschl. v. 11.02.1997, RN 2 S. 96 1937).
Circa 250.000 Vertriebene und Flüchtlinge sind 1996 freiwillig organisiert oder
unorganisiert in ihre alte Heimat oder einen Ort ihrer freien Wahl zurückgekehrt,
davon kehrten aus Aufnahmeländer etwa 80.000 Flüchtlinge - darunter ca. 30.000
aus Deutschland - in die Föderation zurück. Die Rückkehr war größtenteils auf sog.
ethnische Mehrheitsgebiete beschränkt. Der UNHCR rechnet für 1997 mit einer
Rückkehr von bis zu 200.000 Flüchtlingen aus dem Ausland, davon bis zu 100.000
aus Deutschland (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02.06.1997), etwa 30.000
sind bereits im ersten Halbjahr 1997 aus Deutschland zurückgekehrt.
Auf der Grundlage des vorstehend Ausgeführten kann daher nicht die Rede davon
sein, der Antragsteller würde bei einer Rückkehr in das Gebiet der "Föderation
Bosnien und Herzegowina" schlechterdings keine Lebensgrundlage finden, d.h. auf
Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten haben, das zu Hunger,
Verelendung oder gar zum Tod führen würde (ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 26.03.1997 - 23 A 686/94.A; VG Regensburg, Urt. v. 11.02.1997,
a.a.O.). Es ist dem Antragsteller zumutbar, unter Umständen bei Verwandten oder
Freunden im kroatisch dominierten Teil des Föderationsgebietes unterzukommen.
Zur Durchsetzung seiner eigentumsrechtlichen Ansprüche muß er sich staatlicher
Hilfe bedienen, die den Angehörigen der ethnischen Mehrheit zur Verfügung
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Hilfe bedienen, die den Angehörigen der ethnischen Mehrheit zur Verfügung
stehen dürfte (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.04.1997, 11 S 102/97,
NVwZ 1997, Beil. 6, S. 51 betr. kroatischen Volkszugehörigen). Es ist auch nicht zu
befürchten, daß sich die Situation durch Massenabschiebungen zuspitzen und so
in absehbarer Zeit ein lebensbedrohlicher Mangel an Lebensmitteln und
Notquartieren entstehen könnte (ebenso OVG Hamburg, Beschluß vom
08.04.1997 - OVG BS VI 129/96 -). Die Entwicklung der Verhältnisse in Bosnien und
Herzegowina wird genau und kritisch beobachtet, und es ist deshalb damit zu
rechnen, daß eine drohende wesentliche Verschärfung der Lage die oberste
Landesbehörde veranlassen würde, weitere Abschiebungen zeitweise auszusetzen
oder den abzuschiebenden Personenkreis einzugrenzen. Das bestätigen die bisher
mit der Rückführung gemachten Erfahrungen, wie etwa die Erlasse des Hess.
Ministeriums des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz vom
10.06. und vom 23.06.1997 (Az.: II A 4 - 23 d) zeigen, die die Rückkehr von
Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina, bosniakischer oder kroatischer
Volkszugehörigkeit, die aus dem Gebiet der "Republika Srpska" stammen,
betreffen.
Als unterliegender Teil hat der Antragsteller gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten
des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1
AsylVfG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.